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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Einsatz: Patientenverfügung vs. Vorsorgevollmacht



SkYSkYSkY
31.12.2019, 12:22
Liebe Kollegen,

ich hatte vor Kurzem einen Einsatz, über den ich noch viel nachdenke. Mich würde interessieren, wie ihr euch als "alte Hasen" verhalten hättet.

Einsatz Morgens 4 Uhr, Nachforderung bei Luftnot. Bei Eintreffen seht ihr einen 83-jährigen Patienten im Bett liegend, A frei, B mit SpO2 um 85%, Cheyne-Stokes Atmung, wirkt nicht atemnötig, C mit RR um 90/60 mmHg, wach, reagiert auf Ansprache mit Blickwendung zur entsprechenden Seite, gibt nur unverständliche Laute von sich, bei Schmerzreiz Beugeabwehr, Temp. und BZ in Ordnung.

Die Kollegen NFS haben euch nachgefordert, weil die anwesende Ehefrau eine Krankenhauseinweisung ablehnt. Es gibt eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht.

In der Patientenverfügung stehen die üblichen, allgemeinen Formulierungen a "Wenn ich mich in einem unabwendbaren Sterbeprozess befinde ...". Aber eben auch etwas wie "Wenn meine Erkrankung potentiell reversibel ist und Aussicht auf Heilung besteht, möchte ich eine medizinisch notwendige und sinnvolle Behandlung".

In der Vorsorgevollmacht ist die Ehefrau, der Sohn und die Stieftochter angegeben.

Die Ehefrau gibt an, dass ihr Ehemann auf keinen Fall mit ins KH wollen würde. Sie hatten ein schönes Leben und wenn er nun gehen muss, dann ist das eben so. Der Ehemann leide an Demenz, sie pflege ihn seit 5 Jahren.
Auch wenn die Erkrankung möglicherweise reversibel sein könnte und er in den nächsten Stunden und Tagen sonst versterben könnte, würde er nicht mit ins KH wollen.

Die telefonische Nachfrage beim Sohn ist ebenfalls sehr klar. Der Vater würde auf keinen Fall mit ins KH wollen.

Wie würdet ihr euch verhalten? Die Patientenverfügung ist hier wie fast immer nicht ganz klar. Vor Ort ist nicht zu klären, welches Problem der Patient genau hat und ob es möglicherweise reversibel ist. In diesem Falle würde der Patient sich eine Behandlung gemäß Patientenverfügung wünschen. Die Vorsorgevollmacht hat ja eigentlich den Zweck, die in der Patientenverfügung hinterlegten Wünsche durchzusetzen bzw. zu entscheiden, wenn die Patientenverfügung nicht zutrifft. Auf der anderen Seite sind sich die beiden Bevollmächtigten sehr klar einig, was der Wunsch des Patienten wäre.

Ich danke euch für eure Meinungen.

Rettungshase
31.12.2019, 12:50
Erklärt die Grunderkrankung diese Sättigung?
Wieso wurde überhaupt der Rettungsdienst verständigt?

WackenDoc
31.12.2019, 12:53
Bei solchen Einsätzen kannst du nur verlieren, egal wie du dich entscheidest. Es wird immer ein komisches Gefühl zurück bleiben.
Wichtig wäre- was ist dein Bauchgefühl und ich würde mein Team nach ihrer Meinung fragen.

Versuchen rauszufinden, was den Zustand verursacht haben könnte- Fieber? RGs? Exsikkose? rhythmusstörungen? Medikamentenverwechslungen?
Sonstige Daten sammeln- Entlassungsberichte aus dem Krankenhaus? Vorerkrankungen/Medikamente?
Doch irgendwie versuchen, mit dem Patienten zu kommunizieren. Vielleicht schafft man es mit etwas O2 auf der Nase.

Von wann ist die Patientenverfügung überhaupt?

Kackbratze
31.12.2019, 13:49
Warum wurde dann der Rettungsdienst gerufen? Oder kam die Anfrage ob man was "zur Beruhigung" geben sollte?

Ein solcher Einsatz hat immer ein Geschmäckle, egal wie man es regelt. Ich hätte den Patienten nicht eingepackt und alles sauber dokumentiert. Inklusive der damit unnötigen Alarmierung.

Wie ist der Einsatz ausgegangen?

SkYSkYSkY
31.12.2019, 14:00
Erklärt die Grunderkrankung diese Sättigung?
Wieso wurde überhaupt der Rettungsdienst verständigt?

