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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : An W.Oertel



07.04.2002, 12:46
Hallo an Sie,

das Verhalten der Studenten untereinander ist ziemlich erschreckend aus meiner Sicht.
War das als sie studiert haben auch schon so? Oder gab es mal kollegialere Zeiten?

Sandra

FataMorgana
08.04.2002, 15:41
Das würde mich in der Tat auch interessieren. Ist es vielleicht die "Anonymität" des Internets, die so ein Verhalten erst möglich macht?

w.oertel
08.04.2002, 18:25
Liebe Sandra, liebe Fata Morgana,

ich weiss nicht, ob Ihr die Historie des Curriculums im Medizinstudium seit 1949 kennt - wahrscheinlich werdet Ihr nicht mal mehr für so etwas Zeit haben und - um es auf dem Vorwege zu sagen - heute würde ich am Medizinstudium keinen Spaß mehr haben.

Der Zugang zum Wunschstudienplatz war für mich kein Problem, weil ich in der NC-Jahrgangsliste für das Wintersemester bundesweit auf Platz 2 stand - ich schreibe das nicht, weil ich damit angeben will, sondern weil es natürlich signalisiert, dass ich gern und offensichtlich schon auf der Schule das Lernen gelernt habe.

Die Struktur unseres Studienganges war relativ übersichtlich und bestand aus Vorklinik = Stud.med. (1.+2. Sem = Vorphysikum, 3.+4. Sem = Physikum) und Klinik = Cand.med. (5. bis 11.-13. Sem.

Im Verlauf des klinischen Teils des Studiums die Möglichkeit zur Doktorarbeit, Staatsexamen, Approbation als Medizinalassistent, 1 Jahr Medizinalassistent = 2x je 4 Monate in einer der Hauptfacharztrichtungen und 4 Monate in einem Wahlfacharztgebiet, Vollapprobation und ab in die Facharztweiterbildung.

Ich erinnere mich dunkel an ca. 50 - 60 "Scheine" und Testate, die waren aber ziemlich easy. Ärgerlicher waren schon die Praktika, weil da Präsenzkontrolle war. Sonst war ich relativ selten in Vorlesungen, weil ich sehr gut aus Büchern lernen kann und so, viel schneller vorankam, als die KommilitonInnen, die besser in Vorlesungen mit den entsprechenden häuslichen Nacharbeiten lernen konnten.

Außerdem bin ich jemand der vorwiegend - schon zu Schulzeiten - am besten in den späten Abenstunden lernen konnte und auch nur wenig Schlaf braucht. So hatte ich tagsüber ausreichend Zeit einige Semester Jus, Musik, Informatik und Psychologie zu besuchen.

Insofern bedaure ich Euch wirklich - weil Ihr kaum noch dazu kommt, irgend etwas links und rechts vom Weg der Medizin an der Universität aus anderen Fakultäten mitzunehmen.

Den NC gab es bei uns - s.o. - auch schon und damit war auch ein gewisser Konkurrenzdruck verbunden.
Ich habe aber den Eindruck, dass wir semesterweise einen besseren, kameradschaftlichen Zusammenhalt hatten, heute scheint das Ganze ziemlich brutal abzugehen.
Lerngruppen von 2 bis zu 20 KommilitonInnen waren durchaus üblich und man traf sich im privaten Rahmen, lernte gemeinsam, hatte aber seinen Spaß dabei und regelmäßige oder spontane Freizeitaktivitäten dazu.

Ich hatte das Glück, ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes zu bekommen, und das fehlende Geld habe ich dann, nachdem ich nach dem Physikum zu hause ausgezogen bin, durch Nachtwachen auf einer Orthopädie-Station und später auf einer großen interdisziplinären Intensivstation dazuverdient.
Diese Zeit war wirklich die ideale Ergänzung zum Studium, weil ich 2 - 3 Nächte/Woche die Patienten gesehen habe und erspüren konnte, die ich vom Krankheitsbild aus dem laufenden Vorlesungsstoff sonst nie zu Gesicht bekommen hätte.
In diesen Nächten habe ich mehr über Menschen, Patienten und deren Nöte, Ängste und Sorgen erfahren, als ich in 24 Semestern Medizinstudium hätte theorethisch lernen können.

