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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Habt ihr schonmal jemanden sterben sehen ?



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Froschkönig
10.12.2004, 20:48
Der Titel sagt eigentlich alles: Habt ihr jemals gesehen wie jemand vom Leben in den Tod geht ? Ich meine nicht in Filmen oder auch nicht das lange Siechtum auf so manchen internistischen oder geriatrischen Stationen, ich meine wirklich den Moment wo es passiert ? wart ihr schonmal bewußt bei soetwas dabei ? Klar, wenn man lang genug im Geschäft ist, hat man schonmal die eine oder andere erfolglose Reanimation erlebt, aber das ist auch nicht genau das, was ich meine, da ist es hektisch, jeder gibt sein bestes und dann klappt es...oder eben nicht, keiner weiß, in welchem moment der Patient schließlich aufgegeben und diese Welt verlassen hat.

Was ich meine, bezieht sich auf ein Erlebnis, das ich vergangene Woche hatte und über welches ich sicher noch eine Weile nachdenken muß. Wir haben bei einem (noch ziemlich jungen) Patienten einen Hirntod diagnostiziert, was darin mündete, daß wir die Beatmung und Infusionen abgestellt haben. In den folgenden 10 Minuten, die ich so bald sicher nicht vergessen werde, konnte man das Todeszappeln der einzelnen Meßparameter auf dem Diagnoseschirm klar und deutlich verfolgen, bis es endlich in eine barmherzige Nullinie überging und die Geräte komplett abgeschaltet wurden.

Erschreckend finde ich hierbei nicht den Vorgang an sich, sondern wie völlig teilnahmslos ich da danebenstehen konnte und sich auch nicht die geringste Gefühlsregung breit machte...klar wußte ich seit Tagen ob der Anamnese und dem Verlauf, daß es irreversible Hirnschädigungen sind und der Patient nicht zu retten war, aber ich dachte irgendwie, daß die Endgültigkeit des Todes doch mehr als ein bloßes Schulterzucken bei mir hervorrufen würde....

Habt ihr schon ähnliches erlebt und wie seid ihr damit umgegangen ?

lala
10.12.2004, 21:12
Ja, habe leider schon mehrfach Patienten sterben sehen.
Wobei dies nie erfolglose Reanimationen waren (zum Glück) - sondern Menschen, die - wie in deinem Beispiel - sterben "durften".

Letztes Jahr (bzw. bis Januar 2004) hatte ich gleich 3 junge Patientinnen, die ich lange Zeit als Stationsärztin betreut hatte und die dann bei uns verstorben sind. Das krasseste war dabei die Frau aus meinem Fallbeispiel ("Der 6.Fall") mit der Strahlenencephalomyelopathie, die gerade mal 37 geworden ist und wirklich elendig mit aufsteigender Tetraplegie und Ateminsuffizienz gestorben ist während ihre kleine Tochter im Schwesternzimmer gemalt hat...
Irgendwie haben ja alle damit gerechnet und sie hat es selber am Morgen auch gewußt und in meiner letzten Visite das Thema auch ganz ruhig angesprochen.
Den Moment des eigentlichen "Sterbens" habe ich dann natürlich nicht miterlebt, da dann ihr Ehemann und ihre Schwester bei ihr waren...

Erst neulich habe ich aber gerade dies ganz hautnah miterlebt als mir eine Patientin quasi während der Aufnahme gestorben ist.Sie wurde noch wach und ansprechbar verlegt - als der Pfleger drin war hatte sie noch wirres Zeug gesprochen (war mir auch so angekündigt) - kaum komme ich ins Zimmer: weiter lichtstarre Pupillen und Cheyne-Stokes-Atmung! Während ich sofort per Telefon oberärztlicherseits geklärt habe ob wir auf intensivmedizinische Maßnahmen, Rea und so verzichten (infauste Prognose bei fortgeschrittener Meningeosis carcinomatosa) und drum gebeten habe schnell die Telefonnummer der Angehörigen zu suchen und die Patientin ins Arztzimmer geschoben habe ist sie mir innerhalb von ca 5min vor den Augen verstorben....
Das war ein ganz merkwürdiges Gefühl, da mich auch alle in diesem Moment allein gelassen haben - halt so ein stressiger Tag wo man alleine mit einer Famulantin auf der Station ist und 6 Aufnahmen hat und dann das...
Danach war für mich der Tag echt gelaufen - erstmal ganz lange Pause gemacht bevor ich weiterarbeiten konnte, weil ich (eigentlich zum erstenmal!) so richtig geschockt war...

