PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Nach wie langer Zeit kam bei euch die Routine?



emk57
06.10.2019, 11:12
Hallo liebe Forenmitglieder,

ich habe letzte Woche meine erste Stelle als Assistenzarzt angetreten und bin noch ein wenig überfordert. Daher interessiert mich wie lange ihr ungefähr gebraucht habt, bis ihr ein wenig routiniert wart in dem was ihr tut? Hatte bisher nur 2 Patienten da ich noch eingearbeitet werde und weiß nicht wie ich jemals mit 12 Patienten klar kommen soll :-notify:-notify:-notify

Danke!!

vanilleeis
06.10.2019, 11:23
Welches Fach machst du denn?

emk57
06.10.2019, 11:23
ich bin in der Neuro!

][truba][
06.10.2019, 12:28
Ich warte noch drauf.
Kommt ganz drauf an, was du unter Routine im Allgemeinen meinst.
Es wird sehr lange Entscheidungen oder Fragestellungen geben denen du nicht weiter weißt und Leute (OÄ fragen musst).
Wenn du "nur" meinst einen groben Plan zu entwickeln und deine Patienten "am Leben" zu erhalten, war es bei mir in der ACH ca. 12-18 Monate. Dann hatte man grob viele Krankheitsbilder mal gesehen, hatte eine ungefähre Vorstellung worauf zu achten war und wohin die Reise gehen sollte. Aber da jeder Fall individuell ist gab es selbst nach dieser Zeit oft noch viele ???

Es wird mit jeder Woche, jedem Monat besser. Bleib dran, bleib interessiert und frag viel. Niemand erwartet, dass du das schon alles weißt.

LG Thomas

CYP21B
06.10.2019, 15:28
Ich finde das kann man nicht pauschal sagen. Station am Laufen halten ging relativ schnell (war aber UCH). Da kann man aber relativ leicht bei Unklarheiten nachfragen. Und ist aber logischerweise noch langsamer. Im Dienst ist es nochmal was ganz anderes, aber da muss man eben am Anfang noch häufig anrufen und fragen. Ich habe damals nach 10 Wochen allein Dienst gemacht. Da musste Station etc laufen und auch die Standartsachen gingen zu dem Zeitpunkt. Hatte aber eine gute Einarbeitung und wusste wo ich im Notfall ein Backup herbekomme. Wenn die Einarbeitung schlecht ist oder die Abläufe generell chaotisch sind hat man schlechte Karten. Wichtig ist aber generell dass man seine Grenzen kennt und weiß wann man Hilfe braucht und wo man die herbekommt.

LisaLisa
06.10.2019, 17:56
Ich habe ebenfalls vor 1 Woche angefangen (aber in der Chirurgie) und die erste Woche hat mich umgehauen. Ich fühle mich extrem überfordert und habe Angst, dass Patienten dadurch zu Schaden kommen.
Ich denke, dass es Monate dauern wird..
schön zu lesen, dass es anderen auch so geht (obwohl es wirklich keine schöne Situation ist :-() wollte dich nur wissen lassen, dass du nicht alleine bist

Nessiemoo
06.10.2019, 18:05
Puuh also so etwas wie Routine kam so nach 6-9 Monaten auf Normalstation, dann nach etwa 5 Monaten Stroke und vielleicht auch so nach einem halben Jahr notaufnahme.
Unter Routine meine ich jetzt, dass man nicht völlig unter geht und grob weiß, was man zu tun hat und auch weiß, welche Situationen man eben nicht alleine geklärt kriegt.
Angst, dass durch einen Fehler Patienten zu Schaden kommen, geht ja irgendwie gefühlt nie weg. Aber ich habe das Gefühl, dass Neurologe ist eins der fächer wo es wirklich lange dauert, bis Routine kommt, da die Bandbreite an Krankheitsbildern so enorm ist. (was für mich ein Argument für Neuro war). Im vergleich dazu hatte ich das Gefühl dass in "kleineren" Fächern wie Uro oder Anästhesie dieses Gefühl schneller erreicht wird.

