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lucy_3
16.02.2019, 18:14
Liebe Forumteilnehmer, ich war lange Zeit stille Mitleserin und hätte jetzt leider eine nicht besonders angenehme Frage, weil ich mir Sorgen mache. Ich mache seit zwei Wochen Famulatur in einem Krankenhaus. Es gefiel mir bisher gut und ich konnte viel in der Notaufnahme lernen. Jetzt kommt ein Aber.

Ich wurde am Donnerstag bei einer viszeralchirurgischen OP (leider ziemlich blutig) am Skalpell vom Operateur verletzt. Ich konnte die Wunde nicht sofort desinfizieren. Habe den Fall aufnehmen lassen. Beim Patienten ist angeblich nichts Richtung Infektionen bekannt, aber es liegen auch keine HIV-/Hep.-C-Tests vor. Die Ärzte meinten, man nehme dem "Spender" kein Blut ab, nur mir. Daraus ergibt sich meine Frage: Ist in diesem Fall eine PEP indiziert? Letztendlich kann man nicht wissen, ob er Patient gesund ist, ohne ihn zu testen. Andererseits wäre es ungünstig, falls er doch etwas hat. Würde mich freuen, wenn sich Arbeitsmediziner dazu äußern würden, aber natürlich auch jeder andere. :)

WackenDoc
16.02.2019, 18:19
Ähm- warum konntest du nicht direkt desinfizieren? In so einem Fall trittst du ab und desinfizierst die Wunde.
Ja, es ist Standard den Patienten zu testen, sofern er einwilligungsfähig.
DICH direkt danach zu testen dient einerseits den Hep-B-Immunstatus festzustellen (falls du keine nachgewiesene Immunität hast) und um deine Ansprüche zu sichern.

Nein, eine PEP ist nicht indiziert, wenn es keinen Hinweis gibt, dass der Patient positiv sein könnte. Dazu hätte dich aber der D-Arzt beraten sollen.

https://www.bgw-online.de/DE/Medien-Service/Medien-Center/Medientypen/BGW-Broschueren/BGW09-20-002_Risiko-Nadelstich-Leitfaden.html;jsessionid=7D291DD88D4A186488031A54 4C8C085E
Hier kannst du nochmal nachlesen.

lucy_3
16.02.2019, 18:24
Danke! Das mit der Desinfektion war einfach ungünstig, wird mir eine Lehre sein. Was ich mich aber frage: Der Patient kann logischerweise während der OP und einige Stunden (Tage?) danach nicht getestet werden. Sollte er doch HIV haben, ist es für die PEP gg. zu spät. Ich dachte eher, dass man PEP anfängt und ggf. bei neg. Test frühzeitig abbricht. Denn andersrum ist es doof.

WackenDoc
16.02.2019, 18:28
Lies bitte die Infos der BGW. Man macht eine Risikoabwägung und die erfordert nur in bestimmten Fällen eine PEP.
Warst du überhaupt beim D-Arzt?

lucy_3
16.02.2019, 18:31
Ja, er war gelinde gesagt genervt und nicht daran interessiert.

lucy_3
16.02.2019, 18:32
Lies bitte die Infos der BGW.

Habe ich. Nur der entscheidende Punkt, also die Untersuchung des Spenders, trifft auf meinen Fall nicht zu. Das ändert ganz schön viel. Der Patient kann sich doch infiziert haben, ohne es zu wissen/angegeben zu haben.

FirebirdUSA
16.02.2019, 18:38
Mach dich nicht verrückt, geh zu den Nachkontrollen nach 6 Wochen, 3 Monaten und 6 Monaten.
Wenn kein Einverständnis da oder möglich wird auch nicht getestet.
Dass das häufig in der Chirurgie bzw beim D-Arzt als Lapalie und "warum kommen sie überhaupt" abgetan wird, ist für mich unverständlich.

lucy_3
16.02.2019, 18:43
Vielen Dank für deine unterstützenden Worte! Das werde ich machen. Ja, ist leider wirklich so, dass es für sie eine Lappalie ist. Aber trotzdem verstehe ich die Logik hinter diesem Algorithmus nicht. Ich dachte, man geht immer in der Medizin davon aus, dass jeder potentiell infektiös ist. Deswegen muss man z.B. beim Blutabnehmen Handschuhe tragen. Deswegen wäre es für mich logischer, die PEP zu beginnen, bis eventuell ein neg. Test des Spenders vorliegt. Was macht man, wenn es sich herausstellt, dass er doch pos. ist? Klar, alles sehr theoretisch und selbst wenn er was hätte, ist das Risiko nicht sooo hoch, aber trotzdem stehe ich blöd da, im Fall der Fälle.