Als Grunderkrankung ist ein Z.n. Herzinfarkt mit Stenteinlage vor ein paar Jahren bekannt. Außerdem war er mal wegen einer Zystitis im Krankenhaus. Eine Demenz war noch bekannt. Also nein, nicht wirklich.

Der Patient war nach der Mobilisation durch die Ehefrau "weggesackt". Das war der Grund für die Alarmierung.



Wichtig wäre- was ist dein Bauchgefühl und ich würde mein Team nach ihrer Meinung fragen.

Versuchen rauszufinden, was den Zustand verursacht haben könnte- Fieber? RGs? Exsikkose? rhythmusstörungen? Medikamentenverwechslungen?
Sonstige Daten sammeln- Entlassungsberichte aus dem Krankenhaus? Vorerkrankungen/Medikamente?
Doch irgendwie versuchen, mit dem Patienten zu kommunizieren. Vielleicht schafft man es mit etwas O2 auf der Nase.

Von wann ist die Patientenverfügung überhaupt?


Die Patientenverfügung war so 2-3 Jahre alt. BZ war bei 15 mmol/l, Fieber hatte er nicht, die Lunge war auskultatorisch frei. Ein bisschen exsikkiert war er, die Kollegen hatten schon vor unserem Eintreffen eine Infusion mit 500 ml angehangen. Diese war dann komplett reingelaufen, an dem Zustand hat sich aber nichts geändert. Der Puls war peripher recht kräftig tastbar, aber unregelmäßig.

An Entlassungsbriefen nur der nach Stenteinlage bei MI vor ein paar Jahren und einmal wegen einer Zystitis. Medikamente nur das Übliche. Eine Demenz war noch bekannt.

Da die Aussagen der Angehörigen bzgl. der Ablehnung der Krankenhausaufnahme so klar waren, bin ich ehrlich gesagt mental relativ schnell in die palliative Schiene gerutscht. Mein Team war der gleichen Auffassung. Das mit der Sauerstoffgabe haben wir leider nicht versucht. Ich dachte in der Situation, dass ich vor Ort sowieso keine zielführende Therapie machen kann, wenn der Patient nicht mit ins KH möchte. Ich bin eher von etwas zentralem ausgegangen. Auch ein EKG haben wir nicht geschrieben, da ich dachte, es hat sowieso keine Konsequenz. Selbst wenn er ein neues Vorhofflimmern oder einen Infarkt gehabt hätte, die Krankenhausaufnahme wurde ja abgelehnt. Im Nachhinein habe ich aber ein schlechtes Gefühl. Ich denke, wir hätten genauer Diagnostik machen sollen inkl. EKG. Wir haben der Frau empfohlen, gleich am Morgen den Pflegedienst kommen zu lassen und den KV-Notdienst nochmal gucken zu lassen. Außerdem könne sie uns bei scheinbaren Schmerzen oder Luftnot jederzeit wieder anrufen.

SkYSkYSkY
31.12.2019, 14:01
Warum wurde dann der Rettungsdienst gerufen? Oder kam die Anfrage ob man was "zur Beruhigung" geben sollte?

Ein solcher Einsatz hat immer ein Geschmäckle, egal wie man es regelt. Ich hätte den Patienten nicht eingepackt und alles sauber dokumentiert. Inklusive der damit unnötigen Alarmierung.

Wie ist der Einsatz ausgegangen?

Wir haben ihm am Ende 10 mg Morphin s.c. gegeben und haben ihn zu Hause gelassen. Aber wie gesagt habe ich immer noch Bauchschmerzen. Habe sogar überlegt, mir nochmal das Protokoll mit der Telefonnummer der Ehefrau zu besorgen und nachzufragen wie es ausgegangen ist.

nie
31.12.2019, 14:11
Habe sogar überlegt, mir nochmal das Protokoll mit der Telefonnummer der Ehefrau zu besorgen und nachzufragen wie es ausgegangen ist.

Ich bin zwar keine Notärztin aber habe lange genug beim RD gearbeitet um dir davon nur dringend abzuraten.Schließe den Einsatz für dich ab. Du hast eine Entscheidung getroffen und damit musst du leben. Im Nachgang Patienten hinterhertelefonieren führt nur dazu, dass nie lernt sich abzugrenzen. Im Rettungsdienst wird man immer wieder suboptimale Entscheidungen treffen und wie meine Vorschreiber schon geschrieben haben, gibt es manchmal keine richtige Entscheidung.
Diese Erkenntnis und auch der Umgang damit gehört zur Notfallmedizin dazu.

