PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ein paar einsatztaktische Überlegungen...



Seiten : [1] 2 3

WackenDoc
03.12.2018, 14:02
Ich will hier ein paar Fälle vorstellen. Überwiegend sind nicht medizinische Kenntnisse erforderlich, sondern es geht um Einsatztaktik.

1. Fall:
Ihr seid ein NEF (geht auch als RTW) und werdet zu einem VU auf einer Autobahn gerufen. Ihr seid ersteintreffend und euch bietet sich folgendes Bild:

Ein Kleinwagen steht an der Mittelleitplanke, offensichtlich hinten und vorne beschädigt. Einige Meter dahinter (bzw. in Fahrtrichtung eigentlich davor) ein weiteres Fahrzeug, vorne beschädigt mit ein paar jungen Menschen drumrum.

Ihr haltet hinter dem Kleinwagen und bekommt direkt beim Aussteigen folgende Info von der Feuerwehr die nur kurz vor euch eingetroffen ist:

Die Fahrerin des Kleinwagens ist auf die Autobahn aufgefahren und recht schnell auf die linke spur gewechselt, dabei hat sie das von hinten kommende Fahrzeug übersehen, dieses ist aufgefahren und hat ihr Auto in die Mittelleitplanke gedrückt.
Die Fahrerin ist mit Hilfe von Ersthelfern ausgestiegen und steht jetzt auf dem Mittelstreifen.

Die Insassen des anderen Fahrzeugs sind alle selbständig ausgestiegen und auf den ersten Blick unverletzt.

Es ist schon etwas später und dunkel.

Frage: Was ist die allerwichtigste Maßnahme, die ihr beachten solltet (aber eher nicht selber durchführt)? Und was macht ihr dann?

DrewBrees
03.12.2018, 16:03
Initialisierung der Sicherung der Einsatzstelle als Erstmaßnahme (falls noch nicht durch Kollegen der Feuerwehr geschehen).
- Verkehr anhalten
- Abstand zum Unfallfahrzeug

Übersicht über die Unfallstelle und alle Unfallbeteiligten erhalten

Priorisierung (Wer braucht meine medizinische Hilfe am dringendsten ?)

WackenDoc
03.12.2018, 16:20
Das ist ein guter Plan und genau das war das Problem.

Auf der rechten Seite fuhr der Verkehr noch weiter bei insgesamt unübersichtlicher Unfallstelle. Also die Feuerwehr gebeten, die Autobahn doch bitte erstmal komplett zu sperren.

Also wir haben zwei Fahrzeuge. In dem Kleinwagen gab es nur die Fahrerin- die steht mit ihrem Ersthelfer hinter der Mittelleitplanke auf dem Mittelstreifen.
In dem anderen Fahrzeug 4 Insassen- alles junge Männer- alle stehen in der Nähe des Fahrzeugs, sind recht entpannt, von der Feuerwehr kurz gesehen und auf den ersten Blick unverletzt. Auch auf kurzen Zuruf geben sie keine Probleme an.

Also wir schreiten zum äußersten und gehen erstmal zu der Fahrerin des Kleinwagens. Wie praktisch- der Ersthelfer ist ärztlicher Kollege. Sie gibt etwas Nackenschmerzen an, ist situationsgerecht etwas durch den Wind, aber steht und antwortet adäquat.

Wir haben entschieden, dass der Notarzt bei der Patientin bleibt und der RA den in Kürze erwarteten RTW einweist und sich um Orgkram kümmert und auch nochmal nach den Insassen des anderen Fahrzeugs schaut.

Frage: Was könnt ihr in der Zwischenzeit mit der Patientin machen, was macht Sinn, was nicht?

freak1
05.12.2018, 18:41
HWS immobilisieren, Vitalzeichen erheben, 1-2x großlumige Zugänge legen und in das nächstgelegene Traumazentrum verlegen.

Hochrasanztrauma mit Nackenschmerzen sind für mich primär suspekt auf eine HWS-Verletzung. Und nur weil sie steht heißt es ja noch lange nicht, dass sie sonst nichts hat.


Ähm- ich steh mit meiner Patientin hinter der Leitplanke auf dem Mittelstreifen, es ist dunkel und mein RA organisiert gerade rum

Ich war damals ersteintreffend mit dem NEF und wir mussten erstmal auf den RTW warten.

Stifneck habt ihr doch aber wahrscheinlich auch auf dem NEF? Den würde ich der Patientin trotzdem verpassen ^^

WackenDoc
05.12.2018, 18:55
Ja, Stifneck ist ein guter Plan. Und dazu die Info an die Patientin doch bitte den Kopf ruhig zu halten.