WackenDoc
16.02.2019, 18:52
https://www.bgw-online.de/SharedDocs/Downloads/DE/Medientypen/BGW%20Broschueren/BGW09-20-002_Risiko-Nadelstich-Leitfaden_Download.pdf?__blob=publicationFile

Da steht es doch: Infektionswahrscheinlichkeit für Indexperson klären (Akten, Anamnese, Blutentnahme) Und Blutentnahme nur mit Einwilligung und ja, das kann halt bei manchen Patienten schlichtweg nicht möglich sein.

https://www.bgw-online.de/SharedDocs/Downloads/DE/Medientypen/BGW%20Broschueren/BGW09-20-001_Risiko-Nadelstich-bf_Download.pdf?__blob=publicationFile

Hier steht was zur Infektionsgefahr.

https://www.bgw-online.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Servicesuche_Formular.html?nn=98856&resourceId=129414&input_=98856&pageLocale=de&templateQueryString=Nadelstichverletzung&cl2Categories_Branche=&submit=Suchen
Und hier noch jede Menge andere Infos.

Und es ist der verd*** Job des D- Arztes diesen Unfall zu behandeln und dich adäquat zu beraten. Dafür wird er von den Unfallversicherungsträgern bezahlt.

lucy_3
16.02.2019, 19:00
Danke für die Links. Infektionswahrscheinlichkeit klären ging wie gesagt im OP nicht, weder Blut noch Anamnese. Und ohne Serologie ist die Anamnese ohnehin egal. Soll ja Männer geben, die glückliche Ehemänner bzw. Väter sind und abends auf Parkplätzen Geschlechtsverkehr mit MSM haben. Ob er mir das als Studentin ehrlich erzählen würde. Denn da wäre doch ein ernsthafter Verdacht bzw. Hinweis da und PEP indiziert, oder?

Ich verstehe, was du geschrieben hast. Trotzdem ist es für mich schwierig nachzuvollziehen warum man nicht im Zweifelsfall die PEP beginnt und sobald man eine neg. Spender-Test hat, abbricht. Mag sein, dass ich mir zu viele Sorgen mache, aber die Logik erschließt sich mir nicht.

Feuerblick
16.02.2019, 19:04
Ich würde mal sagen, man beginnt nicht einfach mit einer PEP, weil das Zeug nicht aus Zuckerkügelchen besteht und durchaus unangenehme Nebenwirkungen haben kann. Wenn es anamnestisch eher unwahrscheinlich ist, wägt man Risiken und Nutzen ab und kommt in der Regel zum Ergebnis, dass der Nutzen einer PEP bei unwahrscheinlicher Infektion das Risiko einer PEP nicht aufwiegt.

lucy_3
16.02.2019, 19:07
Mir hat der (genervte) D-Arzt erklärt, dass das Zeug angeblich 1000 €*kosten würde und es u.a. auch daran läge.

WackenDoc
16.02.2019, 19:23
Erstmal TIEEEEEF durchatmen.

Die PEP hat heftige Nebenwirkungen und deswegen gibt es die Empfehlungen so wie sie sind.

Also- erster Schritt ist eine Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, mit der der Patient (also die Indexperson) mit einer relevanten Infektionskrankheit infiziert ist - das wären ja Hep B, Hep C und HIV.
In welchen Lebensumständen lebt er, gehört er zu einer Risikogruppe, was hat er in der Anamnese angegeben, was gibt es an Laborwerten.
Ja, es gibt Patienten außerhalb der klassischen RIsikogruppen, die mit den genannten Krankheiten infiziert sind, aber das ist tatsächlich sehr selten. Und dann musst du ja auch noch genau den haben, der es nicht weiss oder es nicht angeben will. Und dann noch ohne irgendeine Laboraufälligkeit. DAS musst erstmal hin bekommen.

Sodele- du hast also nur ein minimales Restrisiko, dass dein Patient infiziert ist.

Dann ist die nächste Frage- FALLS er denn infiziert ist, wie groß ist denn ide Wahrscheinlichkeit, dass du dich angesteckt hast.
Dazu gibt´s ja die Zahlen in der BGW-Broschüre. Dein Patient müsste erst einmal relevante Virusmengen haben.

Wenn du gegen Hepatitis B geimpft bist, fällt das Problem schon fast komplett raus, wenn dein Titer gut ist kann man ruhigen Gewissens sagen: Kein Ansteckungsrisiko (also ich habe noch nie von einem Fall gehört, dass ein komplett Geimpfter sich mit Hep B angesteckt hätte).

Bleiben noch 2. Für Hep C ist dein Ansteckungsrisiko nochmal um ein 10-faches geringer als für Hep B. Und Hep C kann man behandeln, vor allem weiss man bei dir ja, dass man in der Nachsorge darauf testen muss, man würde eine Ansteckung also schon sehr früh entdecken.

