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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Sinnkrise am Anfang der Klinik



Summoner1103
04.04.2020, 17:16
Hallo liebe Leute!
Leider muss ich mich hier mal melden, weil ich momentan ziemliche Zweifel hab. Das Physikum hab ich gut rumgebracht, aber da es jetzt auf die Klinik zugeht, habe ich echte Bedenken. Mir ist aufgefallen, dass ich Leuten glaub ich nie eine schwere Diagnose überbringen kann. Ich kann mich da emotional überhaupt nicht mehr davon loslösen; das war zu Beginn des Studiums nicht so. Außerdem finde ich es mittlerweile schlimm, was man alles für Erkrankungen bekommen kann. Mir geht's nicht um den Lerndruck oder den Stress. Manchmal ist es zwar hart oder viel, aber insgesamt voll ok. Bin auch bis jetzt immer gut durch alles durchgekommen. Ich hätte liebend gern Radio gemacht, kann mir aber mittlerweile nicht mehr vorstellen, jeden Tag von Kranken umgeben zu sein. Das macht mich auf Dauer glaub ich selbst krank...

Das Problem ist auch, dass ich mittlerweile schon 22 bin, schon von Zahnmedizin zu Medizin gewechselt hab, weil ersteres viel zu handwerklich war. Ich bereu den Schritt auch nicht, aber so langsam hab ich das Gefühl, dass mir die Zeit davonläuft. Ich will auch nicht ewig von meinen Eltern abhängig sein.

Lernt man mit dem Leid der Patienten besser umzugehen mit der Zeit? Gabs jemand von euch, der in einer ähnlichen Situation war? Bin momentan echt verzweifelt, was ich jetzt machen soll und wäre über jedes Feedback dankbar!

milz
04.04.2020, 17:54
Notfalls halt ein Laborfach (Labormed., Mibi, Patho) machen.

rafiki
04.04.2020, 18:33
Die Hirn- und Persönlichkeitsentwicklung ist mit 22 noch nicht abgeschlossen, es gibt also noch eine winzige Chance. :-blush

Summoner1103
04.04.2020, 18:54
OK, vielen Dank schonmal! Ja also an Labormedizin hatte ich auch schon gedacht. Es liegen eben auch noch auf jeden Fall 3 Jahre Studium, Famulaturen und PJ vor mir. Also ja schon noch ein langer Weg. Eventuell lerne ich ja noch damit umzugehen... Auch wenn es mir peinlich ist muss ich sagen, dass mich der bekannte Morbus Medicus auch erwischt hat!

@rafiki Wie darf ich das verstehen? Das ist ja positiv gemeint oder?

Aber wie ich es raushöre würdet ihr es auf jeden Fall durchziehen oder?

s4oksama
04.04.2020, 19:33
Das muss dir nicht peinlich sein; ich finde das per se auch überhaupt nicht schlimm. Bin selbst auch nur PJler und stand auch als männlicher Studi manchmal kurz vor den Tränen. Im Laufe der Zeit nimmt die emotionale Empfänglichkeit zwar erfahrungsgemäß ab, aber manche Menschen sind halt einfühlsamer als andere.

Aber ich kann dir natürlich nicht die Entscheidung zum Fortsetzen des Studiums abnehmen...

xenopus laevis
04.04.2020, 20:33
Ich bin eher das Gegenteil von dir. Jedoch gibt es so manches Schicksal, was selbst mir manchmal an die Nieren geht. Lerne zu differenzieren. Überlege dir ein paar Coping-Strategien.
Ich plane aktuell auch mit Radio, aber nur weil ich kein Bock habe auf "Sozialarbeiter". Gerade da, hat man doch menschlich echt genug Abstand. Mach deine Famu dort und überzeuge dich selbst.

Und 22 ist echt kein Alter. -.- Komm davon weg! Du wirst noch sehr lange Zeit Steuern zahlen dürfen.

