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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Totenschein: Infektionswarnung? Todesart bei bestimmten Vorerkrankungen?



ER-Student
28.06.2020, 17:24
Auch wenn ich immer wieder mit dem Ausfüllen von Totenscheinen beschäftigt bin, habe sich bei mir da jetzt zwei Fragen ergeben, die mir bisher, so der Zufall es will, noch nicht untergekommen sind.

Auf den Totenscheinen gibt es ja im nicht-vertraulichen Teil ein Feld, in dem angekreuzt werden soll, ob der Patient an einer übertragbaren meldepflichtigen Erkrankung gelitten hat. Manche Bundesländer erläutern das noch mit Verweis auf Erreger nach §6 und §7 des IfSG. Kreuzt ihr dieses Feld auch dann immer an, wenn der Patient nur eine Aktendiagnose wie MRSA-Besiedlung oder chronische Hepatitis B hat, oder nur wenn zum Todeszeitpunkt eine akute floride Infektion vorgelegen hat? Meldet ihr dann alle diese Fälle ans Gesundheitsamt, auch wenn die Erkrankung gar nichts mit dem Tod zutun hatte (z.B. Todesursache Herzinfarkt, aber auch bekannt Hepatis-C positiv), oder nur, wenn der Patient an der meldepflichtigen Krankheit verstorben ist (z.B. COVID-Pneumonie bei bereits ambulant diagnostizierter und gemeldeter Infektion)? Oft gibt es dann ja noch ein Feld im nicht-vertraulichen Teil, in dem besondere Vorsichtsmaßnahmen im Umgang mit Leichnam genannt werden sollen. Darf hier bei der Erläuterung der Erreger genannt werden? Es macht ja für den Umgang mit der Leiche schon einen Unterschied ob es z.B. um eine MRSA-Besiedlung einer Wunde oder eine SARS-COV-2-Infektion geht.

Man kommt ja bei der Todesfeststellung im Krankenhaus gelegentlich in die Situation, dass eine klare interne Ursache des Todes zu erkennen ist, allerdings in der Krankengeschichte ein äußeres Geschehen vorkommt, dass in seinem stabilen Endzustand eine gewisse Prädisposition für interne Erkrankungen hinterlassen hat. Konkret ging es um einen Fall, in dem eine ältere Patientin vor 15 Jahren einem Reitunfall hatte, seitdem wegen eines Wirbelsäulentraumas im Rollstuhl immobil war und dann (nach 15 Jahren) an einer Lungenembolie mit Infartpneumonie verstorben ist. Hier war sich selbst mein OA nicht sicher, ob nun eine natürliche Todesart vorliegt oder nicht. Ich meine mich an eine Rechtsmedizinvorlesung zu erinnern, in der ein Dozent meinte, dass eine kausaler Zusammenhang in solchen Fällen immer dann vorliegt, wenn nach äußerlicher Einwirkung noch kein Endzustand der daraus folgenden Erkrankung erreicht ist. Beispiel war damals ein verunfallter Motorradfahrer mit schwerem SHT, der später an einer Pneumonie verstirbt. Erleidet er die Pneumonie z.B. noch im Krankenhaus oder in der Reha (auch noch Monate nach dem Unfall), also im Rahmen der Rekonvaleszenz, ist die Todesart nicht-natürlich, da die mit dem Unfall beginnende Kausalität bis dahinen noch nicht geschlossen war. Hier müsste als Beginn der Kausalkette im Totenschein dann auch das SHT nach Verkehrsunfall angegeben werden. Wird selber Motorradfahrer nach Rehabilitation und Krankenhausaufenthalt letztlich heimbeatmet zuhause versorgt und erleidet nach Jahren stabilen Gesundheitszustandes eine Pneumonie, an der er verstirbt, wurde damals die Todesart vom Dozenten als natürlich bewertet, da die Kausalität des Unfalles mit Erreichen der Rekonvaleszenz (wenn auch auf niedrigerem Niveau als vorher) abgeschlossen sei. Im Internet habe ich jetzt aber wieder einen Artikel gefunden, in dem gesagt wird, dass Tod durch Pneumonie bei Apallikern nach Trauma immer nicht-natürlich sei, auch nach Jahrzehnten. Kann da jemand Licht ins Dunkle bringen?