Was ich bedaure ist - und das pflanzt sich bis in die Krankenhäuser fort, wenn die jungen Kolleginnen und Kollegen als PJler oder AiPler zu uns kommen - dass das Karrieredenken und die Fähigkeiten, sich mit eisenharten Ellenbogen durchzusetzen, oftmals viel besser ausgeprägt sind, als das humanistische und humanitäre Grundprinzip, auf den Menschen im Patienten zuzugehen und ihm Vertrauen und Verständnis entgegen zu bringen.
Dies ist bitte nicht mit Mitleid zu verwechseln, denn man kann nicht mit jedem einzelnen Patienten mitleiden, sondern meint die Fähigkeit, den Patienten spüren zu lassen, dass er als Mensch und nicht als Diagnose behandelt wird und das mit der nötigen Professionalität und dem unverzichtbaren Teamgeist unter Kollegialitätsgesichtspunkten. Aber es irritiert mich schon, wenn mir ein PJler in der Anästhesie die gesamte Pharmakologie meines täglichen Medikamentenrepertoires streitig und kritisch darlegen kann, andererseits aber nicht die körperliche Nähe eines Patienten erträgt und auch im sprachlichen Bereich nicht in der Lage ist, sich auf das Niveau eines einfachen Menschen einzustellen bzw. herabzulassen.

Meine Bitte an alle angehenden Kolleginnen und Kollegen ist deshalb:

Werdet Ärzte ohne Pathos und Standesdünkel und keine Mediziner, die den Patienten vor allem an seinen Messwerten behandeln.

Wir brauchen eine neue Menschlichkeit in der Medizin und zwar für die gesamte Genesungskette Hausarzt - Patient - Ärzte -Pflegemitarbeiter - Funktionsmitarbeiter - Verwaltungsmitarbeiter - Angehörige - Hausarzt

Herzliche Grüße, viel Erfolg beim weiteren Studium und gelegentlich auch mal die Seele baumeln lasssen - es gibt auch noch ein Leben ohne Patienten - Euer Wolfgang Oertel

Lava
08.04.2002, 18:56
Bei solch düsteren Aussichten frage ich mich: werde ich auch so?? Denn zumindest jetzt in der Vorklinik kommt mir die Atmosphäre noch sehr friedlich vor. Das mit dem Konkurrenzdenken muss also später kommen. Bleibt die Frage, was dafür verantwortlich ist! Leistungsgesellschaft (mein Psychologielehrer hat ja immer behauptet, davon sei Deutschland weit entfernt)? Kampf um die wenigen Plätze an der Sonne? Oder sind es die Anforderungen, die an uns gestellt werden und die uns zu den "falschen" Einstellungen treiben? Wenn letzteres der Fall ist, hat man ja kaum eine Chance, sich zu einem verständnisvollen Arzt zu entwickeln, bei dem der Mensch noch im Mittelpunkt steht.

w.oertel
08.04.2002, 19:42
Liebe Janine,

eher nicht, weil Du Dir schon jetzt Gedanken darüber machst, so wie Sandra und Fata Morgana; und wenn Du jetzt kaum etwas von dem bemerkst, was ich da beschrieben habe, dann bist später auf jeden Fall darauf vorbereitet.

Die Gründe für diese Entwicklung?
Alles zusammen von dem, was Du aufgezählt hast in jeder beliebigen Kombination und bei jedem anders ausgeprägt!
Zwei Gründe sind allerdings unerwähnt geblieben, nämlich das Helfer-Syndrom und jene, die den Arztberuf anstreben, weil entweder die nötige Kohle dahinter steckt oder weil die Eltern Ihr Kind unbedingt in diesen Beruf treiben wollen.

