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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Im Stress Ungenauigkeit



LisaLisa
16.10.2019, 14:33
Hallo!

Ich melde mich wieder 3 Wochen nach dem Arbeitseinstieg. Ich bin jetzt zuhause von der Arbeit und kann überhaupt nicht abschalten. Mir gehen dauernd alle PatientInnen von heute durch. Habe ich alles richtig gemacht? Vor allem aber: Habe ich alles richtig dokumentiert, sodass mir im Fall des Falles nichts "passieren" kann?

Ich musste heute mehr oder weniger alleine die chirurgische Ambulanz schmeißen und muss mir diesbezüglich etwas von der Seele schreiben, dass mich jetzt nicht los lässt.
Die Schwester ist zu mir hereingekommen und hat mir gesagt, dass draußen eine Patientin mit stark blutender Wunde sitzt, die wir weiterschicken werden weil wir keine Unfallchirurgen im Haus haben. Ich habe sie also zu mir hereingeholt (zu dem Zeitpunkt waren ca. 15 Personen in der Ambulanz, manche von ihnen schon seit 3 Stunden) und mir die Wunde angesehen. Beim Herunternehmen des provisorisch angelegten Verband musste ich wohl ein Gefäß verletzt haben, denn es spritzte sofort Blut, was sich aber nach ausreichend Druck wieder legte. Mit Druckverband setzten wir sie in einen Stuhl & sie hat gesagt dass sie mit dem Taxi in das nächste unfallchirurgische Krankenhaus fahren würde.
Ich habe sie zwar den Revers unterschreiben lassen, aber nicht dokumentiert, dass sie hämodynamisch stabil war, dass es sonst keine Verletzungszeichen gab, dass sie grob neurologisch auch unauffällig ist (Sie hat sich nicht den kopf gestoßen).

Tja und jetzt sitze ich hier und würde am liebsten im Krankenhaus anrufen, ob die Patientin sicher dort angekommen ist und alles ok mit ihr ist. Ich habe in dem Fall auf die Schwestern vertraut, die ja schon mehr Erfahrung als ich haben.ABer ich mache mir dennoch Vorwürfe, ob ich die Patientin trotz Zeitdruck nicht doch besser untersuchen hätte sollen.

Was sagt ihr zu meinem "Verhalten"? Was kann ich prinzipiell besser machen? Und vor allem, wie kann man am Ende vom Arbeitstag abschalten?

Evil
16.10.2019, 16:29
Was sagt ihr zu meinem "Verhalten"? Was kann ich prinzipiell besser machen? Und vor allem, wie kann man am Ende vom Arbeitstag abschalten?
Diese Fragen sind grundsätzlich an den weiterbildenden Arzt zu richten, nicht an ein Online-Forum. Hast Du sie oder ihn schon gefragt?
Wenn Du keinen solchen Ansprechpartner hast, spricht das gegen Deinen Ausbildungsort.

morgoth
16.10.2019, 17:01
Ich schließe mich Evil an.

In meinem Fach (Psychiatrie) ist es vielleicht ein wenig übermäßig ausgeprägt, dass man über alles und jedes sich stundenlang Gedanken macht und Fälle bespricht. :-D
Aber gerade die von dir aufgeworfenen Standard 08/15-Dienstfragen müssen einfach durch Kollegen/Einarbeitung/Hausstandards/Vorgesetzte/Hintergrund glasklar zu beantworten sein.
Für mich als fachfremden Leser erschließt sich das Konstrukt Chirurgische Ambulanz <-> keine Unfallchirurgen im Haus ehrlich gesagt nicht ganz. Und auch das "Wegschicken" aber gleichzeitig Dokumentieren ist problematisch
Und der Revers (sofern auch in Eurem Haus damit dieser Vordruck "Ablehnung der Behandlung gegen ärztlichen Rat gemeint ist) scheint mir nicht ganz passend zu sein: Deine Patientin wollte ja explizit eine Behandlung, also wozu sie unterschreiben lassen, dass sie bei Verweigern verbluten kann?

