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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Neurochirurgie Perspektive



BillrothII
06.12.2020, 19:59
Hallo liebe Forenmitglieder,

nach langer Zeit als stiller Mitleser, wollte ich hier mal nach eventuellen Erfahrungen/Einblicken in den Berufsweg des Neurochirurgen fragen. Ich bin am Ende meines klinischen Abschnittes und liebäugle mit der Viszeral und Neurochirurgie.

-Was mich speziell an der Neurochirurgie interessiert ist die Möglichkeit der Niederlassung. Irgendwo hatte ich mal etwas von einem Drittel niedergelassener Neurochirurgen gelesen, stimmt das? Ist das einfach zu bewerkstelligen oder doch eher die Ausnahme? Ist es dann nur noch Wirbelsäule oder auch viel Nervenchirurgie an peripheren Stellen oder anderes? Wie sieht es finanziell aus? In den Berichten wird es ja immer zu allen chirurgischen Praxen mitreingenommen, weshalb man da keine wirkliche Aussage treffen kann.

-Wie seht ihr die Zukunft vor allem in Hinblick auf die vaskulären Interventionen? Habe etwas das Gefühl, dass die Neuroradiologen da deutlich aktiver sind und die Neurochirurgen in DE nicht so wirklich ein Interesse haben, dass für sich zu beanspruchen. Aus der Herzchirurgie kennt man ja eine ähnliche Entwicklung mit den Kardiologen. Fände das schade, da die Neurochirurgie aus meiner theoretischen Sicht doch viele abwechslungsreiche Therapieverfahren kennt. In der Herzchirurgie war mir eben diese Eintönigkeit der Prozeduren und das kleine Spektrum negativ aufgefallen.

-Ansonsten freu ich mich über jegliche Erfahrungen in diesem Fach und abseits von PJ-Ranking natürlich Klinik-Empfehlungen für mein Wahltertial.

Außerdem: Im PJ werde ich es als Wahltertial belegen und natürlich auch dort mich etwas umhören, also nicht böse sein wegen der doch sehr oberflächlichen Fragen.

LG

Heerestorte
06.12.2020, 20:51
Ich habe mich gegen Neurochirurgie entschieden, weil ich vermute, dass so ein spezielles Fach immer mehr zentrumsbasiert werden wird, zumindest was Tumor-OPs etc betrifft. Ist aber auch verständlich. Hätte ich nen Hirntumor, würde ich auch lieber zu einem Spezialisten gehen und nicht an jedes x-beliebige Kreiskrankenhaus. Und in den zwei Kliniken, in denen ich Berührungen mit der NCH hatte, waren eh schon 2/3 Wirbelsäule und 1/3 Tumoren. Und wenn man NCH macht, dann doch eigentlich wegen der Faszination Kopf-OPs und nicht wegen der Wirbelsäulen. Sich mit Hirn-OPs niederzulassen ist, denke ich mal, schwierig, außer man hat Belegbetten. Niedergelassene machen, wie du schon sagtest, eigentlich nur noch periphere Nerven, WS und PRTs. Kann man sicherlich gut Geld verdienen, ja, aber halt auch immer das Gleiche.

Würde mir das Fach auf jeden Fall anschauen und wenn du dafür brennst, mach es, kannst ja zur Not immer noch wechseln.
Ich fand es auch sehr cool, aber habe für mich entschieden, dass ich es nicht auf ewig machen wollen würde.

