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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Beatmung von Patienten mit COVID-19 und ARDS - APRV-Modus?



DocEmmetBrown
14.04.2021, 17:19
In Zeiten von Covid-19 behandelt man auf der Intensivstation ja viel mehr Fälle von schwerem Lungenversagen als noch in den Jahren zuvor. Während wir in meinem aktuellen (eher kleinen Haus) früher zwar die ganzen „normalen“ Pneumonien natürlich auch häufig intensivmedizinisch therapiert haben, wurden die Fälle mit schwerem ARDS (Influenza etc.) schon regelhaft an ein ARDS-Zentrum verlegt. Einfach aufgrund der hohen Fallzahlen und gehäuft Patienten, die in einem ECMO-Zentrum keinen Platz mehr finden, behandeln wir jetzt auch auf unserer Intensivstation Patienten mit schwerstem Lungenversagen und entsprechend komplexer Beatmungssituation.
Nach persönlicher Erfahrung trifft man dabei auch auf Patienten, die sich mit der klassischen ARDS-Beatmungsstrategie (Vt = 6ml/kg, Pmax < 30cmH20, delta-P < 15cmH20) nicht ausreichend gut beatmen lassen, ohne dass man lungenprotektive Grenzen deutlich übersteigt, einfach weil die Compliance der Lunge so schlecht ist und sich neben einer Hypoxämie häufig trotz angepassten Beatmungseinstellungen eine deutliche Hyperkapnie bildet.

Liest man Artikel gerade aus englischsprachigen Raum wird als Rescue-Therapie im schweren ARDS häufig der Beatmungsmodus APRV propagiert, über den man einiges an Videos, Vorträgen und sonstigen Informationen im Internet findet.

Als Einstellungen in APRV werden meist relativ ähnlich Ptief mit 0cmH20 und Ttief mit einer Dauer, nach der der Expirationsfluss 75% des Spitzenflusses erreicht hat, angegeben. Für Phoch variieren die Angaben von 20 – 35cmH2O und bei Thoch von 4 – 6s (klassisches APRV) bis zu 2-3s („Rescue-APRV ohne Spontanatmung“).

Bei unseren Versuchen bei solchen Patienten hat APRV leider häufig nicht funktioniert, da die Sättigung nach Umstellung häufig tendenziell eher schlechter wurde und teilweise die CO2-Retention ziemlich ausgeprägt war. Andererseits haben wir die Leute dann vielleicht auch zu früh (15 Minuten) wieder auf einen klassischen Modus gestellt.

Wer von Euch hat Erfahrungen in der Beatmung mit APRV und welche Starteinstellungen wählt ihr? Wie passt Ihr die Einstellungen bei deutlich hypercapnischen Patienten an? Wie lange wartet ihr bei initial verschlechterter Sättigung, bevor ihr wieder auf einen klassischen Modus wechselt? Habt ihr sonst gute Erfahrungen mit anderen Beatmungsregimen bei den COVID-Patienten gemacht?

Rettungshase
14.04.2021, 19:47
Meist starten wir APRV in solchen Situationen mit einem Phoch von 28-32cmH2O, Ptief von 0, Ttief von circa 0,4sec (wichtig hier - wie du schon sagtest - dass die Flowkurve in der Exspiration nicht auf 0 geht).
Gerade bei den Covidpatienten, die häufig so schwierig zu sedieren sind, gibt der APRV-Modus oft die gute Gelegenheit, dass der Patient auf dem oberen Druckniveau ein bisschen herumschnaufen kann.

