Leben im Kartoffelsack
Krankenpflegepraktikum in Straßburg
Hans Faber
Zu den bei vielen Studenten beliebten Auslandsaufenthalten im Rahmen des Medizinstudiums gibt es eine Fülle von Informationen, doch meist ist in diesem Zusammenhang nur von Famulaturen, PJ oder Auslandssemestern die Rede. Dabei ist es gar nicht nötig, solange auf das erste Auslandspraktikum zu warten: Vielen scheint nicht bewußt zu sein, daß man sehr wohl schon das Krankenpflegepraktikum für einen Auslandsaufenthalt nutzen kann.
Ich habe bis zu meiner ersten Famulatur in keinem einzigen deutschen Krankenhaus gearbeitet und habe mein Krankenpflegepraktikum in Straßburg abgeleistet. Mein folgender Bericht soll Euch nicht nur vor den Tücken der Landesprüfungsämter schützen, sondern Euch ermutigen, schon möglichst früh ins Ausland zu gehen.
Mangelnde Sprachkenntnisse sind keine Ausrede
In der Schule hat mir Französisch großen Spaß gemacht, und ich suchte nach einer Gelegenheit, endlich diese Sprache anwenden zu können. Ja ob ich denn überhaupt Französisch sprechen könnte, fragten mich viele Kommilitonen, und in der Tat ist es so gewesen, daß ich zum damaligen Zeitpunkt kaum Sprecherfahrung hatte. Das war für mich aber überhaupt kein Grund, nicht nach Frankreich zu gehen, ganz im Gegenteil, gerade deswegen wollte ich dorthin. Durch mangelnde Sprachkenntnisse sollte man sich auf keinen Fall entmutigen lassen. Selbstverständlich habe ich nicht alles verstanden, aber viel passieren kann dabei so schnell nicht, denn es gibt ja immer die Möglichkeit, nachzufragen. Und als ich schließlich einmal aufgrund eines Verständnisproblems einer Diabetikerin fett mit Marmelade beschmierte Brötchen brachte, so wußte sie schon gleich, daß sie das wohl besser stehen läßt. Die Sprache in Straßburg ist übrigens ziemlich lustig, viele, auch unter den jüngeren Leuten, sprechen noch elsässisch, ein wirklich süßer Dialekt. Das klingt sehr ähnlich wie das Alemannisch in Südbaden, aber einfach noch krasser. Die Krankenschwestern haben es immer wieder mitten in ihre Sätze eingebaut, ein französischer Wasserfall wurde beispielsweise sehr oft mit „Jesses Gott“ unterbrochen, dann wechselten sie aber sofort zurück ins Französische. Beim Betreten der Patientenzimmer hieß es erst „Bonjour“, dann ging es aber mit „Hä `na guad g`schofe?“ weiter. Ich muß ja gestehen, das Elsässisch teilweise besser verstanden zu haben als das Französisch...
Wer ist Monsieur Le Doyen?
Doch wie kam ich überhaupt nach Straßburg? Ich dachte, um Französisch sprechen zu können, muß ich nicht weit fahren, Straßburg ist nur eine Stunde von Freiburg entfernt, dem Wohnort meiner Eltern. Also machte ich mich auf die Suche und schrieb an das „Hôpital Louis Pasteur“, ein riesiges Unikrankenhaus, und meine Freude war groß, als ich schon bald eine Zusage bekam. Lediglich eine Empfehlung von Monsieur Le Doyen sollte ich noch einholen.
Das Wort Pflegepraktikum ins Französische übersetzen ist nicht einfach
Wer das denn bloß sein soll, fragte ich mich, doch das Lexikon brachte eine schnelle Aufklärung: Monsieur Le Doyen, was sich ja wie ein Eigenname anhört, war nicht der Name einer bestimmten Person, es ist schlicht das französische Wort für Dekan. Also nichts wie hin in die Sprechstunde, stolz zeigte ich den Brief vor, doch dann das: Was ich denn damit wolle, das sei ja ein „Stage clinique“, also ein Praktikum, das erst im klinischen Abschnitt gemacht werden kann. Dabei hatte ich in meiner Bewerbung mühsam versucht, das Pflegepraktikum zu umschreiben. Hätte ich gleich gewußt, daß das „Stage infirmier“ heißt, wäre mir das erspart geblieben. Doch der Zufall brachte mich wieder weiter: Ich erzählte einer Kommilitonin von meinem Wunsch, nach Straßburg zu gehen, und ich staunte nicht schlecht als sie meinte, sie habe dort schon ihr Pflegepraktikum gemacht! Also nahm ich Kontakt mit der „Clinique des Diaconesses“ auf, einer kleinen Privatklinik sehr nah am Stadtzentrum gelegen. Dort erhielt ich noch einen Platz, auch ohne „Recommendation de Stage“ von Monsieur Le Doyen. Das Geld ist es wert
Ein weiterer Punkt, der viele von Auslandspraktika abhält: „Weshalb soll ich noch draufzahlen, wenn ich ohnehin schon kostenlos arbeite?“ Meine Antwort darauf kann nur lauten: Auf diese Art lernt man noch viel mehr neben den eigentlichen Praktikumstätigkeiten und ich habe einfach dermaßen profitiert, daß es das Geld auf alle Fälle Wert war. Ich konnte sogar als Mann im Schwesternwohnheim für einen meiner Meinung nach fairen Preis unterkommen. Soeur Annemarie war sehr herzlich, keine Spur von Geldmacherei, zum Abschied schenkte sie mir noch den kleinen Prinzen als Französischlektüre.
Ein Leben im Kartoffelsack
Die Mahlzeiten im Krankenhaus bekam ich bezahlt, die französischen Praktikanten seltsamerweise nicht. Richtig stark war aber die Dienstkleidung: Es waren dunkelblaue Einwegplastikklamotten, die alle drei Tage gewechselt wurden. Das sollte angeblich billiger sein, als richtige Kleidung zu waschen. Unser Umweltminister würde bestimmt sofort ein Einwegklamottenzwangspfand verhängen. Das war jedenfalls ein ziemlich seltsames Zeug, ich fühlte mich ständig elektrostatisch aufgeladen.
Keine Spur von Fremdenfeindlichkeit
Los ging es täglich schon um 6:45 Uhr, aber ich mußte nur über die Straße, und um Zeit zu sparen, lief ich manchmal schon direkt in dem Plastikkartoffelsack rüber. Und für das Frühstück mußte ich auch nicht früher aufstehen, das gab es gemeinsam mit den Krankenschwestern nach dem ersten Rundgang. Insgesamt kam ich schon auf etwa sieben bis acht Stunden am Tag, doch das ist kein Vergleich zu den armen Krankenschwestern, die wegen einem neuen Gesetz zwar nur dreimal in der Woche, dann aber gleich 13 Stunden am Stück arbeiten mußten.