DoktorW
10.12.2004, 21:12
Ich habe das als RS Prakti mal erlebt. War ein komisches Gefühl, denn der Pfleger hat mir das total sachlich erklärt in welcher Phase sich der Mann befindet. Komische Geschichte, ich denke da nicht gerne daran.

Im Rettungsdienst hatte ich auch das eine oder andere Erlebnis dieser Art, aber letztendlich bin ich immer froh, wenn ich so etwas nicht sehen muss. Klar gehört es zum Geschäft dazu, aber schön ist es nicht!

ehemalige Userin 24092013
10.12.2004, 21:13
Ich hab Leute so sterben sehen und ich hab vor einiger Zeit auch mal mit der Hand fast direkt aufs Herz gefasst und fühlen können, wies aufhörte zu Schlagen (Vakuumverband bei offenem Sternum).
Mal stehe ich Schulterzuckend dabei oder eben jede sonstige Reaktion, dann passiert es aber auch wieder, dass ich Tränen in den Augen hab und mich wirklich schwer zusammenreissen muss.
Nach den emotionaleren Momenten sag ich einfach nur Danke - noch hab ich mein Herz nicht verloren.

Froschkönig
10.12.2004, 22:06
Ich hab Leute so sterben sehen und ich hab vor einiger Zeit auch mal mit der Hand fast direkt aufs Herz gefasst und fühlen können, wies aufhörte zu Schlagen (Vakuumverband bei offenem Sternum).Das gerade nicht, aber ich hatte "Gelegenheit", die folgende Stunde zu beobachten, wie aus dem atmenden, rosigen, komatösen Patienten eine gelbliche, pastöse und tote Hülle wurde, die vom Aspekt aber auch gar nichts mehr mit "Leben" zu tun hatte....naja, noch habe ich mein Herz auch noch und hoffe, es bleibt so.....

DanielOliver
10.12.2004, 22:47
Das ist das gute am Zivildienst in der Pflege, da ist man mit sowas nicht allein.

Der erste war ein älterer Mann, der zuhause von seinen Angehörigen "gepflegt" wurde. Er war jedenfalls ziemlich verwahrlost, dehydriert und unterernährt und wurde dann mit Commotio cerebri, eigentlich aber eher sozial, auf der Unfallchirugie aufgenommen. Habe in dann im Spätdienst sehr lange versorgt, mal wieder richtig sauber gemacht, Druckstellen versorgt und einfach mal Zeit genommen. Am nächsten Tag wollte ich ihm dann sein Mittagessen bringen, da war er dann nicht mehr ansprechbar und mein erster Gedanke war irgendwie gleich: "Der stirbt". Habe daraufhin die examinierte Kraft informiert, Arzt war grad keiner auf Station. Wir haben telefonisch geklärt dass wir nix machen. Ich habe ihm die nächsten fünfzehn Minuten die Hand gehalten, eine erfahrene Schwester hat ihm den Kopf gestreichelt bis alles vorbei war.
Das war irgendwie auch okay für mich. Der Mann war alt, er ist nicht alleine gestorben und er durfte seine letzten 24 Stunden nochmal erleben dass sich jemand richtig um ihn kümmert.

Ein Jahr später hab ich nochmal auf meiner Zivildienst-Station gearbeitet und da hatten wir eine ca. 85-jährige Patientin die Post-OP ins Nierenversagen gerutscht war. Die Patientin lag im Prinzip zum Sterben bei uns, das war auch allen klar. Irgendwann als wir sie im Spätdienst versorgt hatten (da kam schon einiges an Lungenödem hoch) stand ich alleine auf dem Gang als die Angehörigen rauskamen und meinten es müsse jemand kommen. Ich hab das dann alleine gemacht, Hand gehalten, die Tochter aufgefordert die Hand ihrer Mutter zu nehmen und dann die Perfussoren abgestellt als die Alarme losgingen. Das war eigentlich ein sehr gutes Gefühl diese Situation alleine meistern zu können, ein Jahr vorher frisch von der Schule hätte mich das alles total überfordert. Was mir allerdings zu schaffen gemacht hat war die Hilflosigkeit der Tochter, die es nicht fertig gebracht hat ihre sterbende Mutter zu berühren und so schnell wie möglich unter dem Vorwand ein frisches Nachthemd holen zu wollen aus dem Zimmer geflohen ist.