Wenn es so knäpplich mit dem Gasaustausch ist, ist das Drumherum idR entscheidender:
- Bauchlagerung (16-Stunden-Zyklen), wenn der Patient ein Responder ist
- konsequente Negativbilanzierung
- suffiziente Antikoagulation

IdR gebe ich dem Patienten etwas eine halbe Stunde mit erneuter BGA.
Sonstige Beatmungsmodi beim intubierten Patienten sind DuoPAP oder ASV. Gerade das rechte Herz nicht aus dem Blick lassen - besonders bei hohem PEEP (TTE!).
Die Uni Tübingen arbeitet offenbar gern mit inhalativem NO https://ains.umg.eu/studium-lehre/podcast/episode-2-management-von-covid-19-patienteninnen-auf-der-intensivstation/

DA1994
14.04.2021, 21:03
Wendet ihr denn Bauchlage an? Und wie sieht es mit adäquaten PEEP-Leveln aus? Und fiberoptischer Bronchoskopie? Wir haben häufig massive Sekretproblematiken, und das ohne Vorliegen eines bakteriellen Superinfekts.

Schwierige Bestmungssituationen lassen sich hier damit oft managen, vor allem der Effekt der Bauchlage ist oftmals beeindruckend. Ich schätze mal dass ihr keinerlei Option der extrakorporalen CO2-Eliminierung zur Verfügung habt?

Mano
15.04.2021, 09:49
Was meinst du mit Hyperkapnie? Solange das metabolisch kompensiert werden kann und der pH nicht völlig entgleist, ist das ja erstmal nicht limitierend.
Ansonsten klingt die geschilderte Situation eigentlich nach einer klassischen ECMO-Indikation, oder nicht? (Natürlich nur, wenn die konservative Therapie - insb. Bauchlagerung etc. - adäquat ausgeschöpft wurde.)

DocEmmetBrown
15.04.2021, 15:51
@Rettungshase
Wie stellt ihr in solchen Situationen dann das Thoch ein?

@DA1994
Bauchlage regelhaft. Bronchoskopie sehr zurückhaltend, vorallem da man, jedenfalls der Vorstellung unseres OAs nach, durch die Bronchoskopie ja rekrutierte Alveolen potentiell derekrutiert, zudem haben wir irgendwie relativ selten eine hohe Sekretlast festgestellt.

@Mano
Irgendwie sehen wir bei den COVID-Patienten häufig schwierig zu behandelnde Hyperkapnien, die sich durch einfache Anpassung von Atemfrequenz und Inspirationszeit nach Flowkurve nicht wirklich beseitigen lassen.
Prinzipiell sind das natürlich Patienten mit Kriterien für eine ECMO-Therapie. Jedenfalls bei uns in der Region sind die Kapazitäten aber so, dass man lange nicht jeden Patienten, bei dem man eigentlich noch alles geben will, an ein ECMO-Zentrum verlegt bekommt. Und gerade Beatmung im APRV-Mouds wird in verschiedenen englischsprachigen Quellen als Rescue-Therapie propagiert, gerade wenn eine ECMO nicht verfügbar ist (bzw. von manchen auch als gute Standard-Beatmungstherapie bei COVID).

Rettungshase
15.04.2021, 21:35
4-6sec

inglebird
16.04.2021, 08:30
Ich arbeite in einem Nicht-Maximalversorger, wir behandeln zeitweise bis zu 15 beatmete COVID-19-Patienten.
Besonders viel Sekretion erfahre ich beim "klassischen" COVID-19 Patient überhaupt nicht. Bronchoskopie daher wie bereits gesagt, extrem zurückhaltend, einerseits weil jedes Mal dabei PEEP-Verlust und Risiko von neuen Atelektasen, andererseits Aerosolbildung im Zimmer (naja, wir sollten alle geimpft sein). Wenn Atelektasen durch Sekretverlegung vorliegen, dann natürlich klare Sache.

Bzgl. APRV sind wir sehr zurückhaltend, unsere Uniklinik (mit der man regelhaft Patienten diskutiert zwecks ECMO-Indikation und Therapieverbesserung) empfiehlt auch Zurückhaltung, solange man sich nicht gut damit auskennt.
Vereinzelt habe ich es "ausprobiert" und mit den üblich empfohlenen Settings (wie oben erwähnt) kurzfristig überraschend gute Verbesserungen gesehen, jedoch habe ich mich dann nie getraut, dies für die nächsten Dienste laufen zu lassen. Ich denke, da müssen dann regelhaft Leute sein, die sich damit gut auskennen, denn einmal einstellen und "gut ist" bis zum nächsten Morgen geht da nicht.

