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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Einkommen als selbständiger Allgemeinmediziner



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timothy007
23.04.2019, 12:28
Liebe Forenmitglieder,

das Thema wurde sicher schon einmal durchgekaut. Der Anstand eines Mediziners als humanistische Institution dieser Gesellschaft verbietet es ihm quasi auch, das Wort Geld überhaupt in den Mund zu nehmen. Entsprechend schwierig gestaltet sich für einen frisch Examinierten die Suche nach verbindlichen Informationen.

Das statistische Bundesamt spricht von einem jährlichen Reinertrag von 227 000 Euro im Jahr 2015. Dass dieser Reinertrag aufgrund diverser Faktoren (fehlender AG-Anteil zur Sozialversicherung, fehlende AG-Zusatzversorgung, Betriebsrente etc.) nicht mit dem Brutto-Gehalt eines Arbeitnehmers vergleichbar ist, ist relativ offensichtlich.

Auch das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung veröffentlicht (zuletzt für das Jahr 2016) Daten im Rahmen seines Zi Panels. Hier spricht man von einem "Jahresüberschuss" von 163 400 EUR je Praxisinhaber (1. Quartil 113,8 Tsd., Median 151,5 Tsd., 3. Quartil 200,9 Tsd.). Den Ausführungen nach zu urteilen, entspricht genannter Jahresüberschuss in etwa dem "Reinertrag".

Auf einer Veranstaltung der kassenärztlichen Vereinigung, die ich neulich besuchte, stellte sich ein niedergelassener Allgemeinmediziner endlich zur Verfügung, "blank" zu ziehen. Er offenbarte ein stattliches Einkommen von über 200 000 EUR brutto jährlich und wusste selbstbewusst zu verkünden: "Werden Sie Hausarzt! Sie verdienen mehr als jeder Oberarzt!". 5 Minuten später stellte sich heraus, dass der Herr vor kurzem die drei hausärztlichen Praxen samt > 8 angestellte Ärzte von seinem Vater übernommen hatte und wohl eher nicht als repräsentativ anzusehen war.

Dem gegenüber stehen die vielen sowohl in persönlichen Gesprächen, als auch in den Medien propagierten Geschichten vom Hausarzt am finanziellen Limit, der stets kurz davor stehe, seinen Laden dicht machen zu müssen, weil er quasi für "nichts bezahlt" werde und alles "umsonst" machen müsse. Mein eigener Hausarzt fährt einen Opel Corsa von 1998 - das aber nur am Rande (und nichts gegen Opel).

Kurzum: Meine Verwirrung ist perfekt. Inhaltlich soll es die Allgemeinmedizin werden. Auch die sonstigen Rahmenbedingungen stimmen für mich. Ich brauche auch kein Boot oder Schloss. Was ich aber auch nicht will, ist nach dieser Ausbildung am Ende des Tages mit netto 2500 Euro nach Hause gehen zu müssen, während mein offensichtlich wesentlich intelligenterer Bruder mich schon ein Jahr nach seinem abgeschlossenen BWL-Studium mit dem Porsche besuchen kommt (es sei ihm gegönnt).

Gibt es hier die Allgemeinmediziner, die ein gutes Wort für ihr Fach einlegen können?

Vielen Dank für eure Meinungen

Markian
23.04.2019, 14:39
Ich war mal bei einem Vortrag der apoBank und da haben sie auch etwas um 200.000 € Reinertrag gesprochen. Ich glaub es ist auch stark davon abhängig, wie man wirtschaftet. Miete, Gehälter etc. Ich glaube gut leben kann man davon schon, wahrscheinlich auch auf einem Niveau wie ein Oberarzt. Allerdings trägt man ein viel höheres finanzielles Risiko als Selbständiger. Wenns nur ums Geld geht bist du in anderen Fachrichtungen + Klinik besser aufgehoben.

Evil
23.04.2019, 15:09
Mein Praxisgewinn nach Abzug der Unkosten liegt etwas über 200k. Einzelpraxis im Ruhrgebiet, allerdings sehr günstige Lage.
Und da gehen natürlich Steuern und sämtliche Versicherungen noch von runter.