Matzexc1
04.04.2020, 22:19
Aber wie ich es raushöre würdet ihr es auf jeden Fall durchziehen oder?

Ich würde dir dazu raten. Ich war 27 als ich anfing und bin 2x durch das mündliche Physikum gerasselt. Selbstzweifel kenne ich sehr gut.
Die emotionale Belastbarkeit steigt meiner Erfahrung nach mit der Zeit, ich hab eine abgeschlossene Krankenpflegeausbildung und dabei einiges abbekommen. Wichtig ist, dass du wie xenopius schon vorgeschlagen hat, Coping Strategien suchst. Bei mir war es das Reden mit Kollegen.
Falls alles nichts hilft: Es gibt sehr viele Fächer die weniger mit Katastrophennachrichten zu tun haben und sogar Möglichkeiten außerhalb des Krankenhauses Praxis:
- Beratungsfirmen
- Versicherungen
- Industrie

Als unklinisches Fach solltest du mal einen Blick auf Hygiene und Umweltmedizin werfen, Arbeitsmedizin ist auch eher entspannt.

davo
05.04.2020, 07:21
Also erstens einmal bist du mit 22 eh super jung. Bei meinen Kommilitonen waren die meisten, die direkt nach dem Abi angefangen haben, gleich alt wie du oder vielleicht ein Jahr jünger. Ist völlig irrelevant. Selbst wenn du fünf Jahre älter wärst, wär alles gut.

Zweitens: wie bist du da überhaupt draufgekommen? Am Anfang der Klinik hat man mit dem Überbringen schlechter Nachrichten ja eigentlich überhaupt nichts zu tun. Ich arbeite jetzt seit ein paar Monaten als Arzt und hab das bisher noch nie gemacht. Sollte ja im Normalfall eigentlich eher ein Facharzt machen.

Ich denk mir auch, dass man mit 26 vieles kann, was man mit 22 noch nicht konnte. Und auch, so traurig das ist, dass man durch das Medizinstudium etwas abstumpft. Ich wär also grundsätzlich zuversichtlich, dass dir das nach dem Studium nicht mehr so nahe gehen wird wie es vielleicht jetzt der Fall ist.

Und gerade bei Radio seh ich da ja echt überhaupt kein Problem. Du wirst wahrscheinlich weder in der Famulatur noch im PJ jemals jemandem eine schlechte Nachricht überbringen müssen. Insofern - völlig egal.

Mark_3559
05.04.2020, 07:28
Hey!

Mir ging es mal so ähnlich in Bezug aufs Operieren. Bis zum PJ hätte ich es nie für möglich gehalten, ne OP durchzuführen, ohne dabei wichtige Strukturen zu verletzen. Je öfter ich dann assistiert habe, desto mehr verschwanden die Zweifel.

In Bezug auf deine Situation hatte ich zwar nie wirklich Probleme, allerdings war das am Anfang der Klinik für mich auch ne andere Situation als mittlerweile. Wir hatten teilweise "Schlechte Nachrichten" Teachings, die wirklich hart waren, auch wenn du "nur" einer Schauspielpatienten erzählen musstest, dass ihr Kind gerade gestorben sei und sie daraufhin in Tränen ausbrauch.

Zusätzlich habe ich versucht jede Situation mitzunehmen, die mich emotional forderte. Ohne herzlos klingen zu wollen, es wird von Zeit zu Zeit leichter. Der Sinn der Sache war für mich grundsätzlich nie abzustumpfen, sondern meinen Patienten später emotional gefestigt zur Seite zu stehen und natürlich auch mich selbst zu schützen.

Abseits davon hat es mir sehr geholfen zu akzeptieren, dass manche Menschen in Bezug auf ihre Gesundheit einfach nur riesiges, riesges Pech haben. Das ist zwar scheiße, entspricht leider dennoch der Realität.

