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Aoiyuki
09.07.2020, 08:48
Hallo zusammen!
Ich bin momentan bezüglich meiner Doktorarbeit hin und hergerissen, daher würde ich euch gerne um eure Meinung fragen.

Erst mal zum Projekt und zu meiner Betreuung:

Also es wurde festgestellt, dass die Hepatitis C Therapie mit direkt wirkenden antiviralen Substanzen zu 90% erfolgreich ist. In meiner Doktorarbeit untersuche ich speziell für die Kohorte meiner Uni-Stadt, ob dies genauso zutrifft. Also anhand von Real Life Daten. Die Daten, die ich sammle, sind aus einer Routineversorgung.
Ob die Therapie erfolgreich ist, wird anhand der Viruslast gemessen.
Wenn die Therapie bei den 10% der zu erwartenden Patienten nicht gewirkt hat, wird geschaut, was die Gründe dafür waren.
Ansonsten wird anhand der Kohorte beispielsweise untersucht, ob Alkoholiker durch die Therapie aufgehört haben zu trinken. Mehr haben wir zu diesem Aspekt aber nicht besprochen. Ziel ist es, erst mal möglichst viele Daten zu sammeln. Es wird grundsätzlich am Anfang vieles offen gelassen, da meine Betreuerin meinte, dass man noch nicht genau weiß, was für Ergebnisse aus der Kohorte der Stadt zu erwarten sind.
Ich habe mit Laborwerten, Virologie, usw. ca.50 Parameter zu sammeln. Ziel sind 250 Patienten. Eintragen tu ich alles in Excel.
Bisher warte ich auch noch auf eine Antwort des Promotionsausschusses ab, ob das Projekt durchgewunken wird. Bisher habe ich Daten zu 20 Patienten schon gesammelt, als dann die Antwort kam, dass das Projekt noch geprüft wird.

Zu meinem Bauchgefühl: Ich habe hierbei gerade nicht so ein gutes Bauchgefühl. Meine Betreuerin sagt hierzu, dass der Therapie-Erfolg die Hauptarbeitshypothese ist. Ich habe aber bisher noch keine Literatur o.Ä. erhalten. Die Literaturrecherche soll erst am Ende erfolgen, meinte sie. Ich hatte auch noch mal ein Gespräch mit ihr geführt, da ich meinte, ob man nicht noch zwei weitere Hypothesen aufstellen könnte. Sie meinte, dass sie es ungern machen würde, da man am Ende erst sehen kann, was die Daten eigentlich hergeben. Also nach dem Motto "erst mal Daten sammeln". Sie hat mir versichert, dass am Ende "sicher etwas herauskommen würde". Ich bin von meiner Seite her da sehr verunsichert, da ich einfach ins Blaue hineinarbeite. Natürlich tut man das ja oft in der Wissenschaft, nur leitet man sich nicht normalerweise von der Literatur die Hauptarbeitshypothesen ab bzw. definiert klar das Thema? Am Ende würde es ja dann sonst nur im worst case auf eine Kohortenbeschreibung hinauslaufen, oder nicht?

Wenn ich das jetzt ganz falsch sehen sollte, könnt ihr mir das natürlich auch schreiben.

Ich habe mich trotzdem schon mal umorientiert, ein alternatives klinisch-retrospektive Arbeit wäre auch in der Anästhesie bei einem Arzt möglich, bei dem ich schon einmal Famulatur gemacht habe. Ich würde also am Ende nicht "Ohne nichts" dastehen.

Viele sagen mir auch, dass man auch mit einem "Lari-Fari" Projekt den Doktortitel bekommt. Ich habe nur ehrlich gesagt dann keine große Motivation bei einem Projekt, wo ich nicht weiß, ob es am Ende stichhaltig genug ist bzw. keine klare Fragestellung hat.

Ich würde mich sehr über eure Antworten freuen!

Vielen lieben Dank.

LG

Trüffel
09.07.2020, 09:14
Denkanreiz.

Absolute Red Flags eines Promotionsvorhabens:
- "Sammeln Sie erstmal Daten."
- "Die Fragestellung überlegen wir uns später."
- "Das wird garantiert funktionieren / eine Publikation / eine Erstautorenschaft / ein [trage Note hier ein]."