Was kann man noch untersuchen und wie?

freak1
05.12.2018, 20:05
Pupillen seitengleich lichtreagibel? Grobe neurologische Auffälligkeiten? Puls/Blutdruck/Atemfrequenz erheben. Retrograde Amnesie? Außer den Nackenschmerzen einen Schmerzfokus?

WackenDoc
05.12.2018, 20:56
Blutdruck kannst da vergessen. Puls und Atemfrequenz eher abschätzen.

Also das allerwichtigste- mit der Patientin sprechen. Sie ist orientiert und kann sich weitgehend an den Unfallhergang erinnern. Sie war nicht angeschnallt. Außer dass ihr der Nacken etwas weh tut und sie sich um ihr Auto Sorgen macht geht es ihr gut.

Ihr seid schonmal erleichtert, dass sie vernünftig mit euch spricht (das ist ein ganz wichtiger Punkt- Menschen die normal mit einem sprechen haben einen Blutdruck, der für die Gehirnfunktion reicht.) Das ist ein Baustein für die Abschätzung des Blutdrucks wenn man keine Möglichkeit zum Messen hat.

Ich frag dann die Patienten immer, ob sie gut atmen können. Und ob sie Schmerzen haben. (Hab das mal von meinen RS gelernt: Kannst du mich hören, kannst du atmen, hast du Schmerzen?)

Ihr könnt auch den Thorax auf Stabilität prüfen und mal nach dem Radialispuls fühlen.

Ein Trick um bei schlechter Sicht penetrierende/offene Verletzungen zu finden, ist das bahnenweise Abstreifen und nach jeder Bahn die eignen Flossen anschauen, ob Blut dran ist.

Bei unserer Patientin ist erstmal nichts weiter zu finden, wir schnorren noch eine Jacke, damit sie es warm hat.

Ich hab mich entschieden, sie erst einmal an der Leitplanke lehnend stehen zu lassen und hab mich mit ihr unterhalten. Was da immer passieren kann ist, dass der Kreislauf wegsackt, wenn mal das Adrenalin vom Unfall raus ist.

Euer RTW ist jetzt da. Aber wie bekommt ihr die Patientin da rein? Welche Optionen habt ihr? Was sind die Vor- und Nachteile? Welche Option wählt ihr? (Also Hauptproblem ist eher wie ihr die Patientin über die Leitplanke und auf die Trage bekommt.)

Heerestorte
05.12.2018, 21:02
Euer RTW ist jetzt da. Aber wie bekommt ihr die Patientin da rein? Welche Optionen habt ihr? Was sind die Vor- und Nachteile? Welche Option wählt ihr? (Also Hauptproblem ist eher wie ihr die Patientin über die Leitplanke und auf die Trage bekommt.)

Wenn die Patientin steht und laufen kann, was spricht dagegen, sie einfach - mit Hilfe - über die Leitplanke steigen zu lassen?
Ansonsten Spineboard quer über die Leitplanke und Patientin drauf setzen lassen und dann Patientin drehen, hinlegen und festgurten.

WackenDoc
05.12.2018, 21:26
Hm- das ist die Frage. Selber drüber steigen lassen oder vorher noch weiter immobilisieren? Was sind die Vor- und Nachteile der jeweiligen Entscheidung.

freak1
06.12.2018, 18:22
Wenn sie es selbst macht hat man halt das Risiko eine möglicherweise bestehende Verletzung zu verschlimmern (Querschnitt Th2 ist auch doof). Das nicht angeschnallt gewesen wäre für mich ein zusätzliches Warnsignal (Stumpfes Abdominaltrauma vom Lenkrad z.b.). Immobilisieren soweit möglich, einpacken und mit Sondersignalen ins nächste (größere) Traumazentrum dort eFAST und anschließend komplette CT-Polytraumaspirale.

Sind wir eigentlich auf dem Land oder in realistischer Distanz zum nächsten Traumazentrum?

WackenDoc
06.12.2018, 20:13
Was ich noch vergessen habe zu erzählen- ich hab so weit wie möglich die Wirbelsäule abgetastet- keine Schmerzen.

Wir sind am Rand einer Kleinstadt mit ausreichend großer und leistungsfähiger Chirurgie. Es ist bekannt, dass man eine ordentliche Schockraumübernahme bekommt, wenn man Schockraum anmeldet. CT und Co ist auch verfügbar. Reine Fahrtzeit 5-7min. In den nächsten Maximalversorger 30-40.

