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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Angehörige eines Patienten drohen mit Klage/Anwalt. Wie geht das dann weiter?



SophaL90
08.12.2020, 21:06
Hallo.

Hatte letzten Freitag einen multimorbiden 80-jährigen aufgenommen, der dann Samstag Morgen plötzlich verstorben ist. Das war trotz seiner Vorerkrankungen nicht zu erwarten, deswegen wurde er auch nicht überwacht trotz Dyspnoe und höherer HF (stabile Vitalwerte).. Hab das extra mit meiner Kollegin besprochen, nicht jedoch mit einem OA.
Für die Angehörigen verständlicherweise ein Schock, nun hat mir heute meine Oberärztin gesagt, dass die Angehörigen klagen wollen und einen Anwalt einschalten werden.

Ich bin ziemlich eingeschüchtert und habe auch ein wenig Angst, wie das nun die nächsten Monate weitergeht?
Ist euch das schon ein Mal passiert? Kommt es dann wirklich zu einem Verfahren vor Gericht?

Und obwohl ich glaube dass wir alles richtig gemacht haben, bin ich dennoch enttäuscht über das Vorgehen der Angehörigen.

freak1
08.12.2020, 21:15
Sprich mit der Rechtsabteilung deiner Klinik.

Setz dich JETZT hin und schreibe ein ausführliches Gedächtnisprotokoll. Wer, wann, wie, wo, warum, was.
Das Verfahren kann in 2 Jahren kommen und dann kannst du dich an kaum noch was erinnern.

ChillenMitBazillen
08.12.2020, 21:40
Kopiere dir die komplette Akte, drucke dir jeden Pups aus, schreibe wie schon erwähnt ein Gedächtnisprotokoll. Wahrscheinlich kommt nix, wenn doch, bist du vorbereitet.

Ich kenne deinen Patienten nicht und erlaube mir kein Urteil über die Versorgung, aber Dyspnoe, Tachykardie und stabile Vitalwerte passen nicht so recht zusammen. So solltest du deine Argumentation nicht aufbauen.

sodbrennen
08.12.2020, 21:49
Normal wird sowas doch zunächst über die Berufshaftpflicht geregelt und bei einer Klinik läuft das hierfür über die Klinik. Natürlich solltest du auf eine ordentliche Dokumentation achten und Gedächtnisprotokoll schadet definitiv nicht. Es sollte nachvollziehbar sein, dass du nicht fahrlässig gehandelt hast. Also mindestens die Abstimmung mit der Kollegin im Gedächnisprotokoll dokumentieren. Du solltest Akten nicht nachträglich ändern, das wäre strafbar. Da würde ich höchstens mit Datum kommentieren/nachdokumentieren, wenn überhaupt. Daher eben Gedächtnisprotokoll wie oben schon genannt. Wenn das Vorgehen so bei euch gängige Praxis ist, müsste sich sowieso erst mal die Klinik dafür rechtfertigen, wenn es fahrlässig war.
Ich würde erst mal ruhig bleiben, denn die müssten ja die Akten anfordern und vermutlich erst mal ein Gutachten erstellen lassen. Und das mit dem Gutachten ist durchaus auch Glückssache.

FirebirdUSA
08.12.2020, 22:07
Sprich mit der Rechtsabteilung deiner Klinik.

Setz dich JETZT hin und schreibe ein ausführliches Gedächtnisprotokoll. Wer, wann, wie, wo, warum, was.
Das Verfahren kann in 2 Jahren kommen und dann kannst du dich an kaum noch was erinnern.

... und deiner Berufshaftpflicht.

Ansonsten kenne ich es auch so wie Sodbrennen es beschrieben hat.

GelbeKlamotten
08.12.2020, 22:14
Und mach dir nicht zu viele Sorgen. Bei sowas wird immer viel gedroht, am Ende gehen die wenigsten dann überhaupt zum Anwalt.

