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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Verklagt/Approbation aberkannt - wer kennt Präzedenzfälle?



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Mr. Pink online
29.04.2019, 09:36
Hallo zusammen,

während der Weiterbildung ist man ja häufig mit der Situation konfrontiert, dass man viele Sachen zum ersten Mal macht, sich in unbekannten Situationen wiederfindet in denen man (zumindest initial) eigenständig und häufig intuitiv Entscheidungen fällen muss und leider auch die Ansprechbarkeit eines zuständigen Fach-/Oberarztes nicht immer gewährleistet ist.
Trotzdem hört man leider immer wieder, dass sich im Falle von Fehlentscheidungen weder von Seiten der Klinik noch oberärztlicherseits hinter den Assistenzarzt gestellt wird.
Sind das lediglich Horrorgeschichten, oder wie sind eure Erfahrungen? Kennt ihr Fälle in denen der Assi juristische Konsequenzen zu tragen hatte? Ich kenne tatsächlich bislang keine und würde gerne mal wissen wie häufig sowas tatsächlich passiert.
(*natürlich habe ich nicht vor wissentlich Fehlentscheidungen zu treffen)

Muriel
29.04.2019, 12:21
Aus den Erzählungen meiner ehemaligen Kollegen aus der Klinik kenne ich einen alten Fall, bei dem eine AiPlerin damals im Dienst einen Patienten hatte, bei dem sie sich bzgl. des Netzhautbefundes unsicher war. Sie informierte den OA, der aber nicht reinkommen wollte. Die junge Kollegin klärte den Patienten dahingehend auf, dass sie eine vernünftige Abklärung für wichtig erachte und ihm dringend rate, sich woanders vorzustellen, da sie den OA nicht Dazu bekam, reinzukommen. Der Patient folgte diesem Ratschlag nicht, stellte sich einige Tage später woanders erst vor und hatte eine Ablatio. Er verklagte daraufhin den OA, die AiPlerin hing aber dennoch mit drin und hatte ein Verfahren am laufen. Ob mangelnde Dokumentation ihrerseits das Problem war oder was, das kann ich nicht sagen.

WackenDoc
29.04.2019, 12:36
Es ist wohl sehr selten. Als Assistenzarzt sicherst du dich ja in der Regel ab- Anruf beim OA, lieber doch etwas mehr Diagnostik etc. So wird man ja auch sozialisiert. Und dann ist es noch ganz gut, dass Patienten nicht soo schnell kaputt gehen. Und dann müssten sie auch erstmal klagen.
Ein Kunstfehler ist übrigens nicht gleichbedeutend mit "Approbation weg".

Wichtig ist immer Dokumentation. Auch was die Weigerung von Hintergründen, rein zu kommen, angeht. Dokumentation des Versuchs anderweitig Hilfe zu bekommen. Möglichst mit den genauen Worten uns genauer Uhrzeit. Bedenken gegen oberärztliche Anordnungen möglichst genau dokumentieren. Nicht einfach umsetzen, wenn jedem klar sein muss, dass das nicht in Ordnung sein kann.

erdbeertoertchen
29.04.2019, 17:50
https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/junger-arzt-wegen-tod-von-baby-verurteilt-a-914839.html
es gibt den Fall eines PJlers, der Saft in die Vene eines Kleinkindes gespritz hat. Das Kind starb. Nur er wurde verurteilt. Ein Organisationsverschulden seitens der Klinik wurde nicht verfolgt

morgoth
29.04.2019, 18:07
Äußerst tragische Geschichte.
Nüchtern gelesen, denkt sich natürlich jeder "Naja, wer einfach so unbeschriftete Spritzen injiziert, dem ist auch nicht mehr zu helfen" (richtiger Patient? richtige Dosierung? richtiges Präparat? Kontraindikation? Aufklärung? …)
Auf der anderen Seite kommen diese oder ähnliche Situationen wahrscheinlich hunderte Male täglich in Krankenhäusern vor und gehen zu "fast" 100% gut/richtig aus.
Aber da krankt(e) das Medizinstudium ja schon daran, lieber 6 Querschnittsbereiche zum Thema Statistik, Tropenmedizin und spezielle Pathologie; aber mal ordentlich über Krankenhausalltag/Fehler lernt man ja nur vom Hörensagen.