Du sagst, man würde "oft" in der Wissenschaft ins Blaue hinein arbeiten. Nein, das tu man nicht! In keinem Labor der Welt sagt man dir "machen Sie mal 200 PCRs, dann schauen wir, was unsere Fragestellung ist" oder "bebrühten Sie mal 50 Zellkulturen, dann überlegen wir uns, was wir damit anstellen."

Einfach nur Therapieerfolge messen und gucken, ob die gängigen 10 % Versagen in der Literatur bestätigt werden, ist m.E. sehr schwachbrüstig. Selbst für eine retrospektive Arbeit.

Aus deiner Beschreibung geht hervor, dass das Verfahren bereits in Prüfung ist. Also hast du die Arbeit schon angemeldet und wartest jetzt auf Annahme durch den Promotionsausschuss? Dann ist es vermutlich gar nicht so einfach, umzuschwenken, bzw. du müsstest die Arbeit offiziell abbrechen. Informiere dich da mal, was deine Möglichkeiten sind.

Bonnerin
09.07.2020, 12:29
Wenn du das so schreibst, dann würde ich das mit dem miesen Bauchgefühl unterschreiben. Nur so Daten sammeln und mal gucken ist wirklich kein guter Startpunkt. Was berichten andere Promovierende über diese Betreuerin?

Und ja, man bekommt den Dr. med auch mit Sachen, für die sich so manche Bachelor-Studierenden schämen würde. Inzwischen ist dank Titel-Anerkennungen das Niveau höher, aber nicht so viel.

Aoiyuki
09.07.2020, 13:24
Danke schon mal für eure Antworten!

Also meine Betreuerin betreut auch experimentelle Doktorarbeiten zusammen mit meiner Doktormutter.
Meine Doktormutter hält sich aber bei meiner klinisch-statistischen Arbeit viel raus, weil sie vor allem die Experimente betreut und sozusagen keine "Klinikerin" ist.
Meine Betreuerin ist mehr für die klinischen Doktorarbeiten zuständig.
Also eine Doktorandin von ihr scheint jetzt einzureichen, habe aber von ihr aber leider Kontaktdaten. Sie musste auch einmal wohl das Thema wechseln. Was da aber genau vorgefallen war, weiß ich leider nicht.
Hatte nur von der Doktorandin mit der experimentellen Arbeit Kontaktdaten bekommen, bei ihr lief alles gut (wurde aber eben hauptsächlich von der Doktormutter betreut).
Vielleicht ist der Titel mit so einer Doktorarbeit möglich, aber ich bin halt einfach nicht zufrieden... viele Freunde von mir sagen aber auch, dass es nicht die "perfekte" Doktorarbeit gibt und man immer irgendwie ein schlechtes Gefühl dabei hat.

Meine Betreuerin ist zwar schon immer erreichbar, das ist nicht das Problem, ich habe nur das Gefühl, dass es sehr unstrukturiert ist.
Ich komme mit ihrer Vorgehensweise nicht ganz zurecht. Meine Kohorte soll wohl auch noch mit einer anderen aus der Literatur verglichen werden, aber ich habe keine Ahnung, mit welcher Gruppe ich das machen soll. Die Literaturrecherche soll ich erst am Ende machen.
Vieles erscheint mir sehr "spontan". Ist eben die Frage, ob man sich da durchbeißen soll oder ob es doch noch ein besseres Projekt gibt. Ist natürlich jetzt hier alles aus meiner eigenen, subjektiven Sicht geschrieben...
Und mal sehen, was der Promotionsausschuss jetzt sagt - selbst wenn es durchgewunken wird, weiß ich nicht, ob ich das Projekt weitermachen möchte. Wir haben eine Betreuungsvereinbarung, die kann man aber wieder kündigen/auflösen.

Liebe Grüße

elastic
09.07.2020, 15:07
Vielleicht hast du auch zu hohe Erwartungen am Anfang? So schlecht kling das alles nicht, und wenn ihr dem Promotionsausschuss etwas vorgelegt habt, muss da ja auch was sinnvolles drinstehen. Und in der Betreuungsvereinbarung muss ja auch etwas festgelegt worden sein. Ich würde offen auf deine Betreuerin zugehen und sie bitten, die offenen Fragen zu klären.

