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sascha88
06.05.2020, 10:12
Liebe Kollegen,

ich bin mal gespannt auf einen gewissen Input hier. Es gibt ein paar, wenige und ältere Vorbeiträge zu in etwa diesem Thema.

Bei mir geht es konkret um folgendes "Problem".

Ich bin im 4. Jahr und möchte zu 100 % Gefäßchirurg werden und

- habe erst den Common Trunk Chirurgie gestartet (ca. 1,5 Jahre)
- habe dann aufgrund frühzeitiger Bewerbung und Angebot ein Jahr in der Gefäßchirurgie verbracht
- nun bin ich vor einem Jahr wieder in die Viszeralchirurgie gewechselt, da mir noch die Rettungsstellen-Zeit für den Common Trunk fehlte, musste mich aber erst "gedulden" und habe so einige Monate viszeralchirurgisch gearbeitet

Nun stellt sich mir folgende Frage:

Da es mir in meinem jetzigen Haus Spaß macht und die Ausbildung, die gerade auch im technisch-operativen Bereich und der klaren Organisation gut ist, durchziehen zum FA Allgemeinchirurgie und danach dann noch die (mindestens) 3 Jahre zum Gefäßchirurgen dranhängen. Ich hätte dann 2 FA, wäre aber "uralt".

oder soll ich nachdem ich den Common Trunk nun fertig habe, stringent wieder in die Gefäßchirurgie zurück, wäre früher fertig, hätte eben den einen FA Gefäßchirurgie und würde mein jetziges Haus jetzt verlassen.


Wie gesagt, die Argumente, die mir auch Gespräche mit anderen Kollegen bringen:
Für Variante 1:

Diese technischen Fähigkeiten, die ich gerade erlerne, in der langsameren Gefäßchirurgie zu erhalten, dauert eben auch ewig oder sogar länger als wenn ich den Doppelfacharzt mache?
Aktuell gute Ausbildung, ggf. schnelleres, selbstständiges Operieren auch in der Gefäß, wenn ich da als FA Allgemeinchirurgie hinkäme
nach meinen Wechseln bisher wäre es sicher auch mal förderlich an einem Haus für eine längere Zeit zu bleiben, "solange es läuft, warum wechseln?"



Gegen Variante 1:

warum 2 Fachärzte, wenn man eh nur in einem arbeiten will
für den FA Allgemeinchirurgie muss man noch 1 Jahr auf die Unfall, was "verlorene Zeit" ist
die 3 Jahre, die es länger dauert zum FA Gefäß, wenn ich beide FA mache, könnte ich auch einfach in der Gefäß verbringen und damit dort wertvolle Erfahrungen machen


Es gibt nicht die Lösung, aber ich stelle das Thema sehr gerne zur Diskussion und erhoffe mir ggf. noch Argumente, die ich bisher nicht bedacht habe.

Vielen Dank schon mal

Jukka666
06.05.2020, 11:04
Hi!
Sehr spannend!

Ich bin zwar selbst kein Chirurg, wollte aber auch Mal Gefäßchirurg werden, Habe mich dann aber nach circa 1,5 Jahren aus verschiedenen Gründen in die Anästhesie orientiert und es nicht bereut.

momentan arbeite ich in einem Haus mit vielen allgemein- und Viszeralchirurgen.

Was meines Erachtens für den Facharzt für Allgemeinchirurgie spricht, ist doch oft die beeindruckende Art, vielfältige Operationen zu meistern, mit Kreativität, multiplen Lösungswegen und einem breiten Spektrum.
Du hast noch die Möglichkeit Zusatzbezeichnungen wie spezielle Viszeralchirurgie zu machen, damit eröffnen sich einem ganz neue Horizonte.

Was ich damit sagen will: wenn du den Facharzt für allgemeinChirurgie mal in der Tasche hast, glaube ich schon, dass du ein nicht ganz unwillkommener Gast auf dem Arbeitsmarkt bist.

Auf der anderen Seite, wenn du garantiert nicht in der Allgemeinchirurgie bleiben willst, ist das Nischenfach Gefäßchirurgie gefühlt sogar noch beliebter. Zumindest in meinem Haus und den anderen Häusern wo ich war, hat es immer an einem Gefäßchirurgen gefehlt.