anignu
06.12.2020, 21:58
Wie seht ihr die Zukunft vor allem in Hinblick auf die vaskulären Interventionen? Habe etwas das Gefühl, dass die Neuroradiologen da deutlich aktiver sind und die Neurochirurgen in DE nicht so wirklich ein Interesse haben, dass für sich zu beanspruchen. Aus der Herzchirurgie kennt man ja eine ähnliche Entwicklung mit den Kardiologen. Fände das schade, da die Neurochirurgie aus meiner theoretischen Sicht doch viele abwechslungsreiche Therapieverfahren kennt. In der Herzchirurgie war mir eben diese Eintönigkeit der Prozeduren und das kleine Spektrum negativ aufgefallen.
Die Zukunft? Ganz düster. Die Neurochirurgen haben die Entwicklung genau wie die Herzchirurgen und im Gegensatz zu den Gefäßchirurgen völlig verschlafen.
Neuroradiologische Verfahren sind nicht mal Bestandteil der neurochirurgischen Weiterbildung, aber Bestandteil der radiologischen Weiterbildung. Und der Schwerpunkt Neuroradiologie dann ein möglicher Schwerpunkt der Radiologen. Aus meiner Sicht daher: Chance verpasst.

Wobei man aber auch sagen muss: die Krankheitsbilder unterscheiden sich ja (bis auf Behandlung von intrakraniellen Aneurysmata) dann doch ein wenig von Neurochirurgie und Neuroradiologie. Wirbelsäulen-Dekompression endovaskulär? Schmarrn. Dekompressionen + intrakranielle Shuntanlagen endovaskulär? Schmarrn. Tumorembolisationen im Hirn? Eher noch.
Bei Herzchirurgen ebenso wie bei Gefäßchirurgen geht es ja meist darum irgendwie Blut in das Zielorgan zu bekommen. Und da sind "aufbohren" oder Bypass halt mal zwei Möglichkeiten. Daher seh ich bei den Herzchiururgen fast noch mehr Chancen, auch fachlich, aber die können auch schier der Masse an interventionellen Kardiologen nichts mehr entgegensetzen. Insofern würde ich bei Herzchirurgen noch eher sagen dass die theoretisch Chancen hätten sich wieder was zurückzuholen. Bei Neurochirurgen seh ich da keine Chance.

Ist ja auch politisch schwierig. Schau dir mal nur die Menge an Radiologen (viele) und Neurochirurgen (deutlich weniger) an. Die Radiologen machen es schon, haben Erfahrung damit, es ist für die ein etabliertes Verfahren und es geht um irgendwas mit Strahlung. Und dann kommen Neurochirurgen. Jammern von "mimimi, ich will auch", haben keine Erfahrung damit, müssten sich einarbeiten, müssten das in großer Anzahl gegen sämtliche Widerstände machen, müssten die strahlenschutztechnischen Vorgaben einhalten etc. Ich seh da keine große Chance.

Heerestorte
06.12.2020, 22:32
Andererseits wird auch niemand Gefäßchirurg oder Herzchirurg mit dem Ziel, dann nur noch interventionell tätig sein zu wollen.
Weil wenn er/sie das wollen würde, dann wäre die Radiologie die richtige Wahl :D
Gleiches gilt für den Neurochirurgen. Da sehe ich andere "Probleme" als der Mangel, Interventionen selbst durchführen zu können.
Aber an sich auf die Frage bezogen, da hat anignu vollkommen Recht, dass das düster aussieht. Und das sehe ich auch schon mit meiner begrenzten Erfahrung.

BillrothII
07.12.2020, 12:38
Sehr interessant, vielen Dank für deine Antwort!
Für welches Fach hast du dich letztendlich entschieden?

@anginu:Ja das habe ich mir schon gedacht, echt schade dass so Entwicklungen verschlafen werden. Hast du iwelche Bekannten o.Ä welche sich in dem Fach niedergelassen haben?

Heerestorte
07.12.2020, 17:05
Sehr interessant, vielen Dank für deine Antwort!
Für welches Fach hast du dich letztendlich entschieden?



Allgemeinchirurgie.

urinbeutel
07.12.2020, 20:27
Wenn du dich nniederlassen willst, dan kieck mal die statistik an nwie viele prozentual ieedergelasse sind. statistik bunndesärztekammer denkei ch

daCapo
07.12.2020, 20:57
ich hatte unheimlich viele Kommilitonen, die das machen wollten anfangs: Nach Famulatur, PJ oder 1-3 Jahren dort hat die große Mehrheit es nach was anderem Ausschau gehalten aus verschiedensten Gründen.
--> ausprobieren!