Also- wir haben das Problem, dass wir auf dem gammeligen Seitenstreifen sind auf der falschen Seite der Leitplanke dorthin hat es die Patientin alleine geschafft. Gleichzeitig können wir die Patientin da nicht ordentlich untersuchen (Abdomen, vielleicht doch noch was am Kopp), wir haben schlechte Sicht. Wir wollen schnell in den Schockraum und der ist auch sehr schnell erreichbar.
Was auch nicht zu unterschätzen ist, sind Kreislaufprobleme sobald die Aufregung sich legt.

Auf der anderen Seite riskieren wir eine Verletzung der Wirbelsäule übersehen zu haben und mit einer Drehbewegung einen Querschnitt zu produzieren. Immerhin hat sie schon Nackenschmerzen. Fehlende Schmerzen bei der groben Untersuchung der WS können auch durch die Aufregung/Adrenalin verursacht sein.

Da wo sie jetzt ist, ist eine Immobilisierung schwierig und kostet Zeit.

Ich bin das Risiko eingegangen (hab mich aber vorher mit meinem Team beraten- finde ich immer wichtig: Wer Bedenken hat oder auf eine andere Lösung kommt, soll den Mund aufmachen.) und mich dafür entschieden, sie selbständig mit unserer Hilfe übersteigen zu lassen. Vorher genau erklärt, dass sie sich langsam bewegen soll, nach Möglichkeit nicht verdrehen.

Im Nachhinein war die Entscheidung dann auch richtig, da sie im RTW Kopfschmerzen bekam und "komsich" wurde- so in Richtung "neben der Spur", aber nicht richtig desorientiert. Prellmarke des Abdomens wurde auch gefunden. Also Zugang rein, Basismonitoring dran und ab dafür...

Den Verlauf kenn ich nicht. So weit ich weiss, war noch mind. eine Nacht Internsivstation angesagt. Für den Fall hier waren mir die Überlegungen drumrum wichtiger.

freak1
08.12.2018, 15:03
Wenn das nächste geeignete Krankenhaus 20-30min weg gewesen wäre hätte man theoretisch ja RTH nachfordern können, oder?

WackenDoc
08.12.2018, 18:13
Nach einbruch der Dunkelheit bekommen wir kaum noch nen Heli (nur auf Vorerkundete Plätze.) Und wenn dann hätten wir in dem Fall nach dem ersten Eindruck nachfordern müssen. Du hast ja deutlich mehr Vorbereitungszeit bis der RTH mit Patient abflugbereit ist.

WackenDoc
08.12.2018, 18:15
Ich hab mal am Rande unseres Bereichs nchgefordert. Da haben wir schon vor der etwas aufwändigeren Rettung nachgefordert. Somit hat es sich gelohnt. Und es gab die Besonderheit dass die Luftlinie deutlich kürzer war

WackenDoc
28.12.2018, 16:03
Und ein neuer Fall (ich fass die einfach mal zusammen im gleichen Thread)- gibt hier zwei Überlegungen. Hab den Fall glaube ich unter einem anderen Aspekt schon einmal gepostet, also nicht nachlesen:

Ihr könnt euch aussuchen, ob ihr NEF oder RTW seid.

Es ist schon etwas später Abends (dunkel) und werdet zu einem Treppensturz in ein Mehrfamilienhaus gerufen (bekannt als "Trinkerhaus"- Bewohner überwiegend alleinstehende Männer).
Auf einem Treppenabsatz zwischen dem ersten und zweiten Stockwerk liegt etwas im Eck verkeilt ein mittelalter Mann, nicht ansprechbar, eine größere Blutlache um ihn herum. Laut einem Nachbarn (der wohl auch den Notruf abgesetzt hat) sei es ein Bewohner des Hauses der ein Stockwerk höher wohne. Er sei wohl im alkoholisierten Zustand die Treppe hinunter gestürzt. Er habe das Gepolter gehört und habe nachgeschaut und dann seinen Nachbarn so aufgefunden.

1. Frage: Was ist eure allererste Überlegung/Maßnahme?

Bille11
29.12.2018, 10:31
Ich bin im RTW, der gerade wegen Infektionsfahrt auf Status6 gegangen ist.

Oops!
29.12.2018, 18:05
Darf ich mitmachen?

1. Überlegung als RTW:
Eigensicherung, Handschuhe, ggf. Umschau ob nicht der nächstbeste Trinkerkumpel mir von hinten ins Kreuz hüpft.

