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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : ERfahrungesbericht eines Notarztes



RS-USER-Hoffi
13.07.2003, 12:27
Ist zwar nicht der echte Dolor, aber gleichwertig, würde ich sagen. Gefunden bei www.zyn.de:

Aus dem Nähkästchen:

Mein schönstes Busunglück


Es ist meist ein pures Vergnügen, in einer Sommernacht als Notarzt zu arbeiten. In meinem Cabrio rase ich in der Gegend herum, geniesse die frische Luft und die Düfte des Sommers und lausche den Klängen klassischer Musik. Unglaublich, dass man mich dafür bezahlt. Ich muss lediglich einen Autobahnabschnitt und das dazugehörige Autobahnkreuz kontrollieren, das Funkgerät im Auge behalten und hin und wieder einem Todgeweihtem versichern, dass er uns noch alle überleben wird. Es tut mir wirklich sehr leid und ich hoffe, dass mir diese Leute in ihren letzten Sekunden noch verziehen haben, aber wenn ich versuche zu lügen, muss ich nunmal lachen.


Auf der Autobahn ist klassische Musik für mich das A und O. Das Fahren wird so fast zum Fliegen. Ohne meinen Spezial-Koffer - einer riesigen CD-Sammlung von Bach bis Wagner - wäre ich verloren. Aber bitte keine Disco-Musik! Mich persönlich stört es nicht, wenn eine 5-köpfige Familie aus Dänemark zwei Kilometer vor dem Ziel im Stau von einem Sattelschlepper zerquetscht wird, aber wenn ich dann auch noch das blöde Disco-Gedudel aus der mit Leichen gefüllten Fahrgastzelle hören muss, vergeht mir der Appetit. Wenn diese lauten Störungen nicht wären, könnte der Beruf eine wahre Freude sein. (Nach meiner eigenen Statistik funktionert bei 73 Prozent der Toten oder Schwerverletzten das Autoradio noch!)


Dieser Disco-Dreck tönt sogar aus den Autos der vorbeifahrenden Gaffer! Ich habe nichts gegen gepflegtes Gaffen. Oft versuche ich sogar, irgendwelche blutverschmierten Unfallopfer so hinzusetzen bzw. hinzurücken, damit sie von den Gaffern besser betrachtet werden können. Auch abgetrennte Gliedmassen schiebe ich gerne unauffällig an gut einsehbare Stellen, damit Gaffer sie problemlos beäugen können. Im Gegenzug würde ich es begrüssen, wenn die Lautstärke der Musik während der Begutachtung ein wenig reduziert werden könnte. Aber das nur nebenbei.

Natürlich besteht der Job nicht nur aus Jubel, Trubel, Heiterkeit. Er hat auch eine Schattenseite: Der Lärm. Stellen Sie sich einfach vor, Sie wurden über Funk zu einem schweren Unfall gerufen und schweben mit den ruhigen Sinfonien Mahlers durch die Dunkelheit. Dann gehts los: In einem Moment sitzt man entspannt in seinem Auto, im nächsten wird diese harmonische Stimmung durch ein Chaos aus Geschrei und Gebrüll am Unfallort zerrissen. Das ist wie ein Sprung ins kalte Wasser. In solchen Augenblicken leide ich Höllenqualen!

Ein paar Augenzeugen haben sich bereits am Ort des Geschehens eingefunden und brüllen mir den Hergang des Unfalls ins Ohr. Wenn ich frage, wer erste Hilfe geleistet hat, kehrt meist schon die ersehnte Ruhe ein, wenn man mal von dem ewigen Geschrei der Verletzten im Auto absieht. Ich brauche nur noch "unterlassene Hilfeleistung" zu murmeln und schon bin ich die Typen los. Dann heisst es, Notfallkoffer greifen, weil man ja dem Idioten auch noch helfen muss, der das Chaos angerichtet hat! Man rennt in der Gegend herum, bis das Wrack gefunden ist, saut sich die Hosen ein, findet eine eingequetschte Fahrerin mit riesigen Titten, an denen man herumschraubt, mit dem Vorwand, die Frau befreien zu wollen. Natürlich vergebens. Man öffnet den Notfallkoffer und stösst auf Unmengen Klassik-CDs. Also wieder zum Wagen und den richtigen Koffer holen. Lachen Sie nicht, das ist mir alles schon passiert.

Busunglücke sind ja auch wieder in Mode gekommen. Aber so spassig, wie man sie auf den ersten Blick einschätzen mag, sind sie nicht. Schon gar nicht für den Notarzt! Statt der üblichen Handvoll brüllender Augenzeugen findet man Dutzende, laut schreiende Fahrgäste vor - Leichtverletzte, die wie Indianer um den Bus herumtänzeln. Die sind die Schlimmsten. Jeder ist der festen Überzeugung, als erster behandelt werden zu müssen, weil er sonst nie wieder richtig Tennis spielen kann oder so, während sein Kollege im Inneren des Reisebusses schon froh darüber wäre, wenn jemand seine abgetrennten Hände auf Eis legen würde.