Kaas
30.04.2019, 10:01
Kenne aus dem Bekanntenkreis einen Fall, wo einer Assistenzärztin die Approbation entzogen wurde. Die hatte eine Leichenschau gemacht und eine natürliche Todesursache festgestellt. Der Patient wurde danach vor Einäscherung nochmal obduziert und eine nicht natürliche Todesursache festgestellt. Das ist aber auch der einzige mir bekannte Fall. Und da muss man eben auch sagen, dass die Kollegin echt Pech gehabt hat. Die hat eine Leichenschau gemacht, wie sie 99% der Kollegen in stressigen Diensten auch machen.

escitalopram
30.04.2019, 10:37
Hat nichts direkt mit dem Thema zu tun, aber uns haben die Rechtsmediziner dringend empfohlen, im Zweifelsfall immer ungeklärt/unnatürlich anzukreuzen. Sonst hat das für die betroffenen Familien (Versicherung) und ggf. den Arzt erhebliche Konsequenzen.

Nessiemoo
30.04.2019, 10:46
Ich kenne Abteilungen, wo auch jeder Todesschein oberärztlich abgesegnet werden muss. Bei uns ist das nur bei Unsicherheiten, es wurde aber auch empfohlen ggf. auch das Gesundheitsamt anzurufen und sich da beraten zu lassen (haben auch einen Rufbereitshaft nachts)

Jukka666
30.04.2019, 11:04
Approbation wirklich entzogen bei falscher Todesbescheinigung? Wirklich?

Sorry, aber das fällt mir persönlich schwer zu glauben. Da muss doch mehr dahinterstecken als eine nach bestem Gewissen ausgeführte oder sogar "schlampig" ausgeführte Todesbescheinigung.

Nach meinem Rechtsverständnis (natürlich als "Laie") ist der Entzug einer ärztlichen Berufserlaubnis nur dann geboten, wenn ein Arzt eine künftige Gefahr für Patienten darstellt oder so schwerwiegende, bewußte (Kunst-)fehler begangen hat, dass es über ein haftungrechtliches Verfahren hinausgeht.

Erstens war dieser Patient ja gesichert tot, ein "Schaden" für den Patienten ist also nicht entstanden. Zweitens geht es hier ja eher um zivilrechtliche Ansprüche der Angehörigen. Von mir aus auch Verschleppung der Aufklärung einer Straftat.
Ist alles net spassig, will ich auch nicht sagen.

Aber Approbationsentzug? Da kenne ich aus den Verbandsblättchen ganz andere CIRS-Meldungen und Urteile, wo Ärzte wirklich "echten Schmuh" begangen haben und es passiert erstmal nix.

Vielleicht noch mehr Details zu dem Fall? Damit wir was draus lernen...?

P.S: mir sind Zahlen der Rechtsmediziner noch in Erinnerung, dass ca. 10-30% der Totenscheine "fehlerhaft" sind. Müsste das dann nicht mit einer relevanten Zahl an Approbationsentzügen pro Jahr einhergehen? Hab ich nix gehört..will natürlich nix heissen.

Jukka666
30.04.2019, 11:13
Ergänzung von Seiten der Bundesärztekammer:

"Wenn sich ein Arzt eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unzuverlässigkeit oder Unwürdigkeit (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Bundesärzteordnung - BÄO) zur Ausübung des Arztberufs ergibt, kann dies zum Entzug der Approbation führen (§ 5 Abs. 2 BÄO). Der Widerruf der Approbation erfolgt durch die nach Landesrecht zuständige Behörde des Landes, in dem der ärztliche Beruf ausgeübt wird oder zuletzt ausgeübt worden ist (§ 12 Abs. 4 S. 1 BÄO).

Unzuverlässig im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO ist, wer nach seiner Gesamtpersönlichkeit keine ausreichende Gewähr für eine ordnungsgemäße Berufsausübung bietet. Es müssen Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, der Arzt werde in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten nicht beachten. Ausschlaggebend für die Prognose der Zuverlässigkeit ist die Würdigung der gesamten Persönlichkeit des Arztes und seiner Lebensumstände.