Der Arztberuf ist sehr schön und ich bereue die Entscheidung dafür keine Sekunde, auch nicht an den Tagen, wo ich unvermeidliche Tiefschläge einstecken muss.
Die Anästhesie hat mich wegen ihres großen Entwicklungspotentiales und ihrer Vielfältigkeit und Interdisziplinarität gefesselt: Anästhesie - Intensivmedizin - Schmerztherapie - Rettungsdienst, wobei mein persönlicher Schwerpunkt besonders auf dem Rettungsdienst liegt.

Auch Dir ein erfolgreiches Studium mit gutem Abschluß und den geschärften Blick für die persönliche dead-line, d.h. den Punkt, wo Du begründet an Deiner Studienfachentscheidung zweifelst, bevor Du daran verzweifelst.

Aber so wie Du schreibst glaube ich, hast Du dafür die nötige Sensibilität und wirst Dich im Studium und im Beruf richtig platzieren.

Herzlichst - Wolfgang Oertel

FataMorgana
08.04.2002, 23:07
:-dafür

Endlich mal wieder ein interessanter Thread hier im Forum! Ich hatte schon überlegt, gar nicht mehr hier vorbeizuschauen, weil sich da gewisse Hasstiraden um AIP i.d.H. & Co. ewig im Kreise drehten.

So macht's wieder mehr Spaß!

:-winky

09.04.2002, 15:42
Geht mir ähnlich.
Habe mir vorgenommen immer nett zu sein auch als Arzt. Während den 5 Jahren in der Altenpflege hat es zumindest fast immer geklappt.
Lasse mir meine Illusionen nicht nehmen!

Sandra

Ach ja, ich bin fertig. Das mündliche ist vorbei. Jetzt geht´s in den Urlaub.

Lava
09.04.2002, 18:11
Ist wohl wie mit der Sprache: man muss sich der Entwicklungen bewusst sein, damit man darauf Einfluss nehmen kann. Ich würde von mir selbst behaupten, dass ich ein andern Menschen gegenüber positiv eingestellter Mensch bin. Andererseits betrachte ich den Beruf des Arztes auch als sehr große persönliche Herausforderung, weil ich - wie soll ich sagen - nicht von vornherein ein Talent dafür habe, mit Menschen umzugehen.
Daher finde ich es auch schwierig, meine Motivation zu beschreiben, die mich zum Medizinstudium gebracht hat. Ich denke, die naturwissenschaftliche Seite hat mich sehr interessiert. Ich hab schon als Kind gern in den alten Anatomiebüchern meiner Mutter geblättert. :-) (Die übrigens keine Ärztin ist - wie der Rest meiner Familie)

Was hat euch denn so dazu getrieben?

Lava
09.04.2002, 18:46
Ich habe gerade gesehen, dass es zu dem Thema schon einen Thread in der Sparte "Umfragen" gibt. Ist schon interessant, wie agressiv manche Leute werden können.

w.oertel
09.04.2002, 21:46
Liebe Janine,

so ist das im Leben, ich wusste nur, dass ich einem sozialbezogenen Beruf arbeiten wollte. Auf dem Gymnasium wollte ich noch ins höhere Lehramt.
Dann hatten wir als Wahlpflichtfach einen tollen Lehrer, der mich für Biochemie begeistert hat. Das hat mir dann auch den Landessieg bei Jugend forscht eingebracht und den 2. Platz im Bundeswettbewerb.

Über die Biochemie bin ich dann zum Interesse an der Medizin gekommen, und als ich im Medizinstudium war waren meine Wunschziele Chirurgie oder Anästhesie.