Bei solchen Crashs funkt man normalerweise alle Notärzte in der Umgebung an, aber das sind alte Hasen - die warten und trödeln, bis sie sicher sein können, nicht der erste Arzt am Unfallort zu sein. Als ich das letzte mal zu einem schweren Unfall mit einem Reisebus gerufen wurde, liess ich mir richtig viel Zeit, kam aber trotzdem als erster an. Noch nicht mal die Idioten vom DRK waren eingetroffen! Der Unfall selbst war weniger dramatisch: laut Funkzentrale hatten sich zwei Busse ein Wettrennen geliefert. Einer der Busfahrer verlor die Kontrolle, das Fahrzeug kam von der Fahrbahn ab, raste eine Böschung runter und krachte gegen einen Baum. Das übliche eben.

Die Leichtverletzten liefen wie Zombies um das Wrack herum und hatten offensichtlich nichts besseres zu tun, als zu schreien. So muss es ausgesehen haben, als nach dem Mauerfall der erste Reisebus in Westdeutschland eintraf. Als die blutverschmierten Freaks das Blaulicht hinter meiner Windschutzscheibe entdeckten, stürzten sie mir entgegen wie ein Haufen Nachgeburten dem Grund der Kloschüssel eines Kreissaals.

Ich stieg aus und hörte den Lärm nun in zehnfach Lautstärke. Eilig rannte ich den wandelnden Tampons entgegen, bevor sie mir den Wagen einsauen konnten. Kurz darauf kreischten mich etwa zwanzig Leute gleichzeitig an. Es ist die Hölle, wenn man als Notarzt bei Reisebusunfällen als erster ankommt. Natürlich wollte jeder Depp zuerst versorgt werden. Meine Güte! Auch wenn das Bein nur noch an ein paar Sehnen hängt, kann man doch verlangen, dass sich die Leute mal ein bisschen zusammenreissen und Continance bewahren! Ich liess das blutende Pack stehen und drohte damit, nach Hause zu fahren, wenn nicht umgehend Ruhe einkehrt, schliesslich zählt jede Sekunde!

Dann verriet mir ein Wenigverletzter, dass es sich bei den Verunglückten um die berühmten "Rave-Dancers" handelt, die zusammen mit DJ Hastenichgesehen auf Tour sind. O Scheisse, das hätte er sich lieber verkneifen sollen - ein Bus voller Disco-Freaks! Kennen Sie das Gefühl, wenn man urplötzlich das Frontschwein raushängen lassen kann, weil es die Umstände zufälligerweise ermöglichen? Ich schickte das leichtverletzte Pack zu einer Wiese und stieg mit einem breiten Grinsen hinten in den Reisebus.

Der Disco-Müll war ohrenbetäubend! Auf der Bordtoilette fand ich den ersten Toten in einer äusserst bizarren Stellung. Offenbar hat er sich nach Pillen gebückt, als der Aufprall passierte und eine Metallstange in die Bordtoilette und rektal in den Raver schoss. Für solch einen Anblick würden manche Leute Eintritt zahlen! Vergnügt zündete ich mir eine Zigarette an. Weiter vorne im Bus konnte ich noch ein paar lebensrettende Massnahmen einleiten, die eventuell eine Zigarettenlänge zu spät kamen. Ein paar anderen Fahrgästen stand die Zukunft ins Gesicht geschrieben, oder besser gesagt, in das, was mit viel Phantasie früher mal ein Gesicht war. Nur soviel sei gesagt: Die Wiederherstellungschirurgie wird ihre Freude haben.


Als ich vorne im Bus ankam, staunte ich nicht schlecht. Dem übergewichtigen Fahrer hat die riesige Lenkradstange die Eingeweide rausgerissen. An den Anblick gewöhnt man sich schnell - sieht aus wie Karneval in Meck-Pomm. An den Gestank der Gedärme hingegen gewöhnt man sich nie. Der Typ neben ihm, von der Kleidung her entweder Zuhälter oder Manager, war auch nicht angeschnallt. Wahrscheinlich hat er den Busfahrer bei dem kleinen Rennen angefeuert. Er ist mit dem Kopf durch die getrennte Windschutzscheibe gedonnert - Genick- und Schädelbasisbruch. Soweit so gut. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, den Scheibenwischer auszuschalten, der seinen Kopf auf der anderen Seite vom Glas rhythmisch hin und her baumeln liess, aber die Kollegen sollten schliesslich auch noch was zu Lachen haben...

Obwohl man bekanntlich nie genug klagen kann, konnten wir letztendlich nur neun Tote beklagen - für einen vollbesetzten Reisebus eine geringe Ausbeute, wenn ich das mal so formulieren darf.

Gute Fahrt!

RS-USER-Sani
13.07.2003, 13:17
*rofl*

RS-USER-Hoffi
13.07.2003, 14:38
Die Idee nen Alukoffer mit Klassikcds mitzunehmen gefällt mir besonders gut. ;)

RainerB
30.08.2003, 20:27
einfach cool - vor allem da ich einen NA kenne, auf den das fast komplett zutreffen würde!!! :D:D:D