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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Allen Grund zum Heulen!



Slim
10.04.2002, 09:35
Recht hat er, Mr. Unbekannt, es ist tatsächlich zum Heulen:

In welchem anderen Beruf wird man nach min. 12 Semstern Studium und 3+1 Examina mit einem Einstiegsgehalt abgespeist, das unter dem einer Raumpflegerin liegt, hm?

Ich kenne keinen!

Unsere Ausbildung, unser sog. Gesundheitssystem und die verantwortliche Poltik sind träge und multimorbide, reihenweise werden Chancen vertan, auf die Entwicklung und die Anforderung des neuen Jahrtausends zu reagieren - Stichwort Gentechnik, Stammzellenimport und Sterbehilfe...

Und über die mit der Medizin verzahnten Bereiche - zb Pharmaindustrie und Medzintechnik - haben wir dabei noch kein Wort verloren!

Weiß der Geier wo die ganze Kohle bleibt, in Behörden, Verwaltungen und bei einigen wenigen Top-Verdienern - jedenfalls nicht bei uns Anfängern am Rand dieses großen schwarzen Lochs, welches Unsummen verschlingt!

Nicht auszudenken, welche himmlischen Bedingungen im Falle einer sinnvollen Geldverteilung zu erwarten wären - optimale Patientenversorgung, Gesundheitsvorsorge, erträgliche Arbeitszeiten, fundierte, praxisgerechte Ausbildung...

All das rückt immer weiter in die Ferne, weil an den entscheidenden Stellen die geballte Inkompetenz immer wieder bestrebt ist, ihre jahrzehntelang erworbenen Pfründe zu sichern.

Wie schön das es hier noch Leute gibt, die für DM 8,50 pro Stunde die Grundversorgung sichern und obendrein bereit sind, sich dafür auch noch als 'Heulsuse' titulieren zu lassen!

Schönen Dank, Mr. Unbekannt, würde gern mal Deine Tränen kullern sehen, wenn Deine KV Dir eine Therapie verweigert, die Du vielleicht bitter benötigst...vielleicht heult einer von uns in diesen dunklen Stunden mit Dir!

In diesem Sinne!
Gruß
Slim

PS: *grrrrrrrrrr*

10.04.2002, 13:50
Was soll hier zum Heulen sein. Habt Ihr noch nichts vom kommenden Ärztemangel gehört? Ich denke, in Zukunft wird fast jeder eine AiP-Stelle seiner Wahl und wahrscheinlich sogar eine Wunsch-Facharztstelle erhalten können. Was wollt Ihr mehr? Noch vor kurzem mußte man sich Sorgen machen, ob man überhaupt eine adäquate Stellung würde finden können. Es kommem also geradezu himmlische Zeiten auf uns zu. Und was soll immer dieses Gejammer über das geringe AiP-Gehalt? Ich würde auch unbezahlt arbeiten, wenn es dafür eine gute Ausbildung gäbe. Das ist doch wohl das eigentliche Problem und nicht, ob man nun 1000 € mehr oder weniger im Monat bekommt. Das gleiche gilt ansich auch noch für die Assistentenzeit. Was ich mir hier wünschen würde, ist in erster Linie eine verbesserte Ausbildung. Geld ist doch wohl nicht so wichtig, schließlich ist man quasi noch ein "Lehrling" bis man den Facharzt in der Tasche hat.

Gruß

Heike

Slim
10.04.2002, 16:05
Ich nehme mal an, Du bist rundum versorgt und brauchst keine Familie über die Runden zu bringen - anders kann ich mir diese Aussage nicht erklären...

Überleg doch mal bitte, wievielen Leuten Du mit dieser Aussage (und wahrscheinlich auch aufopferndem Verhalten) eiskalt in den Rücken fällst...

Schön für Dich, daß Dich 1000 Euro nicht kratzen, ich gehöre leider nicht zu dieser priveligierten Schicht...

Gruß
Slim

milka
10.04.2002, 17:09
:-meinung Ich finde, daß Slim Recht hat. Ich stehe seit meinem 18 Lebensjahr auf eigenen Beinen und das bedeutet, daß ich mein Leben selbst finanzieren muß. Ich kann keine Hilfe von meinen Eltern erwarten und somit bin ich auf das Geld, das ich verdiene und das ich als AIPer verdienen werde, angewiesen.
Ich bin bereit hart zu arbeiten, aber ich möchte dabei meine Miete und mein Essen bezahlen können. Bei der Arbeitszeit, die auf uns wartet, kann man keinen Nebenjob annehmen.
Ich will mich hier nicht beklagen, schließlich habe ich mich selbst für dieses Studium entschieden. Aber ich möchte zumindest einigermassen gerecht behandelt werden.