Meine Doktorarbeit über die Langzeitverläufe von BI- und BII-operierten Magenpatienten hat sich nach der damaligen Vorstellung von der Entstehung von Ulcera vent/duod. als einer der kapitalen Irrtümer der Medizin erwiesen, nachdem seit 1983 bekannt sein konnte, dass ein Bakterium entscheidend für die Ulcusentstehung verantwortlich war und ist.
Soviel nebenbei zum Thema Sicherheit durch Wissenschaftlichkeit in der Schulmedizin.

So bin ich zur Medizin gekommen und nun seit 26 Jahren Arzt und davon 24 Jahre in der Anästhesie, davon knapp 15 Jahre als Chefarzt in einem kleinen Haus der Grund- und Regelversorgung.

Was ich bis heute beibehalten habe ist das praktische Lernen; d.h. dass ich jedes Jahr für 2x 10 Tage in einer großen Schwerpunktklinik hospitiere und feststelle, dass überall nur mit Wasser gekocht wird - es darf halt nur nicht überkochen und deshalb sollte man sich vor allem in der Praxis auf dem Laufenden halten.

Ich wünsch Dir alles Gute und viel Glück beim weiteren Studium. Herzlichst - Wolfgang Oertel

Xanthippe
10.04.2002, 00:15
Lieber Wolfgang

Über ihren ersten Beitrag zu diesem Betreff musste ich ganz stark schmunzeln: es kam mir vor, als würden sie aus meinem Studiums-CV schreiben! Es ist nett, dass sie Bedauern mit uns haben, aber das ist nicht nötig. Nebst all dem Gejammer, das wir hier im Forum ablassen (dass ja als Ventil durchaus erwünscht ist), ist - wenigstens aus meiner Sicht - das Leben als Medizinstudent ganz toll (mit Ausnahmen, klar - aber wo gibts die nicht??) Gäbe es ein spannenderes Studium?

Auch ich arbeite - da ich soz. ein statistischer Ausreisser aus meiner "Arbeiterfamilie" bin - zusätzlich zu meinem Stipendium noch auf der chirurgischen und medizinischen Notfallaufnahme, bin in der Anatomie in der Studentenausbildung des 1. und 2. Jahres angestellt und verdiene mir mit Korrekturlesen und Indexieren von historischer Literatur gelegentlich noch was dazu. Daneben sitze ich einmal wöchentlich zu den Statistiker in die Vorlesung rein und gehe ausserdem einmal pro Woche in meinen Sprachkurs. Es gibt also noch ein Leben neben der Medizin!

Es gibt Zeiten, da hat man tatsächlich das Gefühl, der Tag müsste 48 h haben und alles wächst einem über den Kopf. Aber war das nicht auch schon zu ihrer Zeit so, Wolfgang? Ich denke, im Rückblick sieht man so vieles verklärter. Oder was denkt ihr jetzt über das Physikum?

Was ich als wirklich bedenklich empfinde, ist der (wachsende?) Konkurrenzdruck unter den Studierenden (s. Thread im allgemeinen Forum). Doch da muss ich den Ball auch wieder zurückgeben, lieber Wolfgang, nicht an Sie persönlich, aber an Ihre Generation, bzw. die Dozenten. Meist ist Wissen, das einzige, das zählt. Gnadenlos werden ganze Bücher hirnrissigen Stoffs (in Bezug aufs Auswendiglernen, nicht Inhalt) klipp und klar verlangt; bspw. das Auswendiglernen von diversesten TNM-Klassifikationen - um Himmels willen, sowas kann man doch nachschlagen!!

Auch ist es wesentlich leichter, eine gute Stelle mit guten Noten zu kriegen als mit einer guten ärztlichen Sozialkompetenz.