Matzexc1
09.07.2020, 18:04
Ich kenne genug Kollegen die mit lari-Fari den Doktor bekamen.

Die Hypothese ist der Therapierfolg der Virostatika, okay das ist ein Ergebnis mit dem man rechnen kann.
Du untersuchst also ob sich aus deinen Ergebnissen noch andere Schlussfolgerungen ableiten lassen?

Das kann vieles ergeben oder du bestätigst am Ende nur, dass die Therapie auch in deiner Unistadt anschlägt. Wenn das eintritt bedeutet das keinen neuen Erkenntnisgewinn, was natürlich am Ende in einer schlechteren Note resultieren kann.

Bei mir begann die Arbeit mit Literaturstudium und die Recherche steigerte sich jeden Monat erneut. Ich würde deine Betreuerin explizit darum bitten dir Literatur zur Verfügung zu stellen und vor allem eine genaue Definition mit was du deine Ergebnisse vergleichen sollst.

Aus deinem Post geht hervor das du nicht mehr hinter der Arbeit stehst, das würde ich nicht erwähnen, aber deutlich machen das du über die aktuelle Vorgehensweise nicht glücklich bist.

Seit wann läuft die Prüfung im Ausschuss?

GelbeKlamotten
09.07.2020, 19:58
Du sagst, man würde "oft" in der Wissenschaft ins Blaue hinein arbeiten. Nein, das tu man nicht! In keinem Labor der Welt sagt man dir "machen Sie mal 200 PCRs, dann schauen wir, was unsere Fragestellung ist" oder "bebrühten Sie mal 50 Zellkulturen, dann überlegen wir uns, was wir damit anstellen."


In wie vielen Laboren hast du denn schon gearbeitet, dass du hier so eine Aussage raushauen kannst?
Das man die Fragestellung im Nachhinein den Ergebnissen anpasst ist ja nun wirklich keine Seltenheit. Auch bei Laborexperimenten. Natürlich steht das in der Publikation nachher so nicht drin.
Wenn man auf eine relativ simple Arbeit aus ist, finde ich das hier völlig in Ordnung.

Trüffel
09.07.2020, 20:17
In wie vielen Laboren hast du denn schon gearbeitet, dass du hier so eine Aussage raushauen kannst?
Unerheblich, aber in mehr als genug.


Das man die Fragestellung im Nachhinein den Ergebnissen anpasst ist ja nun wirklich keine Seltenheit. Auch bei Laborexperimenten.
Das man die Fragestellung feinschleift, steht nicht im Widerspruch zu meiner Aussage. Man fängt aber kein Experiment ohne Fragestellung an, um dann am Ende mal zu schauen, was man eigentlich erforschen wollte. Bei einer statistischen Dissertation ist die Hemmschwelle zu so einem dilettantischen Ansatz womöglich geringer, weil der Doktorand erstmal nichts kostet und er im Zweifelsfall maximal Lebenszeit vergeudet hat. In einem biochemischen Labor, wo ein verpfuschter Versuch mal eben Antikörper, Primer etc. im Gegenwert einer fünfstelligen Summe vernichten kann, sollte etwas mehr Sachverstand ins Konzept einfließen.

GelbeKlamotten
09.07.2020, 20:37
Unerheblich, aber in mehr als genug.


Das man die Fragestellung feinschleift, steht nicht im Widerspruch zu meiner Aussage. Man fängt aber kein Experiment ohne Fragestellung an, um dann am Ende mal zu schauen, was man eigentlich erforschen wollte. Bei einer statistischen Dissertation ist die Hemmschwelle zu so einem dilettantischen Ansatz womöglich geringer, weil der Doktorand erstmal nichts kostet und er im Zweifelsfall maximal Lebenszeit vergeudet hat. In einem biochemischen Labor, wo ein verpfuschter Versuch mal eben Antikörper, Primer etc. im Gegenwert einer fünfstelligen Summe vernichten kann, sollte etwas mehr Sachverstand ins Konzept einfließen.

Um „ohne Fragestellung“ ging es hier ja auch gar nicht. Was aoijukis Betreuerin vorhat ist doch klar. Man legt anfangs als Fragestellung fest, dass man die Anteil an Nonrespondern untersuchen will und die Gründe für die Nonresponse.

