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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kreatinin-Erhöhung, chronisch oder akut?



instict
01.06.2020, 13:09
Hallo,

ich habe mich gefragt, wie ich unterscheiden kann ob eine Kreatinin-Erhöhung nun akut aufgetreten ist oder vielleicht schon länger chronisch besteht.
Also zum Beispiel wenn ein Patient erstmalig kommt (Rettungsstelle oder auch Hausarzt) und ich eine Kreatinin-Erhöhung feststelle, aber keine Vorbefunde habe um einen Vergleich anzustellen. Gibt es da Möglichkeiten anhand anderer Werte möglicherweise festzustellen ob es nun eine akute Erhöhung ist oder ob sie schon länger besteht?

Vielen Dank schonmal

Bille11
01.06.2020, 13:40
Für die Relevanz der unmittelbaren Behandlungsbedürftigkeit (und damit Frage: akut) hilft Dir der pH schonmal etwas weiter. Besteht eine metabolische Azidose, ist das Krea (und der Harnstoff) schonmal akut (behandlungsbedürftig). Ist der pH trotz entgleister Retentionsparameter normwertig, dürfte es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um eine chronische Sache handeln, bzw. eine gute Kompensation des Nierenproblems. Olig-/Anurie dazu, ...
Die GFR ist auch ein ganz guter Hinweis darauf, ob es akut ein ‚Problem‘ gibt oder eine chronische Kompensation in gewissem Masse gibt. Zudem gilt: Wenn Autoantikörper bestehen (ANA, ANCA, etc) dann dürfte es eher (sub)chronisch sein als wenn ein erhöhtes proBNP als Indikator einer dekompensierten Herzinsuffizienz, erhöhte leberspezifische Parameter als Indikator von hepatischen Dekompensationen (hepatorenales Versagen) oder eine PCT/IL6 als Indikator einer akut septischen Genese bestehen.
Neuere immunologisch begründete Nierenmarker sind im Gespräch bezüglich der Indizierung einer Behandlungspflichtigkeit bei primär auffallenden erhöhten Retentionsparametern, diese dürften auch ziemlich gut eine Differenzierung der Genese akut/chronisch einer Niereninsuffizienz nachkommen. Hier kenne ich mich aber zu wenig mit aus (weil wir es noch nicht nutzen).

Pi mal Daumen gilt auch: mäßig erhöhte Werte deuten meist auf chronisch hin, deutlich erhöhte Werte auf akut.

instict
01.06.2020, 16:15
Echt super, vielen Dank für die ausführliche Antwort

GelbeKlamotten
13.06.2020, 11:49
Die GFR ist auch ein ganz guter Hinweis darauf, ob es akut ein ‚Problem‘ gibt oder eine chronische Kompensation in gewissem Masse gibt.

Dafür müsste man ja dann die Kreatinin- oder Inulin-Clearance bestimmen. Ist das wirklich praktikabel für Hausarzt/Rettungsstelle?

Nemesisthe2nd
14.06.2020, 10:45
ich denke Bille meint eher die Schätzformeln nach Jellife etc. die Größe/Gewicht/Geschlecht mit einbezieht. Man muss eben bei dem kreatinin-Wert auch den Menschen dazu sehen. Ich habe mit einem Krea von 1,1 mg/dl eine normale Nierenfunktion. eine 85 jährige Frau mit Sarkopenie in der Notaufnahme hat bei einem Krea 1,1 mg/dl in der ZNA wahrscheinlich ein (beginnendes) prärenales Nierenversagen bei Exsikkose

GelbeKlamotten
15.06.2020, 22:55
Die GFR ist auch ein ganz guter Hinweis darauf, ob es akut ein ‚Problem‘ gibt oder eine chronische Kompensation in gewissem Masse gibt.


ich denke Bille meint eher die Schätzformeln nach Jellife etc. die Größe/Gewicht/Geschlecht mit einbezieht. Man muss eben bei dem kreatinin-Wert auch den Menschen dazu sehen. Ich habe mit einem Krea von 1,1 mg/dl eine normale Nierenfunktion. eine 85 jährige Frau mit Sarkopenie in der Notaufnahme hat bei einem Krea 1,1 mg/dl in der ZNA wahrscheinlich ein (beginnendes) prärenales Nierenversagen bei Exsikkose


Es ging mir genau darum, darauf hinzuweisen, dass diese Schätzformeln in diesem Fall nichts bringen bzw. rein logisch gar nichts bringen können.

Generell sind die natürlich absolut sinnvoll. Es macht viel mehr Sinn, die eGFR anzuschauen als den Krea-Wert. Oder um es krasser zu formulieren: Es macht fast nie Sinn in einer Situation wie der im Eingangspost beschriebenen, überhaupt den Krea-Wert anzuschauen. Man sollte hier gleich auf die errechnete GFR schauen. Was soll man mit einem einzelnen Krea-Wert anfangen? Den müsste man dann quasi selbst noch im Kopf nach Faktoren wie Alter, Geschlecht, etc adjustieren und damit besser sein als die Formel - klappt wohl eher nicht. Genau dafür gibt es ja eben den Wert, der einem über diese Formeln bereits vom Labor vorgerechnet wird.

Es macht nur Sinn davon abzuweichen, wenn man einen "Nicht-Standardfall" hat. Z.B. wenn im Haus bei der Berechnung der eGFR die Hautfarbe nicht berücksichtigt wird und man einen dunkelhäutigen Patienten hat, oder wenn bei der Berechnung der eGFR Amputationen nicht berücksichtigt werden, dem Patienten aber beide Beine fehlen. DANN macht es Sinn, den Krea-Wert als "Rohwert" herzunehmen und eine bessere Abschätzung der GFR daraus abzuleiten als die auf dem Laborsheet vorgegebene. Sonst bei der Betrachtung eines einzelnen Zeitpunktes nicht. Was anderes ist es natürlich auch wieder, wenn es um Verlaufsbeurteilungen geht, da sich die Stadieneinteilung eines akuten Nierenversagens ja zB wiederum nach der Veränderung des Krea-Wertes richtet.

Was man aber auf gar keinen Fall mit Krea-Wert und eGFR-Wert machen kann, ist eine "Diskrepanz" feststellen und daraus Rückschlüsse ziehen, ob eine Niereninsuffizienz chronisch oder akut ist. Eine solche Diskrepanz kann es bei einer errechneten GFR nicht geben. Wo soll sie denn herkommen? Der eine Wert wurde aus dem anderen berechnet. Und egal ob das Krea wegen einer akuten oder wegen einer chronischen NI hoch ist, die Formel wird immer den gleichen, mathematisch konsistenten eGFR-Wert errechnen.

Deswegen mein Hinweis oben, dass eine solche Diskrepanz und damit mögliche Hinweise auf die zeitliche Genese der NI wenn überhaupt dann nur bei tatsächlicher Bestimmung der GFR über die Kreatinin- oder Inulin-Clearance geben kann.