Ich persönlich sehe meiner beruflichen Zukunft auch ein wenig sorgenvoll entgegen; mein klares Berufszielfeld ist die viszerale Chirurgie; dies nicht einfach so als naiver Berufswunsch, sondern nach diversen freiwilligen Praktika auf diesem Fach. Gerade während diesen Praktika ist mir aufgefallen, dass man in der Chirurgie "ohne Rasierklingen an den Ellbögen" nicht weit zu kommen scheint - und als Frau sowieso. Nun frage ich mich stark, ob es hier tatsächlich reicht, nur "gut" zu sein, oder ob die Arroganz halt ein sine qua non für dieses Berufsziel ist - und ob auch Arroganz lernbar ist?

Nun denn, langer Rede kurzer Sinn: La vita è bella, bellissima als Mediziner, und als Student noch viel mehr - lassen wir es uns nicht vermiesen!!

Liebe Grüsse aus der Schweiz

10.04.2002, 15:10
mmmhhh Motivation für das Medizinstudium? Das ist eine gute Frage. Habe selbst schon öfters darüber nachgedacht.
Erst mal bin ich nicht wirklich geprägt worden durch meine Eltern. Sprich keine Ärztefamilie mit langer Tradition. Meine Mutter ist allerdings Arzthelferin. Vielleicht kommt das Interesse am Menschen und seinen Wehwehchen daher.
Während der Schulzeit wollte ich noch alles mögliche werden. Über Journalistin, Rechtsanwältin bis zur Polizistin.
Habe aber sicherheitshalber doch den Medizinertest mitgemacht. Einfach zum Spaß, ohne vorher zu lernen.
Nach dem Abi habe ich mich nach dem Krankenpflegepraktikum entschieden noch ein Soziales Jahr dranzuhängen. Das war für mich auch die richtige Entscheidung. Dabei habe ich gemerkt wie schön es ist mit anderen Menschen zu arbeiten. Ich war ein Jahr in der ambulanten Altenpflege tätig. Und nirgends bekommt man so viel Dankbarkeit für seine Anwesenheit gezeigt wie da.
Nun ja, jetzt neigt sich das Studium dem Ende und ich habe etwas Angst davor, was mich im Krankenhaus erwartet. Es ist ja nicht das beste was man darüber hört.
Werde es mir ansehen und falls ich merke, daß ich mein Bedürfnis nach Menschlichkeit nicht einbringen kann, dann werde ich mir einen anderen Beruf suchen.
In diesem Falll würde ich auf einen besser bezahlten umsteigen bei dem es von anfang an nicht auf soziale Kompetenz ankommt.

Sandra

w.oertel
10.04.2002, 17:42
Liebe Xanthippe,

es ging mir auch auch weniger um Bedauern oder Mitleid - an den Zeitläufen und Entwicklungen können wir, ganz konkret auf die aktuelle Situation, ohnehin selten etwas ändern.
Die Folgen von Reformen - im Guten, wie im Schlechten - bekommen meist erst ein oder zwei Jahre später Ihre Bedeutung.

Natürlich war auch zu meiner Zeit nicht alles Gold und nicht alle in der Kommilitonenschaft persönliche Freunde/Freundinnen; selbstverständlich hatten auch wir - mangels schriftlichen Staatsexamens - bei den mündlichen Prüfungen in 3er- oder 4er- Gruppen bei einigen Ordinarien die Hosen gestrichen voll.

Erstaunerlichweise waren es gerade die älteren Professoren, bis auf einen, die die Prüfungen mit sehr viel Menschenkenntnis und Einfühlsamkeit abhielten.

Nein, ich meinte - und das war auch der Tenor an Christoph, dass ihr mit Theoriewissen vollgestopft werdet, nicht anders, aber mehr als wir und dass die Erfolgskontrollen und damit der Studienfortschritt brutaler geworden sind.

Bei uns konnte auch - in einer guten Prüfungsgruppe - ein Kommilitone sein Befriedigend bekommen, wenn die Gruppe in sich geschlossen auftrat und keiner sich als Streber profilierte.