Unwürdig im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BÄO ist, wer durch sein Verhalten das zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ansehen und Vertrauen bei der Bevölkerung nicht besitzt. Der Arzt muss also langanhaltend in gravierender Weise gegen seine Berufspflichten verstoßen haben, so dass er nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufs unabdingbar nötig ist. Bezüglich der Beurteilung der Unwürdigkeit stellen Gerichte u.a. auf das durch die Berichterstattung in der Öffentlichkeit zerstörte Ansehen und Vertrauen des Arztes in der Bevölkerung ab."

tarumo
30.04.2019, 11:26
Interessant ist, daß Vater Staat bei Gelddingen keinen Spaß versteht:

https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/apothekenpraxis/steuerverfahren-60000-euro-hinterzogen-approbation-weg/

60.000 Steuern hinterzogen: das ist gerade mal der Wert eines Mittelklassewagens, und ein Betrag, für den keiner der verurteilten "Promi"-Steuerhinterzieher aus der Fußball/Tennisbranche etc. auch nur einen Finger krumm machen würde.

Ansonsten liegt die Meßlatte für einen Approbationsentzug relativ hoch, und als Strafe für eine nicht korrekte Leichenschau (die vmtl. noch nicht mal "freiwillig" erfolgte), scheint es mir ein wenig arg weit hergeholt...

Sympathikus(a)
30.04.2019, 16:09
„Unwürdigkeit“ zur Ausübung des Berufes? :D Da fallen mir noch einige Personen anderer Berufgruppen ein, bei denen der Paragraph geltend gemacht werden sollte.


Interessant ist, daß Vater Staat bei Gelddingen keinen Spaß versteht:

https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/apothekenpraxis/steuerverfahren-60000-euro-hinterzogen-approbation-weg/

60.000 Steuern hinterzogen: das ist gerade mal der Wert eines Mittelklassewagens, und ein Betrag, für den keiner der verurteilten "Promi"-Steuerhinterzieher aus der Fußball/Tennisbranche etc. auch nur einen Finger krumm machen würde.

Ansonsten liegt die Meßlatte für einen Approbationsentzug relativ hoch, und als Strafe für eine nicht korrekte Leichenschau (die vmtl. noch nicht mal "freiwillig" erfolgte), scheint es mir ein wenig arg weit hergeholt...

Moorhühnchen
30.04.2019, 17:25
Ich glaube, diese Geschichte (https://www.christmann-law.de/neuigkeiten-mainmenu-66/834-niedergelassenem-arzt-wird-approbation-entzogen-weil-er-ohne-anaesthesist-operierte-und-danach-die-notwendige-verlegung-der-patientin-ins-krankenhaus-verzoegerte-vg-berlin-17-01-2018.html) hab ich hier aus dem Forum. Aber die zeigt mal wieder, wie viel erst noch passieren muss.


Niedergelassenem Arzt wird Approbation entzogen, weil er ohne Anästhesist operierte und danach die notwendige Verlegung der Patientin ins Krankenhaus verzögerte: VG Berlin 17-01-2018
Das geht schon fast in die Richtung wie das aus dem Assi-Thread (Endoskopie ohne RR-Messung), nur dass halt was passiert ist!

morgoth
30.04.2019, 18:02
Interessant ist, daß Vater Staat bei Gelddingen keinen Spaß versteht:

https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/apothekenpraxis/steuerverfahren-60000-euro-hinterzogen-approbation-weg/

60.000 Steuern hinterzogen: das ist gerade mal der Wert eines Mittelklassewagens, und ein Betrag, für den keiner der verurteilten "Promi"-Steuerhinterzieher aus der Fußball/Tennisbranche etc. auch nur einen Finger krumm machen würde.

Ansonsten liegt die Meßlatte für einen Approbationsentzug relativ hoch, und als Strafe für eine nicht korrekte Leichenschau (die vmtl. noch nicht mal "freiwillig" erfolgte), scheint es mir ein wenig arg weit hergeholt...