Markus-HEX
31.12.2019, 15:49
Ich finde, du hast den Einsatz im Sinne des Patienten abgewickelt und konsequent durchgesetzt.

Wir haben letztendlich einen Patienten, der eine etwas schwammige PV (sind ja letztendlich doch alle) aufgesetzt hat, zusätzlich war der Patient so schlau, zusätzlich noch eine Vorsorgevollmacht auszustellen, um seinen Willen durchzusetzen.

Zusammengefasst haben wir einen 83 jährigen Patienten mit einer Demenz (ich gehe davon aus, dass im Vorfeld eine Pseudodemenz durch NPH ausgeschlossen wurde), der nun eine akute, lebensbedrohliche Verschlechterung seiner Gesundheit hatte.
Wirklich gesund war der Patient ja nicht ("Der Ehemann leide an Demenz, sie pflege ihn seit 5 Jahren."). Das Krankheitsbild der Demenz ist unumkehrbar und fortschreitend.
Die Familie ist sich einig, dass es dem Wunsch des Patienten entspricht, in einer solchen Situation nicht hospitalisiert zu werden - und dieses drücken beide in der Vorsorgevollmacht benannten Personen unabhängig voneinander aus. Einmal am Telefon, einmal direkt vor Ort, jedoch beides Male die Betonung auf den Willen des Patienten und nicht auf die eigene Wertevorstellung ("die Ehefrau gibt an, dass ihr Ehemann auf keinen Fall mit ins KH wollen würde" und "telefonische Nachfrage beim Sohn - der Vater würde auf keinen Fall mit ins KH wollen").

Auf welcher Basis will man den Patienten hier hospitalisieren? Mit einer nicht gewünschte (Über-)Therapie und die Mitnahme ins Krankenhaus gegen den Willen des Patienten (den er im Vorfeld beiden Vorsorgebevollmächtigten übereinstimmend und klar formuliert hat) hätte ich deutlich mehr Probleme.

Ich würde mich als Notarzt in einer solchen Situation mit den Angehörigen an den Tisch setzen, beide Wege (verbleib zu Hause, weitere Betreuung durch Hausarzt, bei Pneumonie ggf. noch antiinfektive Therapie, palliative Begleitung, Hospitalisierung, Intensivstation, ggf. Beatmung und Intubation, hohes Risiko für Delir mit erhöhter Letalität, Aggravierung der Demenz, Rückkehr in die häusliche Umgebung auch nach Rekonvaleszenz möglich, aber nicht sicher) skizzieren (am besten schriftlich, einfach auf einem Blatt Papier, dass ich mir an meinen Protokolldurchschlag tackere) - und dann noch mal fragen, ob es weiterhin dem Willen des Patienten entspricht, auch unter Inkaufnahme des Versterbens zu Hause zu bleiben - dann noch Hinweis auf KÄND, Möglichkeit des erneuten Notrufs, Hausärztliche Begleitung, bei Überforderung der Familie ggf. Aufnahme auf eine Palliativstation - wobei das meist Ad hoc schwierig ist.

Nur aus der Tatsache, dass ein Notruf erfolgt ist, abzuleiten, dass jetzt auch eine rettungsdienstliche Therapie und ggf. Krankenhausaufnahme erfolgen muss, ist nicht sinnvoll - der Notruf ist oft auch Übersprungshandlung bei akuter Überforderung.

Ich hätte in so einem Fall überhaupt kein Problem, so einen Weg zu gehen - im Frühjahr hatte ich eine ähnliche Situation, habe mich auch für eine palliative Begleitung zu Hause entschieden und noch während ich mit dem Hausarzt (Hausbesuch in einigen Stunden) telefoniert habe, ist der Patient verstorben - rückblickend auf das Jahr 2019 ist das ein Notarzteinsatz, den ich noch am besten in Erinnerung habe und aus dem ich mit einem wirklich guten Gefühl zurückgefahren bin.

Zu dem Thema auch passend:
https://www.spiegel.de/spiegel/a-684976.html

Shizr
31.12.2019, 16:55
Ich finde, du hast den Einsatz im Sinne des Patienten abgewickelt und konsequent durchgesetzt.
Das klingt für mich auch so.


Ich halte die Situation für mehr als eindeutig, nach allen Informationen, die du zur Verfügung hast, musst du davon ausgehen, dass der Patient keine Krankenhausaufnahme wünschen würde.
Diesen Wunsch haben wir zu respektieren.