Bleibt noch HIV. Da ist das Ansteckungsrisiko nochmal um den Faktor 100 geringer als bei Hep B. Da kommt es extrem auf die Viruslast der Indexperson an. Und bei einer frühen Entdeckung bestehen inzwischen gute Behandlungsmöglichkeiten.

In dem letzten Link findet sich noch eine Übersicht zu Serokonversionsraten im Gesundheitswesen bei Nadelstichverletzung. Das rückt das Ganze doch nochmal in ein ganz anderes Licht.

Ich sag mal so- die Wahrscheinlichkeit,dass du auf dem Weg von oder zur Arbeit einen schweren Verkehrsunfall erleidest ist größer als die Wahrscheinlichkeit, dass du dich angesteckt hast.

WackenDoc
16.02.2019, 19:25
Dein D-Arzt ist ein Idiot. Ja, der Preis ist EINE Erwägung.
Das Hauptproblem ist schlichtweg, dass bis auf wenige Ausnahmen die Nebenwirkungen den Nutzen übertreffen, so wie das Funkelchen schon schrieb.

Edit: Bei den BGW-Infos geht es im Schwerpunkt um Nadelstichverletzungen, bei dir war es ja eine Skalpellverletzung.
Die bietet zwar eine größere Wunde, ABER im Gegensatz zu NSV hast du ja eine Wunde, die bluten kann und offen ist- das Zeug kommt also wieder raus. NSV haben einen engen Stichkanal und du hast das kontaminierte Material in der Tiefe und kommst ned gescheit dran.

lucy_3
16.02.2019, 19:40
Danke für deine ausführlichen Erklärungen! Ich sehe alles ein. Danke dir und allen anderen, die sich beteiligen. Blöde Situation, keine Frage. Und noch blöder ist offenbar das Verhalten der zuständigen Mitarbeiter.

WackenDoc
16.02.2019, 19:47
Nicht alles an der Angst ist rational. Aber den objektiven Teil richtig zu haben, hilft bestimmt. Das Restrisiko ist aber wohl etwas, mit dem man in der Medizin immer leben muss. Es gibt nie ein 100%. Man lernt aber mit der Zeit damit umzugehen.

Die nächsten Monate mit den Nachuntersuchungen sind eine Belastung weil dann immer wieder die Unsicherheit hoch kommt, ob nicht doch was ist.

lucy_3
16.02.2019, 19:50
Ja, davor graut es mir schon. Aber da muss ich durch.

lucy_3
16.02.2019, 19:51
Mir ist klar, dass man in der Medizin immer ein gewisses Risiko trägt. Und 100 % Garantie hat man nie im Leben. Trotzdem ist es blöd, wenn man gestochen wird und da ein tatsächliches Risiko trägt, obwohl man gar nichts dafür kann...

Moorhühnchen
16.02.2019, 19:58
Trotzdem ist es für mich schwierig nachzuvollziehen warum man nicht im Zweifelsfall die PEP beginnt und sobald man eine neg. Spender-Test hat, abbricht. Mag sein, dass ich mir zu viele Sorgen mache, aber die Logik erschließt sich mir nicht.Diesbezüglich solltest Du Dich mal mit Menschen unterhalten, die schonmal eine PEP eingenommen haben und Dir die Nebenwirkungen in aller Ausführlichkeit schildern lassen. Ich habe bisher 2 Kollegen gehabt, die eine PEP begonnen hatten - einer davon sogar nach Stichverletzung bei einem bekannten HIV-Patienten. Auch der hat abgebrochen, da er unter schlimmen Halluzinationen und psychotischen Symptomen litt. Sein Fazit war: "Lieber die Möglichkeit, sich *vielleicht* mit HIV infiziert zu haben, als die sichere Hölle."

Fand ich eindrücklich.

lucy_3
16.02.2019, 20:01
Diesbezüglich solltest Du Dich mal mit Menschen unterhalten, die schonmal eine PEP eingenommen haben und Dir die Nebenwirkungen in aller Ausführlichkeit schildern lassen. Ich habe bisher 2 Kollegen gehabt, die eine PEP begonnen hatten - einer davon sogar nach Stichverletzung bei einem bekannten HIV-Patienten. Auch der hat abgebrochen, da er unter schlimmen Halluzinationen und psychotischen Symptomen litt. Sein Fazit war: "Lieber die Möglichkeit, sich *vielleicht* mit HIV infiziert zu haben, als die sichere Hölle."

Fand ich eindrücklich.

Klar, aber man bekommt "nur" die krassen Fälle mit. Ich kenne zwei Personen, die PEP eingenommen haben. Der eine hatte häufig Durchfall, der andere Kopfschmerzen und Übelkeit. Klar, ist jetzt nicht toll, aber die NW würde man in Kauf nehmen.