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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Notarzt- quo vadis?



WackenDoc
16.10.2018, 20:46
Was meint ihr, wie es mit dem Notarzt im Rettungsdienst weitergehen wird?

"Mein" Notarztverein über den ich früher gefahren bin, hatte nie Probleme Dienste zu besetzen. Da musste man durchaus zusehen, dass man noch was bekommt, wenn der Dienstplan raus kam.
Inzwischen klaffen noch lange große Lücken im Dienstplan und ich hab eine Anzeige im Ärzteblatt gesehen, dass die Notärzte suchen.
Abgedeckt wird ein ländlich geprägter Landkreis wo es schlichtweg nicht DIE Masse an Ärzten gibt.
Eine Wache wird traditionell tagsüber über ein Krankenhaus besetzt und den Rest der Zeit über den Verein.

Über die Börse quillt inzwischen mein Mail-Postfach über. So viele Dienste- auch viele extrem kurzfristige- hab ich noch nie gehabt. Wochenenddienste sind schwer zu bekommen, dafür ohne Ende Dienste unter der Woche.

Wie soll das eigentlich weitergehen? Ist der präklinische Notarzt ein Auslaufmodell?
Wird es (vielleicht nur auf dem Land) back to the roots geben? Wo dann halt irgendein Hausarzt raus fährt, wenn er gebraucht wird?

Muriel
16.10.2018, 21:04
Welcher Hausarzt? Den gibt es da doch auch nicht mehr ;-)

WackenDoc
16.10.2018, 21:11
Doch, doch. Mit der Hausarztquote wird alles gut.

Sebastian1
16.10.2018, 21:22
Ich denke, das wird sehr von der Region abhängen. Und von der Bezahlung.
Es gibt auch großflächige Ballungszentren, die attraktiv sind und die Dienste allenfalls über interne Pools besetzen, aber nicht klassisch über die NAB und KOnkurrenten. (Wobei: Im Notarztwesen führt an der NAB ohnehin kein Weg vorbei).
Ein wesentlicher Punkt ist die Regelung bezüglich der Sozialversicherung 2017 - nach 5 Jahren Unsicherheit gibt es da jetzt verbindliche Regelungen, die zwar nicht optimal sind, aber wesentlich die Schärfe herausgenommen haben.

Das, was du wahrnimmst bei der NAB bzw für das Notarztdienstwesen, nehme ich - zumindest für meinen Fachbereich Anästhesie und Intensivmedizin - ganz massiv auch für Klinikvertretungen wahr: In 2018 hat es gefühlt einen massiven Anstieg in der Nachfrage gegeben und es reguliert sich häufig über immer höhere Stundensätze im Facharztbereich. Das freut den Honorararzt; für die Patientenversorgung und die Kliniken ist es dramatisch (zumal ich es auch mitbekomme, dass die Kliniken relativ viele Kollegen abbekommen, die man aus fachlichen oder persönlichen Gründen genau einmal und dann nie wieder beschäftigt, wenn man es irgendwie kann).

Das wir in absehbarer Zeit Notärzte flächendeckend durch NFS+Telenotärzte ersetzen, sehe ich nicht, zumal dafür auch gesetzliche Regelungen fehlen. Es wird mehr Ausbildung geben müssen, um den Bedarf zu decken, aber das ist halt kein schnelles Instrument.
Es wird mehr Steuerung in der Notfallversorgung geben müssen, dazu existieren Ideen, aber mehr eben auch bisher kaum.

Was die Kliniken betrifft: Ich glaube, da erleben wir einen echten Wandel, da sich die Familien- und Arbeitsmodelle zum einen sehr gewandelt haben im Vergleich zu früheren Generationen, zum anderen der Markt einer ist, in dem sich die Arbeitnehmer (allerspätestens!) mit Facharzttitel ihre Stelle bald aussuchen können und auch nicht mehr durch Logbuch, Rotationen etc auf "Good Will" des AG angewiesen sind. Das haben nur noch nicht alle verstanden, dass man in Zukunft wirklich attraktive Bedingungen bieten muss (und das nicht nur auf dem Papier), damit man Fachkräfte bekommt. Ob das Spektrum, Geld, Dienstmodelle, Freizeit und Familie, Kinderbetreuung, Fortbildung oder was auch immer sind, mag differieren. Aber ich glaube, dass diejenigen, die das nicht sehr bald verstehen, ziemlich übel auf die Schnauze fallen werden...

WackenDoc
16.10.2018, 21:46
Die Notarztbörse ist für die Auftraggeber auch so ne Pralinenschachtel- man weiss nie was man bekommt.