Bluej
23.04.2019, 17:02
Ich war mal bei einem Vortrag der apoBank und da haben sie auch etwas um 200.000 € Reinertrag gesprochen. Ich glaub es ist auch stark davon abhängig, wie man wirtschaftet. Miete, Gehälter etc. Ich glaube gut leben kann man davon schon, wahrscheinlich auch auf einem Niveau wie ein Oberarzt. Allerdings trägt man ein viel höheres finanzielles Risiko als Selbständiger. Wenns nur ums Geld geht bist du in anderen Fachrichtungen + Klinik besser aufgehoben.

Welche Fachrichtungen wären das?

timothy007
23.04.2019, 17:21
Vielen Dank für die Antworten bis hier hin. Schön, dass hier auch Leute aus der Praxis sind.


Welche Fachrichtungen wären das?

Wenn man den öffentlich verfügbaren Quellen glauben schenken darf, wäre das in allen Fachrichtungen außer den psychiatrischen / psychosomatischen / psychotherapeutischen Fächern der Fall

Markian
23.04.2019, 17:53
Ging damals speziell um die Allgemeinmedizin. Evil was bleibt davon Netto ca. über? Musst nicht antworten, wenn es dir unangenehm ist. Ist ja schon sehr persönlich.

timothy007
23.04.2019, 18:04
Ich würde mal schätzen, dass 50 Prozent ein realistischer Abzug sind. Das Versorgungswerk Nordrhein nimmt meines Wissens mind. 19 000 bis max. 25 000 pro Jahr, der Maximalbetrag für die freiwillige gesetzliche KV/PV liegt je nach Zusatzbeitrag bei ca. 10 000 jährlich (PKV natürlich abweichend), hinzu kommen ggf. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und natürlich Lohnsteuer/Soli/ggf. Kirchensteuer in recht erheblichem Ausmaß.

Nach Abzug der 50 Prozent kommen natürlich ggf. noch private Vorsorge und weitere Nicht-Pflicht-Versicherungen (Berufsunfähigkeit etc.) hinzu.

Evil
23.04.2019, 19:04
Joah kommt hin.
Je nachdem allerdings, ob man verheiratet ist, wie großzügig versichert, ob Kinder da sind, weitere Investitionen geplant, etc
Da macht ein Netto-Vergleich keinen Sinn ;-)

UweWoellner
23.04.2019, 20:45
Mein Praxisgewinn nach Abzug der Unkosten liegt etwas über 200k. Einzelpraxis im Ruhrgebiet, allerdings sehr günstige Lage.
Und da gehen natürlich Steuern und sämtliche Versicherungen noch von runter.

Wie viel Scheine hast du im Quartal?

Evil
23.04.2019, 22:04
Um die 1300.

Mano
24.04.2019, 10:46
Und wie hoch ist der Anteil an Privatpatienten? Bzw. allgemeiner: Gibt es hier einen niedergelassenen aus den ostdeutschen Bundesländern (im ländlichen Bereich)?
Meine Erfahrung - allerdings aus der Klinik - ist, dass es im Osten praktisch keine Privatpatienten gibt - im Gegensatz zum Westen. Bzw. was macht das unter dem Strich dann aus?

Christoph_A
24.04.2019, 10:53
Tendenziell lässt sich bzgl. der Höhe des Privatpatientenanteils aber auch nur bedingt etwas aus der Lage im Osten oder Westen der Republik ableiten. So habe ich hier im Süden, trotz Lage in einer der reichsten Gegenden Deutschlands nur einen Anteil von ungefähr 10% Privatpatienten, wohingegen Evil, trotz Pottlage, sicherlich einige mehr haben dürfte, da seine Praxis in einem Privatpatientenbinnencluster liegt. So sind sicherlich auch im Osten einige Regionen sehr gut mit Privatpatienten versorgt (Potsdam, Dresden/Leipzig etc.), in strukturschwachen Räumen wird's da eher gegen 0 gehen.
Allgemein kannste halt grob rechnen, dass Dir ein Privatpatient ca. das 2-3 fache eines Kassenpatienten bringt, siehe Leistungssätze der einzelnen PKVen.

timothy007
24.04.2019, 15:46
Vielen Dank für die weiteren Antworten


So habe ich hier im Süden, trotz Lage in einer der reichsten Gegenden Deutschlands nur einen Anteil von ungefähr 10% Privatpatienten,

Hallo Christoph, vielen Dank auch für deine Antwort. Hast du eine ungefähre Zahl, die du veröffentlichen kannst / möchtest bzw. kannst du den genannten Rahmen (160 000 Reinertrag als realistische Marke) bestätigen?

