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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Arztpraxis - HIndernisse?



Croin
04.07.2019, 18:43
Hallo zusammen,

was sind eigentlich die Hindernisse denen ein Arzt begegnet, wenn er sich Niederlassen will?
Außer der finanziellen Belastung?

Gruß

tarumo
04.07.2019, 20:31
Das erste Hindernis ist die entsprechende FA-Prüfung und das letzte die Kassenzulassung. Und 100.000 andere Dinge. Eine google-Suche hilft- und im Forum hatten wir das auch schon mal mehrfach.
Das es nach den aktuellen Umfrageergebnissen in den nächsten Jahren durchaus zu einer Regierungskonstellation kommen kann, die Heilpraktiker und ähnliches ggü. der klassischen Medizin bevorzugt, und die Abschaffung der PKV bzw. Verbot von Privatpraxen schon im letzten Wahlprogramm vorgesehen hatte, wären ein paar gesundheitspolitische Kenntnisse auch nicht schlecht, um nicht entsprechend aufzustellen.

throni
05.07.2019, 07:05
Das erste Hindernis ist eigentlich schon der NC. Wer macht denn ein Abi mit 1,0?

Feanna
05.07.2019, 10:42
Das erste Hindernis ist eigentlich schon der NC. Wer macht denn ein Abi mit 1,0?

"In Brandenburg, dem Saarland und Mecklenburg-Vorpommern lag der Anteil der 1,0-Abiturienten zuletzt bei 2,6 Prozent."

https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/deutschland-bekommen-abiturienten-immer-bessere-schulnoten-a-1196398.html

Das ist auch ne Tabelle enthalten für weitere Bundesländer. (Und für den Zweck dieser Diskussion ist ja theoretisch sogar "besser" wenn mehr Leute 1,0 haben, war aber im Umkehrschluss dazu führt dass der NC steigt, s.u.).

Mal ganz davon ab, für die Zulassung zum Studium ist es EGAL wieviele Leute 1,0 haben! Der NC wird nicht auf eine beliebige Zahl gesetzt und dann werden nur Leute reingelassen die so gut oder besser sind (dann würden ja ggf. Plätze frei bleiben). Sonder die Leute die sich bewerben werden (für die Plätze die nach NC vergeben werden) nach ihren Noten sortiert. Das heißt, wenn in einem Jahrgang plötzlich alle Leute ein schlechteres Abi machen würden würde der NC eben fallen.

Man kann jetzt gerne immer wieder darüber diskutieren wie fair Medizinstudienplätze vergeben werden oder nicht (und ich habe mit genug Leuten studiert die 2,X im Abi hatten, der NC ist nicht DER einzige Weg).....
Aber es bringt doch nichts auf die Leute zu sticheln die es geschafft haben 1,0 im Abi zu schaffen, und die scheinbar genauso Medizin studieren wollen wie Leute die das leider nicht geschafft haben.

Und ganz ehrlich, wenn sich jemand nach ner Praxisniederlassung erkundet, dann könnte man seine Stichelkommentare zur Studienzulassung vielleicht woanders unterbringen?


Um daher beim Thema zu bleiben: Man sollte sich sicher damit auskennen wie im Gesundheitssystem abgerechnet wird und was sich lohnt und was nicht. Natürlich sollte man nicht NUR auf solche Dinge achten, aber es bringt auch nichts wenn man aus Idealismus pleite geht. Ziehlt jetzt natürlich aufs finanzielle, aber das hängt ja alles irgendwie zusammen.
Aber auch so Dinge wie: Welches neue elektronische Datenerfassungssystem brauche ich, wie muss ich meine Praxis reinigen lassen, etc...
Daher sind gewisse betriebswirtschaftliche und rechtliche Kenntnisse (auch wie von anderen erwähnt gewisse Infos zur politischen Entwicklung) schon nicht unwichtig.

Eine bekannte von mir steigt jetzt in eine Praxis ein, mit dem Ziel sie nach ein paar Jahren zu übernehmen, hat aber diese paar Jahre Zeit die Praxisarbeit zu erlernen und dann auch das ganze Drumherum der Praxisführung, bevor sie dass dann selber machen muss.

Also auch die Entscheidung: Will man eine Praxis (mit gutem Patientenstamm, Mobiliar, Ausrüstung) übernehmen, will man irgendwo etwas komplett neu gründen?

Generell sind halt immer auch die Kassensitze wichtig.

ananassaft
05.07.2019, 12:14
Das erste Hindernis ist eigentlich schon der NC. Wer macht denn ein Abi mit 1,0?