Wegen der verlorenen Zeit würde ich mir keine Gedanken machen, erstens sind ein paar Jahre Ruckzuck um, du wirst in deinem Krankenhaus und auf dem Arbeitsmarkt immer beliebter werden mit fortschreitendem Alter.

was gegen einen Doppel-Facharzt spricht, ich habe bis jetzt noch keinen Kollegen getroffen, bei dem es letztenendes wirklich ausschlaggebend war. Den ausüben kann man es ja irgendwie dann doch nicht.

Zumindest nicht regelhaft. Relevant werden könnte es allerdings schon, wenn du große Aorten-Chirurgie machst, findest du dich natürlich im AbdominalRaum bei Komplikationen viel besser zurecht wenn du einige Jahre in der Viszeralchirurgie verbracht hast. Dafür glaube ich aber schon, dass du nicht nur am Tag der Facharztprüfung wieder kündigen solltest, sondern man müsste dann wirklich einige Jahre in der Viszeralchirurgie nach dem Facharzt arbeiten.
Also ich glaube kaum, dass dir das die Zeit wert sein wird.

Du schreibst, dass du gerade eine gute Ausbildung erfährst. Das ist eine Seltenheit im chirurgischen Bereich!

Ich würde allein deshalb schon erwägen, erst mal einige Jahre dazu bleiben wo du bist, denn so etwas kriegt man wahrscheinlich nicht schnell wieder und nutzt einem sicherlich fürs Leben.

Ich persönlich würde gefühlt einige Jahre investieren, und wenn du dann sowohl von den Zahlen als auch von den Zeiten nicht so entfernt vom Facharzt für Allgemeinchirurgie bist, diesen durchziehen.

anignu
06.05.2020, 23:44
Hallo erstmal. Und gute Entscheidung. Gefäßchirurgie ist ein tolles Fach, abwechslungsreich, spannend, extrem innovativ zur Zeit und aus meiner Sicht extrem relevant.

Ich bin "reiner" Gefäßchirurg und sehe das teils positiv teils negativ. Negativ klar, weil man sich mit offenen Bäuchen schwerer tut als die Kollegen der Viszeralchirurgie für die das Standard ist. Auf der anderen Seite ist mir das auch mehr oder weniger egal. Dann hol ich mir halt den Viszeralchirurgen dazu. Bricht mir kein Zacken aus der Krone. Ich selbst werde ja auch von anderen Fachrichtungen geholt wenn es um Gefäßproblematiken geht. Dann rufen die Gynäkologen an weil es irgendwo im Becken unten blutet, die Unfallchirurgen weil irgendwas verletzt wurde oder was auch immer. Man ist immer gefragt.

Positiv sehe ich daran, dass ich mich einfach auf "mein" Fach konzentrieren kann. Ich kann einfach nicht zu Hintergrunddiensten der Allgemeinchirurgen herangezogen werden, ich brauche mich nicht mit neuen Techniken dort beschäftigen usw. Die Gefäßchirurgie ist inzwischen mit der ganzen endovaskulären Versorgung so speziell geworden, dass man dort dringend auch am Ball bleiben soll und muss und damit hat man (oder zumindest ich und die meisten die ich kenne) letztlich keine geistigen Valenzen mehr um die anderen Sachen auf sinnvollem Niveau zu betreiben. Und das ist ja die Frage was man will: ich will in meinem Fach gut sein/werden. Als Gefäßchirurg. Dann hab ich halt keine Radiusverschraubung gemacht, keinen PFN und keine Sigmaresektion. Man kann nicht alles haben. Aber ich kann als Gefäßchirurg arbeiten.

Für kleinere Kliniken kann die Kombination Allgemeinchirurg/Gefäßchirurg attraktiv sein, weil man dich dann als Hintergrund Allgemeinchirurgie einsetzen kann und du aber trotzdem als Gefäßchirurg herhalten kannst. Aber willst du das? In so einer Konstellation ohne eine Minimalmenge an Gefäßchirurgie hast du auch das Problem dass du keinerlei sinnvolle Ausstattung bekommen wirst um Gefäßchirurgie auf einem Niveau zu betreiben wie es inzwischen sein sollte. Und Hybrideingriffe sind einfach mal inzwischen Standard. Versuch das mal vollkommen alleine irgendwo zu etablieren. Als einziger Gefäßchirurg in einem Kreiskrankenhaus. Und wenn du stattdessen in einer (reinen) gefäßchirurgischen Abteilung arbeitest ist denen vollkommen egal ob du Allgemeinchirurg bist oder nicht. Bekommst kein Fleißsternchen dafür.
Als reiner Gefäßchirurg kann man dich ja "nur" in einer Abteilung brauchen mit mindestens einer kritischen Masse an Gefäßchirurgen. Damit hat man den Vorteil dass es Kollegen gibt mit denen man sich austauschen kann, um die organisatorischen Probleme kann man sich gemeinsam kümmern etc. Und halt Gefäßchirurgie machen. Reine Gefäßchirurgie.

