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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Werden deutsche Mediziner besser ausgebildet als österreichische?



lovleybee
13.08.2018, 23:04
Hallo zusammen,

da ich bis jetzt noch nichts eindeutiges zu meiner Frage gefunden habe, wollte ich sie einfach mal direkt stellen.
Ich habe zum kommenden WS einen Studienplatz in Graz erhalten und mal ein bisschen genauer auf die Bewertungen der Unis geschaut.
Graz soll in der Vorklinik ein absolutes Desaster sein und Leute haben geschrieben, dass sie "Angst haben irgendwann mal die Verantwortung für ein Menschenleben zu übernehmen". Das hat mich etwas schockiert, weil es mir wichtig ist auch eine kompetente Ärztin zu werden und nicht einfach nur Medizin zu studieren.

Hat vielleicht schon jemand Erfahrungen mit der MedUni Graz oder einer anderen österreichischen Uni gemacht oder möglicherweise sogar einen direkten Vergleich zwischen Deutschland und Österreich? Werden in Deutschland ausgebildete Ärzte den in Österreich ausgebildeten bevorzugt? Oder ist das völlig irrelevant beim derzeitigen Ärztemangel?

Freue mich auf Antworten :-bee

davo
14.08.2018, 09:30
Diese Angst haben viele Medizinstudenten in jedem Land der Welt :-)) Das ist doch völlig normal. Würde mir eher Sorgen machen wenn jemand so arrogant ist dass er diese Angst nicht hat :-p

Ich habe in einer meiner Famulaturen einige Famulanten und KPJ-Studenten aus Graz, Innsbruck und Wien kennengelernt - konnte keinen nennenswerten Unterschied zu deutschen Studenten feststellen. In Wien ist es wohl so, dass man mit sehr wenig Aufwand durchs Studium kommt, aber das ist bei uns an der Uni im klinischen Studienabschnitt genauso, und trifft wohl auf viele deutsche Unis zu sobald das Physikum geschafft ist.

Ich glaube also, dass es keinen nennenswerten Unterschied machst wo du studierst. Wenn du nachher in Deutschland arbeiten willst ist es vielleicht ein kleines bisschen sinnvoller, in Deutschland zu studieren, und wenn du nachher in Österreich arbeiten willst ist es vielleicht ein kleines bisschen sinnvoller, in Österreich zu studieren, aber ich würde ehrlich gesagt eher auf andere Aspekte achten, wie z.B. die Zufriedenheit der Studenten mit dem Studium, die Größe und Atmosphäre der Stadt, usw. Außerdem ist das Studium in Österreich 5-6 Monate kürzer und man bekommt automatisch den Dr. med. univ. - beides ein netter Bonus.

In meiner Famulatur war mein Eindruck, dass die Zufriedenheit der Studenten mit dem Studium in Graz am höchsten ist, gefolgt von Innsbruck, und Wien mit großem Abstand an letzter Stelle. Außerdem sind die Mieten in Graz am wenigsten hoch, und die Stadt hat eine angenehme, sympathische Atmosphäre. Graz wäre von diesen drei Unis also meine erste Wahl. Der einzige Haken: Die Verkehrsanbindung ist nicht so toll, sowohl innerhalb Österreichs als auch nach Deutschland.

aminemo
14.08.2018, 11:16
Hallo zusammen,

Graz soll in der Vorklinik ein absolutes Desaster sein und Leute haben geschrieben, dass sie "Angst haben irgendwann mal die Verantwortung für ein Menschenleben zu übernehmen". Das hat mich etwas schockiert, weil es mir wichtig ist auch eine kompetente Ärztin zu werden und nicht einfach nur Medizin zu studieren.

Hat vielleicht schon jemand Erfahrungen mit der MedUni Graz oder einer anderen österreichischen Uni gemacht oder möglicherweise sogar einen direkten Vergleich zwischen Deutschland und Österreich? Werden in Deutschland ausgebildete Ärzte den in Österreich ausgebildeten bevorzugt? Oder ist das völlig irrelevant beim derzeitigen Ärztemangel?

