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Kaido0098
26.08.2020, 22:38
Hallo an alle Foristen hier :)

ich bin neu im Forum und hätte direkt gerne mal eure Meinung zum Thema Selbstbewusstsein. Ich werde Ende des Jahres meine erste Stelle in der Herzchirurgie an einer großen deutschen Uniklinik beginnen. Ich war im Studium leider nie der Überfliegen: Examen mit 3, Noten in den großen Fächern und Blockpratkika zwar oft 1-2, aber hier und da auch mal eine 4. Ich habe mich durchgekämpft, aber leider oft unter Wert gekauft, da ich schwerste familiäre Probleme hatte. Chirurgie war und ist meine große Leidenschaft. Ich bin gerne in der Klinik, mag die akademische Uniatmosphäre. Jedoch ist es eine sehr große und kompetitive Abteilung. Ich fühle mich da im Vergleich zu den anderen sehr schlecht. Die meisten Anderen dort sind alles 1er-2er Examensabsolventen und haben bereits 4+ Paper vor Arbeitsbeginn veröffentlicht. Ich dümpel noch mit einer Doktorarbeit herum und gerade mal 1 Paper mit Ach und Krach durchgebracht. Wie geht ihr mit niedrigem Selbstbewusstsein um? Ich versuche mir oft einzureden, dass ich es bereits so weit geschafft habe und es noch weiter schaffen kann, aber der direkte Vergleich, den die Oberärzte mit mir oft im PJ gemacht haben, tat oftmals weh.
Wir wurden täglich verglichen. Es gab auch Momente, wo ich stolz war: ich wurde für meine enorme Belastbarkeit und Disziplin gelobt und für meine operativen Fähigkeiten. Aber ich fühle mich oft klein im Vergleich zu meinen ehemaligen Kommilitonen, die alle "overachiever" waren und nie schlechter als 1 im Studium hatten und internationale Forschungserfolge feiern konnten.

Wie baut ihr euch auf und wie geht ihr damit um, wenn ihr von OAs direkt verglichen werdet bzw. wenn die euch gegeneinander aufspielen wollen?

Ich hoffe auf eure Tipps.

Viele Grüße,

daCapo
26.08.2020, 23:48
Ist ja eher selten, dass Chirurgen ein zu kleines Selbstbewusstsein haben. Normalerweise gehen Chirurgen, davon aus, dass alles was sie machen sehr gut ist.
Geh deinen Weg. Mach deinen Job so gut du kannst und du solltest dich dabei auch noch wohl fühlen. Ob du habil machst, CA wirst, kann man vor Beginn nicht wissen. Hängt auch nicht nur von dir, sondern von den Personen, die dich fördern sollten.

In unserer Uniherzchirurgie (und an meinen ehemaligen Arbeitsplätzen) sind ehrlich gesagt kaum 1er Kanditaten in die Herzchirurgie gegangen und schon garnicht mit 4+ Papern. Ein Großteil der Ärzte kam aus dem Ausland (Syrien, Iran). Das Personal war eher "handwerklich" - "sehr pragmatisch" gestrickt, typische Chirurgen.

Kackbratze
27.08.2020, 00:00
Das Personal war eher "handwerklich" - "sehr pragmatisch" gestrickt, typische Chirurgen.

Herzchirurgie ist mit eine deutlich höheren "Belastbarkeit" aka Leidensfähigkeit vergesellschaftet.

anignu
27.08.2020, 00:31
Wie baut ihr euch auf und wie geht ihr damit um, wenn ihr von OAs direkt verglichen werdet bzw. wenn die euch gegeneinander aufspielen wollen?
Einfach gute Arbeit machen. Gute Arbeit wird letztlich immer belohnt. Nicht immer sofort, nicht immer so wie sie sollte. Aber gute Arbeit zahlt sich letztlich immer aus.
Und du wirst damit leben müssen dass andere Leute besser sind.

Normalerweise gehen Chirurgen, davon aus, dass alles was sie machen sehr gut ist.
Ja klar! Glaubst du wir überlassen die Weltherrschaft den Internisten?

