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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : KHK/3-Gefäßerkrankung Therapie



Mademoiselle Naysayer
27.05.2020, 11:16
Heyho,

bin während des Lernens auf eine Sache gestoßen, die mich irgendwie nachhaltig verwirrt, insbesondere im Zusammenhang mit meiner klinischer Erfahrung aus dem PJ.
Bisher dachte ich, dass eine KHK vorwiegend mittels PTCA/Stent versorgt wird und eine Bypass-OP (Kontraindikationen PTA, unzureichende PTCA-Erfolge) ggf. im Anschluss stattfindet.

Praktisch habe ich das irgendwie anders erlebt. Ein Patient mittleren Alters (glaube Mitte 50) mit Z.n. Reanimation bei schwerem MI kam mit chronischem Verschluss der ACD und akuten Verschlüssen der RIVA und RCX. Er hat in die beiden letzten je einen DES bekommen. Nun ließ sich die ACD nicht rekanalisieren. Ich dachte, dass sich nun eine Bypass-OP anschließen würde (in welchem Zeitraum auch immer). Das war nicht der Fall, stattdessen entließ man den Patienten mit seinen zwei Stents und seiner weiterhin chronisch verschlossenen ACD zur Reha und anschließend nach Hause.

Ist das so die Regel? Für mich erscheint das so utopisch, eine komplette Herzkranzarterie einfach so im stenosierten Zustand zu tolerieren. Die Fachärzte auf Station konnten mir die Frage irgendwie nicht beantworten und den Chef selbst sehe ich als PJler quasi nie. Vielleicht kann mir ja hier jemand einen Erklärungsansatz geben. ;-)

inglebird
27.05.2020, 19:29
Theoretisch isses recht simpel. Ein akuter Myokardinfarkt muss akut behandelt, bzw. rekanalisiert werden. Primär, d.h. ohne Kenntnis der Koronaranatomie und -pathologie zunächst mittels angiographischer Diagnostik (=Herzkatheter) und wenn technisch möglich und sinnvoll, PTCA. Geht in der Regel schnell und vor allem unkompliziert. Wenn man das alte Dogma "Time is Muscle" bedenkt, sind so manchmal recht kurze Zeiten von Symptombeginn bis zum Zeitpunkt, an dem der Draht den Thrombus in der Koronarie perforiert, möglich.

Es gibt leider manchmal Befunde, die mittels PTCA nicht zielführend behandelbar sind, bzw. ein hohes Risiko mit sich bringen, wie zum Beispiel Stenosen des Hauptstammes. So kann es sein, dass eine Koronarangiographie beim akuten Myokardinfarkt abgebrochen wird und der Patient notfallmäßig zur Bypass-OP vorgestellt wird.
Es ist also keineswegs so, dass Bypass-OPs immer nur "im Intervall" durchgeführt werden.

[Achtung, bzgl. des folgenden Abschnittes bin ich kein Experte, darf gerne verbessert werden]
Befunde von chronisch verschlossenen rechten Koronararterien sieht man irgendwie recht häufig (ist vielleicht nur so von mir empfunden). Hier ist dann entweder eine chronische Fibrosierung eingetreten oder es haben sich teilweise Kollateralen ausgebildet. Eine Rekanalisation wird dann häufig nicht angestrebt.

Nemesisthe2nd
27.05.2020, 20:47
Es ist ein toller Erfolg, das der Patient überlebt hat.

Bei chronischen Verschlüssen stellt sich die Frage nach der Vitalität des Versorgungsgebietes, wenn da nur noch Narbe ist macht eine Rekanalisation oder ACB keinen Sinn. Desweiteren kommt es auch vor das die Peripherie der RCA sich angiographisch so schlecht darstellt, dass die Herzchirurgen ablehnen, weil sie keine Anschlussmöglichkeit für einen Bypass sehen. Außerdem ist gerade die RCA schwierig mit Bypässen zu versorgen weil sie weit weg von der Aorta liegt und unter umständen ger kein Gefäß verfügbar ist, was lang genug wäre um die distale RCA zu erreichen. Außerdem gehen gerade diese langen Bypässe, am besten noch über die Herzspitze weg auch gerne wieder zu.

Also Fazit: Die 2 kritischen Stenosen sind bereits versorgt und für einen einzelnen Bypass der sich vielleicht intra-op als gar nicht durchführbar darstellt bei einem Patienten der gerade einen Herzinfarkt mit Reanimation überlebt hat und daher wahrscheinlich ein schwer angeschlagenes Herz hat (mit reduzierter LV-Funktion) wird kein Herzchirurg der bei Vestand ist den Thorax aufschneiden.

Mademoiselle Naysayer
27.05.2020, 20:54
Vielen Dank für die Information!

Letzteres habe ich heute schon Mal so gehört und auch, dass "viele" Patienten dann häufig mit chronisch verschlossener RCA zur Reha oder nach Hause geschickt werden. Zumal wurde mir gesagt, dass es die RCA wohl besser auf die Reihe bekommt, etwaige Umgehungskreisläufe zu bilden. Und in dieser Alterskategorie sei der Bypass dem Stent wohl nicht gänzlich überlegen, sodass die Wahl der Therapieoption bei diesem Patienten wohl - in Abhängigkeit von Pumpfunktion und genauer Lage der Stenosen - vollkommen in Ordnung war.

Mademoiselle Naysayer
27.05.2020, 20:57
Das leuchtet auf jeden Fall ein.