16h-Bauchlagerungen machen wir oft und beim "klassischen" COVID-19 sehen auch wir hervorragende Ergebnisse (Typisch: Rückenlage FiO2 0.8, paO2 60mmHg, nach Lagerung auf den Bauch häufig FiO2 bis 0,4 reduzierbar).
Dann auf jeden Fall dreimal machen. Problematisch ist, dass ein Großteil der Patienten doch stark übergewichtig ist. Lagerungsschäden (üblicherweise Druckulcera im Bereich des Thorax/Abdomens) erleben wir recht häufig, gehört manchmal leider einfach dazu. Und bei längerfristig beatmeten, die nicht wirklich besser werden und an den üblichen Komplikationen leiden (Nierenversagen, bakterielle Superinfektionen) sehen wir auch oft in der Bauchlage mangelhafte Ventilation ("permissive Hyperkapnie" ist im Nierenversagen stark limitiert).

Problematisch ist, dass durch die "britische" Mutation und die Impfung der Alten der Altersdurchschnitt ca 20 Jahre gesunken ist, die meisten unserer Patienten sind zwischen 50 und 60, jedoch ähnlich schwer erkrankt wie in der zweiten Welle die über 75jährigen.
Dadurch bedingt sind die ECMO-Kapazitäten unseres Maximalversorgers stark belastet, weil eben in der zweiten Welle die meisten aufgrund des Alters nicht für ECMO qualifiziert waren.

Tatsächlich extrem wichtig ist eben der individuelle PEEP. Da kann es durchaus sinnvoll sein, eine Stunde neben dem Patient zu stehen und "rumzuspielen". Und manchmal geht sogar Pinsp 28cm H2O mit PEEP 20 cmH20 erstaunlich gut, solange man eine leichte Hyperkapnie eben toleriert

kartoffelbrei
16.04.2021, 09:22
Wenn die ECMO-Kapazitäten in der Region ausgehen, wäre das ja eigentlich ein Kriterium für eine innerdeutsche Verlegung nach diesem Kleeblatt-Verteilsystem. Hat damit schon jemand Erfahrungen gemacht oder war die ECMO-Indikation dann doch nicht hart genug? Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass sich die "aufnahmebereit" gemeldeten Häuser dann doch zieren könnten, wenn es konkret wird und sie wertvolle Intensivkapazität für Patienten von außerhalb des Einzugsgebietes aufgeben sollen.

Wir sind auch ECMO-Zentrum und unsere ITS-Belegungszahlen waren lange leicht unter dem Bundesdurchschnitt, jetzt haben wir ihn langsam erreicht. Absolut betrachtet haben wir gar nicht so viele Patienten, aber auf Grund von Pflegemangel konnten wir schon vor Covid nur ca. 70% unserer ITS-Betten befahren, so dass schon wenige Betten mehr oder weniger einen großen Unterschied machen. Jetzt stapeln sich auf der herzchirurgischen Station die prästationären Patienten, die langsam wirklich ihre Bypässe oder neuen Klappen brauchen und die Warteliste für die großen Tumor-OPs wird immer länger, weil die postop ITS-Betten fehlen.

Formell meldet sich mein Haus immer noch bedingt aufnahmebereit für Covid-Patienten, aber man bekommt schon mit, dass inzwischen ganz genau geguckt wird, wer da kommen soll, und jetzt Patienten abgelehnt werden, die man früher angenommen hätte. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das mit 50% Covid-Anteil funktionieren, was ja manche Regionen haben...

Es wird von Politikern immer auf die vorhandenen ITS-Kapazitäten in Gesamt-Deutschland verwiesen. Deshalb meine Frage: klappt das in der Praxis?

(Grenzwertig off-topic, Entschuldigung dafür...)

DocEmmetBrown
16.04.2021, 16:34
Vielen Dank für Eure Antworten. Finde es sehr interessant, sich über die Beatmung der COVID-Patienten austauschen zu können.