BillrothII
07.12.2020, 22:06
Wenn du dich nniederlassen willst, dan kieck mal die statistik an nwie viele prozentual ieedergelasse sind. statistik bunndesärztekammer denkei ch

Ja da sieht es garnicht so schlecht aus: Von 2446 Neurochirurgen arbeiten 686 ambulant und 1662 stationär. Ziemlich interessant, vielleicht ist der Wechsel garnicht so schwierig.

@daCapo Danke für deine Erfahrung von Kommilitonen! Werde es wie oben erwähnt definitiv ausprobieren. Denke mal ein großer Minuspunkt ist, dass die Arbeitsbedingungen in vielen NCH Abteilungen schwierig sind. Deshalb bin ich für jegliche Klinikempfehlungen (abseits von PJ Ranking) dankbar!

anignu
07.12.2020, 23:00
Andererseits wird auch niemand Gefäßchirurg oder Herzchirurg mit dem Ziel, dann nur noch interventionell tätig sein zu wollen.
Weil wenn er/sie das wollen würde, dann wäre die Radiologie die richtige Wahl :D
Mei, was heißt "mit dem Ziel"? Die eigenen Bedürfnisse und auch Interessen ändern sich manchmal im Laufe von Jahrzehnten in denen man einen Beruf ausübt. Und da finde ich persönlich es gut wenn man verschiedene Möglichkeiten hat was man eben so machen kann. Als ich mich damals für Gefäßchirurgie entschieden hab wusste ich auch noch nicht wie viel Spaß das Endovaskuläre und dabei auch die Aorten machen.
"Nur noch interventionell tägig" sind ja eh die Wenigsten. Die Radiologen haben dann "nebenbei" noch diese nervigen Sachen wie Dienste in denen man CTs befunden kann/darf/muss usw. Die Gefäßchirurgen machen dafür Dienste in denen es passieren kann dass man plötzlich zur falschen Zeit viele Stunden am Stück operiert. Es sind ja fast immer noch andere Sachen dabei. Aber wie gesagt: es geht um Abwechslung, Möglichkeiten und manchmal entdeckt man seine Liebe zu einer Tätigkeit ja auch erst wenn man sie macht. Im Nachhinein muss ich da auch sagen, dass die Gefäßchirurgie völlig unterrepräsentiert war in meiner Studienzeit. Die OPs, die Techniken, die Möglichkeiten... viel zu wenig davon wurde im Studium behandelt.

@anginu:Ja das habe ich mir schon gedacht, echt schade dass so Entwicklungen verschlafen werden. Hast du iwelche Bekannten o.Ä welche sich in dem Fach niedergelassen haben?
In welchem Fach?
Neurochirurgie? Ja, aber die operieren inzwischen halt quasi nur noch Wirbelsäulen als Belegärzte.
Herzchirurgie? Nein. Kenne keinen niedergelassenen Herzchirurgen persönlich.
Gefäßchirurgie? Ja, drei verschiedene Modelle. Sowohl als volle Gefäßchirurgen (arterielle OPs incl. offene Aorten) als Belegärzte aus einer Praxis raus, als auch als Gefäßchirurg der sich vor allem mit Diagnostik beschäftigt, arteriell-offene Sachen einweist, arteriell-interventionelle Sachen als Belegarzt macht und sich in seiner Praxis auch um Wunden kümmert, und auch als Gefäßchirurgen die sich auf Venensachen spezialisiert haben, in der Praxis Diagnostik und Venen-IGEL machen und als Belegärzte auch Venensachen operieren.

Hab grad auch mal die Statistik rausgesucht:
Niedergelassene sind bei Neurochirurgen tatsächlich einige. Bei Gefäßchirurgen gut 350 von 2000, also jeder 6.. Bei Herzchirurgen sind es nur so 50 von 1000, also jeder 20..