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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Epilepsie und PJ/Spätere Arzttätigkeit



lena2911
05.06.2020, 18:40
Liebe alle,
nachdem ich das M2 erfolgreich hinter mich gebracht habe und der PJ-Start auch gut war, kommen mir jedoch wieder einige Gedanken. Ich habe seit 2016 eine diagnostizierte Temporallappenepilepsie mit komplex-fokalen Anfälle aufgrund einer autoimmunen Enzephalitis, die medikamentös aber gut eingestellt ist, sodass ich mit zweimal täglicher Tabletteneinnahme seit August 2017 anfallsfrei bin. Soweit natürlich erstmal super. Ja, ich darf im Prinzip wieder alles machen, unter anderem natürlich auch wieder Autofahren. Allerdings habe ich mir in den letzten Tagen die Frage gestellt, wie ich damit umgehen soll, wenn ich demnächst, und das wird im PJ auch schon der Fall sein, nicht mehr unter direkter Supervision arbeiten werde. Die Approbation ist kein Problem. Aber darf ich rein rechtlich alles machen? Ich hatte noch nie einen generalisierten Anfall und meine Anfälle waren auch immer nur sehr kurz (maximal 30sek). Aber ich möchte gerne in der Anästhesie anfangen und da sind 30sek Apnoe für den Patienten ganz schön lange, wenn man gerade nur in der Gegend rumstarren kann. Habt ihr irgendwie Erfahrungen oder Ideen, an wen ich mich da wenden kann? Natürlich habe ich auch schon mal meine behandelnden Neurologen gefragt, aber ihre Meinung war eher „Das dauert ja auch noch ganz schön lange, bis es soweit ist!“ oder „Ja, da wird sich sich einer Lösung finden lassen“, oder „Sie müssen sich überhaupt keine Sorgen machen“. Naja, jetzt ist es jedenfalls soweit und ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Grundsätzlich will ich aus der Erkrankung auch kein Geheimnis machen, denn falls es mir, auch vielleicht auch aus anderen Gründen mal nicht gut gehen sollte, wäre es natürlich gut, wenn die Kolleg*innen Bescheid wissen. Ich freue mich über eure Antworten :-)

Kandra
05.06.2020, 18:51
Also wenn du seit 3 Jahren anfallsfrei bist, sehe ich eigentlich gar keine Probleme für eine grundsätzliche berufliche Tätigkeit. Bei Anästhesie würde ich eher mal mit den Neurologen besprechen, ob der Schichtdienst ein Problem bei der Medikamenteneinnahme werden könnte. Beeinflusst Schlafmangel deine Epilepsie?
Ich kenne einen Anästhesisten, der mal einen schweren Unfall mit SHT hatte und nach einem Koma eine Epilepsie zurückbehalten hat. Der hat im ersten Jahr nachdem er wieder gearbeitet hat, nur Papierkram und Prämed gemacht und sich dann langsam wieder reingearbeitet (war natürlich anfallsfrei). Mittlerweile fährt er auch wieder Notarzt.

lena2911
05.06.2020, 19:06
Nein, ich habe in der Zwischenzeit eine experimentelle Doktorarbeit mit nächtlichen Experimenten gemacht, das war kein Problem. Es sind keine Triggerfaktoren bekannt (Stress, Müdigkeit, Flackerlicht etc pp)Das hört sich ja erst einmal gut an! Hast du zufällig Kontakt zu ihm? Weißt du, wie er da mit seinem Arbeitgeber mit umgegangen ist?

Kandra
05.06.2020, 19:32
Nein, ich habe in der Zwischenzeit eine experimentelle Doktorarbeit mit nächtlichen Experimenten gemacht, das war kein Problem. Es sind keine Triggerfaktoren bekannt (Stress, Müdigkeit, Flackerlicht etc pp)Das hört sich ja erst einmal gut an! Hast du zufällig Kontakt zu ihm? Weißt du, wie er da mit seinem Arbeitgeber mit umgegangen ist?