Jetzt zu deiner Vorteile/Nachteile-Liste:
Für Variante Allgemeinchirurgie:
Diese technischen Fähigkeiten, die ich gerade erlerne, in der langsameren Gefäßchirurgie zu erhalten, dauert eben auch ewig oder sogar länger als wenn ich den Doppelfacharzt mache? -> versteh ich nicht. Welche technischen Fähigkeiten meinst du? Dass du lernst Därme und Knochen zu operieren bringt dich in der Gefäßchirurgie weiter?
Aktuell gute Ausbildung, ggf. schnelleres, selbstständiges Operieren auch in der Gefäß, wenn ich da als FA Allgemeinchirurgie hinkäme -> wäre ich mir nicht sicher. Nur weil du Darm und Knochen operieren kannst kannst du noch lange nichts endovaskuläres und auch an Carotiden wird man dich erstmal nicht so schnell lassen. Du hast halt insgesamt Erfahrung mit Gewebe und Operationstechnik und wirst schneller eine Leiste freipräparieren können als ein reiner gefäßchirurgischer Anfänger, aber der Umgang mit Terumo-Draht und Federnadelhalter ist manchmal doch was andere würde ich behaupten. Mit vielen Jahren chirurgischer Erfahrung wirst du die offenen Techniken schneller erlernen, aber ein sofortiger Wechsel bringt dich trotzdem sehr viel schneller ans eigentliche Ziel Gefäßchirurgie.
nach meinen Wechseln bisher wäre es sicher auch mal förderlich an einem Haus für eine längere Zeit zu bleiben, -> wieso? damit du Unfallchirurgie erlernst? In der Gefäßchirurgie werden die dich beurteilen wie du dich in der Gefäßchirurgie benimmst. Egal was du vorher gemacht hast.
"solange es läuft, warum wechseln?" -> Das entscheidende Argument. "Haben wir schon immer so gemacht"... Wenn du glücklich bist dann bleib dort. Ich versteh halt nicht so ganz warum man bleibt wenn man eigentlich ständig im Hinterkopf hat dass man weg muss oder will. Dann entscheide dich doch einfach dazu zu bleiben. Das ist doch auch legitim.

Gegen Variante Allgemeinchirurgie:
warum 2 Fachärzte, wenn man eh nur in einem arbeiten will -> völlig richtig und nicht nur das, man könnte dich auch für allgemeinchirurgische Hintergrunddienste heranziehen
für den FA Allgemeinchirurgie muss man noch 1 Jahr auf die Unfall, was "verlorene Zeit" ist -> und noch dazu in einer Abteilung die wiederum eine andere ist als die aktuelle in der es dir grad gefällt
die 3 Jahre, die es länger dauert zum FA Gefäß, wenn ich beide FA mache, könnte ich auch einfach in der Gefäß verbringen und damit dort wertvolle Erfahrungen machen -> genau! Und das ist das Hauptargument meiner Meinung nach. Wenn man sich doch eh schon auf Gefäßchirurgie festgelegt hat, warum macht man dann andere Sachen? Auch in der Gefäßchirurgie wirst du (wenn auch langsam) lernen offene Aorten zu operieren. Es ist ja auch nicht so dass du das bei den Bauchchirurgen lernst.

Ein Argument fehlt noch: mögliche Niederlassungsbeschränkungen. Als Allgemeinchirurg ist ein Kassensitz natürlich leichter zu bekommen als als Gefäßchirurg. Falls du also geplant hast dich später als Gefäßchirurg in einer Praxis niederzulassen um eher Diagnostik, Wunden und vielleicht kleinere Sachen zu machen, dann kann dir ein Facharzt Allgemeinchirurgie leichter zu einem Kassensitz verhelfen. Falls das ein für dich relevantes Thema ist.

sascha88
10.05.2020, 08:52
Kurz und knapp: ich möchte mich bei Euch beiden bedanken für 2 tolle, ausführliche Rückmeldungen! Ich werde mitteilen, wozu ich mich entschieden habe, wenn es soweit ist.