Dafür sammelt man möglichst viele Daten, korreliert einfach mal alles mit allem und wenn dann merkmal xyz zufällig mit nonresponse korreliert, dann tut man so als hätte man von anfang an genau diesen zusammenhang gezielt untersucht. Für p <= 0.05 braucht man dafür im Schnitt 20 Merkmale, bis man einen reinen Zufallstreffer hat.

Ähnliche Vorgehensweisen finden selbstverständlich auch bei Laborexperimenten statt.

Mit seriöser Wissenschaft hat das natürlich rein gar nichts zu tun. Nur mit dem Generieren von Publikationen und Titeln.

Ich würde schätzen, dass etwa 20% der Forschung solche Pseudowissenschaft in unterschiedlichster Form ist. Nicht nur in der Medizin.

Trüffel
09.07.2020, 21:29
Um „ohne Fragestellung“ ging es hier ja auch gar nicht.
Doch, das war im Wesentlichen meine Aussage, auf die du direkt geantwortet hattest. ;)
Im Labor wird auch Schindluder getrieben, da hast du Recht. Die Analogie sehe ich dennoch eher nicht.


Was aoijukis Betreuerin vorhat ist doch klar. Man legt anfangs als Fragestellung fest, dass man die Anteil an Nonrespondern untersuchen will und die Gründe für die Nonresponse.
Ja gut, das ist natürlich schon "eine Fragestellung". Was mir aber fehlt, ist die Hypothese. Es geht hier ja nicht darum, ob so ein Bananenprojekt ggf. rückwirkend mit Kreativität oder fahrlässig maligner Statistik zum Bestehen gerettet werden kann. Wichtiger ist für den Promovenden doch, ob das Konzept prospektiv die größtmögliche Sicherheit für einen erfolgreichem Abschluss bietet. Und da sehe ich hier Defizite. Die Betreuerin scheint sich nicht festlegen zu wollen und teilweise auszuweichen, z.B. im Bezug auf die Literatur. Das sind für mich alles Warnsignale. So ein Projekt kann gut gehen. Ich habe derartige fluffige Projektskizzen aber bei viel zu vielen Kommilitonen den Bach runter gehen sehen. Letztlich muss das jeder selbst wissen und wir kennen ja auch die Betreuerin bzw. die gelaufenen Gespräche nicht im Detail.


Mit seriöser Wissenschaft hat das natürlich rein gar nichts zu tun. Nur mit dem Generieren von Publikationen und Titeln.

Da stimme ich dir absolut zu. Wenn das aber der Gedanke ist, könnte man sich auch gleich eine noch billigere Kafféesatzarbeit suchen. Das würde viel Arbeit und Ungewissheit einsparen und am Ende vermutlich schlimmstenfalls den Unterschied zwischen rite und cum ausmachen. Wenn überhaupt.

GelbeKlamotten
10.07.2020, 10:05
Doch, das war im Wesentlichen meine Aussage, auf die du direkt geantwortet hattest. ;)
Deine Aussage war, dass in der Wissenschaft nirgendwo ins Blaue gearbeitet würde. Das ist meiner Meinung nach nicht richtig.



Im Labor wird auch Schindluder getrieben, da hast du Recht. Die Analogie sehe ich dennoch eher nicht.

Analogie im Labor: Man bestimmt Merkmal x experimentell und schaut dann, mit welchen Krankheiten, Phänotypen, o.ä. das Merkmal korreliert. Daraus generiert man im Nachhinein eine Hypothese. In dieser Form sicher seltener als bei statistischen Arbeiten, aber kommt schon vor.

Bei meiner ehemaligen Kommilitonin lief es z.B. so:
Ursprüngliche Hypothese: "Bei Patienten mit Krankheit x ist eine Erhöhung von Serumprotein y zu beobachten."

50 Patientenproben und 50 Proben von gesunden Patienten untersucht, keine Unterschiede gefunden. So will das der Doktorvater aber nicht publizieren. Also Patientenakten durchforstet und Teilgruppen gebildet. Haben Patienten, die besonders jung an x erkranken mehr Protein y? usw. Nichts zu holen. Dann mal alle Patienten rausgesucht, die tatsächlich einen hohen Messwert hatten und versucht, in den Akten eine Gemeinsamkeit zu finden. Nichts.