inglebird
06.10.2019, 19:30
Innere, ohne Oberarztinput und einmal pro Woche wenig Input durch Altassistenten (Ich weiß, Katastrophe): Nach ca 3-6 Monaten das Gefühl, die Station zu schmeißen (ergo: eine halbwegs strukturierte Visite zu machen, irgendwann kapiert zu haben, wie ich den Tag strukturieren muss, nachmittags dann zu verstehen, was ich alles vergessen habe und dann um 18 Uhr Arztbriefe zu schreiben)
Innerhalb von 2 Jahren hat man diverse Absurditäten gesehen und glaubt, einiges handeln zu können.
Im dritten Jahr dann die Erfahrung, dass man bei weitem nicht so fit ist, wie man glaubt.
Im vierten Jahr unsicher, wo man eigtl steht, dabei bemerkt man gar nicht, dass man deutlich strukturierter ist und durchaus auch pünktlich die Klinik verlassen kann
Im fünften Jahr eigenständig gearbeitet inklusive internistisch geführte Intensivstation phasenweise alleine versorgt
Nach Facharztprüfung 90% der Akutfälle behandelt, ohne Literatur zu brauchen...
Es ist halt eine Reise und extrem abhängig von den Stationen, die man durchgeht, dem Einsatz, den man bringt (meine damit weniger sinnlose und nicht registrierte Überstunden, sondern privates Studium), den Situationen, denen man ausgesetzt ist und wann man wieviel Vertrauen von oben bekommt...
Über Neuro kann ich wenig sagen, glaube aber, dass es im Normalfall ein ähnlicher Ablauf wie bei mir ist.

Nach 2 Wochen? Gib dir Zeit, schau dir bei Erfahrenen ab, wie die es machen und frag nach, wenn du etwas nicht weißt. Hast du einen Mentor? Der mit dir Visite macht, ggf. auch am Ende des Tages bespricht, was bei deinen 2 Patienten getan werden muss?

Medibini
06.10.2019, 19:49
Ich bin jetzt ab morgen in Woche 4 und echt auch komplett überfordert.
Allerdings in der Inneren aber direkt von Anfang an zwischen 8-14 Patienten.
Ich bin immer länger da. Meist insgesamt so um die12 Stunden ohne jegliche Form der Pause.
Einfach weil ich sonst überhaupt nix schaffe.
Trotzdem sind meine Arztbriefe momentan glaub ich auch nur zum schämen 🙈 da gehen mir so banale Dinge wie das Datum ändern schon durch.
Ich fühle mich einfach maximal dumm. Als hätte ich ihn Studium einfach gar nix gelernt ob wohl ich nie nur für die Klausuren gelernt habe (sprich nur Altklausuren gemacht oder so). Trotzdem bin ich bei den meisten Fragen wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Mein erster Wochenenddienst steht in zwei Wochen an.
Keine Ahnung wie ich das überleben soll.

Rettungshase
06.10.2019, 20:01
Im vergleich dazu hatte ich das Gefühl dass in "kleineren" Fächern wie Uro oder Anästhesie dieses Gefühl schneller erreicht wird.

Ich weiß nicht, ob das anästhesiespezifisch ist, aber es heißt doch:

Die 4 Phasen der Selbsteinschätzung:
1) Du kannst gar nichts und hast das Gefühl, gar nichts zu können -> ist okay
2) Du kannst immer noch nicht viel, hast aber das Gefühl, viel zu können -> gefährlich
3) Du kannst mittlerweile echt viel, hast aber das Gefühl, gar nichts zu können -> ein wenig frustrierend, aber es wird
4) Du kannst viel und weißt, dass du viel kannst -> schön (aber bitte nicht in Routine verfallen)

Ich hatte in der Anästhesie (die ich für gar nicht klein halte, wenn man über "Tubus + Nadel" hinausblickt") im 3. WBJ gerade das Gefühl, ganz gut zurecht zu kommen... Zack! Kommen Notfallmedizin, die Intensivmedizin steht vor der Tür und dann hätte bitte gern jedes Fachgebiet noch, dass man deren Spezifika anwenden kann, was für das entsprechende Patientengut natürlich auch sinnvoll ist (Neurochirurgen mit Wacheingriffen oder Trigeminus-Thermokoagulation, HTGler mit schwer kranken Gefäßwracks, HNOler mit syndromalen Kids uswusf.).

nie
06.10.2019, 21:13
Ich hab bin jetzt seit knapp 5 Wochen in der Innere. Letzte Wochen zum ersten Mal komplett alleine für 12 Patienten zuständig gewesen und ich bin zumindest nicht völlig untergangen. Es hat so 10 Tage gedauert bis ich mich nicht mehr total hilflos gefühlt habe und auch selbstständig Sachen machen konnte ohne das man mir sagen musste, was ich machen soll. Seitdem lerne ich jeden Tag ein bisschen dazu und es klappt täglich ein bisschen besser. So rein organisatorisch bekomme ich langsam so den Dreh raus und kann meinen Tag ganz gut strukturieren. Solange alles nach Plan läuft... wenn irgendwas dazwischen kommt, fange ich halt doch noch recht schnell an zu rotieren.