Das Personal war eher "handwerklich" - "sehr pragmatisch" gestrickt, typische Chirurgen.
Als Chirurg wird man gefühlt irgendwann pragmatisch. Dieses "um wieviel Uhr genau muss welche Tablette genommen werden damit das exakte Wirkspektrum perfekt erreicht wird?"-Ding machen wir halt nicht mit. Ich bin froh wenn meine Patienten ihre Tabletten ungefähr in der Anzahl des Tages in vielen Tagen der Woche korrekt einnehmen. Mehr geht halt nicht. Man muss ja mit dem Material arbeiten das man hat...

davo
27.08.2020, 05:26
Ich würde das ganz pragmatisch sehen: Weder eine gute Note noch ein gutes Paper machen einen zu einem guten Chirurgen. Nach dem Studium fangen also ohnehin wieder alle bei null an.

Deine Einstellung ist hochgefährlich. Schon allein wie du gleich mit deinen Noten anfängst... who cares?! :-)) Oder dass du "stolz" bist, weil dich irgendein OA "gelobt" hat für deine "enorme Belastbarkeit und Disziplin" (ob das wirklich "Lob" war - oder nicht vielleicht doch eher die Karotte, mit der er dich dazu abrichtet, dich auch in Zukunft brav weiter selbst auszubeuten? ;-))... da sieht man den Burnout ja schon am Horizont, wie er dir freudig zuwinkt. Gerade für dich wäre die Arbeit in so einer Abteilung, in der man anscheinend recht gut weiß, wie man seine Mitarbeiter manipuliert, keine besonders gute Idee.

Kackbratze
27.08.2020, 05:30
Direkter Vergleich vor Publikum ist ein no-go, aber das ist ja in einem Durchlauferhitzer wie der Herzchirurgie egal.
Da sind Assistenten Brennholz, die den Ofen am laufen halten, oder gibt es hier und anderswo Leute die behaupten, dass die Herzchirurgie eines der beliebtesten Fächer mit der besten Ausbildung ist?

Markian
27.08.2020, 05:32
Also ich kenne das bei unseren Herzchirurgen so, dass dort viele Ausländer arbeiten, da man als Deutscher die Arbeitsbedingungen eigentlich nicht akzeptieren kann. Wer sagt auch, dass du der beste der besten in allem sein musst. Es reicht doch wenn du gut auf dem Bereich der Herzchirurgie bist. Ein Lob kann wirklich gut für die Seele sein, aber du solltest dich nicht davon abhängig machen. Das macht auf Dauer krank.

Markian
27.08.2020, 05:35
Direkter Vergleich vor Publikum ist ein no-go, aber das ist ja in einem Durchlauferhitzer wie der Herzchirurgie egal.
Da sind Assistenten Brennholz, die den Ofen am laufen halten, oder gibt es hier und anderswo Leute die behaupten, dass die Herzchirurgie eines der beliebtesten Fächer mit der besten Ausbildung ist?

Ein Assistent hat mir erzählt, dass gelästert wird wenn du "schon" um 20 Uhr nach Hause gehst. Er hat es mit einem Ruderer im Sklavenboot verglichen.

Kackbratze
27.08.2020, 07:39
Auf dem Sklavenboot geht keiner nach Hause.

Christoph_A
27.08.2020, 07:47
Auf dem Sklavenboot geht keiner nach Hause.

Ist doch in der HCI dasselbe :-))

pashtunwali
27.08.2020, 11:43
kann dir doch soooooowas von egal sein, ob die anderen ne 1+ im studium hatten und du "nur" ne 2 oder 3?
am ende hast du es auch geschafft?

dieses ständige vergleichen ist eine typische mediziner und juristen krankheit und wenn man davon nicht loskommt wird man echt krank und niemals glücklich.
da bringen einem dann auch +10 paper nichts, weil es immer jemand geben wird der +11 paper hat :D

anignu
27.08.2020, 12:26
da bringen einem dann auch +10 paper nichts, weil es immer jemand geben wird der +11 paper hat :D
Das ist ja das Eine. In der Chirurgie gibt es dann ja nicht nur Leute die mehr Paper haben. Es gibt auch manchmal Leute die einfach geschickter sind... schlimm...
Ich denke man soll das verbieten. Es darf einfach niemand besser sein als ich.

