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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Arbeit in einem Justizvollzugskrankenhaus



Relaxometrie
17.01.2020, 18:28
Beim Durchstöbern der Stellenanzeigen im Ärzteblatt bin ich auf eine Anzeige gestoßen (https://www.aerzteblatt.de/aerztestellen/anzeige/640002/Facharzt-fuer-Innere-Medizin-(w-m-d)-oder-Assistenzarzt-fuer-Innere-Medizin-(w-m-d)-in-fortgeschrittener-Weiterbildung-Asperg-Innere-Medizin-Innere-Medizin?stellenFunktion=2), in welcher Ärzte für das Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg (Baden-Württemberg) gesucht werden. Klaro.....in einer Stellenanzeige wird genauso gelogen, wie es die Chefs im Vorstellungsgespräch machen.
In der Anzeige heißt es aber "keine Zwänge durch Budgetierung und Controlling".
Weiß jemand von Euch Näheres über die Arbeit als Arzt in einem Justizvollzugskrankenhaus, und ob man dort wirklich "frei (oder zumindest freier, als in einem herkömmlichen Krankenhaus) von wirtschaflichen Zwängen" Medizin betreiben kann?

Salzi19
17.01.2020, 19:18
Also ich kann nur von der zahnmedizinischen Behandlung von Häftlingen berichten. Man darf nur das absolute minimum behandeln und das wird dann über eine Art krankenschein angerechnet.

WackenDoc
18.01.2020, 09:27
Kann sein, dass in einem Justizvollzugskrankenhaus mehr Zeit für den einzelnen Patienten ist aufgrund der besonderen Situation. Aber insgesamt mehr Geld für Behandlungen, Anschaffung von teuren Geräten etc. wohl eher nicht.

Es gibt immer wieder Berichte im Ärzteblatt, dass gerade die Behandlung von Sucht und Infektionskrankheiten wie HIV und Hepatitis grottig sein muss.

Dazu hast du ein richtig schwieriges, aber auch krankes Klientel.

h3nni
18.01.2020, 15:34
Dazu gabs erst diese Woche nen Artikel auf DocCheck (https://www.doccheck.com/de/detail/articles/24446-mein-patient-der-verbrecher)

Relaxometrie
19.01.2020, 08:57
@h3nni: Danke fürs Verlinken des Artikels, der natürlich die Zustände der Gefängnismedizin nicht in epischer Breite darstellt, aber ein paar interessante Aspekte werden aufgegriffen.

Heerestorte
19.01.2020, 13:55
Relativ frei von wirtschaftlichen Zwängen kannst du noch am ehesten in einem BWK arbeiten.

h3nni
19.01.2020, 14:07
DRGs habt ihr aber ja trotzdem. Es sind ja nicht 90% der Patienten Soldaten, eher andersrum.

Flughund80
19.01.2020, 14:10
Ich fände das sogar interessant schon aus sozialen Gründen- aber Du verzweifelst da sicher nach einiger Zeit an der Realität.

Heerestorte
19.01.2020, 14:29
DRGs habt ihr aber ja trotzdem. Es sind ja nicht 90% der Patienten Soldaten, eher andersrum.
Jo, das schon. Nur juckt das irgendwie niemanden :-))

erdbeertoertchen
19.01.2020, 19:47
Joe Bausch war Gefängnisarzt und beschreibt in seinen Büchern seinen Alltag. Das Klientel ist nicht einfach und man musst jederzeit damit rechnen eine Anzeige wegen Verleumdung, Fehlbehandlung etc. zu erhalten. Als Gefängnisarzt ist man Hausarzt und kann verbeamtet werden. Keine Budget Probleme glaube ich nicht, die Häftlinge sind normal Kasse versichert, wahrscheinlich wird man keine Regressprobleme bekommen.
https://www.amazon.de/Knast-Joe-Bausch/dp/3550080042

Pflaume
19.01.2020, 21:35
In meinem Suchtmedizin-Kurs war ein Internist, der nach ein paar Jahren als OA in einem mittelgroßen Krankenhaus in ein (baden-württembergisches) Gefängnis gewechselt hat. "Frei von wirtschaftlichen Zwängen" würde er wohl eher nicht unterschreiben - aus seinen Erzählungen hatte ich eher den Eindruck, dass es schwieriger ist, adäquate Therapie zu machen. Zwänge gibts zumindest, wieviel davon nun wirtschaftlich ist - keine Ahnung. Seine Sicht war, dass es im Gefängnis sehr viel um Macht geht, und das spiegelt sich bis in die Sprechstunde hinein. Unter seinen Patienten war ein sehr hoher Anteil Süchtiger, hoher Anteil Osteuropäer. Hohenasperg ist meines Wissens nicht einfach eine JVA, sondern das einzige (?) Gefängnis-Krankenhaus in Baden-Württemberg, d.h. dort gibt es so etwas wie stationäre Betten. Das Spektrum mag da nochmal anders sein.

Mich würde es da kein bißchen hinziehen.

Sicher sagen kann ich nur, dass die JVA Hohenasperg seit vielen Jahren regelmäßig alle paar Monate im Ärzteblatt inseriert. Es ist also nicht so, dass man sich sofort entscheiden müßte, das machen zu wollen. Wahrscheinlich suchen die in einem halben Jahr immer noch oder wieder.

Ein Aspekt, den ich in jegliche Überlegungen, im Gefängnis zu arbeiten, mit einbeziehen würde, ist die Tatsache, dass jeder der Patienten regelmäßige Erfahrungen mit dem Rechtssystem gemacht hat und außerdem wenig zu verlieren hat. Die Hemmschwelle, Unzufriedenheit über eine ärztliche Behandlung oder ärztliche Unkooperation mit den eigenen Wünschen ggf. rechtlich prüfen zu lassen, dürfte relativ gering sein. Das ganze Trara mit Prozesskostenhilfe und Schadensersatzklagen kennen die Jungs auch. Für mich sprechen die gleichen Argumente, die eine Tätigkeit für die Polizei als Blutproben-Entnehmer (für mich) unattraktiv erscheinen lassen, auch gegen eine andere ärztliche Tätigkeit im Justizsystem.

Zilia
19.01.2020, 22:26
@Relaxometrie:
Ja, Du unterliegst nicht den krassen DRG-Zwängen wie in einer "normalen" Praxis, sollst aber natürlich trotzdem wirtschaftlich arbeiten. Was Du an DRG-Sachen an Zeit sparst, wird aber garantiert durch die justizbedingte Bürokratie wieder eingeholt.
Man muss auch Justizvollzugskrankenhaus und Gefängnisambulanz unterscheiden, das ist schon ein großer Unterschied im Arbeiten.