Fachlich bin ich natürlich von Routine noch weit entfernt. Da kann man natürlich nach 5 Wochen noch keine Wunder erwarten.

fallenangel30487
07.10.2019, 09:09
Ich war in den ersten Wochen mit der Station auch erst mal komplett überfordert. Vor allem mit organisatorischen Dingen. Nach ein paar Monaten hatte ich das Gefühl, dass ich mich ganz gut im Alltag organisieren kann und einigermaßen weiß was die Oberärzte und Chefs wollen. Ich arbeite jetzt 15 Monate und habe oft das Gefühl fachlich gar keinen Plan zu haben. Bei uns gibts es zum Glück super Oberätze die man irgendwie wegen allem anrufen kann und wenn die Frage noch so blöd ist.
Nach 12 Monaten war ich mega frustriert weil ich das Gefühl hatte praktisch nicht viel zu lernen. Es kam der Punkt an dem ich mich auf Station ganz gut zurechtfand aber einfach fachlich und praktisch das Gefühl hatte, dass es einfach nicht weiter geht, weil man den ganzen Tag gefühlt nur Visite, Briefe und Telefonat/ Organistation macht. Das hat sich mittlerweile etwas gebessert. Aber von Routine ist das noch alles weit entfernt.

Jukka666
07.10.2019, 10:18
Wie waren die Stufen des Arzt-Seins? (hat man uns in meiner WB beigebracht, find ich heut noch stark)

1. Berechtigte Unsicherheit
2. Unberechtigte Sicherheit
3. Unberechtigte Unsicherheit
4. Berechtigte Sicherheit
(5. Unberechtigte Übersicherheit).

Dann gibt's ja noch den berühmten Dunning-Kruger-Effekt.

Ist ein Prozess. Will sagen: erst kann man nix und weiss das.
Nach 1-2 Jahren denkt man, man kann was und übersieht aber vieles und überschätzt sich
Dann könnte man eigentlich was, weiss aber, dass es saugefährlich werden kann und wird wieder vorsichtiger.
Und als Facharzt weiß man meist, was man tut.
Und riskiert aber dann im Verlauf, wieder schlampig zu werden. Back to the roots sozusagen.

Richtige Sicherheit würd ich sagen kommt in den Jahren nach der FA-Prüfung.

Roadkiller
07.10.2019, 18:42
Meine ehemalige Chefin in der Psychiatrie sagte immer dass die gefährlichste Zeit in der Facharztausbildung im letzten Drittel und kurz nach FA-Prüfung sei weil man sich überschätzen würde.

Colitis ulcerosa
09.10.2019, 18:39
Es kommt drauf an. Aufnahmen. Dienste. Sonos. Echos. Punktionen werden schnell routine. All das wo es keine akute Gefahr besteht. Wo man sich Zeit lassen kann. Jede Reanimation oder jede lebensgefährliche Situation sind einzigartig. Und mit jeder lernst du was neues. Sehr tragisch und traumatisierend sind suizide. In meinem nachtdienst hat sich ein Patient umgebracht. Ist weggelaufen auf die Autobahn gekommen und von einem auto getroffen worden. Sowas kann keine routine werden.

febee
09.10.2019, 19:17
Im vergleich dazu hatte ich das Gefühl dass in "kleineren" Fächern wie Uro oder Anästhesie dieses Gefühl schneller erreicht wird.

Wie kommst du denn drauf, das Anästhesie ein kleines Fach ist??

Colitis ulcerosa
09.10.2019, 20:48
Ist kein kleines Fach. Aber man wird dort richtig gut eingearbeitet. In meinem pj Haus war die Einarbeitung bis ca 6 Monaten. Man musste sicher intubieren koennen. Zvk legen koennen. Spinale... Etc. Die Anästhesisten waren viel selbstbewusster bei Dienst Beginn. Sind viel sicherer bei Reanimationen.