Sebastian1
16.10.2018, 21:48
Korrekt. Da ist es dann an den Auftraggebern, auch konsequent auszusortieren. Ich kenne Standorte, an denen das passiert, ich kenne welche, wo nicht. Rate, an welchen die Qualität und der Spaßfaktor höher ist ;-)

Pflaume
17.10.2018, 12:41
Auch bei der Notarzt-Börse kann der Auftraggeber in gewissem Maße aussuchen. Mein Standort nimmt vor Zusage Einsicht in die bei der Börse gespeicherten Unterlagen. Zeugnisse, Lebenslauf. Ein Teil der Kandidaten kann dadurch schon vorher aussortiert werden.

Sebastian1
17.10.2018, 13:33
Klar. Aber es gibt halt Leute, die auf dem Papier gut aussehen, aber trotzdem menschliche oder fachliche Nieten sind...

McDreamy
19.10.2018, 08:38
Also ehrlich, wenn ich in dem anderen Thread lese, was man als Notarzt so für Stundensätze kriegt (35,- brutto... hallo?!), wunderts mich nicht, dass Dienstpläne unbesetzt bleiben. Und für die paar Kröten darf ich mich dann noch um Kleidung, alle möglichen Befreiungen und Versicherungen kümmern... Nee sorry, aber das ist ja wohl ein Witz.

WackenDoc
19.10.2018, 18:10
Man macht das Gehalt über die Menge an Stunden. Als ich noch vollzeit gefahren bin, hab ich 200-220 Stunden im Monat gemacht. Viele davon nachts schlichtweg geschlafen oder Fahrtzeiten durch lange Dienste eingespart. Bisher war das in meinem Bereich kein Problem, dass Schichten besetzt wurden. Kurzfristige Dienstangebote waren meist kurzfristigen Erkrankungen oder Verletzungen geschuldet. Und selbst dann musste man echt schnell sein, um den freien Dienst zu bekommen (das war teilweie echt mehr Stress, genug Schichten zu bekommen als die Schichten selber). Manche Kollegen schreiben auf den Dornröschenwachen ihre Gutachten, oder machen Börsengeschäfte oder schlafen schlichtweg, weil es da einfacher ist als mit 2 kleinen Kindern zu Hause.

Jetzt wird oft mehr bezahlt und es gibt Schichten ohne Ende. Nur am WE ist es bisweilen ein Problem ne Schicht zu bekommen, wenn man die Mail nicht gleich beantwortet.
Tja- man dachte ja, dass die 10% hautberuflichen Notärzte nicht ins Gewicht fallen mit der neuen Regelung. Nur die haben halt viele der Schichten unter der Woche abgedeckt und eben viel mehr Stunden gemacht als die Kollegen, die dann neben ihrem eigentlichen Job noch eine Schicht im Monat machen.

Pflaume
20.10.2018, 16:41
Geht am eigentlich Thema des Threads vorbei, aber mir ist noch diese Aussage von Sebastian1 aufgefallen:


Was die Kliniken betrifft: Ich glaube, da erleben wir einen echten Wandel, da sich die Familien- und Arbeitsmodelle zum einen sehr gewandelt haben im Vergleich zu früheren Generationen, zum anderen der Markt einer ist, in dem sich die Arbeitnehmer (allerspätestens!) mit Facharzttitel ihre Stelle bald aussuchen können und auch nicht mehr durch Logbuch, Rotationen etc auf "Good Will" des AG angewiesen sind

Nicht mehr durch Logbuch und Rotationen auf Good Will des AG angewiesen? Zumindest meine Erfahrung ist eine andere (mindestens vor der FA-Prüfung), und ich kann mir auch nicht vorstellen, wie sich das ändern soll. Aus meiner Sicht fußt doch das gesamte Krankenversorgungs-System darauf, dass die Weiterbildungsassistenten auf den Good Will des Arbeitgebers angewiesen sind. Ich rechne eher damit, dass sich dieses Ausgeliefertsein durch die Überarbeitung der Muster-WBO sowie die zunehmend elektronische Dokumentation direkt aus Kliniksystemen heraus (die pauschale Bescheinigungen erschwert) eher erhöht. Gerade die Weiterbildung, der Anspruch (an sich selbst), etwas zu lernen, sind doch *die* Knackpunkte, weswegen das System weiter so funktioniert trotz angeblichem "Ärztemangel".

Was die Schwierigkeiten der Dienstbesetzung angeht: Aus Gesprächen mit ehemaligen Komilitonen sowie aus den bei mir auflaufenden Dienstangeboten habe ich den Eindruck, dass der aktuelle Notarztmangel sich auf Schleswig-Holstein und den Norden Niedersachsens und Westfalens beschränkt und sich nur dort mit steigenden Stundenlöhne auswirkt. In Süd-Niedersachsen sowie im Bereich der Ärztekammer Nordrhein, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern sind aus meiner Sicht allenfalls punktuell nicht besetzte Dienste zu finden, die auch fast immer nicht besonders gut bezahlt werden (30-37 Euro).