Es war ein Arbeitsunfall, also hat es eh jeder gewusst.
In deinem Fall würde ich sicherstellen, dass Chef und OÄ davon wissen, falls es einmal ein Problem geben sollte. Wem du sonst noch davon erzählst, ist dann Ermessenssache.

Ich habe einen Herzfehler und keine gute Kondition. Bei mir in der Arbeit weiß es eigentlich jeder, weil ich auch sicherstellen wollte, dass die Leute Bescheid wissen, wenn mal irgendwas sein sollte. Und man nicht erst in einer Notfallsituation ausdiskutieren muss, wieso ich nicht mal eben 4 Stockwerke irgendwohin rennen und danach dann auch noch gut verständlich Anweisungen geben oder sogar selber irgendwas tun kann. Ich brauch dann halt ein paar Sekunden zum selber durchschnaufen. Bisher ist das zum Glück noch nicht oft passiert und bisher hat es auch immer gut geklappt. Wäre das bei uns auf Intensiv aber öfter der Fall, wäre es für mich ein Grund gewesen, die Zeit dort so knapp wie möglich zu halten.

Rettungshase
05.06.2020, 22:44
https://publikationen.dguv.de/regelwerk/informationen/345/berufliche-beurteilung-bei-epilepsie-und-nach-erstem-epileptischen-anfall
Vielleicht ist das interessant?

Hast du die Triggerfaktoren explizit testen lassen?
Nur ein paar Szenen aus meinem Arbeitsalltag:
- nachts um 5 Uhr nach einer durchgerödelten Nacht: Wir haben im Schockraum eine Lampe, die stroboskopartig flackert. Reparaturantrag läuft seit einem Jahr :p
- Wir haben auch einen OP-Saal, in dem es eine Lampe gibt, die so sehr flackert, dass ich als nicht-Epileptikerin oft denke, dass es gleich soweit ist und ich krampfend vom Stuhl rutsche. Unregelmäßiges Essen, lange Dienstnächte, schlechter Schlaf durch verschobenen Tagesrhythmus aggravieren das Problem natürlich.
- Auf dem NEF mit Blaulicht durch den Nebel fahren (das ist - je nach Weiterbildungsstelle - optional und vermeidbar)
- Mit zunehmender Weiterbildung und letztlich Facharztreife wirst du zunehmend eigenständig eingesetzt. Zum Beispiel auch in eher externen Bereichen, in denen du auf weiter Flur allein als Anästhesist bist.

Ich will dir das nicht madig reden; bei der Risikokalkulation würde ich o.g. jedoch als Erfahrungswerte mit einbeziehen.

Falls du während der Weiterbildung feststellst, dass das Ganze so gar nicht geht, kann man idR problemlos die Weiterbildungsstelle wechseln.

WackenDoc
06.06.2020, 07:47
Der behandelnde Neurologe hat offenbar auch keine Bedenken und nach 3 Jahren Anfallsfreiheit sieht das sehr gut aus. Ggf. kann der Neurologe die Triggerfaktoren nochmal austesten.

Die eine Frage ist ja:
Wie wahrscheinlich ist ein erneuter Anfall im Vergleich zur Normalbevölkerung?
Wenn die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht ist- wie schwerwiegend wären die Folgen und mit welcher Wahrscheinlichkeit tritt diese Konstellation ein.

Wenn der Arbeitgeber flackernde Lampen nicht austauscht, dann ist das ein Arbeitsschutzproblem und muss abgestellt werden und geht nicht zu Lasen der Risikobewertung von Epileptikern. Ggf. muss man sagen, dass man in dem Raum nicht arbeiten kann.