Ohne juristische Kenntnisse könnte ich mir vorstellen, dass bei solchen Vergehen sicherlich auch der zeitliche Faktor eine Rolle spielt: Wer über Jahre immer wieder falsche Rechnungen ausstellt, bei Steuererklärungen trickst, ... der hat sicherlich größere Probleme, sich herauszureden, als wenn es um eine einmalige Straftat „im Affekt“ o.ä. geht.
Der Arzt soll/muss ja eine besondere Vertrauensposition einnehmen, klar wenn er vergewaltigt oder mordet, kann er das auch nicht mehr, aber nach jahrelangem systematischem Betrug wird es auch schwierig. :-)

Rettungshase
30.04.2019, 18:52
Ich glaube, diese Geschichte (https://www.christmann-law.de/neuigkeiten-mainmenu-66/834-niedergelassenem-arzt-wird-approbation-entzogen-weil-er-ohne-anaesthesist-operierte-und-danach-die-notwendige-verlegung-der-patientin-ins-krankenhaus-verzoegerte-vg-berlin-17-01-2018.html) hab ich hier aus dem Forum. Aber die zeigt mal wieder, wie viel erst noch passieren muss.


Krass!

Dieser anästhesiologisch tätige Oberarzt wurde für eine falsche Blutkonserve mit Todesfolge mit 90 Tagessätzen bestraft: https://www.hna.de/lokales/goettingen/patientin-starb-durch-falsche-blutkonserve-strafbefehl-ex-oberarzt-7203284.html

Hätte der OA vorher nicht schon falsch gehandelt, hätte die Assistenzärztin die juristischen Konsequenzen zu tragen gehabt.

freak1
30.04.2019, 19:22
Also ich kann die Geschichte mit dem Approbationsentzug wegen einer fehlerhaften Leichenschau beim besten Willen nicht glauben. Außer sie hat ihn vorsätzlich umgebracht und dann versucht es zu vertuschen...

morgoth
30.04.2019, 19:43
Stimmt, es klingt so ein bisschen danach. Oder sie hat vielleicht bei einer vorhergegangenen Behandlung dieses Patienten einen kleinen Fehler gemacht und dann aus Panik heraus versucht, eine Obduktion o.ä. zu umgehen. Das ist natürlich dann wieder an der Grenze zum Unwürdigen.

Ein halbwegs schlauer Anwalt hätte sie doch - bezogen auf das falsche Kreuz bei der Todesursache, wenn sonst nichts vorlag - doch bestimmt mit "übermüdet", "Stress", "ansonsten vorbildliche Ärztin" zu einer kleinen Strafe (wenn überhaupt) rausgehauen.

escitalopram
30.04.2019, 21:28
Dieser anästhesiologisch tätige Oberarzt wurde für eine falsche Blutkonserve mit Todesfolge mit 90 Tagessätzen bestraft: https://www.hna.de/lokales/goettingen/patientin-starb-durch-falsche-blutkonserve-strafbefehl-ex-oberarzt-7203284.html

Hätte der OA vorher nicht schon falsch gehandelt, hätte die Assistenzärztin die juristischen Konsequenzen zu tragen gehabt.

?!? Ohne Bedside-Test oder (eig. und) Datenabgleich die Infusion verabreichen? Da fehlen einem die Worte! Selbst wenn die Prognose infaust von Anfang an gewesen wäre. Um ehrlich zu sein finde ich die 90 Tagessätze lachhaft... In diesem Fall gehört die Approbation aber sowas von entzogen. Und dann klagt er gegen die fristlose Kündigung? Ich frage mich wirklich, was manche Menschen für innere Werte haben und wie sie sich moralisch Arzt nennen dürfen...

rafiki
01.05.2019, 05:01
Geht`s noch ein bisschen aufgeplusterter?

Feuerblick
01.05.2019, 06:53
Den Quatsch mit den inneren Werten hätte er sich sparen können, aber in der Sache hat er schon recht. Weder Datenabgleich noch Bedside-Test ist schon gegen das ganz kleine 1x1 der Transfusion. Wer das nicht (mehr) drauf hat oder keinen Bock drauf hat oder vergisst, der sollte sich echt nen anderen Beruf suchen...