Ich glaube auch, dass diejenigen, die freiberuflich ausschließlich NEF gefahren sind, mehr Dienste abgedeckt haben als man so gemeinhin dachte und das Problem nun herbeigeführt haben. Wundert mich dann nur in dem Zusammenhang, dass der akute Mangel eher regional begrenzt zu sein scheint. Eine Wache im südlichen NRW, die ich nicht mal so sonderlich attraktiv finde, schafft es weiterhin, ihre Dienste für 30 Euro/h mit nur geringen Lücken zu besetzen. Die Lücken gehen dann für 35 Euro an die Notarztbörse und werden dadurch auch besetzt. In SH sind dagegen 40 Euro und aufwärts zur Zeit gang und gäbe, auch außerhalb der Ferien.

WackenDoc
20.10.2018, 17:56
In der Stadt in der ich wohne, ist Notarztmangel komplett unbekannt. Da gibt es genug große Kliniken und deren Anästhesisten besetzen die NEFs. Da kommt man auch als Externer nicht rein. Das spült noch ein wenig Notärzte in die umliegenden Landkreise, aber dann ist auch schnell Ende.
Die kleinen Krankenhäuser aufm Land sind schlichtweg zu schlecht besetzt, als dass sie durchgängig das NEF besetzen können.

Mein Notarztverein hatte einen guten Stamm an Notärzten die sehr viel gefahren sind. Oder von weit her angereist sind für eine Dienstwoche. Die sind natürlich haftungsrechtlich problematisch aber an den Dornröschenwachen mit 1-2 Einsätzen in 24h hat keiner dran gerührt. Der Personalpool ist inzwischen weitgehend zerstört.

Sebastian1
20.10.2018, 19:07
Nicht mehr durch Logbuch und Rotationen auf Good Will des AG angewiesen? Zumindest meine Erfahrung ist eine andere (mindestens vor der FA-Prüfung), und ich kann mir auch nicht vorstellen, wie sich das ändern soll. Aus meiner Sicht fußt doch das gesamte Krankenversorgungs-System darauf, dass die Weiterbildungsassistenten auf den Good Will des Arbeitgebers angewiesen sind. Ich rechne eher damit, dass sich dieses Ausgeliefertsein durch die Überarbeitung der Muster-WBO sowie die zunehmend elektronische Dokumentation direkt aus Kliniksystemen heraus (die pauschale Bescheinigungen erschwert) eher erhöht. Gerade die Weiterbildung, der Anspruch (an sich selbst), etwas zu lernen, sind doch *die* Knackpunkte, weswegen das System weiter so funktioniert trotz angeblichem "Ärztemangel".


Wer sich das heute noch gefallen lässt bei der Stellensituationen (zumindest in den Breitenfächern) - da gibt's schon Alternativen. Abgesehen davon, dass es seit jeher die Pflicht der Weiterbilder war, die WB auch zu ermöglichen. Aber auch Assistenzärzte müssen mal verstehen, dass sie begehrte Arbeitskräfte sind und sich nicht von allen und jedem für dumm verkaufen lassen. Und wie gesagt: irgendwann ist man auch Facharzt und braucht keine Rotationen und Unterschriften mehr. Dann orientiert man sich in der Regel eher dahin, wo man hin will - Subspezialisierung, Stellenreduktion, OA-Stelle, alles zusammen, was auch immer. Und wenn qualifiziertes Personal schwer zu finden ist, ist es eher unklug, auf das vorhandene durch irgendwelche Schikanen Druck auszuüben. Da funktionieren Zuckerbrot und vernünftige Konzepte besser...
(und bevor das jemand falsch versteht: Das setzt natürlich auch eine vernünftige Einstellung und Arbeit des einzelnen Arztes voraus; ich rede hier nicht von lauen Lenz auf Klinikkosten machen...)

SineNomine
28.10.2018, 14:57
Was die Kliniken betrifft: Ich glaube, da erleben wir einen echten Wandel, da sich die Familien- und Arbeitsmodelle zum einen sehr gewandelt haben im Vergleich zu früheren Generationen, zum anderen der Markt einer ist, in dem sich die Arbeitnehmer (allerspätestens!) mit Facharzttitel ihre Stelle bald aussuchen können und auch nicht mehr durch Logbuch, Rotationen etc auf "Good Will" des AG angewiesen sind. Das haben nur noch nicht alle verstanden, dass man in Zukunft wirklich attraktive Bedingungen bieten muss (und das nicht nur auf dem Papier), damit man Fachkräfte bekommt. Ob das Spektrum, Geld, Dienstmodelle, Freizeit und Familie, Kinderbetreuung, Fortbildung oder was auch immer sind, mag differieren. Aber ich glaube, dass diejenigen, die das nicht sehr bald verstehen, ziemlich übel auf die Schnauze fallen werden...