Gerade diese älteren Professoren konnten oft mit schlafwandlerischer Sicherheit zwischen Prüfungsangst und inakzeptabler Prüfungsvorbereitung, d.h. wirklich fehlendem Fachwissen unterscheiden. So etwas kann kein MC-Fragebogen!

Und das mit dem Senior Elderman, war einfach mein Angebot, eine Brücke zwischen 95% Therorie und 5% Praxis, die ihr ins Krankenhaus mitbringt und meine 95% Praxis und 5% Theorie, die ich mitbringe, zum wechselseitigen Erfahrungsaustausch anzubieten.

Ich denke, dass mir jeder halbwegs gut lernende Medizinstudent in der Therorie der meisten Fächer haushoch überlegen ist.
Aber egal was ihr jetzt lernt: ihr werdet á la long sehr schnell das Wichtige vom Unwichtigen trennen und letzteres im Langzeitgedächtnis verschwinden lassen.

Und eines kann ich wirklich versprechen, in dem Masse wie die fachbezogene Praxis und das zugehörige Theoriewissen in der späteren Weiterbildung im Krankenhaus wachsen, geht das Theoriewissen für alle anderen Fachgebiete umgekehrt proportional verloren.

Ich habe mich sehr über Deinen Artikel erfreut, zumal er mich an eine sehr schöne Assistenzarztzeit im KSp Winterthur in der dortigen Chirurgie und Anästhesie erinnert.

Herzlichst - Dein Wolfgang:-top

Lava
10.04.2002, 17:53
Na gut, dann packe ich auch mal aus. :-) Ich muss gestehen, dass ich ohne diverse TV Serien (ER, Chicago Hope) sicher nicht auf die Idee gekommen wäre, Medizin zu studieren. Ich fand und finde es immer wieder beeindruckend, wie schnell Ärzte in Notsituationen reagieren und wie viel sie eigentlich wissen. Ach ja, das Wissen... wie viele hier im Forum interessiert es mich brennend, wie der menschliche Körper funktioniert. Allerdings nicht nur das. In der Schule hat mich praktisch alles interessiert. Biologie, Geografie, Chemie, Englisch, Latein, Kunst... deshalb hat mein Berufswunsch entsprechend oft gewechselt. In den letzten 3 Schuljahren hatte ich mich allerdings schon ziemlich auf Medizin festgelegt. Ich glaube, dass ich mit dem Fach mehrere meiner Interessengebiete abdecken kann: man kann im Ausland tätig sein, vielleicht sogar bei einer internationalen Irganisation, in der Entwicklungshilfe gibt es Einsatzmöglichkeiten, meinem Forscherdrang kann ich in der Forschung nachgehen und wenn alles nix wird, kann ich immer noch eine "normale" Ärztin werden.

Sie haben bei jugend forscht teilgenommen?? Willkommen im Club! Sie sind der erste Mediziner, den ich kennen lerne, der auch bei jugend forscht mitgemacht hat. Mir schießen glatt die Tränen in die Augen. War das nicht absolut klasse? Für mich war es eins der schönsten Erlebnisse meines bisherigen Lebens. Eigentlich wollte ich nur mal mitmachen, um zu sehen wie es so ist. Eine Freundin von mir hatte schon einmal teilgenommen und mir vorgeschwärmt, wieviel Spaß der Wettbewerb macht. Total unerwartet sind wir dann vierte im Bundeswettbewerb geworden und haben sogar einen Sonderpreis gewonnen. Das Forschen an sich war schon sehr anstrengend. Viele Rückschläge, viele Sackgassen, viel Zeitaufwand. Dafür hat es sich aber gelohnt. Am besten fand ich es, dass wir von der Jury - die immerhin aus wichtigen Leute bestand (u.a. dem Vorsitzenden der Vereinigung deutscher Geologen oder sowas) - ernst genommen wurden.
Das Projekt hatte übrigens rein gar nichts mit Medizin zu tun. Allerdings hat mit jugend forscht gezeigt, zu was junge Menschen eigentlich im Stande sind. Leider fehlt mir diese Anerkennung jetzt doch sehr. In der Anonymität des Studiums gehen die Stärken des einzelnen total unter. Deshalb hoffe ich, ich finde ein interessantes Thema für meine Doktorarbeit.