10.04.2002, 17:55
In jedem Job lernt man am Anfang und befindet sich am Anfang sozusagen noch in der Ausbildung. Und wenn Chefärzte sagen sie würden nichts mehr dazulernen, dann glaube ich das nicht so ganz.
...und warum kassiert ein Trainee in einer Unternehmensberatung 60000 Euro im Jahr + Firmenwagen????
und ein AiP 13000 Euro???????

Sandra

Dr.Dolor
10.04.2002, 21:06
Auch ich kann Slim nur zustimmen! Über die Aussage, die Ausbildung sei erst mit dem Facharzt beendet kann ich nur schmunzeln - das würde bedeuten, dass der Arzt mit mind. 11 Jahren die wohl weltweit längste Ausbildungszeit hätte.

Und ja, AiP für umsonst oder € 1000 mehr oder weniger mögen vielleicht für Individualisten, Neureiche oder Lebenskünstler gelten, sobald aber familiäre Verpflichtungen dazukommen, ist die Beschäftungs- und Zahlungsmoral deutscher Krankenhäuser eine Beleidigung für jeden Mediziner. Gemessen an der Verantwortung und den Wochenarbeitsstunden eines AiP´lers oder Arztes kann man geseztliche Regelungen und Lohnzahlungen/Freizeitausgleich nur belächeln - jeder Kraftfahrer hat höhere Auflagen zu erfüllen!

Aber es stimmt wohl, der Arbeitsmarkt entspannt sich und offenbar werden "wir Jungärzte" zukünftig deutllich gefragter und weniger verheizt.

Gruss, Daniel.

Slim
11.04.2002, 07:02
Jetzt ist auch mal Zeit, lieber Doc-Do, den Kopf aufzumachen, endlich kommen auch mal die kritischen Kommentare!

Hoffentlich sind die Zeiten vorbei, in denen wir Ärztenachwuchs als selbstlose, altruistische Stattionssklaven 'gehalten' werden ('Hurra, ich werde ausgebildet'). Je weniger wir kosten, je mehr Sklavenarbeit werden wir verrichten.
Bei Jemanden der 50.000 Euro im Jahr kostet, wird man sich überlegen, wie effektiv man ihn einsetzten kann - ich meine: wesentlich genauer als für 15.000 Euro!

Und ich fürche, unsere 'Politik' (zb KH-Träger) merken es erst wieder, wenn es zu spät ist. Es hat ja eine Grund, warum viele Stellen nicht besetzt sind - es hat sich rumgesprochen, welche Bedingungen herrschen.

Ich könnte die Kollegin mal ketzerisch fragen, wann denn die 'Ausbildung' beendet ist. Hmmmm....vieleicht nach einigen Jahren, wenn das Selbstwertgefühl ein alltagstaugliches Niveau erreicht hat? *fg*

:-meinung

Gruß
Slim

xxxxmr
11.04.2002, 17:57
Ach, was mußte ich doch kürzlich feststellen, wie naiv ich bin und daß ich das falsche studiert habe: Habe einen Artikel aus der Ärztezeitung gelesen, in dem irgend so ein ganz ganz toller Hecht fordert, man sollte für Ärzte die Arbeitszeitbegrenzung ganz aufheben, denn wann soll man denn noch Forschen, sich sozusagen nach oben durchlecken, wenn man sogar die Zeit, die man mit Patienten verbringen muß als Arbeitszeit angerechnet kriegt Was wird dann nur aus dem Forschungsstandort Deutschland ??? Dieser Idiot arbeitet an der Uniklinik Hannover und hat zu seiner Unterstützung gleich auch noch ein paar Assistenzärzte ("Jungärzte" gefällt mir in diesem Zusammenghang gut) nachplappern lassen, wie schlimm es doch wäre, vor allem für die Ausbildung, wenn mann nur noch im gesetzlichen Rahmen arbeiten dürfe ...und diese haben angeblich einen Brief an den Verwaltungsvorstand geschrieben und um Verlängerung der Arbeitszeiten gebettelt ...

Habe gleich einen Brief an die Gewerkschaften geschrieben und sie aufgefordert, das Arbeitszeitengesetz gleich ganz fallen zu lassen, damit jeder seinem angeborenen Trieb nach RundumdieUhr-für-Standort-Deutschland-arbeiten nachkommen kann ...die Folge wäre mehr kranke und damit mehr Arbeit für Ärzte und damit mehr Arbeitsplätze und damit mehr Umsatz und damit mehr Geld und ... ach wär das nicht schön ????