Habe beim Schreiben mal wieder gemerkt das mich das emotional immer noch bewegt, aber überhaupt nicht in einer negativen Art und Weise sondern eher mit dem guten Gefühl für einen anderen Menschen da gewesen zu sein.

Froschkönig
10.12.2004, 22:53
Das ist das gute am Zivildienst in der Pflege, da ist man mit sowas nicht allein.
Nun, "alleine" war ich auch nicht, 2 Ärzte und 3 Pflegekräfte waren um mich, aber mit seinen Gefühlen oder eben auch NICHT-Gefühlen ist man doch immer alleine :-nix

Aber all diese geschilderten Erfahrungen von versterbenden Patienten habe ich in ähnlicher Weise auch schon öfter erlebt über die Jahre. Die gräßliche Neuerung bei dem letzten Erlebnis war die eigentlich hilfreiche Technisierung in unserem Beruf...nur daß sie diesmal dazu diente, den Sterbeprozeß minutiös darzustellen und man daneben stehen mußte und zusehen, da alles bereits getan war und nichts mehr helfen würde....

HorstHützel
10.12.2004, 23:03
Das Schlimmste was ich erleben musste war während meiner Ausbildung bei einem Einsatz auf der Intensiv: eine jüngere Frau so um die 40 mit heftiger Ösophagusvarizenblutung, die morgens
um 7 kam. Wurde zwar notfallmässig endoskopiert, aber da sagte der OA schon "der könne man eh' nicht mehr helfen". So, um halb neun ging's dann rapide bergab und wir haben nur neben dem Monitor gestanden und "gewartet". Hatte schon irgendwas surreales, weil wir praktisch nur warteten sie nach nebenan zu schieben...grauenhaft. Muss ich nicht nochmal haben.

HH

milz
10.12.2004, 23:55
Bisher 2 mal war ich im Moment des letzten Atemzuges anwesend.

Meine derzeitigen Gedanken dazu:
Das einzelne Leben des Metazoen ist vergänglich und unbedeutend. Die sterbliche Hülle und ihr Wohlbefinden ist nur bis zur Fortpflanzung relevant, danach ist sie evolutionstechnisch wertlos und die Natur überlässt sie dem Zerfall, dem wir als Mediziner entgegenarbeiten sollen. Dem Leben in Form der Nukleinsäuresequenz dient das Individuum nur als Vehikel und temporärer Aufbewahrungsort (Keimbahn). Der Preis für die Höherentwicklung vom Einzeller zum komplex aufgebauten Vielzeller. Dieser Gedanke und das Sinnieren über die Natur des Lebens und des Todes fasziniert mich und macht mich traurig zugleich. Man kann es an sich nicht begreifen.

generellspeziell
11.12.2004, 00:11
Ich war schon mal in einem Zug, vor den sich eine Person warf. Ich sah sehr nah die abgetrennte Hand im Gras und unter dem Wagen, als ich ausstieg, das Bein. Der Zug hielt mehrere Stunden.

Also Sterben habe ich sie nicht gesehen. Ich fand es hart aber nicht eklig.

Feuerblick
11.12.2004, 08:32
Hi Fröschi!

Auch ich habe schon mehrmals direkt das Ableben eines Menschen miterlebt und hatte jedesmal das Gefühl zu verstehen, warum immer gesagt wird, daß der Körper nur eine Hülle ist und der "wahre" Mensch durch etwas anderes ausgemacht wird.

Ich kenne das Gefühl des Nicht-Fühlens sehr gut und muß ehrlich sagen, ich bin froh darüber, daß ich die Fähigkeit dazu habe. Sowohl im Rettungsdienst, wo ich nach dem Tode von Patienten A durchaus innerhalb von Minuten beim nächsten Notfall Patient B mit vollem Einsatz helfen soll als auch in der Klinik. Ich erinnere mich noch an die Patientin, die an ihrer Medikamentenvergiftung verstarb während mein Innere-Kurs um ihr Bett versammelt stand und über die Ursache des Leberkomas philosphierte. Und ich sehe noch die entsetzten Gesichter der Kommilitonen, für die es der erste Tote war und die eben nicht nicht-fühlen konnten. Oder die Patientin mit der schweren Herzinsuffizienz und der heftigen Orthopnoe, die uns im PJ beim Versuch Blut abzunehmen und einen Zugang zu legen quasi unter den Händen weggestorben ist.