Ok, also mussten Verlaufsmessungen her. Von einem Teil der Patienten (sagen wir 35) gab es noch eine zweite, frühere Blutprobe. Zufällig (?) war das eine Teilgruppe mit insgesamt in der aktuellen Messung erhöhten Messwerten. Also die alten Seren dieser Patienten getestet, dort durchschnittliche Werte.

Ergebnis: Bei Patienten mit Krankheit x kommt es im zeitlichen Verlauf zu einer Zunahme von Serumprotein y.

Das ganze wurde natürlich in einem peer reviewed journal publiziert. Und natürlich wird in der Publikation wie auch in der Doktorarbeit nur von den Verlaufsmessungen bei 35 Patienten berichtet. Den Vorlauf mit den weiteren Messungen erwähnt man nicht, man will den Leser ja nicht verwirren. Note der Doktorarbeit Magna cum laude.



Ja gut, das ist natürlich schon "eine Fragestellung". Was mir aber fehlt, ist die Hypothese. Es geht hier ja nicht darum, ob so ein Bananenprojekt ggf. rückwirkend mit Kreativität oder fahrlässig maligner Statistik zum Bestehen gerettet werden kann. Wichtiger ist für den Promovenden doch, ob das Konzept prospektiv die größtmögliche Sicherheit für einen erfolgreichem Abschluss bietet. Und da sehe ich hier Defizite. Die Betreuerin scheint sich nicht festlegen zu wollen und teilweise auszuweichen, z.B. im Bezug auf die Literatur. Das sind für mich alles Warnsignale. So ein Projekt kann gut gehen. Ich habe derartige fluffige Projektskizzen aber bei viel zu vielen Kommilitonen den Bach runter gehen sehen. Letztlich muss das jeder selbst wissen und wir kennen ja auch die Betreuerin bzw. die gelaufenen Gespräche nicht im Detail.

Ich glaube nicht unbedingt, dass diese Art von Konzept eine niedrigere Abschlussquote hat oder schlechtere Noten abwirft. Auch gut und wissenschaftlich sauber geplante Arbeiten können scheitern oder einfach kein publikationswürdiges Ergebnis liefern.



Da stimme ich dir absolut zu. Wenn das aber der Gedanke ist, könnte man sich auch gleich eine noch billigere Kafféesatzarbeit suchen. Das würde viel Arbeit und Ungewissheit einsparen und am Ende vermutlich schlimmstenfalls den Unterschied zwischen rite und cum ausmachen. Wenn überhaupt.

Kann sein, aber so viele von diesen super easy Arbeiten, von denen immer erzählt wird und mit denen man angeblich in 6 Monaten locker komplett fertig ist, scheint es gar nicht zu geben. Ich kenne zumindest keinen, der eine Doktorarbeit mit extrem geringem Zeitaufwand hatte.

Was Aoiyuki beschreibt liegt doch schon am unteren Rand des Spektrums. 250 Patienten mit je 50 Parametern. So aufwendig wird es nicht sein, Laborwerte u.ä. in eine Excel- und/oder SPSS-Tabelle zu übertragen. Rechnen wir mal eine Stunde pro Patient. Dann ist das in den Semesterferien in 4 Wochen zu schaffen. Bei einer Laborarbeit verpufft diese Zeit oft allein schon für die Einarbeitung, ohne dass man dabei einen einzigen Messwert für die Doktorarbeit generiert hätte.

elastic
10.07.2020, 10:51
Was Aoiyuki beschreibt liegt doch schon am unteren Rand des Spektrums. 250 Patienten mit je 50 Parametern. So aufwendig wird es nicht sein, Laborwerte u.ä. in eine Excel- und/oder SPSS-Tabelle zu übertragen. Rechnen wir mal eine Stunde pro Patient. Dann ist das in den Semesterferien in 4 Wochen zu schaffen. Bei einer Laborarbeit verpufft diese Zeit oft allein schon für die Einarbeitung, ohne dass man dabei einen einzigen Messwert für die Doktorarbeit generiert hätte.

wenn alles schön aufbereitet vor einem liegt, vielleicht. Wo ist das der Fall? nirgends.
Bis man alle Daten sauber auf dem Tisch liegen hat und bereit ist zum reinen Übertragen in die Exceltabelle ist oft ein langer Weg bis hin in tiefste Archive. Dann ist man für ein paar Sekunden abtippen auch schon mal mehrere Wochen beschäftigt.