Gruß Jens

P.s.: Sinngemäß stimmt der Inhalt zu der Forderung der Hannoveraner Pappnasen wirklich !!!

Lava
11.04.2002, 18:04
Das Problem Forschungsstandort Deutschland löst man wohl kaum, indem man 23 Stunden am Tag arbeitet. Wenn man ernsthaft daran interessiert ist, den USA (oder wem auch immer) ein bisschen Konkurrenz zu machen, sollte man diese "Freizeitforschung" aufgeben. Ich kann zwar (wie immer eigentlich) nicht aus eigener Erfahrung sprechen, wohl aber habe ich von Assistenzärzten aus einer Uniklinik schon Beschwerde in der Richtung gehört. Vielleicht ist es eine Überlegung wert, Forschung und Klinik stärker zu trennen und Vollzeitforscher an die Institute zu schicken, wo sie nicht vor ihren Experimenten noch 8 Stunden Klinikalltag haben.

JuliaH2
17.04.2002, 13:31
Also es ist doch immer wieder schön, dass es doch noch die Studenten gibt, die aus reiner Nächstenliebe heilen und helfen wollen und dazu noch jede ausbeutende Arbeitszeit als gerechtfertigt ansehen.....
Schön, dass es tatsächlich immer noch Leute gibt, die sich das leisten können.....

Also ich denke mindestens 6 Jahre unbezahltes und somit teures Studium sind lange genug, um danach noch mit einem Anwärtersgehalt abgespeist zu werden :-meinung
Und auch ein Arzt sollte die Möglichkeit haben nach 8h Arbeit nach Hause zu gehen und das ganze bis zum nächsten Tag hinter sich zu lassen, zumal dieser Beruf sowieso schon mehr persönlichen Einsatz verlangt als die meisten anderen!

Schließlich verliert man ja nun hoffentlich nicht nur durch dieses Studium das Recht auf ein Privatleben!!

17.04.2002, 16:28
Wenn die deutsche Polititk es nicht gebacken bekommt, das Gesundheitssystem zu reformieren, loht es sich vielleicht mal über den Tellerrand zu schauen.

Der Deutsche an sich ist es zwar gewohnt, sich selbst nur mit den USA zu vergleichen (alles andere scheint zu popelig???), aber es gibt auch deutlich erfolgreichere Modelle.

In Schweden zB arbeiten die Ärzte 37,5 h pro Woche. Überstunden werden mit 100,- € vergütet. Schon im Studium bekommt praktisch jeder "Bafög".

Anstatt dass das Gesundheitssystem dabei abstürzt, sind die Ausgaben pro Patient nur etwa halb so hoch wie in Deutschland. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in Schweden 2 Jahre höher als in Deutschland und 3 Jahre höher als in den USA.

Wenn die Verantwortlichen in Deutschland zu dämlich sind, eine funktionierende Refpr, auf die Beine zu stellen, warum nicht von Besseren lernen?

Gruß

S

Lava
17.04.2002, 18:15
Ich würde mal behaupten, dass in Schweden ganz andere Voraussetzungen herrschen als hier in Deutschland: weniger Einwohner, keine Weltkriege, keine Teilung und Wiedervereinigung. Das Sytem 1:1 zu übertragen würde wahrscheinlich nicht funktionieren. Daran lernen könnte man aber sicher.
Bis dahin hilft nur ein: schwedisch oder norwegisch lernen und auswandern. Wenn dann Skandivanien mit Deutschen überbevölkert ist, machen wir den Laden auch noch kaputt. ;-) Aber jetzt mal im Ernst. Man hört immer wieder, wie toll die Bedingungen da sind und dass nicht weige deutsche Ärzte tatsächlich dorthin gehen. Aber das kann es doch nun wirklich nicht sein, oder?? Haben wir uns denn schon selber aufgegeben?

17.04.2002, 22:12
Also wirklich Janine, einige Jahrzehnte lebe ich dann doch schon in Mitteleuropa und von einem Weltkrieg habe ich irgendwie nichts mitbekommen. Habe ich da irgendwas verpasst?

Oder ist der letzte Weltkrieg doch schon ein längeres Weilchen her? Was dieser mit der heutigen Lebenserwartung zu tun haben könnte, versteh ich nicht so ganz. Und wieso wenige Einwohner länger leben sollen als viele Einwohner erscheint mir auch nicht logisch.

Vielmehr hat Schweden einen sehr ähnlichen Lebensstandart wie Deutschland, die Bevölkerungs- und Beschäftigungs-struktur ist auch ähnlich. Aber offensichtlich werden die Dinge dort von vernunfbegabten und kompromissfähigen Wesen geregelt und nicht nur von Lobbyisten, die auf Kosten der Allgemeinheit, ihre Pfründe sichern wollen.