juke5489
16.10.2019, 17:17
die meisten chirurgischen fachabteilungen müssen zur facharztausbildung eine chirurgische basisweitebildung durchlaufen.
daher sollten allgemeine chirurgische probleme, wie etwa blutende wunden auch in jeder chirurgischen klinik und von jedem chirurgen, der die basisweiterbildung durchlaufen hat zu lösen sein.
jetzt ist natürlich die frage, ob das eine eine einfache wunde war oder ob eine gefäßverletzung vorlag und somit (dringlich) eine spezialisierte chirurgische versorgung notwendig war.
offenkundig warst du nicht in der lage mangels ausbildung und supervision diese einschätzung zu treffen und das ist der hauptknackpunkt.
in beiden fällen hätte übrigens bei euch gehandelt werden sollen, so wie der fall bisher geschildert wurde.
eine 'einfache' wunde sollte auch vom 'wald-und-wiesen-chirurg' versorgt werden können, unabhängig von der exakten fachrichtung dahinter, bei einer schwereren verletzung (größeres gefäß) hätte zumindest eine initiale stabilisierung, ein assessment der exakten wundsituation, eine vorbereitung der verlegung mit kontaktierung der weiterversorgenden klinik und ein transport über ein nicht-öffentliches verkehrsmittel, sprich mindestens über den krankentransport erfolgen müssen.

um solche fälle korrekt zu beurteilen, gehört dir aber ein facharzt zur seite gestellt. eigenmächtiges arbeiten in der ambulanz als jungassistent ist offensichtlich kein tragbares weiterbildungsmodell und auch nicht der weg eine suffiziente patientenbehandlung zu garantieren.

WackenDoc
16.10.2019, 17:35
Du bist da offenbar heillos überfordert und ein Anfänger gehört (deswegen) auch nicht alleine in die Ambulanz. Normalerweise lernt man irgendwo auf ner Station "laufen"- da liegen die Patienten erstmal trocken und warm und man kann mal nachfragen. Wenn man was vergessen hat, fällt es früher oder später auf und meist kommt es nicht zu irgendwelchen schwerwiegenden Folgen. dafür hat man ja das sicherheitsnetz um den Anfänger.

Ja, das passiert, dass man was übersieht oder was nicht bedenkt, wenn man 1. Anfänger ist und 2. allgemein überfordert. Das Gefäß hast übrigens auch nicht du lädiert, das war vorher schon kaputt. Hört sich an wie ne KoPlaWu- da blutet es schnell recht heftig. Und ja, in dem Fall wäre auch ein RTW oder KTW (ist aber auch abhängig von den Gegebenheiten bei euch) gerechtfertigt gewesen. Eine KoPlawu (ode rsonstige "normale" Wunde) solltet ihr in einer Chirurgie schon versorgt bekommen. Ihr schneidet ja auch Menschen auf und macht das Loch wieder zu.

Und noch ein Rat: Man soll zwar die Meinung der Pflege respektieren bzw. sich deren Meinung anhören. Aber auf keinen Fall blind vertrauen. Es ist DEINE Approbation und im Zweifel wird sich die Pflege nicht erinnern dir irgendwas gesagt oder geraten zu haben.

LisaLisa
16.10.2019, 17:37
Wir sind eine allgemchirurgische Ambulanz. Und bei uns unterschreibt man, dass man sozusagen "akzeptiert" dass es bei uns im Haus keine Unfallchirurgie gibt und wir empfehlen ein anderes Krankenhaus aufzusuchen.

Für die Schwester war es kein direkter "Notfall" und sie sagt der Pat. auch, dass sie bestimmt länger warten müsse, wenn wir auf den Krankentransport warten. Für die Pat. war das okay, sie wurde von ihrer Arbeitskollegin abgeholt.
Ich bin jedoch nicht in der chirurgischen Facharztausbildung sondern mache Allgemeinmedizin und konnte dann im Anschluss mit niemandem darüber reden, einfach weil keine Zeit war.

Man arbeitet nicht alleine, es ist immer ein Facharzt dabei. Aber der ist oft unterwegs im Haus, man ruft ihn an und bespricht etwas oder er kommt dann persönlich vorbei, was leider nochmals eine Verlängerung der Wartezeit für die Patienten bedeutet.
Ist das bei euch anders? Dass man als junger Arzt nicht alleine in der Ambulanz sitzt?