Ich glaube, es ist ein Privileg, die letzten Minuten eines Menschen miterleben zu dürfen...

Alex

Sebastian1
11.12.2004, 10:17
Auch ich habe es schon mehrfach erlebt, aber erst vor kurzem wieder ganz nah.
Ich hatte Nachtdienst auf Intensiv und wir hatten einen Patienten von STation wegen Luftnot zu uns verlegt bekommen. Terminale Herzinsuffizienz, es war einfach nix mehr zu machen, es gab auch noch eine Menge Nebendiagnosen, ich weiss gar nicht mehr was alles, ist ja auch egal....
Beeindruckend war, dass der Patient eben noch bei vollem Bewusstsein war und fragte, ob diesmal wohl sein letztes Stündlein geschlagen hätte...also hab ich mich zu ihm gesetzt und mich sehr lange mit ihm unterhalten. Er hat mir aus seinem Leben und von seiner Familie und seiner Erkrankung erzählt, hat sein Dasein noch einmal Revue passieren lassen, bis er irgendwann zu schwach zum Reden wurde.Angst hatte er kaum (sagte er). In den frühen Morgenstunden wurde das Atmen dann immer oberflächlicher, die Herzfrequenz immer bradykarder - und schliesslich blieb das Herz dann auch stehen.
Ich war nach dem Dienst sehr beeindruckt von diesem Erlebnis und dem bewussten Sterbensprozess dieses Mannes.

lala
11.12.2004, 10:42
Ich glaube, es ist ein Privileg, die letzten Minuten eines Menschen miterleben zu dürfen...


Ja, irgendwie schon. Wobei mir das - trotz nun einiger Erfahrung - nach wie vor echt schwer fällt!

Es gibt natürlich große Unterschiede: Bei manchen Patienten "berührt" mich deren Tod kaum (nur kurz gekannt, keine engere Bindung, hohes Alter, schon sterbenskrank kennengelernt - Gründe gibt es viele....).
Bei anderen (wie bei o.g. Beispiel) ist es so, dass es schwer fällt die Professionalität zu behalten (muß man ja irgendwie, man ist in dem Moment der behandelnde Arzt/Ärztin und muss zB nach der Erlaubnis zur Obduktion fragen....krass...) - auch wenn einem selber die Tränen in den Augen stehen.
Ich weiß noch, das ich damals nach dem Tod dieser Patientin, als ich denn endlich allein war hemmungslos den Tränen freien Lauf gelassen habe (und ich war nicht die einzige wie mein geschulter Blick bei Rückkehr ins Stationszimmer gezeigt hat! Und ich stehe natürlich dazu!).

Wie ist das bei Euch? Könnt ihr da "abschalten" oder ist es euch auch schon passiert, dass ihr mitheulen mußtet? (Wobei das ja nun auch wieder schwieriger ist ob man nun als Arzt oder Zivi /RS der Familie gegenüber tritt..)

Und noch was (mehr jetzt für alle bereits ärztlich Tätigen): Hattet ihr schonmal das Gefühl einen Patienten durch eure Therapie "umgebracht" zu haben? Und wie konntet ihr damit leben?
Habe in den letzten Wochen 2 Patientinnen (Stroke) durch systemische Lysetherapie (protokollgerechte und formal korrekte und indizierte und natürlich auch nach Aufklärung) "umgebracht".
Obwohl eigentlich blöde -ich fühl mich schön mies dabei!

Medusi
11.12.2004, 15:30
.... Erschreckend finde ich hierbei nicht den Vorgang an sich, sondern wie völlig teilnahmslos ich da danebenstehen konnte und sich auch nicht die geringste Gefühlsregung breit machte ....

Ich habe nun nicht gelesen, was meine Vorschreiber geäussert haben - ich möchte unbeeinflusst schreiben, was ich dachte, als ich Deinen Artikel las.