anignu
08.12.2020, 22:20
- Gedächtnisprotokoll und wie wichtig sowas ist wurde schon gesagt.
- "Klageandrohungen" gibt es häufig, dass Patienten tatsächlich klagen selten. Und auf was sollen sie denn Klagen? Schadensersatz? Lächerlich. Patient ist tot. Was habt ihr denn auf die Todesanzeige draufgeschrieben? Natürliche Todesursache? Weil das wäre natürlich auch sowas. Patient stabil, alles perfekt, plötzlich tot -> natürlich? Wenn es so ist macht man halt "ungeklärt" und ruft die Kripo an. Die schauen sich das Ganze an und es geht zum Staatsanwalt. Der schaut sich das auch an und normal kommt nix raus. Aber es ist auch von deren Seite her dann dokumentiert.
- Angehörige sind gefühlt immer überrascht wenn ein Patient stirbt. Und dann dauert es ein paar Minuten/Stunden/Tage und letztlich wollen doch alle keine Obduktion weil es ja auch keine Konsequenz hat. Patient ist tot. Wird nimmer lebendig. Da kann man noch so viel klagen oder obduzieren oder anschuldigen.
- Und du musst aufpassen dass du ab dem Zeitpunkt ab dem irgendjemand eine Klage androht nicht mehr alleine mit den Leuten sprichst. Ab dem Zeitpunkt gehört das eigentlich zur Moderation an die klinikinterne Beschwerdestelle gegeben und die Kommunikation läuft dann über diese Beschwerdestelle. Das sind Profis. Meist geht es ja um was ganz anderes. Um einen internen Streit in der Familie oder um was auch immer. Und die können sowas zwischen den Zeiten raushören, nehmen sich die Zeit die solche Leute brauchen und meist löst sich alles völlig entspannt auf.

Haffi
08.12.2020, 23:32
Erst einmal tiiiief durchatmen. Und dann mach dir bewusst:

1. Es lässt sich aus deinen Schilderungen natürlich für uns nicht herleiten, ob du hier überhaupt irgendeinen Fehler gemacht hast. Für den Fall, dass dem so sein sollte, immer dran denken: Jeder macht Fehler. Jeder Chefarzt, jeder Oberarzt, jeder Assistent, jeder Niedergelassene. Ich wette, dass jeder, der ein paar Jahre dabei ist, auch mindestens einen gravierenden Fehler gesammelt hat.

2. Die Leute, die da mit Klage drohen, befinden sich gerade in einer Ausnahmesituation. Sie haben womöglich einen sehr geliebten Angehörigen verloren und suchen jetzt einen Strohhalm, nach dem sie greifen können um irgendwie vermeintlich Einfluss auf das Gesamtgeschehen nehmen zu können. Ggf. fallen da auch impulsiv ein paar Aussagen, die überhaupt keinen Wert haben. Dass die Oberärztin, die dir diese Information offenbar überbracht hat, diese gegenüber einem jungen Assistenten nicht einzuordnen und zu relativieren weiß, spricht nicht für sie.

3. Solang du die Daten für dich sicherst und für dein Handeln argumentieren kannst, hast du nicht viel zu befürchten. Und auch wenn nicht, gibt es im Ernstfall alternative Argumentationsspielräume.

4. Reflektiere den Fall noch einmal für dich mit einem Mindset, das dich nicht kaputt (siehe Punkt 1) sondern noch kompetenter macht und schließe dann damit ab. Für den unwahrscheinlichsten Fall, dass es tatsächlich doch noch zu einer rechtlichen Auseinandersetzung kommen sollte, kann es wie schon erwähnt ein paar Jahre dauern bis die Sache ins Rollen kommt und die solltest du echt nicht mental an dieser Sache verschwenden :)

Mr. Pink online
09.12.2020, 00:57
Ein 80 jähriger mulimorbider Mensch stirbt einfach so im Schlaf... besser geht es doch nicht. Was hätte man denn gemacht, wenn er gemonitort gewesen wäre? Nochmal 15 min drauf rumgedrückt und Schnorchel in den Hals? Na herzlichen Dank...

inglebird
09.12.2020, 09:04
Noch als Ergänzung: Wenn ich es richtig im Kopf habe, kannst du persönlich sogar nur haftbar gemacht werden, wenn ein Richter entscheidet, dass dein Handeln "grob fahrlässig" war. Und wenn es als "nicht fahrlässig" eingestuft wird, liegt die Beweispflicht, dass der Verlauf anders gewesen wäre, wenn andere Maßnahmen ergriffen worden wären, beim Kläger. Aufgrund dieser Konstellation sind die meisten Verfahren recht aussichtslos.
Trotz allem solltest du an dich denken und besonders wichtig, falls vorhanden, deine private Haftpflicht unverzüglich informieren. Die werden dann eine Kopie der kompletten Akte und eben ein Gedächtnisprotokoll wollen.


Unabhängig davon, dass auch ich keineswegs deinen Fall einschätzen kann, höre ich oft, dass Patienten als "stabil" bezeichnet werden, um von weiteren diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen absehen zu können. Ein Gutachter, insbesondere wenn er von der Gegenseite bezahlt wird, freut sich über solche Äußerungen, weil man es auseinandernehmen kann.
Wie ist denn der Status deiner Kollegin? Fachärztin, die als erster Ansprechpartner für Ärzt*innen in Weiterbildung dient? Hat "dankenswerterweise" auch mal drübergeschaut und ein "inoffizielles" Statement abgegeben?