Eines habe ich jedenfalls gelernt. Ich lasse keinen Patienten mehr ohne Rücksprache mit dem FA die Ambulanz verlassen. Ich muss an meiner Stressresistenz arbeiten.

Feuerblick
16.10.2019, 17:48
Selbst wenn der Patient dann länger warten muss... better safe than sorry, oder? Solange sie in eurem Wartezimmer wartet, bekommt wenigstens wer mit, wenn sie kollabiert...

Und in einer allgemeinchirurgischen Ambulanz sollte doch irgendwer (im Zweifelsfall der FA) eine Kopfplatzwunde suffizient versorgen können. Das ist ja kein unfallchirurgisches Special.
Ergo: Nächstes Mal den FA draufschauen (!) lassen. Wenn der dann der Meinung ist, er kann es nicht behandeln (was mich wundern würde), dann meinetwegen weiterschicken. Aber mit qualifizierter Betreuung. Denn wer eine blutende Kopfplatzwunde hat, hat sich sehr wahrscheinlich den Kopf ordentlich gestoßen und kann deshalb und weil nicht jeder damit klarkommt, wenns blutet, auch mal schnell Kreislauf bekommen. Wäre blöd, wenns im Taxi oder im Auto der Kollegin passiert.

Trendafil
16.10.2019, 18:10
Das mit der Warterei ist eine Ausrede.

Du scheinst noch ordentlich überfordert zu sein, was weder verwunderlich, noch eine Schande ist.
Ich an deiner Stelle, würde mich an den Weiterbildungsbeauftragten wenden und das kommunizieren, bevor du das nächste mal ein SHT übersiehst und mit dem Rollator heimgehen lässt. undokumentiert versteht sich...

Und noch etwas: Schwestern sind Fachpersonal für Pflege. Es ist in letzter Instanz immer noch deine Expertise gefragt, um die Situation adäquat zu beurteilen. Und wenns nur das Urteil "ich brauche Hilfe" ist. Schwester Hilde muss am Ende nicht ihren Kopf hinhalten. Sondern du.

LisaLisa
16.10.2019, 18:12
Ja ihr habt Recht, danke. So wird mir das nicht mehr passieren und ich habe daraus gelernt. Jetzt hoffe ich einfach nur, dass die Patientin auch gut im anderen Krankenhaus angekommen ist und versorgt wurde. Werde morgen mal in die Akte blicken.

Die Pat. ist nicht auf den Kopf gestürzt, sondern hat sich "nur" das Bein angeschlagen an einer spitzen Treppe. Wäre sie auf den Kopf gefallen hätte ich ganz andere Maßnahmen ergriffen.

Feuerblick
16.10.2019, 18:13
Man lernt aus seinen Fehlern. War ja zum Glück kein lebensbedrohlicher Zustand.

LisaLisa
16.10.2019, 18:20
Ja, hoffentlich. Es stresst mich nur noch immer so dass mein Tag schon längst gelaufen ist.

Feuerblick
16.10.2019, 18:26
Das gibt sich. Am Anfang geht es jedem so. Zumindest mehr oder weniger - je nach Temperament...

morgoth
16.10.2019, 18:31
Sieh den heutigen Stress ruhig auch unter dem positiven Teilaspekt, dass du zumindest noch spürst, dass in diesem (Einzel-)fall etwas nicht optimal war.

WackenDoc
16.10.2019, 18:48
Lern halt draus, mach es das nächste Mal besser.

Das mit dem ständig drüber nachdenken sollte sich mit der Zeit bessern. Aber besser so als ein Kollege der meint er könnte alles perfekt und dem alles wurscht ist.
Such dir aktiv Ablenkung von der Arbeit. Und sei es dass du irgendeine hirnlose Spieleapp aufs Handy ziehst und erstmal ne Stunde virtuell Gemüse erntest.

LisaLisa
16.10.2019, 21:06
Danke euch :-))

WackenDoc
16.10.2019, 21:12
Was auch helfen kann, ist ein Ritual, wenn du die Klinik verlässt. Das kann etwas ganz kleines sein wie z.B. bewusst Hände waschen und desinfizieren. Oder einen kleinen Stein, den du den Tag über im Kittel hast und dann vorm Verlassen der Klinik irgendwo hinlegst...