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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ehrliche Erfahrungen spätes Zweitstudium / Assistenzarztzeit



neuhier
19.12.2019, 19:34
Hallo zusammen,

ich habe das Forum schon gründlich durchforstet, habe aber noch keinen Post gefunden, der mir meine Frage (hoffentlich) beantworten kann. Vielen Dank jetzt schon einmal fürs Weiterlesen :-).

Und zwar ginge es mir darum zu verstehen, wie das Zweitstudium, aber besonders die Assistenzarztzeit als "späterer" Einsteiger ist (ich wäre bei Studienbeginn 25). Hier sind sicherlich auch einige ältere Studenten, was ich toll finde; aber nachdem ich in meinem jetzigen Job auch schon in gewisser Weise Verantwortung habe und "Leute unter mir", frage ich mich, wie es ist, nach so einem langen Studium nochmal ganz unten anzufangen. Sind die Hierarchien wirklich so schlimm? Wie empfindet ihr das?

Kurz zu mir:

Ich habe ein Studium der Betriebswirtschaftslehre (Bachelor sowie Master im Ausland) abgeschlossen, und nach dem Master meine erste Stelle angetreten. Das Studium habe ich mir nicht ausgesucht, sondern es wurde mir vorgeschrieben. Mein damaliger Studienwunsch war Psychologie. Grundsätzlich hat mir schon immer in der BWL widerstrebt, das es nur um Geldmachen geht, und der Mensch relativ weit im Hintergrund steht. Insgesamt würde ich mich als sehr empathische, nachdenkliche und kommunikative Person beschreiben.

Folgende Punkte zerbrechen mir aktuell den Kopf (schon seit geraumer Zeit, es ist echt anstrengend):

-Ich habe nach dem Abi Medizin nie in Erwägung gezogen. Ich hatte zwar Bio - LK, musste dafür aber ordentlich büffeln und hatte dementsprechend auch weniger Spaß daran, denke ich. Die Idee kam im Endeffekt aus einer Unzufriedenheit in meinem aktuellen Job, und weil ich oft neidisch auf den Job und die Leute waren, die ihn ausüben. Obwohl ich mich prinzipiell in einem Büro-Job wohlfühle, widerstrebt mir der Gedanke, um jeden Preis nur egoistisch zu denken, und dass eine soziale Komponente sogar eher ein Nachteil ist. Wenn ich drüber nachdenke, kommt mir der Job auch einfach sinnlos vor.

-Ich habe mich im Studium sehr gestresst bezüglich Klausuren und Prüfungen; und mein Leben wirklich viel hinten angestellt. Ich versuche das gerade zu verbessern, da ich im Studium (wenn es soweit käme) auch in einem Alter wäre, wo ich einen Partner / Kinder anstreben würde. Ich habe natürlich Angst, dass mir das in einem neuen Studium wieder passieren würde. Kinder möchte ich zu 100%. Wie empfandet ihr das Studium im Nachgang?

-Das Thema Motivaton. Wie für jeden Studiengang gibt es die unterschiedlichsten Motivationen für Humanmedizin. Was meint ihr ist das Wichtigste, um in dem Feld glücklich zu werden? Naturwissenschaftliches Interesse habe ich zwar schon, aber es ist nicht mein Leben o.ä. Im Studium war ich noch unheimlich motiviert, idealistisch und diese große Motivation ist mir jetzt schon abhanden gekommen im Job.

-Der Job selbst: In meinem jetzigen Bereich habe ich nicht die Motivation "die große Karriere" hinzulegen; dafür ist die Sinnhaftigkeit des Jobs bei mir einfach nicht gegeben. Gleichzeitig habe ich echt Sorge, dass mich der Arztberuf zu sehr mitnehmen würde. Ich würde mich von der Persönlichkeit so sehen, dass ich "nett" bin und schwer Nein sagen kann.

Ich würde mich wirklich sehr über eine paar Antworten von dem ein oder anderen "Oldie" freuen. Ich weiß, einige Punkte überschneiden sich sicherlich mit anderen Forenbeiträgen, aber mir ginge es einfach nochmal um eine andere, ehrliche Perspektive. Denn klar, die Vorstellung nochmal zu studieren ist toll, aber wenn ich dieses Studium auf mich nehme, möchte ich mir schon sicher sein, dass es zu einer erheblichen Verbesserung meiner Zufriedenheit beiträgt.