LERNEN bedeutet nicht nur, sich Dinge aus Büchern anzueignen. Du erfährst Dinge, siehst, erlebst, nimmst wahr ... beurteilst, reagierst ... oder auch nicht. Es ist schön, dass Du so bewusst mit dem Erlebnis umgehst. Du kannst es so beurteilen, Dein Inneres erkunden, Dir eine Meinung bilden, überlegen, wie Du der Thematik gegenüberstehst. Und da sind ja auch noch die verschiedenen "Personen" in Dir (Ich-Ebenen). Der Privatmensch, der professionelle Mediziner, der Erwachsene, das kleine Kind ... super komlizierte Zusammenhänge. Und wenn man dann denkt, man hat alle Ebenen durch und kann im Beruf professionell agieren und reagieren, genau wie als Sohn, Freund oder Nachbar ... ist es immer wieder anders.

Ich habe in der Pflege Sterbende und ihre Angehörigen begleitet - in der Klinik und zu Hause. Es gab gute und schlechte Situationen. Ich habe den Tod meines Vaters miterlebt (zu Hause) und es war wieder ganz anders. Wichtig finde ich, dass man keine Angst hat und seinen Frieden findet (ich bin nicht religiös). Vielleicht ist es einfacher zu sagen: "professionell damit umgehen" - jedenfalls, was Patienten betrifft.

Bei allen "akut" auftretenden Gefühlen finde ich "unterm Strich" eins am eindringlichsten: dass der Mensch, sein Leben, seine Erfahrungen, was ihn ausmachte, einfach alles weg ist. Puff.

Medusi
11.12.2004, 16:03
Und noch was (mehr jetzt für alle bereits ärztlich Tätigen): Hattet ihr schonmal das Gefühl einen Patienten durch eure Therapie "umgebracht" zu haben? Und wie konntet ihr damit leben?
Habe in den letzten Wochen 2 Patientinnen (Stroke) durch systemische Lysetherapie (protokollgerechte und formal korrekte und indizierte und natürlich auch nach Aufklärung) "umgebracht".
Obwohl eigentlich blöde -ich fühl mich schön mies dabei!

Das geht auch in der Pflege:
Stell dir vor, du hast einen Patienten (ambulante Pflege incl. Sterbebegleitung), der sehr unruhig und psychisch auffällig ist und "totdsterbenskrank" (incl. inspiratorischer Dyspnoe, Brodelgeräuschen, etc.) => Plasmozytom im Endstadium. Der Arzt ordnet ein sedierendes Psychopharmakum an, das die Atmung noch mehr verschlechtert. Der Patient spricht auf die normale und erhöhte Dosis nicht an (wird nicht ruhiger), ausser, dass er, wie zu erwarten war, noch schlechter Luft bekommt (Orthopnoe). Frage: gibst Du die maximale Dosis ?
Sie wurde angesetzt, ich habe sie verabreicht. Die rechtliche Verantwortung lag beim Arzt - die Moralische bei mir. Ich habe mir vorher klar gemacht, worum es geht, Vorteile, Nachteile, Verantwortung, Konsequenzen -alles: rechtlich, wie moralisch - allen gegenüber: dem Patienten, dem Gesetz, den Angehörigen, mir. Ich habe entschieden, dass die Wirkung des Medikamentes in dieser Situation wichtiger war, als die Tatsache, den Zeitpunkt des Eintrittes zu verkürzen - und wir alle wissen, dass man diesen Zeitpunkt nicht vorrausehen kann - jedenfalls in einem "normalen" Krankheitsverlauf und Sterbeprozess. Entscheidend ist für mich einfach, dass ich vorher abwäge und entscheide und zu der Entscheidung stehe. Keine Ahnung, wie lange der Patient ohne diese Maximaldosierung noch gelebt hätte - vielleicht genau so lange, vielleicht noch 2 Tage. Jedenfalls haben wir ihn kurz zuvor aus dem Krankenhaus wegen Weihnachten nach Hause geholt und wussten erst 2 Tage später, dass "es zu Ende gehen würde". Das war am 17. Dezember 1998. Gestorben ist er am 21. Dezember 1998 - 2 Tage vor seinem 23. Hochzeitstag - 3 Tage vor Weihnachten - er war mein Vater (Stiefvater).

Grübeln, Zweifeln, Vorwerfen, Miesfühlen .... ist menschlich, aber bringt nichts.

lala
11.12.2004, 17:32
Entscheidend ist für mich einfach, dass ich vorher abwäge und entscheide und zu der Entscheidung stehe.
Grübeln, Zweifeln, Vorwerfen, Miesfühlen .... ist menschlich, aber bringt nichts.

