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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wache wechseln oder doch bleiben?



DoomDoom
31.03.2019, 19:23
Moin, bin 20J und mache gerade ein FSJ im Rettungsdienst.

Ich bin meiner beruflichen Zukunft momentan etwas unsicher und hoffe, dass ihr als Kollegen mir da noch andere Blickwinkel zeigen könnt.

Erst zu Vorgeschichte:

Ich kam am Anfang nicht gut klar mit dem Rtw fahren, etwas distanzierte Kollegen und meine anfängliche Nervosität (alles neu, kennst niemanden richtig), habe mich daraufhin entschieden, nur Ktw zu fahren. Ich wollte eigentlich früher nochmal anfangen, aber es gibt halt 1-2 Kollegen, die einfach sehr unsympathisch sind und sich teilweise richtig mies Verhalten. (RS runter machen für Fehler anstatt ruhig zu korrigieren). Deswegen habe ich es erstmal beim Ktw belassen, da ich nicht (noch) ne extra Wurst haben wollte und zu sagen mit dem und dem will ich nicht fahren.

Naja ich bin persönlich und was Fähigkeiten angeht sehr wohl gewachsen und möchte eigentlich noch etwas weiter machen und eigentlich auch wieder Rtw fahren. Ich hab mich generell gut eingelebt, gibt halt aber immer noch Kollegen die ich lieber meiden würde.

Woran ich mir den Kopf zerbreche ist, ob ich vielleicht die Wache wechseln soll (auch andere Firma), in der Hoffnung, dass dort eher angenehmere Kollegen arbeiten, oder ob ich bleibe und mich einfach durchbeiße, vielleicht sogar frage ob es möglich ist, nicht mit jemanden eingeteilt zu werden (gibt es das?). Ich habe halt schon viele tolle Leute kennengelernt und fände es teilweise schon schade, die nicht mehr zu sehen.

Ich bin halt von der Person her, eher zurückhaltend und kann "Anschiss" nicht einfach so abtun und sagen "der ist eh ein Idiot" wie es andere FSJler können.

WackenDoc
31.03.2019, 21:37
Es gibt überall Kollegen mit denen man nicht gut kann. Im RD ist das sogar noch eher kollegial.
Ansonsten ist RD eine gute Gelegenheit zu lernen, nicht alles persönlich zu nehmen.

Aber andere Frage: Sollst du RTW als "dritter Mann" fahren? Oder als Fahrer zusammen mit einem RA/NFS? Oder wie ist das bei euch geregelt?

Rettungshase
31.03.2019, 22:17
Mit welchen Vorstellungen bist du denn in den Rettungsdienst gestartet?!
Ein sanfter Feingeist tut sich mitunter nicht immer leicht innerhalb so manch rauer Sprüche und Gepflogenheiten und das ein oder andere Alphamännchen macht ganz gern mal auf dicke Hose und pflaumt den neuen FSJler an.
Das würde ich eher als systemimmanentes Verhalten und weniger als rein auf die Wache begrenzte unangenehme Kollegen betrachten.
Diese Leute gibt es auf fast jeder Wache; bei deiner aktuellen weißt du immerhin schon, wer das ist. Du weißt ja: Der Feind, den man kennt, ist besser als der, den man nicht kennt ;)

Nicht selten sind diese Kollegen, die diesen Job seit 20 Jahren machen und auch noch 20 Jahre machen werden (oft ohne wesentliche Aussicht auf Beförderung), der Ansicht, dass da jedes Jahr eine neue Schar FSJler kommt, mit denen man bei 0 anfängt. Gerade, wenn der eine FSJler dann was kann und man ihn sinnvoll einsetzen kann, geht der weg, es kommt der nächste, der wieder weder Ahnung noch Erfahrung hat. Das stelle ich mir frustrierend vor.
Der Unmut gegenüber FSJlern ist also nicht zwangsläufig gegen dich als Person gerichtet.

Um ein dickeres Fell wirst du nicht herum kommen. Du bist erst 20 und hast noch viel vor dir. Wie WackenDoc sagte, ist das ein hervorragendes Training.
Ansonsten gibt es diverse Wachen, bei denen FSJler ausschließlich auf dem KTW verheizt werden. Da ist es doch spannend, wenn dir die Möglichkeit geboten wird, in der Rettung zu fahren.

Ob du den Dienstplaner wirklich bitten möchtest, dich entsprechend nicht mit den "unangenehmen" Kollegen einzuteilen, musst du abwägen.
Auf meiner alten Wache hat das ausnahmsweise der ein oder andere versucht; das wurde nach Möglichkeit umgesetzt, dann bist du aber auch ganz schnell als jemand mit Befindlichkeitsstörungen abgestempelt.
Ich habe das nie gemacht und würde das nicht machen. Eine Wache ist so groß, dass sich die Dienste mit denen, die man nicht mag, doch in begrenzter Zahl halten, der Dienst nach einer bestimmten Zeit stets vorbei ist und immerhin bekommt man auch Geld dafür (auch, wenn das als FSJler begrenzt ist).