Wenn die Angehörigen sich widersprüchlich geäußert hätten, okay, aber so...

Nach meinem Verständnis hast du hier im Sinne des mutmaßlichen Patientenwillens sowohl formal als auch medizinisch korrekt gehandelt.

Sebastian1
31.12.2019, 17:16
Schliesse mich dem Gesagten an. Das klingt schon kongruent, vor allem von zwei Angehörigen so bestätigt. Die exakten Ausformulierugen von Patientenverfügungen können gerade für den Laien - also die Mehrzahl der Patienten - schwierig sein.
Daher sind Vorsorgebevollmächtigte eine sinnvolle Sache.
Konfliktreicher wird es da eher, wenn die PV und der AZ des Patienten klare palliative Vorgehensweise bedeuten, die Bevollmächtigten aber "alles" fordern (dazu sind sie nämlich nicht da, sondern zur Durchsetzung des Patientenwillens, nicht ihres eigenen). Das lässt sch in der Regel aber auch durch Gespräche lösen.
Kurz: Ich hätte vermutlich ebenso gehandelt (symptomatische Behandlung vor Ort soweit möglich, dann belassen). Wenn die Tageszeit es ermöglicht ist es auch immer noch gut, den Hausarzt zu informieren/einzubeziehen.

WackenDoc
31.12.2019, 18:25
Die Entscheidung war sicher richtig. Das ein Zweifel bleibt, liegt an unserem Beruf.

Anrufen und nachfragen: Ich würde es wohl eher nicht machen. Andererseits- wenn es wichtig für dich ist, um damit abzuschließen- ich fände es jetzt auch nicht völlig pietätlos. Der Zwischenweg wäre die Todesanzeigen in der Tageszeitung durchzuschauen.

Pflaume
02.01.2020, 19:01
Ich finde wie alle anderen, dass du der Schilderung nach absolut richtig gehandelt hast und deine Unsicherheit und deine "Bauchschmerzen" nur deiner relativen Unerfahrenheit mit solchen Situationen geschuldet sind.

Es werden weitere Situationen kommen, unter Umständen auch noch kompliziertere, in denen nicht zwei Angehörige übereinstimmend ganz klar sagen, dass derjenige nicht ins Krankenhaus gewollt hätte, und bereit sind, dafür zu kämpfen.

Meine Haltung ist in solchen Situationen, dass *ich* versuche, nach den mir vor Ort bestehenden Möglichkeiten den mutmaßlichen Patientenwillen zu erforschen, und dann aufgrund der mir vorliegenden (ggf. limitierten) Informationen zu dem Schluß gekommen bin, dass das gewählte Vorgehen dem Patientenwillen entspricht. Die wesentlichsten Gründe, warum ich zu diesem Schluß gekommen bin, schreibe ich auf. Patientenverfügungen können einen Anhalt geben, schildern jedoch mangels konkreter Vorhersehbarkeit praktisch nie die jetzt aktuell wirklich bestehende Situation. Außerdem hat der BGH ja vor nicht zu langer Zeit geurteilt (https://www.test.de/Vorsorgevollmacht-und-Patientenverfuegung-Wie-Sie-rechtzeitig-Klarheit-schaffen-4641470-5392358/), dass Patientenverfügungen wie die von dir beschriebene meinem Verständnis nach auch den Richtern zu schwammig sind, um endgültige weisende Wirkung im konkreten Fall zu entfalten. Das beste Mittel, um den mutmaßlichen Patientenwillen zu erforschen und seine Entscheidung zu treffen, sind vor Ort vorliegende Arztbriefe zur Erfassung der aktuellen medizinischen Situation und ggf. vorausgegangener Entscheidungen des Patienten (z.B. für oder gegen PEG, für oder gegen eine OP) und das auf der Basis von vorliegenden bzw. aktuell erhobenen Befunden geführte Gespräch mit Menschen, die den Patienten länger kennen als du, sprich den Angehörigen, ggf. insbesondere Vorsorgebevollmächtigten. Auf Basis dieser dir vorliegenden Informationen triffst du deine Entscheidung, bzw. im Fall des Vorsorge-Bevollmächtigten ist der ggf. ja sogar weisungsbefugt. Meine entsprechende Dokumentation in solchen Fällen fußt immer auf:
- Aktuelles Problem (ggf. auf dem Boden von xy Grunderkrankung)
- Patientenverfügung liegt vor / liegt nicht vor /// Vollmacht liegt vor / liegt nicht vor. Ggf. Vermerk, dass Patientenverfügung nicht ausreichend konkret erscheint. Bin bezüglich dieser Dokumentation aber eher nachlässig
- Doku: Situation mit Angehörigen besprochen (konkret: Mit wem habe ich gesprochen). Ergebnis des Gesprächs: xy. -> Prozedere.
- Wie du siehst, wird hier mehrfach das Thema angesprochen "Warum wurde überhaupt der Rettungsdienst gerufen?". Genau das fragen Gutachter auch regelmäßig. Um die Sache abzurunden, kann man, wenn es nötig ist, kurz darauf eingehen. Sozusagen in der Form des ersten Satzes "