lena2911
06.06.2020, 08:39
Vielen Dank für eure Gedanken :-)
Also ich bin natürlich regelmäßig beim Neurologen zur Kontrolle, wo auch EEGs gemacht werden, unter anderem auch eben mit Stroboskop. Das ist in der Tat unangenehm (wie wahrscheinlich für jede normale Person), aber es wurden dabei noch nicht epilepsietypische Potentiale im EEG gesehen. Nebenbei bemerkt ist das auch nur für 1% der Personen mit Epilepsien ein Triggerfaktor und das vor allem bei der idiopathischen generalisierten Epilepsie (also mehr ein Vorurteil der allgemeinen Bevölkerung und auch verbreitet unter Ärzten). Ich komme ursprünglich auch aus dem Rettungsdienst, darf aber nicht mehr den Rettungswagen fahren (C1 Führerschein, dafür muss man aber anfallsfrei sein seit 5 Jahren ohne Medikamente), und bin deswegen seit der Diagnose immer nur noch als „Praktikantin“ mitgefahren, saß dabei aber durchaus bei 24h Schichten auch nachts im Nebel mit Blaulicht auf dem Beifahrersitz. Das war kein Problem.
Meine Hauptsorge ist eben, wie WackenDoc das schon angesprochen hat, „Ist mein Risiko höher als bei der Normalbevölkerung?“ und ist deswegen meine ärztliche Eignung eingeschränkt, vor allem im anästhesiologischen Bereich. Am Ende des Tages muss ich es wohl einfach „ausprobieren“ und ehrlich mit mir selbst und meinen Vorgesetzten sein...

lena2911
06.06.2020, 08:40
https://publikationen.dguv.de/regelwerk/informationen/345/berufliche-beurteilung-bei-epilepsie-und-nach-erstem-epileptischen-anfall
Vielleicht ist das interessant?

Hast du die Triggerfaktoren explizit testen lassen?
Nur ein paar Szenen aus meinem Arbeitsalltag:
- nachts um 5 Uhr nach einer durchgerödelten Nacht: Wir haben im Schockraum eine Lampe, die stroboskopartig flackert. Reparaturantrag läuft seit einem Jahr :p
- Wir haben auch einen OP-Saal, in dem es eine Lampe gibt, die so sehr flackert, dass ich als nicht-Epileptikerin oft denke, dass es gleich soweit ist und ich krampfend vom Stuhl rutsche. Unregelmäßiges Essen, lange Dienstnächte, schlechter Schlaf durch verschobenen Tagesrhythmus aggravieren das Problem natürlich.
- Auf dem NEF mit Blaulicht durch den Nebel fahren (das ist - je nach Weiterbildungsstelle - optional und vermeidbar)
- Mit zunehmender Weiterbildung und letztlich Facharztreife wirst du zunehmend eigenständig eingesetzt. Zum Beispiel auch in eher externen Bereichen, in denen du auf weiter Flur allein als Anästhesist bist.

Ich will dir das nicht madig reden; bei der Risikokalkulation würde ich o.g. jedoch als Erfahrungswerte mit einbeziehen.

Falls du während der Weiterbildung feststellst, dass das Ganze so gar nicht geht, kann man idR problemlos die Weiterbildungsstelle wechseln.

Und zu dieser Publikation: Ja, habe ich schon mal gesehen, bezieht sich aber leider nur auf Ausbildungsberufe im gesundheitlichen Bereich, also nicht ganz geeignet :(

WackenDoc
06.06.2020, 09:04
Also wenn dein Neurologe im EEG nichts gefunden hat, auch nicht mit Stroboskoplicht (wahrscheinlich hat er auch mal nach Schlafentzug ein EEG gemacht), du als Praktikant auf dem RTW gefahren bist unter den normalen Bedingungen (Flackerlicht, Schlafmangel etc.), du im Rahmen deiner Promotion Stress und Schlafmangel hast und du 3 Jahre anfallsfrei bist und dein Neurologe keine Bedenken hat, spricht nichts dagegen, dass du als Anästhesistin anfängst. in dem Job bist du ja auch nie komplett alleine. Man könnte auch auf sicher gehen und sagen, dass du solange keine alleinigen Dienste machst, bis die 5 Jahre (vergleichbar mit dem C-Führerschein) rum sind.
Das Blöde ist, dass es anders als beim Führerschein keine festen Regelungen geht. Man kann immer nur die Führerscheinregelungen als Ausgangsbasis nehmen und die aktuelle Tätigkeit damit vergleichen.
Und weil das nicht genau geregelt ist, kann bei einer Einstellungsuntersuchung der zuständige Arzt (meist der Betriebsarzt, aber auch ein Amtsarzt) nach eigenem Wissen und Gewissen entscheiden.