Trüffel
10.07.2020, 11:01
Analogie im Labor: Man bestimmt Merkmal x experimentell und schaut dann, mit welchen Krankheiten, Phänotypen, o.ä. das Merkmal korreliert. Daraus generiert man im Nachhinein eine Hypothese. In dieser Form sicher seltener als bei statistischen Arbeiten, aber kommt schon vor.
Das ist nicht das gleiche. Die korrekte Analogie wäre: Wir bestimmen in 250 Laborproben einfach mal alle Merkmale, die uns einfallen, und überlegen uns dann, ob wir aus einer davon eine Arbeitshypothese ableiten können. So etwas ist mir im Labor zu Recht nie untergekommen. Möglicherweise gibt es das vereinzelt. Das spricht dann eben Bände gegen das Labor und/oder den Doktorvater. Man kann alles tun. Die Frage ist, ob man es sollte.


Ursprüngliche Hypothese: "Bei Patienten mit Krankheit x ist eine Erhöhung von Serumprotein y zu beobachten."
Es lag demnach von vornherein eine konkrete, testbare Hypothese vor.


Ich glaube nicht unbedingt, dass diese Art von Konzept eine niedrigere Abschlussquote hat oder schlechtere Noten abwirft.
Glauben kannst du vieles. Das hilft dem Promovenden am Ende wenig, wenn seine Arbeit nach Jahren in Trümmern liegt und die Red Flags da waren, aber ignoriert wurden. Am Ende bleibt es bei einer schnöden Risikobewertung. Warum eine unnötig vage Arbeit ohne Hypothese und mit offensichtlich suboptimalem Vertrauensverhältnis zur Betreuerin annehmen, wenn es genügend Alternativen ohne diese zusätzlichen Risikofaktoren gibt?

GelbeKlamotten
10.07.2020, 12:30
Es lag demnach von vornherein eine konkrete, testbare Hypothese vor.

Ja, es lag pro forma eine Hypothese vor. Die gibt es bei Aoiyukis Arbeit ja auch. Nur wenn man die nachher komplett verwirft und im Nachhinein so tut als hätte man eine ganz andere Arbeitshypothese gehabt, weil die Daten dazu viel besser passen, dann ist es auch egal ob man vorab eine klare Hypothese hatte oder nicht. Oder ist das dann das, was du als "Feinschliff" bezeichnest?



Glauben kannst du vieles. Das hilft dem Promovenden am Ende wenig, wenn seine Arbeit nach Jahren in Trümmern liegt und die Red Flags da waren, aber ignoriert wurden. Am Ende bleibt es bei einer schnöden Risikobewertung. Warum eine unnötig vage Arbeit ohne Hypothese und mit offensichtlich suboptimalem Vertrauensverhältnis zur Betreuerin annehmen, wenn es genügend Alternativen ohne diese zusätzlichen Risikofaktoren gibt?

Glauben kannst auch du vieles. Warum sollten gerade deine Annahmen und deine "Risikobewertung" richtig sein? Die Untersuchung einer sehr konkreten Fragestellung kann auch einfach schief gehen, wenn man dann keine Alternative hat, steht man blöd da.

Ich glaube, dass Aoiyukis Arbeit eine deutlich überdurchschnittliche Erfolgswahrscheinlichkeit hat. Sie hat eine klare Hauptfragestellung (Therapieerfolg in seinem Patientenkollektiv). Die kann sie auch als Hypothese formulieren, z.B. "Nach x Wochen Therapie liegt die Viruslast bei 90% der Patienten im beobachteten Kollektiv unterhalb der Nachweisgrenze" oder ähnliches.

Jetzt will sie selbst schon im Voraus zwei zusätzliche Hypothesen formulieren. Die Betreuerin will das erst später tun. Dieses Vorgehen kann man aus wissenschaftlicher Sicht bemängeln. Aber es wird die Wahrscheinlichkeit für ein positives Ergebnis auf dem Papier erhöhen und nicht mindern, deswegen macht die Betreuerin das ja so. Wann genau diese zusätzlichen Hypothesen aufgestellt wurden, wird nachher keiner nachvollziehen können.