Akute Ateminsuffizienz / Cheyne-Stokes-Atmung seit xy. RD-Alarmierung durch Ehefrau, "Pat. scheint sich zu quälen". Hypoxie, Hypotonie. Pat. mit fortgeschrittener Demenz, Pflegefall seit >5 Jahren. Pulmo: Bds. frei. HT rein, kein Herzgeräusch. Keine Ödeme. Keine Exsikkose-Zeichen. Wirkt verlangsamt, unverständl. Laute, Blickwendung auf Ansprache. Weitere Verständigung mit Pat. selbst nicht möglich. Mit 2 der 3 Vorsorgebevollmächtigten (Ehefrau xy, Sohn XY) besprochen: Akut lebensbedrohliche Situation, nur durch KH-Behandlung wirksam zu beseitigen, Ursache und Erfolg unsicher. Übereinstimmende Aussage: Patient würde in dieser Situation def. keine stat. KH-Behandlung wollen, vorzeitiger Tod würde inkauf genommen. Handlungsmöglichkeiten / Prozedere aufgezeigt. Entscheidung: Palliative Situation, Bhdlg. vor Ort, kein Transport. Morphin s.c. Patient im Verlauf ruhiger, sPO2 stabil auf niedrigem Niveau. Ehefrau wird morgen Hausarzt kontaktieren.

Man kann dann noch so Dinge dokumentieren wie "Ehefrau traut sich weiteres Handling zu, ggf. KV-Notdienst oder erneuter Notruf", aber meistens ist diese Dokumentation übertrieben. *Ansprechen* würde ich die weiteren Möglichkeiten aber schon, die es gibt, wenn sich die Angehörigen überfordert fühlen, zusammen mit der Aussage, dass wenn der Rettungsdienst erneut kommt, der Patient dann aber (palliativ) wohl doch besser im KH aufgehoben wäre, wo man ggf. zeitnah auch auf Beschwerden reagieren / erneut Morphin geben kann. Ich erkläre je nach Situation auch, was weiter passieren kann, also dass z.B. längere Atempausen kommen können, dass auch mal Geräusche kommen können wie ein Röcheln, die aber nicht bedeuten, dass der Patient sich quält. Dass sie aber, wenn sie das Gefühl haben, dass er sich quält, natürlich jederzeit wieder anrufen können oder den KV-Dienst anrufen können. Und dass sie morgens auf jeden Fall den Hausarzt anrufen sollen. Dass sie bei Tod nachts den KV-Dienst (oder eben auch am nächsten Tag den HA) anrufen sollen.

Wenn man in so einer Situation zu einer Entscheidung gekommen ist, ist es günstig, die Sache rund zu machen, sowohl im Protokoll als auch gegenüber den Angehörigen. Die konkreten Worte und Begründungen, warum man (gemeinsam) der Meinung ist, dass dieses Vorgehen im Sinne des Patienten ist, dieses Besprochene verwenden die Angehörigen auch hinterher im Gespräch mit anderen Angehörigen. Die Angehörigen können ggf. ja auch gegenüber irgendwem in eine "Rechtfertigungs-"Situation kommen in dem Sinn "warum habt ihr Opa nicht ins KH bringen lassen". Wenn man die Gründe schön mit denen besprochen hat, hilft man ihnen und beugt Konflikten (die auch auf einen selbst zurückfallen können) schon im Vorfeld vor. Sehr oft äußere ich meine konkrete Unsicherheit / Nichtwissen bezüglich der möglichen Ursache und stelle ggf. mehrere Ursachen dar, die plausibel wären, aber dass man das endgültig eben nur im KH abklären könnte. Und dass man darauf *bewußt* verzichtet im Sinne des Patienten. Wenn man den Patienten zuhause läßt, kann man auch Dinge erwähnen, die z.B. gerade dagegen sprechen, ihn ins KH zu bringen: Z.B. Stress durch die Beförderung / fremde Umgebung, Gefahr von KH-Infektionen.