Freue mich auf Antworten :-bee

Hallöchen,

herzlichen Glückwunsch! Freu dich über deinen Platz, vor allem da du ja in Deutschland wohl keinen bekommen hast(?!). Ich habe in einigen anderen Threads schon vom Studium in Graz berichtet. Ich find die Vorklinik hier ehrlich gesagt größtenteils gut organisiert und lehrreich.
1. Semester:
PM1: Zelle, Gewebe, Genetik: Basics, nett um reinzukommen, und ja, Altfragenklausur. Trotzdem absolute Grundlage für Histologie
PM2: Physik und Chemie: Physikvorlesungen furchtbar (mag ich aber auch nicht), Chemie ganz gut. Klausur etwa 50% Durchfallquote, gerade die Physik recht anspruchsvoll, mit Single Choice und Kurzantworten
Dazu nebenbei: Begleitende Histologie-Seminare mit mündlichen Testaten, Physik und Chemie Übungen, Rettungspraktikum, Knochenprüfung (mündlich) und Famulaturlizenz (witzig, ist viel Simulationstraining, aber recht viel auswendig zu lernen).
2. Semester:
PM3: Biochemie, noch mehr physiologische Chemie. Teilweise Multiple! Choice Klausur und Kurzantworten, anspruchsvoll.
PM4 und 5: 4 Anatomie Bewegungsapparat, sehr aufwendig, kleiner Sezierkurs in vier Wochen, mündliche Prüfung. PM5 Neuroanatomie, soll mündlich werden, wurde nach dem Tod des Institutsleiters wohl neu umgestellt, keine Ahnung. Ansonsten begleitend wieder Seminare.
3. Semester: viel Physiologie, recht einfacher Klausuren, ABER großer Sezierkurs über das ganze Semester, 3 mündliche Zwischentestate und mündliche Endprüfung.
4. Semester: zwei riesige Prüfungen in Pathophysiologie, Pharmakologie und Pathologie, heftige Durchfallquote, wenig Spaß.

Letztendlich: die meisten Lehrenden sind bemüht, die Anatomie anspruchsvoll, aber man lernt enorm viel. Wie viel du aus der Physiologie mitnimmst liegt ein bisschen an dir. Die Klausuren im 3. Semester sind eher einfach, aber alles was du nicht lernst musst du im 4. eh spätestens nachholen. Ich kann mir vorstellen, dass der Aufwand in etwa mit denen deutscher Unis zu vergleichen ist, wie viel du lernst liegt an dir, aber du bekommst meiner Meinung nach jede Möglichkeit dazu. Wirklich, freu dich! Der Campus (außer Anatomie) ist ganz neu, die Stadt hübsch, und ansonsten gibt es wie an jeder Uni Licht und Schatten.

lovleybee
14.08.2018, 12:44
Danke davo und aminemo für die ausführlichen Antworten. Damit habt ihr mir wirklich geholfen!


Hallöchen,

herzlichen Glückwunsch! Freu dich über deinen Platz, vor allem da du ja in Deutschland wohl keinen bekommen hast(?!).

Dankeschön! Ja, ich habe es drei Jahre in Deutschland versucht, aber es hat einfach nicht gereicht.

davo
14.08.2018, 12:52
Dann sei heilfroh dass du ihn bekommen hast und freu dich aufs Studium ;-)

ProximaCentauri
14.08.2018, 22:13
Realistischerweise: jeder der aus dem Studium kommt hat keinen Plan, egal wo er studiert hat. Deswegen dauert die Weiterbildung on-the-job dann auch noch einmal 5-6 Jahre.

nie
14.08.2018, 22:47
Und ob man mal ein kompetenter Arzt wird, liegt vor allem an einen selbst, dem eigenen Interesse, Engagement und Lernbereitschaft.

Ein schlecht organisiertes Biochemiepraktikum macht einen nicht zum inkompetenten Arzt.

Jan1705
19.08.2018, 11:32
... vielleicht ist es eher der inkompetente Arzt der das Biochemie-Praktikum veranstaltet ;-)

... es gibt immer gute oder schlechte Lehrveranstaltungen, letztlich liegt es an einem selbst was man draus macht... wenn man im Studium eine Richtung für sich entdeckt und auch Famulaturen/Doktorarbeit etc daraufhin ausrichtet ist man schon ganz gut dabei..

JessicaBN
20.08.2018, 15:29
Hallo,

die Antworten oben sagen echt sehr viel aus und helfen auch mir diese Frage zu beantworten. Danke für die ausführlichen Berichte.

Sabst1971M
29.08.2018, 05:18
Irgendeine Station mit möglichst wenig Pflegebedarf. Und man kann seeeeehr viel Zeit damit verbringen Zeug oder Patienten
von irgendwo zu holen oder irgendwo hin zu bringen.

Thown1960
30.08.2018, 20:46
Sie können auch im Internet recherchieren. Das wird dir auch sehr helfen.

nebelbrise
01.09.2018, 16:07
Keine Sorge, das Studium in Österreich ist mit Sicherheit nicht schlechter! :)
Ich habe selbst auch schon Ärzte getroffen, die in Österreich studiert haben und die waren fachlich genauso kompetent wie deutsche Ärzte. Selbstzweifel sind im Studium ganz normal und schon sehr viele Ärzte haben mir den Rat gegeben, mich davon nicht verunsichern zu lassen, weil es wirklich jedem so geht. Viele Ärzte sagten mir sogar, dass jemand, der am Morgen nach dem Aufstehen NICHT erst mal an sich selbst zweifelt, kein guter Arzt ist :)

Harryn
01.09.2018, 19:15
So finde ich nicht, es hängt ja von der Person an...