Shizr
28.06.2020, 18:58
Ich meine mich an eine Rechtsmedizinvorlesung zu erinnern, in der ein Dozent meinte, dass eine kausaler Zusammenhang in solchen Fällen immer dann vorliegt, wenn nach äußerlicher Einwirkung noch kein Endzustand der daraus folgenden Erkrankung erreicht ist.
Motorradunfall -> SHT -> Heimbeatmung -> Pneumonie -> Tod.
Ein kausaler Zusammenhang mit dem Unfall liegt für mich zumindest nahe, daher nicht-natürlicher Tod mit allen entsprechenden Konsequenzen.


Diese "Endzustands"-Theorie habe ich echt noch nie gehört, und sie erscheint mir auch zutiefst widersinnig.


Beispiel 2: Eine 41-jährige Patientin stirbt 4 Jahre nach einem
Narkosezwischenfall mit der Folge eines apallischen Syndroms an
einer Pneumonie.
Ia Pneumonie
Ib Apallisches Syndrom, Bettlägerigkeit
Ic Narkosezwischenfall
Zugleich wäre in diesem Fall die Todesart als nichtnatürlich zu
qualifizieren.
Quelle: Madea: Praxis Rechtsmedizin. 2007, 2. Auflage, S. 25

abcd
28.06.2020, 21:16
Für die Angehörigen hat es eine KOnsequenz bzgl. Auszahlung einer Versicherungersumme der Unfallversicherung. Bei natürlicher Tod steigt die Versicherung aus.

WackenDoc
28.06.2020, 22:09
Die Frage ist quasi ob er auch ohne den Unfall an der Pneumonie verstorben wäre. Also ist er mit 90 Jahren 70 Jahre nach dem Unfall an einer Pneumonie verstorben, KÖNNTE es natürlich sein. Mit 40 und 5 Jahre nach dem Unfall eher nicht.
Das musst du aber nicht am Totenbett entscheiden, sondern im Zweifel der Gutachter.
Also im Zweifel Nicht-natürlich ankreuzen in dem Beispiel.

Es gibt aber einen Grundsatz mit dem man auf der sicheren Seite ist:
Wenn du "natürlich" ankreuzt, musst du dir sicher sein, dass er natürlich ist. Sobald die Möglichkeit! eines nicht-natürlichen besteht ist es nicht-natürlich oder unklar (die Kategorie gibt es in manchen Bundesländern).
Du bekommst Ärger, wenn du falsch-natürlich ankreuzt, aber nicht, wenn es falsch-nicht-natürlich ist.

Bei den Warnhinweisen genau das Formular beachten. Und mal schauen, ob es Fortbildungsveranstaltungen zum Thema gibt.

ER-Student
29.06.2020, 14:40
Vielen lieben Dank für Eure Antworten. Da habe ich auf jeden Fall etwas dazu gelernt. Bisher bekam ich von meinen Oberärzten immer eingetrichtert, dass man einen natürlichen Tod bescheinigen soll, es sei denn es gäbe harte Hinweise auf Fremdeinwirkung. Gerade in der Geriatrie kann ich mich an keinen Fall erinnern, wo die Oberärzte nach einem Tod durch Pneumonie, auch bei langjährigen Apallikern, eine nicht-natürliche Todesart im Schein eingetragen haben wollten. Da werde ich in Zukunft auf jeden Fall deutlich mehr aufpassen und bei geringen Zweifeln bezogen auf mögliche lang zurückliegende Kausalitäten unklar oder nicht-natürlich ankreuzen.

Was droht einem denn, wenn man sich bei der natürlichen Todesart mal geirrt hat? Bin mir gerade nach den Erkenntnissen aus diesem Thema ziemlich unsicher ob alle meine Kreuze bei natürlichem Tod dann wirklich korrekt waren, oder ob da doch mal Fälle dabei waren, wo ich eine zurückliegende Kausalität falsch bewertet habe.