Wenn ich du wäre, würde ich mich fordernden Situationen aussetzen, wo ich nur kann. Speziell am Anfang mag das ein ziemlich beschissenes Gefühl sein. Du kriegst das hin!

WackenDoc
05.04.2020, 08:42
Man wächst da rein und man ist ja meist nicht alleine. Vielleicht hast du auch Glück und du findest später einen guten Mentor, von dem du lernen kannst.

Von diesem ganzen Schauspielzeugs halte ich nicht viel. Es sollte nur sehr gezielt genutzt werden. Weinen ist bei sowas einfach. Das ist die erwartete Reaktion. Ich hatte als Notarzt bisher eine Kinderreanimation und der pädiatrische Oberarzt hat den Eltern die Nachricht überbracht, dass sie nicht erfolgreich bar. Den "Einschlag" bei der Mutter und den folgenden Schrei- das kann kein Schauspieler simulieren.

Wenn du Famulaturen machst- frag ob du einfach dabei sein darfst. Für dich ist dann aber die Spielregel- guten Tag sagen, vom Arzt vorstellen lassen und ansonsten stumm da sitzen und es auf dich wirken lassen. HINTERHER mit dem Kollegen drüber sprechen, wenn der Bedarf da ist.

Summoner1103
05.04.2020, 12:24
Also vielen Dank für die ganzen Kommentare! Es hat gestern schon was gebracht diesen Frust/ die Zweifel einfach mal auszusprechen, diesen Rückhalt hier zu erfahren und ihr habt Recht. Man kann mit dem Studium so viel anfangen; da kann ich einfach schauen ob mir der Bereich gefällt und sonst immer noch auf Umweltmedizin/ Unternehmensberatung/ Gesundheitsamt/ Infektionsschutz etc. umsteigen!
Ich hatte irgendwie Panik, dass man jetzt in der Klinik schon quasi für alles rangenommen wird, aber zu hören, dass man da eher noch abgeschirmt wird und den Leuten keine schweren Diagnosen überbringen muss (außer eben bei dem Schauspielzeug), bin ich schon erleichtert. Ich kann eben mal im Hintergrund bleiben und es auf mich wirken lassen und wenn es mich doch zu sehr belastet gibt es ja zahlreiche Gebiete, wo man damit nicht umgehen muss. Das habe ich jetzt durch eure Kommentare gemerkt :-)

Mr. Pink online
05.04.2020, 13:09
Mach dir keine Sorgen. So richtig "ernst" wird es erst mit Arbeitsbeginn. Davor kommt es wirklich auf dich selbst an, inwieweit du dich in Famulaturen und PJ einbringst. So einschneidende Gespräche wie Überbringen schlechter Nachrichten wird aber in der Regel nicht dem Studenten überlassen. Mit dabei sein kannst du aber bestimmt. Davon abgesehen kann ich nur unterstützen was alle hier sagen: man wächst mit den Aufgaben. Und ansonsten gibt es genug Ausweichmöglichkeiten. Viel Erfolg.

Bonbonbon
11.04.2020, 22:04
Falls du aber mal die Gelegenheit hast bei solchen schwierigen Gesprächen dabei zu sein, nutz sie!
Ich denke, dass es immer Fälle gibt, die einem Näher gehen können als andere.
Und mit 26-30-32 guckt man wirklich anders auf viele Dinge. Mit jedem Tag mehr Erfahrung in der Klinik oder im Arbeitsleben auch...
Lass es einfach auf dich zukommen, schau links und rechts und letztenendes kann man ja die Fachrichtung oder das Arbeitsumfeld wechseln.

Echinococcus
14.04.2020, 08:36
Als klinisches Fach solltest du mal einen Blick auf Hygiene und Umweltmedizin werfen,)...

Na du bist mir ja ein lustiger Nasenbär :-))

Matzexc1
14.04.2020, 10:48
Na du bist mir ja ein lustiger Nasenbär :-))

Autocorrect vom Tablet:-oopss