Gruss

S

Lava
18.04.2002, 19:36
Klar sind die Weltkriege schon etwas länger her, aber deren Nachwirkungen sind wohl immer noch zu spüren.

1.) Durch die Nazis sind im 3. Reich sehr viele Wissenschaftler (vor allem Juden natürlich) in die USA ausgewandert und seit dem hat Deutschland nie wieder dieselbe Rolle in der Wissenschaft gespielt wie vorher. Das hat jetzt nix mit Ärzten zu tun, aber es ist halt eine Nachwirkung des 2. Weltkrieges.

2.) Schonmal von Reparationen gehört?? Genau sowas musste die DDR (ich glaube, der BRD wurde das erlassen) nämlich lange Zeit an die Sowjetunion zahlen. Dadurch war das Geld knapp und der Wiederaufbau verlief schleppend. Im Westen gab's dann zwar das Wirtschaftswunder, aber ohne den Krieg hätte Deutschland heute sicher eine andere Stellung in der Welt.

June
18.04.2002, 19:47
... eigentlich bin ich nämlich eine Geschichts- und Wirtschaftsniete! (Obwohl ich mich immer zwinge, Wirtschaftsnachrichten zu sehen und zu lesen, um dieses Manko auszugleichen.) :-lesen
Aber wird nicht das Wirtschaftswunder vor allem dadurch erklärt, daß in Deutschland nach dem Krieg viel wiederaufzubauen war, weil alles kaputt war? Und dadurch, daß Amerika auf grundlage des Marshallplanes viel Geld in den Wiederaufbau gepumpt hat, konnte sich eine florierende Wirtschaft entwickeln?
Fragt die June :-notify

18.04.2002, 21:37
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Aber wird nicht das Wirtschaftswunder vor allem dadurch erklärt, daß in Deutschland nach dem Krieg viel wiederaufzubauen war, weil alles kaputt war? Und dadurch, daß Amerika auf grundlage des Marshallplanes viel Geld in den Wiederaufbau gepumpt hat, konnte sich eine florierende Wirtschaft entwickeln?
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Das ist soweit ganz korrekt, zu mindest nach der vorherrschenden Expertenmeinung.

Bemerkenswerterweise funktioniert das nicht überall trotz günstiger Voraussetzungen. Die Bundesrepublik hat zB im Rahmen der Wiedervereinigung zig Milliarden DM nach Russland gepumpt, ohne dass es zu einem spürbaren Aufschwung gekommen wäre. Die Russen haben es nicht geschafft, das Geld zum Nutzen der Allgemeinheit zu verwenden, sondern es ist im Riesenreich versumpft bzw. sind Unsummen in private Hände und auf Schweizer Banken gelandet. Dabei ist Russland unermesslich reich an Bodenschätzen (zB Erdöl).

Es scheint also auch eine Mentalitätsfrage zu sein, was man aus seinen Möglichkeiten macht.

Gruss

S

Slim
19.04.2002, 07:29
stimme Dir voll und ganz zu: Es ist wohl eine Frage der Mentalität - oder etwa der Einstellung?

Deutschland ist nun wirklich nicht mehr attraktiv - und da muß es sich im internationalen Vergleich messen: Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Bürokratie, Korruption und Innovationsmangel - da nehmen wir sicher einen Platz unter den Top-Ten ein.

Systeme, die für unsere Zunkunft essentiell sind, werden systematisch vernachlässigt: Gesundheistwesen, Ausbildung, Forschung, uvm...

Statt wirklich grundlegender Reformen werden vorhandene Strukturen immer komplizierter verwaltet, bald benötigt man in diesem Lande eine juristische Grundausbildung, sei es für die Steuererklärung oder den Bafög-Antrag.

Geld ist offenbar satt vorhanden, doch fließt es in die falschen Töpfe - die soziale Gerechtigkeit ist der bitteren Realität gewichen: die Sicherungssysteme sind überlastet und werden hemmungslos mißbraucht.

Es fehlt an innovativen Köpfen in der Politik, Leute die ihr Handwerk verstehen - oder warum wird immer wieder gegen fundierte Expertenmeinung entschieden (Hammer-Ex zb)?

Egal an welcher kleinen Ecke wir anfangen zu denken, überall besteht massiver Handlungsbedarf. Wäre schön, wenn ich das mit Reparationen nach dem Weltkrieg und der Abwanderung der Intellektuellen erklären könnte, doch inzwischen sind 2-3 erwachsene Generationen am Ruder und die steuern eindeutig in die falsche Richtung!

Ich sach doch: allen Grund zum Heulen ;-)

Slim