Mano
10.10.2019, 08:37
In der Anästhesie ist die Lernkurve zu Beginn extrem steil und flacht dann immer weiter ab. In der Chirurgie ist sie zu Beginn sehr flach und steigt dann im Verlauf steil an (je nach Haus Mitte der Weiterbildung oder erst nach Abschluss des Facharztes).
Die Innere liegt oft dazwischen - auch je nach dem wie "invasiv" der jeweilige Schwerpunkt ist.
Generell führt jeder "Karriere-" Schritt erstmal zu neuer Unsicherheit und einer darauf folgenden steileren Lernkurve. Der erste Dienst als verantwortlicher Facharzt ist in der Regel mit ähnlich viel Unsicherheit verbunden, wie der erste Dienst überhaupt. Und auch wenn sie es natürlich niemals zugeben oder zeigen würden - wenn man frische Chefärzte beobachtet, dann ist da zu Beginn auch meist eine große Portion Unsicherheit - unabhängig davon, wie fachlich versiert nun jemand ist, aber man ist halt als Chef definitiv ohne weiteres Backup ;-)

anignu
10.10.2019, 22:44
In der Anästhesie ist die Lernkurve zu Beginn extrem steil und flacht dann immer weiter ab. In der Chirurgie ist sie zu Beginn sehr flach und steigt dann im Verlauf steil an (je nach Haus Mitte der Weiterbildung oder erst nach Abschluss des Facharztes).
Die Innere liegt oft dazwischen - auch je nach dem wie "invasiv" der jeweilige Schwerpunkt ist.
Generell führt jeder "Karriere-" Schritt erstmal zu neuer Unsicherheit und einer darauf folgenden steileren Lernkurve. Der erste Dienst als verantwortlicher Facharzt ist in der Regel mit ähnlich viel Unsicherheit verbunden, wie der erste Dienst überhaupt. Und auch wenn sie es natürlich niemals zugeben oder zeigen würden - wenn man frische Chefärzte beobachtet, dann ist da zu Beginn auch meist eine große Portion Unsicherheit - unabhängig davon, wie fachlich versiert nun jemand ist, aber man ist halt als Chef definitiv ohne weiteres Backup ;-)
Insgesamt finde ich diesen Beitrag sehr gut. Ich würde diese "Karriere-"Schritte vielleicht noch genauer ausführen damit auch einem eher jüngeren Kollegen klar ist was du meinst:
- erste eigene Patienten
- Stationsarzt mit vielen Patienten für die man verantwortlich ist
- Nachtdienst
- Einsatz auf Intensivstation
- Nachtdienst auf Intensivstation
- Nachtdienst als erfahrenster Kollege im Haus
- Einsatz in der Notaufnahme
- Einsatz in der Notaufnahme als erfahrenster Kollege im Haus
- Assistenz im OP bei schwierigerem Eingriff
- erste OP überhaupt
- erste OP bei höherem Schwierigkeitsgrad
- erste OP ohne Oberarzt/Facharzt daneben
- erste OP bei höherem Schwierigkeitsgrad ohne Oberarzt/Facharzt dabei
- erste Hintergrunddienste
- erste Hintergrunddienste ohne Cover
- erste Schockräume als Alleinverantwortlicher

In der Anästhesie ist es halt "erster Block gestochen", "erster Block alleine", "erste Spinale alleine", "erste fieberoptische alleine" usw... lauter neue Karriereschritte die erstmal stressen und je nach Typ auch an der Nähe zur Überforderung sind...

Und es gibt noch so viel mehr Schritte. An manche von denen wird man sehr entspannt rangeführt bei anderen völlig ins kalte Wasser geschmissen. Das ist von Typ zu Typ und von Haus zu Haus unterschiedlich. Aber irgendwann wird es passieren. Irgendwann lernt man schwimmen.

Das Problem ist doch auch: es geht eigentlich meist sehr schnell voran. Man ist überfordert, lernt was, bekommt aber gleich schon wieder eine neue Aufgabe, ist überfordert, lernt was usw... Man lernt so schnell dass man gar nicht Zeit hat mal innezuhalten und sich klar zu werden dass man eigentlich stolz sein könnte schon so viel zu wissen.