Auch ich glaube da an keinen Wandel, die Gemengenlage ist einfach denkbar ungünstig.

- Ein Angebotsmangel herrscht nicht, da man durch EU-Anerkennung und einfachen Zugang für Drittstaatenabschlüsse über einen ausreichenden Pool verfügt. Und in einigen dieser besagten Staaten sind die Arbeitsbedingungen schlechter und damit Ärzte auch wechselwillig.

- Durch DRG bekommt die Klinik ja nur einen Fixbetrag für den jeweiligen Eingriff / das jeweilige Krankheitsbild, primär unabhängig von der fachlichen oder sprachlichen Kompetenz des Arztes oder dem freundlichen Auftreten des Pflegepersonals. Letztlich fehlt ein Qulitätsanreiz und wenn ich in Qualität investiere, schmälere ich sogar uU das Betriebsergebnis.

- Denke, es wird unter gegebenen Umständen eher von Arbeitsgebersuche Klagen über den [seöbstverschuldeten] Ärztemangel geben verbunden mit der Forderung nach mehr Studienplätzen und der weiteren Vereinfachung der Anwerbung von Ärzten aus Drittstaaten. Mit vergrößertem Angebot muss man dann auch keine verbesserten Arbeitsbedingungen offerieren..

Brutus
29.10.2018, 07:35
Auch ich glaube da an keinen Wandel, die Gemengenlage ist einfach denkbar ungünstig.
Doch, ich glaube schon, dass sich da etwas grundlegend ändern wird.


- Ein Angebotsmangel herrscht nicht, da man durch EU-Anerkennung und einfachen Zugang für Drittstaatenabschlüsse über einen ausreichenden Pool verfügt. Und in einigen dieser besagten Staaten sind die Arbeitsbedingungen schlechter und damit Ärzte auch wechselwillig.
Ich würde es vielleicht nicht allgemein Angebotsmangel nennen. Aber ein Angebotsmangel an qualifiziertem Personal. Erst vor Kurzem wieder erlebt. Auf dem Papier wirklich gut ausgebildeter Kollege, dabei blutjung. Da fragt man sich schon, wie das geht. Und wenn man dann bei der Probearbeit sieht, was da an Wissen, praktischen Fähigkeiten und Erfahrung da ist, dann weiß man es auch: nicht viel!
Und das haben viele Kliniken mittlerweile auch gemerkt. Bewerbung, die über die Vermittler kommen, und wo nicht eine Klinik als Referenzklinik im Lebenslauf steht, werden direkt entsorgt. Und der Rest wird angesehen und erst mal zur Hospitation / Probearbeiten eingeladen. Und dann wird genau geguckt...


- Durch DRG bekommt die Klinik ja nur einen Fixbetrag für den jeweiligen Eingriff / das jeweilige Krankheitsbild, primär unabhängig von der fachlichen oder sprachlichen Kompetenz des Arztes oder dem freundlichen Auftreten des Pflegepersonals. Letztlich fehlt ein Qulitätsanreiz und wenn ich in Qualität investiere, schmälere ich sogar uU das Betriebsergebnis.
Jain. Wenn ich nur noch in Quantität investiere, und alles einstelle, was den Weg zum Haupteingang gefunden hat, dann geht das Betriebsergebnis auch den Bach runter. Denn wenn die Patienten nicht mehr verstehen, was mit ihnen gemacht werden soll, die Niedergelassenen keinen Brief mehr bekommen oder ihn nicht lesen können, dann bleiben die Patienten aus. Und wenn Fehler passieren, dann steigt die Haftpflicht... :-nix


- Denke, es wird unter gegebenen Umständen eher von Arbeitgeberseite Klagen über den [selbstverschuldeten] Ärztemangel geben verbunden mit der Forderung nach mehr Studienplätzen und der weiteren Vereinfachung der Anwerbung von Ärzten aus Drittstaaten. Mit vergrößertem Angebot muss man dann auch keine verbesserten Arbeitsbedingungen offerieren..
Ich befürchte, dass Du da Recht hast. Anstatt dass man versucht, die AN, die man hat, bei Laune zu halten und die Arbeitsbedingungen, das Arbeitsumfeld zu verbessern, schafft man es, diese Leute noch zu vergraulen...