Mitunter Leute die Medizin studieren wollen.

med_in_1
06.07.2019, 18:14
Ich würde mal: back to the topic:

1. Hindernis: freien Sitz geben und sich mit Vorgänger/in einigen
2. Das m.E. undurchschaubare Vergabeverfahren zu überstehen (kurzer rein subjektiver Eindruck: eigentlich soll es u.a. nach dem Approbations- und Facharztalter (=Berufserfahrung), 5 jähriger Vollzeitmitarbeit in der Praxis, ambulanter Tätigkeit im unterversorgtem Gebiet, versorgungsrelevanten Zusatzqualifikationen etc.) gehen – tatsächlich hat das Wort des abgebenden beim Zulassungsausschuss aber auch Gewicht
3. realistische! Finanzierung – bs. Bei nachgefragten Fachdisziplinen in attraktiver Lage oft utopische, m.E. schwer gegenfinanzierbare Abgabesummen / Konkurrenz zum MVZ
- subjektiv von mir: will man wissen, wie Gesundheitspolitik tickt: ein Blick ins Gutachten des Sachverständigenausschusses – nach meiner subjektiven! Lesart ist es da von der Abschaffung der fachärztlichen ambulanten Versorgung und deren Angliederung an ein Zentrum oft nur noch ein Zungenschlag
4. Bei Neugründung: den Mut zu haben, am Anfang auch mal bei einer „Neuaufnahme“ „Nein“ zu sagen…

med_in_1
06.07.2019, 18:25
Während der Niederlassung
PERSONAL:
In meiner grenzenlosen Naivität sorgte ich mich einst um die als so kompliziert angesehene Abrechnung, sah mich nächtelang vor PCs etc. Tatsächlich ist aber das Personal ein nicht zu unterschätzender Faktor:
- wie „schön“ es ist, wenn du Sonntag 22 Uhr eine whatsapp bekommst, dass das Kind der MTA plötzlich erkrankt ist und sie eine Woche ausfällt, deine 2. MTA kann aber leider kein Blut abnehmen
- wenn man für gut 1000 Euro eine Zeitungsannonce aufgibt und dort Bewerbungen erhält die neben jeder Form auch den Inhalt vermissen lassen
-- wenn man in Gesprächen gefragt wird, wie man die 2km zur Praxis jeden Tag schaffen soll
-- wenn man dann die betriebsärztliche Untersuchung, die Pflichtschulungen (Datenschutz, Hygiene, Brandschutz etc.), PC-Einweisung, Dienstkleidung, Steuerliche Anmeldung etc. bezahlt
-- wenn man sich fragt, wozu es einen Tarifvertrag gibt, wenn doch übertariflich bezahlt wird
- auch schön: MFA wird schwanger (und darf damit kein Blut mehr abnehmen (ja, kann man anders sehen, die Vorgaben hier sind leider knallhart))
- wenn man auf einmal zwischen Angestellten, die die eigenen Eltern sein könnten Streit auf Kleinstkindergartenniveau schlichten muss
- wenn einer Patientin mit akuter Hämatochezie ein Hausbesuch am Nachmittag angeboten wird
- wenn man zum 30. Mal sagt, dass im Feld „Begründung“ etwas stehen muss, auch wenn das früher anders und heute zuviel ist

Auch schön:
- einige scheinen spezielle kostenintensive Arzttarife zu haben
- Praxiseinbruch und der Ärger mit der Versicherung
- sinnentstellte Qualitätszirkel am Abend
- Bereitschaftsdienst mit „Noteinsätzen“ weil das um 8 von der Hausärztin ausgestellte Rezept 19.05 von der Apotheke, die 19.00 Uhr schließt nicht mehr ausgegeben wurde
- Leichenschau mit Polizei für 53 Euro
- Diskussionen um „a-i“ Verordnungen
u.v.m.

Cingulum123
06.07.2019, 20:40
Danke für deine wirklich interessanten Beiträge, med_in_1. Ich bin relativ sicher, dass ich nach der Facharztprüfung schnellstmöglich die Klinik hinter mir lassen will. Wahrscheinlich am Anfang als Angestellte, aber immer mal wieder spiele ich mittlerweile mit dem Gedanken doch eine eigene zu übernehmen/eröffnen. Allerdings habe ich schon mehrfach die Einschätzung gehört, dass Praxen politisch langfristig mehr oder weniger abgeschafft werden sollen.

Shizr
06.07.2019, 23:23
Allerdings habe ich schon mehrfach die Einschätzung gehört, dass Praxen politisch langfristig mehr oder weniger abgeschafft werden sollen.
Halte ich für eine völlig absurde und unrealistische Vorstellung.


Wie soll denn das funktionieren?
Flächendeckend nur noch MVZen?
Die gesamte ambulante Versorgung an die Krankenhäuser angliedern?

Cingulum123
07.07.2019, 08:12
Halte ich für eine völlig absurde und unrealistische Vorstellung.


Wie soll denn das funktionieren?
Flächendeckend nur noch MVZen?
Die gesamte ambulante Versorgung an die Krankenhäuser angliedern?