Ich würde mir in dem von dir geschilderten Fall wohl keine Transport-Verweigerung unterschreiben lassen ("gegen ärztlichen Rat"), sondern eher so dokumentieren, dass man gemeinsam zu der Entscheidung gekommen ist, dass dieses Handeln im Sinne des Patienten ist. Man kann es aber auch anders machen. Wenn man eine Vorsorgebevollmächtigte da hat, kann man der ja auch erläutern, dass der grundsätzliche ärztliche Rat eben die Behandlung im KH wäre, weil da zeitnah auf Bedürfnisse durch Fachpersonal reagiert werden kann, und sie einem sozusagen unterschreiben soll, dass das aber nicht gewollt ist. Ich hielte es in dem beschriebenen Fall nicht für angemessen.

Über meinen Schreibtisch gingen eine Zeitlang alle Arzthaftpflicht-Fälle und in die entsprechende Richtung gehende Beschwerden, die meinen Arbeitgeber erreichten, darunter auch (sehr selten) rettungsdienstliche Fälle. Falls doch mal ein Behandlungsfehler-Vorwurf kommt, macht man es gerade im Rettungsdienst den Gutachtern vom MDK, der Schiedsstelle oder (am Ende entscheidend) den gerichtlich bestellten Gutachtern leichter, das Prozedere des Notarztes wohlwollend zu betrachten, wenn im Protokoll Befunde erhoben und dokumentiert sind, weil diese paar Zahlen einfach das sind, was im Bereich der insgesamt ja eher rudimentären Rettungsdienst-Doku ein sichtbares Bild sorgfältiger Arbeit gibt. Blutzucker, Körpertemperatur, ggf. Anzeichen für Schmerzen erhoben zu haben und z.B. den Verlauf der sPO2 erhoben zu haben, macht dann auch glaubwürdig, dass man mit den Angehörigen wirklich über die akute Situation und was man weiß oder nicht weiß gesprochen hat. Als Internist habe ich gern ein EKG und hätte das wohl auch in dem Fall schreiben lassen, während ich ja eh eine Menge reden und schreiben muß, aber ich finde es nicht vorwerfbar, dass du es unterlassen hast. Wie du richtig sagst, hätte es keine Konsequenz gehabt, außer dass man auch dieses Ergebnis im Gespräch mit den Angehörigen hätte verwenden können.

Was nochmaliges Anrufen bei den Angehörigen angeht, finde ich es in dem Fall unnötig, weil dein Handeln eindeutig richtig war, aber machen kann man es, im Sinne einer freundlichen Nachfrage. Es wäre unter Umständen ja z.B. auch interessant zu wissen, ob sich die Angehörigen später mit der Situation doch überfordert gefühlt haben oder ob ihnen noch irgendwas anderes aufgefallen ist. Meine persönliche Abgrenzungs-Regel ist, dass ich solche Anrufe nur während der Arbeitszeit (also z.B. während einer Folgeschicht im NEF) mache. Ich halte mich mit solchen Nachfragen zurück, insbesondere, weil, falls mal doch was schiefgegangen sein sollte, so ein Anruf auch Angriffspunkte (in erster Linie emotional) bei den Angehörigen wecken könnte, aber erlebt habe ich es noch nicht. Aber im Rettungsdienst bekommt man ja sehr wenig Rückmeldung darüber, zu welchen Konsequenzen die eigenen Entscheidungen geführt haben. Ich finde, man lernt schon daraus, in bestimmten Fällen nochmal was zu hören. Wenn ich anrufe, begründe ich das auch genau so gegenüber den Angehörigen: Ich beginne das Gespräch damit, dass ich mich erkundigen wolle, was daraus geworden ist. Und ich beende das Gespräch mit der Erklärung, dass dies die einzige Möglichkeit für mich, auch eine Rückmeldung zu bekommen und ggf. auch meine Qualität zu verbessern. Ich wünsche dann alles Gute und tschüß. In der Form kommt das fast immer sehr gut an, und ich habe wirklich schon sehr interessante Rückmeldungen bekommen.

Insgesamt hast du den Einsatz bestimmt adäquat und eher übersorgfältig abgearbeitet und brauchst keine Bauchschmerzen deshalb zu haben!