@Medusi
Klar betrifft es Dich auch in der Pflege - aber letztendlich bist Du da die "Ausführende" und die Verantwortung liegt beim anordnenden Arzt, so dass "man" sich da immer noch aus der Verantwortung ziehen könnte (-wobei ich das hier niemandem vorwerfe - bitte nicht falsch verstehen!!!)
Letzendlich wäge ich immer bei therapeutischen Entscheidungen ab und stehe dann dazu - und in den beiden von mir genannten Fällen (wie immer bei solchen Entscheidungen) habe ich diese auch nicht alleine getroffen (dazu gibt es ja Ober-und Chefärzte mit mehr Erfahrung).
Trotzdem bleibt so etwas im Gedächtnis hängen und vielleicht stelle ich in Zukunft Indikationen strenger, kläre bewußter über das Risiko auf - ich weiß es nicht.

Medusi
11.12.2004, 18:17
so dass "man" sich da immer noch aus der Verantwortung ziehen könnte

Verantwortung hat nicht nur mit dem Gesetz zu tun. Das ist wie mit "dem Schiessbefehl" ..."ich hab nur ausgeführt, was ein Anderer angeordnet hat". Übler Vergleich, ich weiss, aber ein Versuch deutlich zu machen, was ich meine.

lala
12.12.2004, 09:34
Verantwortung hat nicht nur mit dem Gesetz zu tun.

Ganz klar Medusi. Und ich glaube Dir (und auch vielen anderen in der Pflege Tätigen!! - Ich arbeite mit sehr vielen sehr menschlich und fachlich guten Schwestern/Pflegern zusammen!), dass DU als "Ausführende" auch überdenkst was Du tust bzw. kritisch prüfst, was da "angeordnet" wird und Dich nicht aus der Verantwortung ziehst....nur so kann ein gutes Miteinander und eine gute Patientenversorgung im Arbeitsalltag einer Klinik funktionieren.
Leider sind aber nicht alle Menschen so und es gibt immer solche, die ihr eigenes Hirn gerne mal ausschalten und sich dann darauf berufen, dass die letzte Verantwortung beim "Anordnenden" liegt....

Medusi
12.12.2004, 10:24
Oh ja *seufz* ... brachten mich regelmässig zur Verzweiflung - übrigens auch sehr häufig in Medizinerkreisen zu beobachten.
Leider ist eine wirklich gute Zusammenarbeit manchmal aufgrund von "Machtgehabe und Standesdünkel" nicht möglich ... (ich werd grad schon wieder ein wenig ärgerlich - bin also noch immer nicht darüber hinweg *lach*) .... weil so ein kleines Schnöselchen meint, er sei mit seinen 10 Semestern Medizinstudium "wissender" als "ne kleine Waschfrau". Ich wollte nem PJler nen Tipp geben und er war der Ansicht, das stünde mir rangmässig nicht zu - er hat sich anders ausgedrückt, aber ich wusste in dem Moment nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Er hat noch einige Tipps verpasst und die Dinge auf andere Weise erlernen müssen *grins*.

Zum Glück hat sich in den letzten 20 Jahren sehr viel getan, was die Teamarbeit zwischen Medizin und Pflege betrifft. Es müssen nur beide Seiten von ihren hohen Rössern absteigen und kollegial miteinander umgehen. (Es gibt auch die andere Seite, wo ein Stationsarzt fast demütig um Erledigung einer Sache bitten musste und vom wohlwollen der Schwester abhing - war schrecklich mit anzusehen - ich hab das dann übernommen und mir einen verachtenden Blick der Kollegin eingehandelt - ich liess mich bald darauf versetzen).

Es kommt halt drauf an, wie man seinen Job macht - genau so, wie mans ein Leben lebt - als Netter oder als ********* - gewissenahft oder oberflächlich.

Hoppla-Daisy
13.12.2004, 08:44
Ich habe während meines Pflegepraktikums zwar einige Patienten gesehen, die sich im Sterbeprozess befanden (manchmal dauert es ja leider elendig lange...), aber den Moment des letzten Atemzugs habe ich bisher noch nicht erlebt. Und wenn ich ehrlich bin, fürchte ich mich davor. So abgeklärt ich auch in der Theorie mit dem Thema Tod umgehe, ich habe keine Ahnung, ob ich das in dem Moment anders betrachten werde.

Gabi