Und letztlich: Höchstwahrscheinlich wird nichts passieren, weil auch die meisten Anwälte, wenn es überhaupt zum Aktenstudium kommt, im Falle eines multimorbiden 80jährigen nicht von einem erfolgreichen Verlauf ausgehen und von einer Klage abraten. Sofern ein Anwalt überhaupt, wie oben mehrfach beschrieben, kontaktiert wird.

Haffi
09.12.2020, 10:26
Trotz allem solltest du an dich denken und besonders wichtig, falls vorhanden, deine private Haftpflicht unverzüglich informieren. Die werden dann eine Kopie der kompletten Akte und eben ein Gedächtnisprotokoll wollen.


Dazu sehe ich überhaupt keine Notwendigkeit. Es ist kein Schadensfall eingetreten. Insofern gibt es für die Berufshaftpflichtversicherung auch nichts zu regulieren.

Sichere die Unterlagen für dich privat und protokollier nochmal alles um für den unwahrscheinlichen Fall der Fälle gerüstet zu sein und gut ist :)

inglebird
09.12.2020, 11:42
Dazu sehe ich überhaupt keine Notwendigkeit. Es ist kein Schadensfall eingetreten. Insofern gibt es für die Berufshaftpflichtversicherung auch nichts zu regulieren.

Sichere die Unterlagen für dich privat und protokollier nochmal alles um für den unwahrscheinlichen Fall der Fälle gerüstet zu sein und gut ist :)

Zumindest meine Versicherung hat die Klausel, dass ich verpflichtet bin, sie unmittelbar zu informieren, wenn der Vorwurf einer Fehlbehandlung und eine Klage im Raum stehen (oder ähnlicher Wortlaut).

FirebirdUSA
09.12.2020, 17:40
Zumindest meine Versicherung hat die Klausel, dass ich verpflichtet bin, sie unmittelbar zu informieren, wenn der Vorwurf einer Fehlbehandlung und eine Klage im Raum stehen (oder ähnlicher Wortlaut).

Bei mir auch... Information heißt aber nicht das in diesem Moment irgendwelche den Patienten identifizierende Informationen (Name Patient, Akte, o.ä.) an die Versicherung gehen dürfen! Auch mit privater Kopie der Akte wäre ich vorsichtig, wenn sie nicht in der Klinik bleibt. Die Chance hier erfolgreich belangt zu werden (Datenschutz, Schweigepflicht, etc) sind vermutlich deutlich höher als der initiale Fall

tarumo
09.12.2020, 18:46
Die Versicherung sollte lt AGB kontaktiert werden, wenn sich die Behauptungen/Klage gegen einen persönlich richtet. In diesem Fall- sofern überhaupt- wird wohl eher das Krankenhaus verklagt werden, so daß sich die TE als "kleines Licht" da keine Gedanken machen sollte.

Eine reine, auch nicht indizierte, Benachrichtigung der Versicherung führt oft schon zu einer Vorgangsanlage, so daß, selbst wenn die Sache im Sande verläuft, entweder die Prämie hochgeht oder der Abschluß einer Folgeversicherung erschwert wird.

Falls das KH dann wider Erwarten auf die TE haftungstechnisch zukommen sollte (halte ich m.E. für extrem unwahrscheinlich) kann man ja immer noch seine RSV oder BHP benachrichtigen.

hebdo
09.12.2020, 19:00
sehe ich genauso, die Klinik ist der erste Adressat für eine Klage. Ich würde meine Haftpflichtversicherung nicht informieren. Ich hatte schon öfter solche Situationen. Ich ermutige die Angehörigen und Patienten immer, den Vorgang durch eine unabhängige Stelle überprüfen zu lassen und gebe direkt die Kontaktdaten für das Beschwerdemanagement heraus. Berate auch gleich über Schlichtungsstellen, welche Fachanwälte, Kripo, Staatsanwaltschaft, Beschlagnahmung der Leiche ... Das bringt die meisten Angehörigen schnell wieder runter.

Manchmal hat mein paranoider OA eine Stellungnahme von mir gefordert, dass war dann gleichzeitig mein Gedächtnisprotokoll. Ich habe mir dreimal eine Akte kopiert. Einmal weil ich wusste, wie link der OA ist. Am nächsten morgen war dann die Spalte für den Tag ziemlich vollgeschrieben. Belatacept bei beginnender Sepsis. Ich habe ihn dann darauf angesprochen, dass da jemand die "Urkunde" gefälscht hat.