Vorstellen kann ich es mir auch nicht, aber es geistert immer wieder mal herum. Tatsächlich gibt es hier in der Gegend immer mehr MVZ, teils als Neugründung, aber keine Praxiseröffnungen, obwohl Sitze in vielen Bereichen noch zu haben sind.

Shizr
07.07.2019, 12:47
Tatsächlich gibt es hier in der Gegend immer mehr MVZ, teils als Neugründung, aber keine Praxiseröffnungen, obwohl Sitze in vielen Bereichen noch zu haben sind.
Aber das hat nach meinem Eindruck weniger mit einem politischen Willen dazu zu tun, sondern vielmehr damit, dass man so das unternehmerische Risiko besser verteilen kann.


Manches MVZ ist ja auch so organisiert, dass die Kassensitze der Gesellschaft dahinter gehören und die dort tätigen Ärzte angestellt sind.

Ich denke, die MVZ werden mehr werden, aber die Einzel-/Gemeinschaftspraxen wird es weiterhin geben.

WackenDoc
07.07.2019, 12:51
Angestelltenverhältnis in einem MVZ ist sicher für einige Kollegen attraktiv. Nicht jeder will das unternehmerische Risiko der Praxisinhaberschaft tragen. Wird wohl auf eine Mischung hinaus laufen und die Politik und auch unsere Standesvertretung wird dafür sorge tragen müssen, dass die kleineren Praxen gegenüber den MVZ nicht vom Markt gedrängt werden.

med_in_1
07.07.2019, 14:32
Ich denke man muss hier zwischen dem hausärztlichen und fachärztlichen Sektor trennen. Lies man die entsprechenden Gutachten des Sachverständigen Ausschusses, so wird dort im Facharztsektor schon, erstaunlich direkt, moniert, dass dort Patienten ohne Termin (trotz anderslautender Verpflichtung) zumindest nicht immer auch "akut" gesehen werden - wobei ja im Vertragsarztrecht die Notfalldefinition eine andere ist als im Rettungsdienst. Ob sich da durch z.B. Ambulanzanbindung an die Klinik etwas ändert bleibt abzuwarten.

Zumindest für den Hausarztsektor sehe ich das nicht ganz so kommen, da auch die neuere Gesetzgebung gewisse Maximalfahrzeiten zur nächsten Hausarztpraxis vorsieht und hier v.a. zwischen "einen Sitz haben" und "einen besetzen können" auch Unterschiede bestehen.

Ich denke, es ist auch eine Generationsfrage: Man lebt doch heute eher damit, dass das Geld zwar reichen aber die Work-Life Balance mehr zu "Family" & "Life" als zur Work & Profit tendiert, was das Angestelltenverhältnis gegenüber der vielen Vorteile des Selbstständigseins relativiert. Wenn ich jedoch sehe, dass ich im Jahr - mit brutto knapp 200.000 Euro zzgl. der Vorteile des Selbstständigen (PKW, "3. Lohntüte des Selbstständigen", echt flexible Arbeits- und Urlaubszeiten, Weiterbildungen (und Unterkünfte nach Wunsch)) - vom "Platz" gehe, ziehe ich selbst das Selbstständige Leben - trotz des ganzen Ärgers eher vor.

WackenDoc
07.07.2019, 14:57
Die flexiblen Arbeits- und Urlaubszeiten relativieren sich ganz schnell mit einer Kassenpraxis.

med_in_1
07.07.2019, 15:27
Die flexiblen Arbeits- und Urlaubszeiten relativieren sich ganz schnell mit einer Kassenpraxis.

find ich nicht... vor 3 Jahren hat mir mein CA erklärt, dass nur, weil ich 1 Woche Urlaub hab, das ja nicht heißt, dass man am Sa/So davor & danach nicht arbeiten kann - konnte man sich mit den Kollegen nicht einigen hat er den Urlaub vergeben - wenn Stellen nicht besetzt waren sollte man (unsere Probleme nicht zu seinen machen) und das Arbeitsrecht ist er etc.... Da hab ich mir 2020 meinen Urlaub aber völlig frei & nach Wunsch eingeteilt.
Letzten Montag wurde es mir 11 Uhr zu chaotisch also bin ich 1h Mittagessen gegegangen, danach gings mir besser und es war auch weniger chaotisch...

Evil
07.07.2019, 18:12
Die flexiblen Arbeits- und Urlaubszeiten relativieren sich ganz schnell mit einer Kassenpraxis.
Das stimmt nicht. Du kannst zwar nicht alle naselang Deine Praxisöffnungszeiten variieren, aber mit etwas Absprache der anderen ortsansässigen Kollegen sind einzelne freie Tage idR problemlos möglich. Das gilt nur nicht in unterversorgten Gebieten.
Und früh genug geplant sind Urlaube auch kein Problem.