DoomDoom
03.04.2019, 09:05
Bei uns ist es so geregelt, dass man mit Beginn des FSJ als zweiter Mann fährt. Meistens fährt der NFS bis man dann mal ein bisschen Erfahrung mit den Autos gesammelt hat. Allerdings ist man bei den meisten Einsätzen hinten beim Patient, gerade wenn ein Notarzt dabei ist. Kommt natürlich auch auf den Kollegen und die Situation an.

Ich hab mir zu Beginn vorgestellt, dass man zumindest ein bisschen auf die neuen FSJler eingeht, da man ja schon ziemlich ins kalte Wasser geschmissen wird.

nie
03.04.2019, 10:16
Rettungshase hat es ingesamt schon gut erfasst: den rauen Ton und das Alphamännchengehabe wirst du auf jeder Wache haben, das liegt irgendwie einfach in der Natur des Rettungsdienstes. Auf manchen Wache ist die Quote der unsympathischen Kollegen vielleicht höher als auf anderen Wachen aber finden wirst du diese Leute überall. Ein Wachenwechsel wird dein Problem vermutlich nicht lösen. Kann dir auch nur raten, dir ein dickeres Fell zuzulegen.


Nicht selten sind diese Kollegen, die diesen Job seit 20 Jahren machen und auch noch 20 Jahre machen werden (oft ohne wesentliche Aussicht auf Beförderung), der Ansicht, dass da jedes Jahr eine neue Schar FSJler kommt, mit denen man bei 0 anfängt. Gerade, wenn der eine FSJler dann was kann und man ihn sinnvoll einsetzen kann, geht der weg, es kommt der nächste, der wieder weder Ahnung noch Erfahrung hat. Das stelle ich mir frustrierend vor.
Der Unmut gegenüber FSJlern ist also nicht zwangsläufig gegen dich als Person gerichtet.


Für diese Kollegen bist du alt nur einer von hundert FSJlern, die sie im Laufe ihres Arbeitslebens so durchschleifen. Es ist für einen NFS auch anstregend wenn man ständig mit Leuten auf dem RTW sitzt, die keinen Plan vom Rettungsdienst haben und dann auch noch nervös und zurückhaltend sind. Denn der NFS muss seine Arbeit trotzdem machen und die wird nicht leichter wenn man einen RS dabei hat, der ihn in dieser Arbeit nicht vernüftig unterstützen kann. Klar kann man das alles freundlich kommunizieren und Verständnis für die frischen RS haben aber manch einem Kollegen fehlt da halt hin und wieder die Geduld für. Das darf man dann einfach nicht persönlich nehmen und muss sich halt seinen Teil dazu denken.

Von Dienstplanwünschen kann ich allerdings auch nur abraten: bei uns wird das gerne mal zum Boomerang und man wird ständig mit diese Kollegen, die man eigentlich vermeiden will, auf ein Auto gesteckt.

Pflaume
03.04.2019, 15:47
Ich schließe mich meinen Vorrednern an und möchte noch einige Kleinigkeiten ergänzen.

1.) Es ist eine begrenzte Zeit, die dir als 20jähriger lang vorkommt, aber im Grunde doch recht schnell vorbei geht. Es ist eine gute Möglichkeit, erste Erfahrungen im Berufsleben zu sammeln und auch sozial einiges hinzuzulernen. Wie andere schon sagten: Unangenehme Kollegen wirst du auch anderswo haben. Und der Vorteil im Rettungsdienst ist, dass man meistens nur einen Tag am Stück mit jemandem fährt, den man nicht mag. Auch von den Kotzbrocken kann man aber einiges über sich selbst lernen. Ich habe als Anfänger im Rettungsdienst auch so einiges mitgemacht. Vieles davon würde ich mir heute nicht mehr bieten lassen, aber es erlebt zu haben, schafft auch eine gewisse Abgeklärtheit, von der ich später durchaus profitiert habe.

Übrigens: Manchmal werden im Lauf der Zeit gerade Kollegen, mit denen man am Anfang nicht klar gekommen ist, erstaunlich wertvoll. Mich hat eine Kollegin in den ersten zwei Monaten unfreundlich, herablassend und bis zu schikanierend behandelt. Ich habe den ungeschickten Anfänger-Fehler begangen, dass mir in einer emotionalen Situation und nachdem sie sich mir gegenüber definitiv nicht korrekt verhalten hatte, eine Beleidigung rausgerutscht ist, die das Verhältnis natürlich nicht verbessert hat. Trotzdem lernten wir uns im Lauf einiger Monate sehr schätzen, und das Verhältnis wurde später zu einem außerordentlich respektvollen und manchmal sogar liebevollen Miteinander, so dass wir uns später freuten, wenn wir zusammen arbeiten durften, weil wir wußten, dass wir uns fachlich hundertprozentig aufeinander verlassen konnten und auch in der persönlichen Arbeitsweise sehr ähnlich waren.

Manchmal ergeben sich Auslöser, jemanden anders zu sehen, aus besonderen Einsätzen, die man zusammen erlebt hat. Ich glaube aus der inzwischen doch recht blassen Erinnerung, bei mir haben gut gelaufene Reanimationen das Verhältnis zu einigen Kollegen verbessert.