Einen "proof of concept" für das Datensammeln hat sie auch schon geleistet. Schließlich hat sie offenbar schon 20 vollständige Datensätze zusammengetragen ohne dass es dabei große Schwierigkeiten gegeben hätte.

Ich glaube nicht, dass es viele Arbeiten gibt, die eine bessere Erfolgschance bei gleichzeitig geringerem Zeitaufwand haben als diese.

Trüffel
10.07.2020, 14:37
Glauben kannst auch du vieles. Warum sollten gerade deine Annahmen und deine "Risikobewertung" richtig sein?
Gesunder Menschenverstand. Du gehst vom Best-Case-Szenario aus, ich vom Worst Case. Einer von beiden Ansätzen bietet die deutlich geringere Chance, auf die Schnauze zu fliegen.


Ich glaube, dass Aoiyukis Arbeit eine deutlich überdurchschnittliche Erfolgswahrscheinlichkeit hat. Sie hat eine klare Hauptfragestellung (Therapieerfolg in seinem Patientenkollektiv). Die kann sie auch als Hypothese formulieren, z.B. "Nach x Wochen Therapie liegt die Viruslast bei 90% der Patienten im beobachteten Kollektiv unterhalb der Nachweisgrenze" oder ähnliches.
Erstens ist das nicht die Hauptfragestellung, sondern der Status quo, der nachvollzogen werden soll, um im (unklaren) Falle einer Abweichung eine Fragestellung erstmalig zu entwickeln. Zweitens kannst du jetzt natürlich beliebige darauf fußende Fragestellungen aus deinem Hut zaubern und so tun, als wäre genau dies das Konzept der Arbeit. Ist es aber nicht, so wie der/die TE das Projekt skizziert hat. Und das Fehlen eines solchen Konzeptes ist hier das eigentliche Problem. Das zeugt nämlich von einer gewissen Planlosigkeit oder Egalität seitens der Betreuer. Hirnfurze Ausdenken kann man sich für jede Bananenpromotion. Die bloße Möglichkeit dazu ist kein Ausdruck davon, dass ein Projekt angeblich gut konzipiert sei.


Dieses Vorgehen kann man aus wissenschaftlicher Sicht bemängeln. Aber es wird die Wahrscheinlichkeit für ein positives Ergebnis auf dem Papier erhöhen und nicht mindern, deswegen macht die Betreuerin das ja so.
Warum die Betreuerin etwas tut oder lässt, weißt du nicht. Einfach ins Blaue Loslegen ohne Fragestellung erhöht also die Wahrscheinlichkeit, dass das Promotionsprojekt erfolgreich abgeschlossen werden kann? Da fällt mir nichts mehr zu ein. Bitte berate keine Studenten.

GelbeKlamotten
10.07.2020, 14:58
Erstens ist das nicht die Hauptfragestellung, sondern der Status quo, der nachvollzogen werden soll, um im (unklaren) Falle einer Abweichung eine Fragestellung erstmalig zu entwickeln. Zweitens kannst du jetzt natürlich beliebige darauf fußende Fragestellungen aus deinem Hut zaubern und so tun, als wäre genau dies das Konzept der Arbeit. Ist es aber nicht, so wie der/die TE das Projekt skizziert hat. Und das Fehlen eines solchen Konzeptes ist hier das eigentliche Problem.

Die TE schreibt: "In meiner Doktorarbeit untersuche ich speziell für die Kohorte meiner Uni-Stadt, ob dies genauso zutrifft. Also anhand von Real Life Daten. Die Daten, die ich sammle, sind aus einer Routineversorgung. Ob die Therapie erfolgreich ist, wird anhand der Viruslast gemessen."

Das ist eine klare und eindeutige Beschreibung, was untersucht werden soll. Außerdem hat die Betreuerin klar gesagt, dass je nachdem was die Daten hergeben, dann die Fragestellung erweitert werden kann. Das ist ein absolut übliches Konzept.



Das zeugt nämlich von einer gewissen Planlosigkeit oder Egalität seitens der Betreuer.
Das zeugt eher davon, dass die Betreuer genaue Vorstellungen davon haben, die Sache ablaufen soll. Das ist gut.



Hirnfurze Ausdenken kann man sich für jede Bananenpromotion.
Ein ganz schön hohes Ross auf dem du da sitzt, dass du von deinem Schreibtisch aus denkst du könntest ein ganz normal strukturiertes Promotionsvorhaben als Bananenpromotion oder Hirnfurz abtun. Ein echter Trüffel eben.