Melina93
27.08.2020, 12:50
Bei mir war das ein Prozess, der mit meinen Erfahrungen einherging. Ich hatte anfangs auch oft kaum Selbstbewusstsein, vor allem weil ich im Studium einen Freundeskreis hatte, der sich viel über gute Noten definiert hat. Aber ich habe im Krankenhaus im Rahmen von Famulaturen und PJ mich selbst mit meinen Stärken und Schwächen gelernt wahrzunehmen. Viele stellen sich (unbewusst?) besser da als sie sind und aus irgendeinem Grund neigt man dazu dieses transportierte Bild des Gegenüber nicht zu hinterfragen. Wenn man den gleichen kritischen Standard auch auf andere projiziert, merkt man oft, dass bei vielen nur ein blablabla Ego dahinter ist und viele Menschen gar nicht so toll sind wie sie oder andere denken. Wir sind uns alle im Grunde ähnlicher als man oft wahrnimmt, finde ich.
Dass Noten nicht so relevant sind, merkt man halt erst wenn das Studium vorbei ist. Dann sitzen alle im gleichen Boot und müssen eigentlich von null anfangen. Denn der Vorsprung an Wissen, den man vielleicht durch bessere Noten im Studium hat, ist bei der steilen Lernkurve zu Berufsbeginn doch innerhalb weniger Wochen aufgebraucht. Dann werden die Karten neu gemischt.

Christoph_A
27.08.2020, 13:54
Das mit den noten sehe ich anders, von der Basis, die man aus dem Studium mitnimmt, profitiert man seine ganze Karriere, insbesondere, wenn es mal zum Auftreten von "Kolibris" kommt.
Allerdings sind Noten nur das eine, praktisches arbeiten, soziale Kompetenz und die daraus entstehende Teamfähigkeit (oder eben Unfähigkeit, sich in ein Team einzufinden) sowie einfach auch die innere Motivation, nicht stehenbleiben zu wollen, sondern immer wieder was neues zu lernen machen doch zusammen das große Ganze aus. Und, wie oben schon mehrfach beschrieben, es wird immer jemand bessern, schnelleren oder vernetzteren geben, das ist doch kein Drama.
Und Selbstbewußtsein ist auch ein schmaler Grat, zu wenig ist schlecht, zu viel wird halt dann schnell zur Arroganz. Wichtig ist da v.a. eine gute Selbstreflexion. Und wen Du schon mal weisst, daß Du nicht die besten Noten hast, weißte ja, woran Du arbeiten musst. Du kannst trotzdem locker ein sehr guter und beliebter Arzt werden, wenn Du an dich glaubst, Deine Stärken, die Du sicher auch haben wirst, erkennst und an Deinen Defiziten arbeitest.
Allerdings würde ich mir, wenn ich mich irgendwie nicht gleichwertig den Kollegen fühlen würde, erst mal eine etwas weniger kompetitive Umgebung suchen. Die ganzen Großegos fühlen Unsicherheit schnell und attackieren oft sofort, was dann doch zu großem psychovegetativem Streß führen kann.

cartablanca
27.08.2020, 13:57
Vergleich dich mit deinem gestrigen Selbst und nicht mit Anderen. Setz dir kurzfristige Ziele die du nach und nach abarbeitest.

Melina93
27.08.2020, 14:00
Das mit den noten sehe ich anders, von der Basis, die man aus dem Studium mitnimmt, profitiert man seine ganze Karriere, insbesondere, wenn es mal zum Auftreten von "Kolibris" kommt.
.
Was bleibt denn, Jahre nach den Klausuren, noch groß hängen? Eher das, was man in Famulaturen und PJ gelernt hat, was nciht an Noten gemessen wird. Außer man ist ein totaler Lerntyp, aber das sind viele ja gar nicht.