Hat jemand noch Erfahrungen zu dem Punkt mit den Infektionserkrankungen?

Ich werde mich wirklich mal auf die Suche nach einem Leichenschaukurs machen.

WackenDoc
29.06.2020, 17:19
Es kann bei der Todesart um richtig viel Geld gehen. Und als Arzt kannst du für eine schlampige Leichenschau und die falsche Todesart (also das schuldhafte Nichterkennen eines nicht-natürlichen Todes) richtig Ärger bekommen. Bis zu berufsrechtlichen Konsequenzen.

Gerade bei den Nicht-natürlichen kann es durchaus um viel Geld gehen. Dazu noch das Übersehen von Straftaten.
Mit Fremdeinwirkung hat nicht-natürlich nur wenig zu tun. Die meisten/viele Nicht-natürlichen sind nicht durch Fremdeinwirkung entstanden, geschweige denn durch eine Straftat. Ein Suizid ist z.B. immer nicht-natürlich, aber regelhaft ohne Fremdeinwirkung.
Sowas muss man auch den Angehörigen verklickern (je nach dem auch mal den beteiligten Polizeibeamten- da wo ich Notarzt fahre ist die Zusammenarbeit aber super. Hatte da noch nie Probleme.).

Du hast ja in der Klinik noch den Vorteil, dass du die Anamnesen kennst (oder zumindest nochmal genauer nachschlagen kannst) und du nicht soo den Zeitdruck hast.

LeichenschauKURS wirst du weder brauchen noch sind die verbreitet. Aber in den Ärzteblättern gibt es immer wieder Veröffentlichungen dazu und da finden sich im Veranstaltungskalender auch Ankündigungen zu entsprechenden Vorträgen. oft über den Hausärzteverband oder auch für den Rettungsdienst

WackenDoc
29.06.2020, 17:41
Und der Unterschied zwischen "nicht-natürlich" und "ungeklärt" (gibt es aber nicht überall).

Nicht-natürlich: Du hast klare Hinweise darauf, dass der Tod nicht-natürlich ist. Messer im Rücken, Unfall, Suizid...
Ungeklärt: Du hast keine klaren Hinweis auf "nicht-natürlich", aber bist dir auch nicht ausreichend sicher, dass es natürlich ist. Z.B. Patienten die plötzlich sterben ohne dass sie sehr alt sind oder lebenslimitierende Vorerkrankungen haben.

Nicht-natürliche werden immer genauer untersucht. Stellt sich raus, dass sie doch natürlich waren, dass ist das so.
Natürliche werden nur in manchen Bundesländern genauer untersucht, oder bei Einäscherungen oder wenn dem Bestatter was auffällt.

Und man muss auch nicht zwanghaft die Kausalität zusammendröseln, wenn man es einfach nicht weiss. Hab das auch eine Weile gemacht und es irgendwann aufgegeben. Nie Ärger bekommen. Klassiker- 85 Jahre, 10 Vorerkrankungen von denen 5 lebenslimitierend sind, wird morgens von der Familie tot im Bett aufgefunden. Ja mei- woher soll ich wissen, was davon die unmittelbare Ursache war. Da kann amn auch die Vorerkrankungen auffühen und bei unmittelbarer "unbekannt" rein schreiben.

Nessiemoo
05.07.2020, 12:27
Ich kenne Abteilungen, wo deswegen alle Totenscheine zuerst durch Oberarzt "abgesegnet" werden müssen. Aber auch in anderen kann man deswegen immer insbesondere als Assistenzarzt auch fragen und letzendlich, wenn man sich unsicher ist, kann man auch tatsächlich in Gesundheitsamt anrufen und da nachfragen - wir hatten mal eine Fortbildung mit denen, wo sie gemeint hatten, das ist denen viel lieber als falsch ausgefüllte Scheine.