@Rettungshase
Wie sind Eure Erfahrungen mit Hyperkapnien unter APRV bzw. bei Patienten, die tendenziell schon eher hyperkapnisch sind und dann auf APRV umgestellt werden?
Man liest ja teilweise, dass auch refraktär hyperkapnische Patienten von APRV profitieren könn(t)en, da in APRV wohl, gerade wenn die Patienten länger in diesem Modus verbleiben, die CO2-Eliminierung nicht nur über die Druckentlastungen und ggf. bestehende Spontanatemzüge, sondern auch über eine passive Diffusion aus der Lunge in Richtung Beatmungsgerät funktonieren soll.

@kartoffelbrei
Darf ich fragen, welche Beatmungsstrategie bei Euch im ARDS-Zentrum bei den COVID-Patienten verwendet wird?

@inglebird
Deine Erfahrungen decken sich ziemlich mit denen, die ich bei uns auf ITS machen konnte. Habt ihr Erfahrungen mit längeren Bauchlagerungsintervallen (24 - 48h habe ich schon gehört)?
Wie geht ihr bei den von Dir beschriebenen Hyperkapnien bezüglich der Beatmungseinstellungen vor? Die klassiche ARDS-Lehre (und auch z.B. die ECMO-Kriterien der ELSO) empfiehlt dann ja eine Erhöhung der Atemfrequenz (in den ELSO-Kriterien ja sogar bis 30), wobei das subjektiv häufig bei diesen COVID-Patienten nicht so wirklich gut funktioniert. Habe da teilweise auch Erfolge gesehen durch Reduktion der Atemfrequenz und Verlängerung der Inspiration, teilweise so gar bis zum inversem Atemzeitverhältnis, wodurch man aber ggf. über die Zeit eine bessere Rekrutierung erreichen könnte (so wieder von unserem OA postuliert).

inglebird
29.04.2021, 07:47
Bauchlagerungen bis 24 Stunden (manchmal aus Kapazitätsgründen nicht anders möglich gewesen), länger aber nicht. Kenne da aber die Literatur auch nicht gut. Auch hier hängt es vom Personal ab. Wenn die Pflegekraft bei der Mikrolagerung eben nicht merkt, dass der Patient nach kaudal gerutscht ist und mit dem Gesicht auf dem Thoraxkissen liegt, dann entsteht durch längere Lagerung eher Schaden, aber naja, auch das passiert leider.

Typisch bei schwer betroffenen "COVID-Lungen" ist eben ein Befall von mehr als 90% des Parenchyms und was wir oft sehen: Die Compliance verschlechtert sich nach ca 7 Tagen Beatmung dramatisch. Ist üblicherweise auch der Punkt, an dem die Hyperkapnie kommt. Da ist eine typische Konstellation: hohe Atemfrequenz (25-30), I:E 1:1, PEEP abhängig vom best-peep-trial recht hoch und VT häufig nur 300-350ml. Besonders hilfreich kann zeitnahe Tracheotomie sein, man spart eben 30ml Totraum und manchmal ist es dann möglich, die Patienten spontan atmen zu lassen. Sind aber häufig die Patienten, die "nicht mehr werden" und bei denen dann die üblichen Komplikationen (dialysepflichtiges Nierenversagen, anhaltend hohe Infektwerte ohne CT-morphologischen Fokus, hohes, antipyretikarefraktäres Fieber) eintreten.

Bei uns werden die Tracheotomien bei COVID-Patienten immer chirurgisch gemacht (aufgrund der Aerosolbildung). Wie sieht das bei euch aus?

Rettungshase
29.04.2021, 23:31
@ inglebird: Ja, auch bei uns chirurgisch u.a. wegen Aerosolbildung, außerdem geht es schneller und wird als etwas sicherer erachtet (z.B. bei weiterhin Lagerungstherapie oder bzgl. Blutungskontrolle unter Antikoagulation bei laufender ECMO-Therapie).