2. Wie verkeilt ist er, kann ich ihn ohne Schäden an der HWS aus der Position bewegen?

3. Krieg ich ihn wach? Atmet er? Puls? Reagieren die Pupillen, wie? Wo ist die Wunde (Blutlache)?

4. DD der Bewusstlosigkeit:
Sturz versursacht durch alkoholbedingte Koordinationsstörung oder durch ein cardiales Problem, Apoplex, Durchblutungsstörungen, entgleistem BZ, Mischintoxikation
Bewusstlosigkeit entstanden durch SHT beim Sturz oder war er schon bewusstlos und ist deshalb gestürzt?

Wenn er zu viel Promille hat (wieviel überhaupt) bzw auch aus anderen Gründen GCS 7 = Schutzintubation
Hat er bereits aspiriert?

5. Zeugen vor Ort?
Wieviel hat er heute getrunken, war sonst was auffällig im Verlauf des Tages, was auf das Vorliegen einer alkoholunabhängigen Zustandsverschlechterung hindeutet?
Letzt Mahlzeit?
Grunderkrankungen?
Die Infektio-Palette, sonstige Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Diabetes, Erkrankungen des ZNS - bei Alkoholikern Korsakow bzw. Wernicke-Enzephalopathie


7. Welche Medikamente nimmt er? Blutverdünner, SSRI (QT-Zeit Verlängerung?),...?


Maßnahmen:
Bewusstseinsprüfung, ggf BLS
Schonung der HWS
EKG kleben, BZ bestimmen, O2
Wenn kein BLS erforderlich - unter Schonung der HWS stabile Seitenlage, stetige Überprüfung des Bewusstseins, Atmung - ggf Ausräumung der Mundhöhle, Erbrechen zumindest nicht unwahrscheinlich
Nachforderung NEF
Traumaspirale, zum Ausschluss SHT durch den Sturz, Apoplex als Ursache für den Sturz in ein Haus mit CT

WackenDoc
29.12.2018, 18:37
1. Eigensicherung: GUTES Stichwort. Die anderen Bewohner sind kooperativ und schalten euch auch immer wieder das Treppenhauslicht an.
Es gibt aber noch eine andere, sehr entscheidende Frage.

Ja, die Sache mit der HWS. Nein, du kannst die HWS nicht zuverlässig sichern wenn du ihn bewegst. Du kommst schlichtweg nicht richtig dran.

Du bekommst ihn nicht wach. Ja, er atmet (es war eine Schnappatmung berichtet, die aktuell nicht bestätigt werden kann. Soweit erkennbar normale Atmung). Um die Pupillen zu bewerten, musst du ihn bewegen.

Jaaa, die spannende Frage, wo die Blutungsquelle ist. Die Lache ist von der Ausdehnung ca. eine handbeit breiter als der Patient und endet ca. Mitte Oberschenkel. Alles schon halb geronnen. Er hat reichlich dunkle Haare und du hast nicht soo viel Licht. Du vermutest die Blutungsquelle in einer Kopfplatzwunde. Praktischerweise liegt er quasi drauf. Macht das alles nicht gerade einfacher.

Ursache der Bewusstlosigkeit- unbekannt. Promillewert kannst du nicht bestimmen. GCS wie nen Stein, aber immerhin atmet er brav. Ob er aspiriert hat- man weiss es nicht. Aber zumindest liegt er eher günstig dass er dsa nicht macht.

Wie viel er getrunken hat, weiss der Mitbewohner auch nicht. Letzte Mahlzeit- weiss keiner. Grunderkrankungen- weiss keiner. Vormedikation- weiss keiner.

Pulsoxy- du bekommst kein gescheites Signal rein. BZ ist in Ordnung. Er liegt so halb in Seitenlage.

- also es fehlt eine ENTSCHEIDENDE Überlegung (ok, wir haben damals auch nicht wirklich dran gedacht).
- und es gibt zwei Gründe für seinen Zustand. Alkohol ist NICHT das Problem.

h3nni
29.12.2018, 19:03
Andere Drogen? CO-Warner?

Oops!
29.12.2018, 19:05
Ich vermute, dass die Leber ihn in die Knie gezwungen hat. Sklerenikterus erkennbar?
Die Erkenntnis hilft mir aber vor Ort eh nicht weiter.

Hat er eingenässt?

Kann ich ein Stiffneck anbringen?
Ich muss ihn eh bewegen, um ihn zu transportieren.

Intubation halte ich im Weiteren für sinnvoll, ist aber in der Position eh nich durchführbar.
Sobald er bewegt wird, könnte er erbrechen bzw es läuft ihm in die Lunge.

Also Status halten bis zum Eintreffen NEF.

(Ich denk weiter drüber nach)