Vielen Dank,

neuhier

milz
19.12.2019, 21:11
"Grundsätzlich hat mir schon immer in der BWL widerstrebt, das es nur um Geldmachen geht, und der Mensch relativ weit im Hintergrund steht." - Das ist in der Medizin doch mittlerweile nicht anders.

neuhier
20.12.2019, 13:13
@milz: Vielen Dank für die Antwort. Einen Zustand, von dem man ja immer wieder hört..

Was ist denn dein Hintergrund? Bist du aktuell Assistenzarzt? Kannst du vielleicht konkrete Beispiele nennen, wie das im Alltag abläuft? Ich habe bis jetzt nur ein kurzes Praktikum in einer Arzpraxis gemacht; da habe ich das allerdings nicht so wahrgenommen.

Feuerblick
20.12.2019, 13:28
Tja... im Krankenhaus: Liegezeiten werden nicht durch die Krankheit gesteuert sondern auf Grundlage von DRGs (so zumindest der Wunsch der Führungsetage). Ein Krankenhaus, das rote Zahlen schreibt, ist ein schlechtes Krankenhaus. Personal wird bis zum Maximum eingespart, Überstunden nicht bezahlt oder nicht durch Freizeit ausgeglichen. Und da zähle ich noch nicht die Überstunden mit, die irgendwelche Kollegoiden aus welchen Gründen auch immer gar nicht erst dokumentieren. Viele Dienste, viel Stress, zu viel Arbeit für zu wenig Leute.

In der Praxis: Alles muss sich rechnen. IGeL müssen verkauft werden. Scheine müssen gemacht werden. Zeit pro Patient sinkt, Anzahl der Patienten steigt. Nicht wenige Praxen spezialisieren sich auf finanzoptimiertes Arbeiten.
(Ja, ich weiß, es gibt Ausnahmen und es ist auch kein Muss, aber leider passiert genau das).

Das nur mal in Stichworten... Ansonsten empfehle ich das Assistenzarztforum. Da steht alles, was man wissen muss zur Situation von Ärzten im deutschen Gesundheitswesen.

Heerestorte
20.12.2019, 13:55
@milz: Vielen Dank für die Antwort. Einen Zustand, von dem man ja immer wieder hört..

Was ist denn dein Hintergrund? Bist du aktuell Assistenzarzt? Kannst du vielleicht konkrete Beispiele nennen, wie das im Alltag abläuft? Ich habe bis jetzt nur ein kurzes Praktikum in einer Arzpraxis gemacht; da habe ich das allerdings nicht so wahrgenommen.

Beispiel:
Patient liegt stationär und hat eine asymptomatische Cholezystolithiasis.
Wird entlassen und dann elektiv nach sechs Wochen die Gallenblase rausgemacht.
Und wieso wird gewartet? Weil man erst nach 6 Wochen (wenn ich mich recht erinnere) einen neuen Patientenfall für den Patienten abrechnen kann.

rafiki
20.12.2019, 14:32
Beispiel:
Patient liegt stationär und hat eine asymptomatische Cholezystolithiasis.
Wird entlassen und dann elektiv nach sechs Wochen die Gallenblase rausgemacht.


Genau das steigert auch die Kosten: "liegende" asymptomatische "Patienten", die oft unnötigerweise operiert werden (damit chirurg. Assis ihre Kataloge vollkriegen).

Miss_H
20.12.2019, 14:43
Genau das steigert auch die Kosten: "liegende" asymptomatische "Patienten", die oft unnötigerweise operiert werden (damit chirurg. Assis ihre Kataloge vollkriegen).
Wer schon mal stationär lag ist doch nicht asymptomatisch?! Da müssen die Schmerzen oder die Entzündungswerte so gewesen, dass man eine Aufnahme rechtfertigen kann.

Und wieso passiert das im symptomfreien Intervall? Schon mal so eine fies entzündete Gallenblase operiert? Höhere Gefahr der intraoperativen Ruptur, höhere Gefahr von Inssufizienzen um nur 2 zu nennen.

Manche Dinge sind tatsächlich medizinisch gegründet und nicht nur aus monitären Gründen. Aber das kann man nicht alles wissen und lernt man häufig erst wenn man länger in einem Fachbereich tätig ist.

Edit: Vielleicht nicht richtig verstanden. Wer wirklich asymptomatische Patienten operiert, der ist ziemlich doof. Eine gute Anamnese ist wichtig. Häufig haben die "asymptomatischen" Patienten allerdings doch schon seit Jahren rezidivierende Oberbauchschmerzen.

neuhier
21.12.2019, 18:16
Vielen Dank schonmal für die rege Beteiligung.