Muriel
24.04.2019, 16:18
Christoph ist kein Allgemeinmediziner ;-)

Harry Bo
03.06.2020, 14:22
Kurzum: Meine Verwirrung ist perfekt. Inhaltlich soll es die Allgemeinmedizin werden. Auch die sonstigen Rahmenbedingungen stimmen für mich. Ich brauche auch kein Boot oder Schloss. Was ich aber auch nicht will, ist nach dieser Ausbildung am Ende des Tages mit netto 2500 Euro nach Hause gehen zu müssen, während mein offensichtlich wesentlich intelligenterer Bruder mich schon ein Jahr nach seinem abgeschlossenen BWL-Studium mit dem Porsche besuchen kommt (es sei ihm gegönnt).

Schließe mich hier mal an... stehe auch kurz vor der Gründung / Übernahme einer Allgemeinarztpraxis - aber der letzte Schritt ist noch eine mentale Hürde... einfach mal probieren, wenn Kind ernährt und Immobilie abbezahlt werden müssen, isst mir zu riskant. Daher bin ich auch dankbar über weitere Fakten und Vergleichszahlen, v.a. zu Einzelpraxen in mittelgroßen, bayerischen Städten.

Aeonflux
03.06.2020, 17:12
Ein sehr interessantes Thema. Ich lese interessiert mit. Ich mache grad den Quereinstieg AM in Bayern und natürlich ist Praxisübernahme eine Perspektive. Ich habe zum Thema Verdienst diesen Rechner für Ba-Wü gefunden. Selbst wenn es etwas abweicht, wäre es sehr gut. Auf jeden Fall besser als OA. Meine Chefin hat zumindest auf die Frage ob es sich lohnt geantwortet, dass sie mindestens so viel verdient wie ihre beste Freundin, die leitende OÄ am Maximalversorger ist, aber für deutlich weniger Wochenstunden..
Und? Stimmt das so, ihr lieben niedergelassenen Hausärzte?

Aeonflux
03.06.2020, 17:12
Ein sehr interessantes Thema. Ich lese interessiert mit. Ich mache grad den Quereinstieg AM in Bayern und natürlich ist Praxisübernahme eine Perspektive. Ich habe zum Thema Verdienst diesen Rechner für Ba-Wü gefunden. Selbst wenn es etwas abweicht, wäre es sehr gut. Auf jeden Fall besser als OA. Meine Chefin hat zumindest auf die Frage ob es sich lohnt geantwortet, dass sie mindestens so viel verdient wie ihre beste Freundin, die leitende OÄ am Maximalversorger ist, aber für deutlich weniger Wochenstunden..
Und? Stimmt das so, ihr lieben niedergelassenen Hausärzte?

https://www.perspektive-hausarzt-bw.de/berufseinsteiger/geld-und-finanzen/verdienstkalkulator/

John Silver
04.06.2020, 08:12
Das stimmt nicht zwingend. Kommt auf die Fachrichtung und ggf. Subspezialisierung an. Ich arbeite sicher weniger, als die meisten Niedergelassenen, und verdiene dabei vergleichbares Geld. Mittelfristig kann ich Sektionsleiter werden, wofür ein Chefarztgehalt bei nicht wesentlich höherer Belastung winkt.

Oberärzte verdienen teils sehr unterschiedlich. In der Päd kommt man auf vielleicht 120T, in der Gefäßchirurgie dagegen locker auf 200T.

urinbeutel
04.06.2020, 13:17
Wow mir war gar nicht bewusst, dass es zwischen Oberärzten derartige Unterschiede gibt. Liegt das an Angebot und Nachfrage und der Möglichkeit zu verhandeln außertariflich oder einfach an der Tatsache, dass Gefäßchirurgen das Krankenhaus nie verlassen?

John Silver
04.06.2020, 16:16
Das liegt an erzielbaren Erlösen. Konservative Fächer ohne größere Interventionsmöglichkeiten bekommen vergleichsweise kleine Fallpauschalen, und sind oft defizitär. Operative Fächer sind da häufig deutlich besser gestellt. Ein Kinderarzt ist für eine Klinik meist ein Zuschussgeschäft; ein Gefäßchirurg macht häufig viel Umsatz und Gewinn.

Praxen werfen aber auch unterschiedliche Erlöse ab; ein Kinderarzt ist auch in der Praxis meist schlechter gestellt, als ein Kardiologe oder ein Unfallchirurg mit D-Arzt.