2) Auf jeder Wache gibt es auch Menschen, die entweder vom Fachwissen oder von der Persönlichkeit her außerordentlich wertvoll sind und von denen man viel lernen kann. Man kann sich darauf konzentrieren und die Gelegenheiten genießen und nutzen. Das kann für alle Beteiligten außerordentlich motivierend sein und führt auch dazu, dass man auch schlechte Tage mit Kollegen, auf die man echt keinen Bock hat, besser wegsteckt. Weil man sich als Team den anderen zugehörig fühlt und weiß, dass es Leute gibt, die einen wertschätzen. Man darf wirklich nicht unterschätzen, wie viel man gerade als junger Mensch aus dem unterschiedlichem Umgang miteinander in solchen beruflichen Situationen als Erfahrung mitnehmen kann, und da gehören tatsächlich *auch* die Arschlöcher und die Prolls dazu. Das wird dir helfen, dir in Zukunft ein Arbeitsumfeld aktiv mitzugestalten, in dem du dich wohl fühlst.

Wichtig aber nochmal der Hinweis: Alle Menschen reden gern über sich selbst, und einige auch gerne über das, was sie wissen. Wenn du dich aktiv interessiert an anderne Menschen und deren Erfahrungen zeigst, wirst du welche treffen, die sich geradezu überschlagen werden, dir weiterzuhelfen. Auch und gerade im Rettungsdienst. Auch Leute, gegenüber denen du vielleicht Hemmungen hast; Notärzte o.ä.

Von entsprechenden Dienstplanwünschen würde ich auch absehen. Zwar gibt es einzelne Wachen, in denen es durchaus üblich ist, dass Leute, die sich nicht so mögen, sich (z.B. durch Diensttausche und Krankmeldungen) gegenseitig meiden, ohne dass das groß zu Zerwürfnissen führt, aber die Regel ist das nicht, und gerade als jemand, der relativ kurz dabei ist, solltest du das meiner Meinung nach nicht anfangen. Du kannst die sich daraus ergebende Dynamik niemals abschätzen, und es ist es einfach nicht wert.

3) Noch eine allgemeine Anmerkung. Ich sehe schon auch große Unterschiede im Umgang miteinander in unterschiedlichen Betrieben und in unterschiedlichen Rettungswachen. Selbst auf verschiedenen Stationen innerhalb eines Krankenhauses kann ein sehr unterschiedlicher Umgang miteinander herrschen. Ich fahre zur Zeit auf drei verschiedenen Rettungswachen gelegentlich als Notarzt (mit dem entsprechend begrenzten Einblick in das tatsächliche Wachenleben im Team untereinander). Die Art der Leute, die da so sind, und ihr Verhalten sind schon teilweise spektakulär unterschiedlich. Auf einer Wache herrscht ein extremes Proll-Aufkommen. Da begrüßen sich die Männer schon morgens damit, dass man gegenseitig versucht, dem anderen an den Sack zu fassen. Morgens läuft laute Musik, es gibt kein Frühstück ohne Anzüglichkeiten und Gelästere über nicht Anwesende, und beim Einsatz bespritzt man sich gegenseitig mit Desinfektionsmittel. Auf einer anderen Wache - ein kommunaler Träger, d.h. das sind alles Angestellte im ÖD - gibt es solchen Klamauk einfach überhaupt gar nicht. Dafür arbeiten da einige Kollegen, die schon ans Rentenalter kommen und nicht mehr so richtig können. Der Umgang miteinander ist etwas förmlich, korrekt, gemeinsame Lästereien über Kollegen gibt es praktisch überhaupt nicht, sondern nur über Vorgesetzte oder die "blöde Leitstelle". Beim Frühstück wird über Ereignisse in der Welt oder im persönlichen Leben geredet, gelegentlich gibt es zivilisierte politische Diskussionen. Verglichen mit anderen Wachen ein unglaublich altmodischer Umgang miteinander, eine Mischung aus freundlich und distanziert, einige starre, seit Jahren bestehende, *absolute* Regeln, aber irgendwie tritt auch keiner einem anderen zu nahe und es wirkt alles ganz schön reibungslos, auch wenn sich natürlich auch hier nicht alle bestens leiden können und es auch Konflikte gibt. Es gibt keinen einzigen, der irgendwie "laut" ist oder anderen dauernd erzählt, was für ein toller Hecht er ist. Die Warteliste von Leuten, die sich gerne dorthin versetzen lassen würden, ist lang - vielleicht führt auch das dazu, dass sich jeder gut benimmt. Insofern gibt es schon Unterschiede, und es kann tatsächlich sein, dass du dich woanders irgendwann wohler fühlen wirst. Ich würde aber nicht anstreben, während des FSJ zu versuchen, die Wache zu wechseln, denn du weißt letzten Endes nicht, wie es woanders ist, und der Zeitraum ist zu kurz, als dass das sinnvoll wäre. Überall gibt es etwas, das einem nicht passt.

Unterschätze auch nicht die Tatsache, dass du nach einem Wachenwechsel an der neuen Wache derjenige bist, der woanders "nicht zurechtgekommen" ist.

Hoffe, das hilft dir!