Wie ist das denn längerfristig zu werten mit einer eingeschränkten LV-Funktion bei frischem Z.n. nach Infarkt mit Rea? Ist das eher so, dass sich das Herz mit optimal eingestellter Therapie und ggf. Lebensstiländerung bezogen auf die Pumpleistung wieder etwas regeneriert?

febee
16.07.2020, 09:01
Das leuchtet auf jeden Fall ein.

Wie ist das denn längerfristig zu werten mit einer eingeschränkten LV-Funktion bei frischem Z.n. nach Infarkt mit Rea? Ist das eher so, dass sich das Herz mit optimal eingestellter Therapie und ggf. Lebensstiländerung bezogen auf die Pumpleistung wieder etwas regeneriert?

Wenn jemand dazu antworten mag, würde es mich auch sehr interessieren.

Ich hab noch eine vielleicht dazu passende Frage:
und zwar präklinisch. Eigentlich bei unserer infrastruktuerellen Lage können wir doch ausgehen, dass ein V.a. MI oder im EKG bestätigter, innerhalb 90min in die Klinik ins Herzkatheterlabor kommt. Somit eine Fibrinolyse obsolet ist. (Vielleicht nur bei einer Reanimation z.B. eines Pat. der vorher eine OP hatte und die Rea nach 30-45min nicht erfolgreich war, oder?)

Bei einem V.a. also, muss ASS,Heparin und Nirto und Morphin gegeben werden.
Wenn der Patient ein Marcumar Patient ist, kann ich dann ASS Und Heparin trotzdem geben? oder weniger dosiert?
Ich weiß, vielleicht sehe vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr, aber ich glaube, wenn das so stimmt, hab ich es verstanden.

Rahmspinat
16.07.2020, 23:26
Wenn jemand dazu antworten mag, würde es mich auch sehr interessieren.

Ich hab noch eine vielleicht dazu passende Frage:
und zwar präklinisch. Eigentlich bei unserer infrastruktuerellen Lage können wir doch ausgehen, dass ein V.a. MI oder im EKG bestätigter, innerhalb 90min in die Klinik ins Herzkatheterlabor kommt. Somit eine Fibrinolyse obsolet ist. (Vielleicht nur bei einer Reanimation z.B. eines Pat. der vorher eine OP hatte und die Rea nach 30-45min nicht erfolgreich war, oder?)

Bei einem V.a. also, muss ASS,Heparin und Nirto und Morphin gegeben werden.
Wenn der Patient ein Marcumar Patient ist, kann ich dann ASS Und Heparin trotzdem geben? oder weniger dosiert?
Ich weiß, vielleicht sehe vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr, aber ich glaube, wenn das so stimmt, hab ich es verstanden.

Also wir sehen durchaus Patienten, die nach STEMI und initial hochgradig eingeschränkter Pumpfunktion unter idealer Therapie sogar eine Besserung bishin zur leichtgradig eingeschränkten Pumpfunktion bieten - und somit dem CRT-ICD ausweichen.
Im Hinblick auf die Marcumartherapie: Schwierige Einzelentscheidung, im Endeffekt würde ich aber dennoch Heparin zum Loading geben, denn präklinisch kannst du keine Aussage zum derzeitigen Gerinnungsstatus des Patienten tätigen..könnte ja sein, dass er aktuell im subtherapeutischen Bereich ist.

inglebird
27.07.2020, 19:36
Die Pumpfunktion kann sich durchaus erholen, nach Myokarditiden sieht man das häufig, nach akutem Myokardinfarkt weniger häufig und weniger ausgeprägt.
In aller Regel wird für 3 - 6 Wochen eine adäquate Herzinsuffizenzmedikation nach Leitlinie (so maximal wie möglich) eingesetzt und dann die Herzfunktion per TTE re-evaluiert. In ausgewählten Fällen kann dann zum Beispiel mit lifevest oder ähnlichen Devices überbrückt werden.
Umgekehrt gibt es Patienten, die von der Implantation eines CRTD-Devices profitieren (also von der synchronisierten Ventrikelkontraktion) und sich deren Herzfunktion dadurch bessern kann.
Die Post-Reanimationspatienten sind nochmal ein besonderes Klientel, da häufig ein Multiorganversagen vorliegt, was die Herzfunktion in der unmittelbaren Akutphase ebenfalls einschränken kann.

Bzgl. Heparin bei Marcumar: Falls der Patient nicht zufällig mit dem Marcumar-Pass wedelt, in dem vom gleichen Tag ein INR im therapeutischen Bereich dokumentiert ist, Heparin einfach geben. Das schlimmste, was passieren kann, ist eine Blutung und Heparin ist nach 4 Stunden wieder raus. ASS auf jeden Fall (nach Ausschluss von Kontraindikationen und wenn keine Dauertherapie besteht aber selbst dann großzügig), Clopidogrel/Prasugrel/Ticagrelor bei unbekannter Koronaranatomie eigtl nur nach Kontakt mit dem intervenierenden Arzt, in der Regel nicht präklinisch.
Also bei vorher schon antikoagulierten Patienten anfangs Triple-Therapie(Antikoagulation und duale Plättchenhemmung), in aller Regel lässt man dann nach PCI das ASS weg (Antikoagulation und Clopidogrel/Prasugrel/Ticagrelor, nach einem Jahr dann Wechsel auf Antikoagulation + ASS).
Der Einsatz von Marcumar ist ja aber innerhalb weniger Jahre fast schon zur Seltenheit geworden...

Leider schafft man selbst in Gebieten mit guter Infrastruktur die 90 Minuten bis der Draht den culprit durchstößt oft nicht...