Einfach ins Blaue Loslegen ohne Fragestellung erhöht also die Wahrscheinlichkeit, dass das Promotionsprojekt erfolgreich abgeschlossen werden kann? Da fällt mir nichts mehr zu ein.
Wir drehen uns im Kreis. Könnte mit Textverständnisschwierigkeiten deinerseits zu tun haben.

Trüffel
10.07.2020, 15:40
Das ist eine klare und eindeutige Beschreibung, was untersucht werden soll.
Es ist weder eine konkrete Fragestellung noch eine Arbeitshypothese. "Ich untersuche das Eintreten eines Herzinfarktes, hierzu messe ich das Myoglobin im Serum". Und nu? Tolles Promotionsvorhaben! Klar kann man die Studie derart aufziehen, dass man einfach den Literaturkonsenz rekonstruiert. Dann ist der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn eben "Ja, ist bei uns so." oder "Nein". Wenn es danach noch weitergehen soll, ist es ratsam, sich vorher zu überliegen, wie. Sonst hat man unzureichende oder die falschen Parameter erhoben und fängt ausgehend von einem umfassenden Datengrab wieder von vorne an. Tu doch bitte nicht so, als läge der hier skizzierten Arbeit ein durchdachtes Konzept zu Grunde. Das gibt die Beschreibung des TE schlichtweg nicht her. Es ist eine vage Idee eines Themas, der Student soll einfach schon einmal drauf los werkeln, und dann findet sich etwas Promotionswürdiges oder eben nicht. Toi, toi, toi!


Das zeugt eher davon, dass die Betreuer genaue Vorstellungen davon haben, die Sache ablaufen soll. Das ist gut.
Keine Fragestellung und kein statistisches Konzept haben ist das Gegenteil von "genauen Vorstellungen", und da wäre "gut" sicherlich nicht das Wort meiner Wahl. Ob etwas "üblich" ist, geht hier am Thema vorbei. Würde aber erklären, warum so viele Promotionen scheitern.


Ein ganz schön hohes Ross auf dem du da sitzt, dass du von deinem Schreibtisch aus denkst du könntest ein ganz normal strukturiertes Promotionsvorhaben als Bananenpromotion oder Hirnfurz abtun.
Es ist nicht normal strukturiert, sondern schlecht. Du siehst das anders. Darfst du. Als Hirnfurz oder Bananenpromotion habe ich das Vorhaben nicht bezeichnet. Genau lesen.

davo
10.07.2020, 17:44
Für p <= 0.05 braucht man dafür im Schnitt 20 Merkmale, bis man einen reinen Zufallstreffer hat.

Aber nur, wenn man auf die Alpha-Fehler-Korrektur vergisst :-p

So ein Vorgehen ist tatsächlich eindeutig bad scientific practice. Dass es oft gemacht wird, mag schon sein. Aber bei einer seriösen Untersuchung legt man vorher fest, was man untersuchen will und welche Daten man dafür wie erheben muss, dann erhebt man die Daten, und dann analysiert man sie.

Ich sehe das genau wie Trüffel - Hände weg!

Cor_magna
10.07.2020, 20:29
Ich stimme den meisten der hier schreibenden absolut zu: Hände weg von dieser Arbeit, das geht absolut nach hinten los.
Genug solche Arbeiten bei Freunden scheitern gesehen.

Meine eigene Arbeit lief von anfang an wie auf Schienen: Da war alles durchgeplant. Bin auch nicht aus Zufall an diese Arbeit geraten: Ich habe ein halbes Jahr alles und jeden nach Erfahrungen bezüglich Doktorarbeit und guten Stellen ausgequetscht. Und wenns der halbbekannte Mediziner von 3 Semestern über mir im Bus war. Und kann es genau so nur allen empfehlen. Nix geht über persönliche Erfahrungen von Bekannten mit der jeweiligen Stelle bzw dem Institut oder dem Doktorvater.

freak1
10.07.2020, 22:13
Ich hoffe wenn ihr einfach mal drauf los testet und hinterher alles gegen alles korreliert korrigiert ihr auch ordnungsgemäß für multiples Testen. ;)