So und jetzt nehmen wir mal den Worst Case an, du wirst eingestellt, machst deinen Job und du bekommst einen neuen Anfall und irgendwas passiert. Für DEN Fall ist es sehr wichtig, dass genau die Abwägung, die ich beschrieben habe, irgendwo genau dokumentiert ist. Incl. der Entscheidung "keine unverantwortbare Gefährdung für den Mitarbeiter oder Dritte" ggf. mit Auflagen. Es ist natürlich gut, wenn auf so etwas wie die Kraftfahrleitlinie und die DGUV-Veröffentlichung Bezug genommen wird.

Ich habe letztes Jahr mit so einem Vorgehen einen Betriebsschlosser während seiner Führerscheinsperre in Lohn und Brot halten können. Also erstmal die Feststellung, dass während der Führerscheinsperre (die du ja nur für die C-Klasse und höher hast) auch der Gesetzgeber von einem erhöhten Risiko eines erneuten Krampfes ausgeht. Dann durch die Halle gegangen und jeden Arbeitsplatz mit den Maschinen auf die Gefährlichkeit "mehr oder weniger gefährlich als mit dem Auto im normalen Straßenverkehr" abgeglichen. Und die mit "weniger gefährlich" auf "Risiko verantwortbar" oder "Sicherheitsmaßnahmen notwendig" oder "Risiko auch mit zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen nicht verantwortbar" geprüft. Dokumentiert hat es die Sicherheitsfachkraft (ging viel um technische Fragen und tatsächlich ganz konkret- was passiert genau hier, wenn er im Rahmen eines Grand Mal wohin kippt, welches Gerät läuft weiter, was passiert dann) und das Gesamtergebnis dem Mitarbeiter eröffnet- incl. Belehrung über die zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen.

Bei dir muss man halt abwägen- was sind die Risiken beim Autofahren (darfst du)- was sind sie bei C-Fahrzeugen (darfst du noch nicht). Wo ist das Risiko deiner Tätigkeit im Verhältnis zu den anderen beiden.

DerSalamander
26.06.2020, 21:17
gelöscht

Nessiemoo
02.07.2020, 17:21
Kennst du die Broschüre "Berufliche Beurteilung bei Epilepsie und nach erstem epileptischen Anfall"? Ich habe jetzt auf die Schnelle nur den Kapitel zur Krankenpflege gefunden, jedoch da steht z.B bei Intensiv- und Anästhesiepflege, dass bei Anfallsfreiheit nach einem Jahr keine Bedenken da sind.

Ich glaube die Hauptproblematik ist ggf die (auch wenn mittlerweile sehr geringe) Wahrscheinlichkeit, dass es doch etwas passiert und man ist alleine da. Im normalen Tagsbetrieb ist man ja selten alleine, und auch wenn es währen der OP tatsächlich zu einem Anfall kommen sollte, ist ja dann doch noch jemand da. Das spielt v.a die Rolle bei Nachtdiensten in Kliniken wo man vielleicht der einzige Anästhesist ist oder dann später der einzige Facharzt o.ä. Z.B macht z.B eine Bekanntin von mir mit Diabetes Typ I keine Nachtdienste mehr, da sie da paar mal hypoglykäm wurde. Aber man kann ja auch ohne Nachtdienste Arzt sein, und wenn man unbedingt will, dann ggf. ein Haus suchen, wo o.g Probleme vermieden werden. (und mal unter uns, vielleicht will man irgendwannmal auch keine Nachtdienste mehr machen ;))