Grundsätzlich würde mich aber noch mehr interessieren, was eure Erfahrungen bei Medizin als Zweit bzw. Späten Studium waren? Habt ihr es bereut eventuell aus einem Job rausgegangen zu sein und nochmal „von null“ anzufangen? Habt ihr das Studium in Regelstudienzeit geschafft oder hat es (wie es ja gern von der Politik gesagt wird) bei euch länger gedauert? Welche Fachrichtungen bzw Wege stehen einem vielleicht als „Oldie“ nicht mehr offen? Ist das lernen / die Dienste in höherem Alter gleich gut zu schaffen wie ein Studium / die Arbeit früher?

Ganz besonders würde ich mich gern mit jemandem austauschen, der auch aus einer sehr fachfremden Richtung kommt bzw früher was ganz anderes gemacht hat. Gern auch per PN.

Vielen Dank,

neuhier

24
24.12.2019, 17:49
Ich bin noch im Zweitstudium und bisher bereue ich den Schritt nicht.
Das lernen fällt mir nicht schwerer als im 1. Studium, es ist zum Glück etwas entspannter. Allerdings gibt es durchaus Überschneidungen, das macht das Ganze nochmal einfacher.
Der größte Unterschied ist wohl, das ich jetzt zwei Kinder habe und der organisatorische Aufwand damit ziemlich gestiegen ist, weil Kinder irgendwie immer im unpassendsten Augenblick krank sind [die Uni ist aber sehr entgegenkommend und die Rahmenbedingungen damit optimal].
Aus der Regelstudienzeit bin ich schon raus, weil mein Kind bei Studienbeginn erst 3 Monate war und ich gern möglichst viel Zeit mit ihm verbringen wollte. Prinzipiell wäre es aber wohl bisher keinProblem gewesen.
Aktuell brauche ich ca. 20h/Woche fürs Studium; ich besuche grundsätzlich nur Pflichtveranstaltungen.
Finanziell...jo geht so. Wir bekommen Wohngeld, ab September arbeite ich wieder 15h/Woche. Es geht prinzipiell schon ganz gut, trotzdem war der Sturz von 2 VZ-Gehältern (von denen meines deutlich besser war) ziemlich hart für mich.
Edit: ich bin schon deutlich älter als du und trotzdem gibt es noch einige Ältere.

neuhier
25.12.2019, 14:24
@24: Danke für deine Nachricht! Darf ich fragen in welchen Semester du bist und was du vorher studiert hast?

Kinder habe ich aktuell keine, das wäre also zumindest momentan kein „Problem“. Bist du mit einer konkreten Vorstellung welchen Facharzt du machen möchtest in das Studium gegangen? Das ist ein Punkt, an dem ich mich noch etwas aufreibe... ich weiß nicht ob man als Zweitstudent schon eine klarere Idee haben sollte - in meinem ersten Studium hatte ich nämlich von Tuten und Blasen keine Ahnung!

Wenn es soweit ist mit Diensten etc. würde mich das auch sehr interessieren, wie das bei dir läuft! Viel Erfolg weiterhin bei deinem Studium :).

-neuhier

WackenDoc
25.12.2019, 15:16
Das mit der Fachrichtung ergibt sich in den meisten Fällen im Studium. Nur die wenigsten wissen vorher, welchen Facharzt sie machen wollen und machen den dann auch.

24
25.12.2019, 17:29
.weg.

neuhier
01.01.2020, 21:38
Hallo zusammen,

Guten Rutsch erstmal!

@WackenDoc, aber auch ganz generell an alle: da das hier ja die „Oldies“ sind würde ich gern noch wissen, was der ein oder andere vorher gemacht hat bzw. wie ihr wusstest, dass die Medizin das Richtige für euch ist. Woher wusstet ihr, dass ihr den richtigen Schritt geht?

Gerne auch von jemandem, der vorher etwas fachfremdes gemacht hat.

WackenDoc
02.01.2020, 09:22
Mein Beitrag ist unabhängig von Oldie oder nicht. Einfach eine allgemeine Erfahrung. Ich bin kein Oldie, wollte nur auf deine Frage antworten.

belanglosigkeiten
02.01.2020, 10:09
Gerne auch von jemandem, der vorher etwas fachfremdes gemacht hat.

Vor dem Studium habe ich einige Semester etwas Medizinfernes gemacht. Trotzdem war ich (dank G8) bei Studienbeginn noch jung, aber eben auch nicht mehr ganz roh. Melde dich gern per PN. :)