Vielen Dank übrigens, dass Sie sich an der Diskussion beteiligen, Herr Oertl! :-top

w.oertel
11.04.2002, 11:06
Liebe Janine,

das mit Jugend forscht ist wirklich ein seltener Zufall, ich habe die Atmosphäre ähnlich empfunden und auch genossen - jeder ist ein bischen eitel und geliebt wollen wir alle werden.

Das mit der primären Motivation und den Fernsehserien mag verstärkend oder dämpfend wirken; ich glaube nicht und insofern sind wir auch da einer Meinung, dass diese "Anreize" wirklich ursächlich sind.
Meines Erachtens sind die Eingangsvoraussetzungen für jeden sozialen Beruf:
1. Erlebte und gewünschte - aber nicht bekommene - positive Sozialkompetenz der Eltern und der Umwelt bis zum Zeitpunkt der Berufswahl (Prägung)
2. Die Fähigkeit bzw. Bereitschaft selbst sozialkompetent zu werden zu wollen (Veranlagung + Lerneffekt)
3. Die Bereitschaft, sich auf den Umgang dirketen Kontakt zu anderen Menschen einlassen zu wollen (Persönliche Einstellung)
4. Kommunikationsfähigkeit - zwischen Zuhören und Reden - und Menschlichkeit ohne Arroganz und Standesdünkel (Karakter).

Danach stehen einem je nach Schulabschluß eine Viezahl von Berufsbereichen offen, bei denen man den direkten Umgang mit anderen Menschen finden kann und der Konfrontation mit deren Nöten, Sorgen und Ängsten fachlich wie menschlich, auch mit nötigen eigenen, inneren Stabilität, standhalten und helfen kann,
es aber auch ertragen muss, wenn man als hilfloser Helfer nichts ausrichten kann.

Im akademischen Bereich sind dass das Lehramt, der Arzt- und Rechtsanwaltsberuf an vorderster Stelle, wobei die Gesellschaft erstaunlicherweise immer noch die Gruppe der Ärzte sehr weit vorne bzw. an der Spitze in der Bewertung des Sozialprestiges ansiedelt.
Im Rahmen subspezialisierter Studiengänge über Fachhochschulen kommen da sicher noch eine große Zahl ander extrem sozialnaher Berufe hinzu - aber da fehlt mir einfach der systematische Überblick, ganz zu schweigen von den nichtakademischen sozialnahen Berufen, worunter für uns, in diesem Forum natürlich auch Kranken-/Altenpflegeberufler, die FunktionsbereichsmitarbeiterInnen und auch alle anderen Menschen zählen, die im Krankenhaus arbeiten - ausgenommen die VerwaltungsmitarbeiterInnen - vom Pförtner bis zum technischen Dienst und von der Stationshilfe bis zum Stab der Reiningungsmitarbeiter.

Spannend ist der ärztliche Beruf auf jeden Fall, für den Bakteriologen, Pathologen usw. genauso wie für den Kliniker bzw. niedergelassenen Arzt.
Entscheidend ist aber, dass die Spannung
1. nicht zum Selbstweck der Motivation wird, sondern den Patienten als Menschen mit dessen sozialen Umfeld im Blick behält
2. es zulässt seine Arbeit so zu gestalten, dass man in seiner Freizeit auch entspannt - zur eigenen Regeneration und zur besseren Präsenz gegenüber den Patienten und
3. einen nicht besessen macht, den Unterschied zwischen schicksalhaftem Verlauf einer Krankheit und persönlichem Versagen aus dem Auge zu verlieren.

Herzliche Grüße - Dein Wolfgang :-winky