Und zweimal, weil vom OA grob fahrlässig entschieden wurde und der Patientenschaden abzusehen war.

Nessiemoo
09.12.2020, 19:11
Also, dass bei der o.g Situation erstmal die Angehörigen mit Anwalt drohen wollen kommt ja schon häufiger vor, und auch die o.g Situation kommt ja schon immer mal wieder vor. Am besten besprichts du den Fall nochmal mit der Oberärztin. Bei uns hat man danach noch sich mit Chef und allen beteiligten hingesetzt und den Fall besprochen, also ob da Fehler aufgetreten sind, und wann, wo. Dann hat jeder Beteiligter nochmal ein Gedächtnisprotokoll aufgeschrieben. Und danach kann man erstmal nicht viel machen, wie viele vor mir schon geschrieben haben, werden dann die wenigsten wirklich zum Anwalt gehen, und auch dann werden nochmal weniger Anwälte wirklich eine Klage empfehlen.

sodbrennen
09.12.2020, 20:17
Noch als Ergänzung: Wenn ich es richtig im Kopf habe, kannst du persönlich sogar nur haftbar gemacht werden, wenn ein Richter entscheidet, dass dein Handeln "grob fahrlässig" war. Und wenn es als "nicht fahrlässig" eingestuft wird, liegt die Beweispflicht, dass der Verlauf anders gewesen wäre, wenn andere Maßnahmen ergriffen worden wären, beim Kläger. Aufgrund dieser Konstellation sind die meisten Verfahren recht aussichtslos.

Das ist tatsächlich ein entscheidender Punkt, insbesondere beim Tod eines betagten Menschen. Normalerweise muss der Kläger nachweisen, dass
1. Fehler gemacht wurden
2. ein Schaden eingetreten ist
3. durch den Fehler der Schaden eingetreten ist bzw. dass der Fehler mit ursächlich ist (Kausalität)
Außer in folgenden Fällen, da gibt es Beweiserleichterungen
A) mangelnde Dokumentation
B) Vollbeherrschbares Risiko (Seitenverwechslung, Sturz von OP-Tisch, Sichtbefund übersehen, ...)
C) Grober Behandlungsfehler (Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse )
Nennt sich auch Beweislastumkehr. Da muss der Behandler beweisen, dass sein Fehler nicht ursächlich für den Schaden war.

Solange noch keine Akte angefordert wurde, wäre ich entspannt...

Normalerweise läuft es wie gesagt über die Rechtsschutzversicherung. Ich würde vermuten, dass ein Anwalt bei einem > 80 Jährigen, der ohne langes Leiden gestorben ist (unabhängig davon ob und wieviel Mitschuld besteht), sowieso eher von Klage abrät. Denn da wird es nicht viel Schmerzensgeld geben. Was anderes wäre ein Geburtsfehler, wo ein Kind noch das ganze Leben vor sich hat.

SophaL90
09.12.2020, 20:41
Danke an alle für eure Beiträge. :-) ist interessant, eure Erfahrungen zu lesen.
Bin heute schon etwas beruhigter. Es ist dennoch eine belastende Situation, gerade als Anfänger. Ich habe den Fall aber mit mehreren Kollegen besprochen und sie meinten alle, dass alles richtig gelaufen ist und auch sie nichts anders gemacht hätten. Ebenso hat die Pflege sehr gut dokumentiert. Ich denke also, dass die Angehörigen, nachdem der erste Schock vorüber ist, von einer Klage sicher absehen werden.
Nervt doch irgendwie, dass man sich mit solchen Sachen auch herumschlagen muss.

Corinna
09.12.2020, 21:04
ich bin überrascht, wie "juristisch" hier viele antworten. Mein Vorgehen wäre:
1. Mit OA/Chef den Fall durchsprechen, ggf. Doku ergänzen/Gedächtnisprotokoll und dann überlegen wer die angehörigen aktiv anruft und Gesprächsangebot macht (OA, Chef, Beschwerdemanagement, sonst passende Person eures Hauses- nicht der Anfängerassi alleine). Aussprechen lassen hilft. Dann kommt meist gar keine Klage. Alles andere (Rechtsabteilung, Haftpflicht etcpp) ist erstmal gar nicht notwendig.
2. In Zukunft immer vorbeugen: bei Aufnahme aktiv Kontakt zu Angehörigen suchen, kritische Gesamtsituation (>80, multimorbide, Hospitalisation > ???) klar benennen, versichern dass alles getan wird was helfen kann aber dennoch Anlass zur Sorge besteht. Dann gibts keine Überraschungen.

Also eigentlich nur so, wie man selbst als Angehöriger auch behandelt werden wollte...