Roadkiller
27.08.2020, 14:00
Ansonsten bleibt auch der Weg in die Coronakritik und das Homöopathie-Reichsbürger-Schwurblertum. Möglicherweise an einem anthroposophischen Krankenhaus. Vorteile: Man ist praktisch unangreifbar, weiß Dinge von denen keiner etwas versteht, die Ärztekammern reagieren auch deutlich lascher als auf konventionelle Mediziner und der zu verdienende Ruhm ist unendlich bei vergleichsweise geringem Arbeitsaufwand. 🥳

Christoph_A
27.08.2020, 14:26
Was bleibt denn, Jahre nach den Klausuren, noch groß hängen? Eher das, was man in Famulaturen und PJ gelernt hat, was nciht an Noten gemessen wird. Außer man ist ein totaler Lerntyp, aber das sind viele ja gar nicht.

Was hat man denn im PJ groß in anderen Fachgebieten gelernt, das man für seine spätere Karriere als Spezial FA verwenden kann? Gerade das fachfremde und auch teils Detailwissen, das man aus dem Studium mitnimmt ist doch, was man für später nützlich einsetzen kann. Und wenn man nur noch weiß, wo man welches Stichwort nachschauen kann. Gerade in der Inneren mit ihren oft komplexen Überschneidungen profitiert man da doch deutlich von erlerntem Wisssen, seh ich selber in der Kardiologie, insbesondere in der Schnittmenge zur Rheumatologie, Nephrologie und Endokrinologie immer wieder. Wenn ich nach dem Studium natürlich nur meine Spezial FA Ausbildung mit Scheuklappen angehe, dann ist es richtig, da ist der Wissensvorsprung nach 1 Jahr praktischer Tätigkeit ausgeglichen. Im großen Ganzen bleibt der Background jedoch bestehen.

Trüffel
27.08.2020, 14:28
Die Noten in der Medizin sagen doch eigentlich nur etwas aus, wenn sie extrem gut oder extrem schlecht sind. Durch das Fehlen von Teilnoten haben wir kaum Trennschärfe. Ich hätte im Staatsexamen irgenwas an die 15 Fragen mehr richtig haben müssen für die nächstbessere Note, und hätte über 30 Fragen mehr falsch haben müssen für die nächstschlechtere Note. Gleichzeitig können zwischen zwei vollen Noten nur eine Frage Unterschied liegen.

Ich würde aber auch nicht behaupten, dass Kenntnisse aus dem PJ viel mehr zählen. Warum sollte das so sein? Das Spektrum ist sehr begrenzt, man verbringt viel Zeit mit Dumpingtätigkeiten und lernt maximal Basics, die später Alltag sind. Warum sollte man davon Ewigkeiten profitieren, als Arzt im Alltag aber nicht ganz schnell diese Dinge aufholen, falls man sie durch Pech im PJ nicht mitgenommen hat?

Melina93
27.08.2020, 14:39
Was hat man denn im PJ groß in anderen Fachgebieten gelernt, das man für seine spätere Karriere als Spezial FA verwenden kann? Gerade das fachfremde und auch teils Detailwissen, das man aus dem Studium mitnimmt ist doch, was man für später nützlich einsetzen kann. Und wenn man nur noch weiß, wo man welches Stichwort nachschauen kann. Gerade in der Inneren mit ihren oft komplexen Überschneidungen profitiert man da doch deutlich von erlerntem Wisssen, seh ich selber in der Kardiologie, insbesondere in der Schnittmenge zur Rheumatologie, Nephrologie und Endokrinologie immer wieder. Wenn ich nach dem Studium natürlich nur meine Spezial FA Ausbildung mit Scheuklappen angehe, dann ist es richtig, da ist der Wissensvorsprung nach 1 Jahr praktischer Tätigkeit ausgeglichen. Im großen Ganzen bleibt der Background jedoch bestehen.


Ich denke, das was man gelernt hat, behält man dann auch- eben durch den fachlichen Bezug. Meine Lernkurve im PJ war nicht exhorbitant steil, aber was ich gelernt habe, kann und weis ich jetzt immer noch. Dass ich weiß unter welchen Begrifflichkeiten ich was nachschlagen muss, ist für mich kein Wissen per se. Oft ist es ja so, dass man es schon mal gehört hat aber keien Satz mehr dazu sagen könnte. Das ist zwar ganz nett, aber für mich nicht mit ectem, tiefgründigen Wissen gleichzusetzen. Und oft nützt einem das Kolibri-Wissen im echten Alltag doch nur sehr bedingt was. Häufiges ist nun einmal häufig.