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Christoph S.
17.04.2021, 20:15
Hallo, als mittlerweile angehender Allgemeinmediziner stellen sich mir immer wieder Fragen zur Weiterbildungsplanung, sowie zum Alltag in der Praxis. Ich dachte, die Allgemeinmediziner könnten auch mal einen eigenen Thread vertragen. Bisher wurden hier ja meist einzelne Fragestellungen diskutiert.

Ich habe mittlerweile 8 Monate Anästhesie und 6 Monate Innere stationär gemacht und bin jetzt für ein Jahr in einer internistischen Hausarztpraxis.
In Berlin ist die Weiterbildung ja relativ streng vorgeschrieben mit 6 Monaten Orthopädie und 6 Monaten Chirugie, so dass ich mir gut einteilen muss, wofür ich meine Förderung gebrauche.

Ich schwanke aktuell noch zwischen 6 Monaten Pädiatrie + 6 Monaten Derma oder stattdessen noch mal ein Jahr Geriatrie stationär mit Rettungsstelle. Im derzeitigen Praxisalltag kommt mir Geriatrie höchst relevant vor.

Am Ende der Weiterbildungszeit soll noch mal ein Jahr in einer echten Allgemeinmedizin-Praxis stehen, wo man das ganze Gelernte integriert anwenden kann.

Sind hier angehende Allgemeinmediziner unterwegs, die sich ähnliche Gedanken machen und vielleicht noch den ein oder anderen Tipp haben?

Christoph S.
17.04.2021, 20:17
Weiterhin könnte ich mir vorstellen, dass hier Lerntipps wie Podcasts oder Internetseiten vorgestellt werden können.

Ich kann zum Beispiel den „Best science medicine Podcast“ aus Kanada empfehlen, der einem recht gut die Evidenz hinter den Therapien in der "Family practice" aufzeigt. Von denen gibt es auch die „Tools for practice“, wo in Stichpunkten praxisrelevante Studien hausärztliche Therapien mit den „Numbers needed to treat“ angegeben werden.
Außerdem natürlich den Curbsiders Podcast für Innere Medizin.

Günni Gürtelrose
17.04.2021, 20:26
Ich mache zwar nicht Allgemeinmedizin, aber würde noch 6 Monate Psychiatrie empfehlen. Viele mit psychiatrischen Erkrankungen stellen sich ja zunächst mit somatischen Beschwerden beim Hausarzt vor, da ist es sicher nicht verkehrt, den Blick für Zwischentöne zu schärfen.

Haffi
17.04.2021, 20:45
Kannst du vielleicht mal von deinen Erfahrungen berichten, wie du bisher mit "nur" 6 Monaten Innere in der Praxis zurecht kommst? Ich selbst habe bisher nur Uro-Erfahrung, würde aber gerne in die AM und liebäugel damit, mit einem Jahr hausärztlicher Praxis zu starten, dann Innere und ggf. weitere Fächer (insb. Psychiatrie und Kinderheilkunde) zu absolvieren um am Ende - wie du auch - nochmal ein Jahr AM zu machen. Bisher hab ich aber noch ziemlich Respekt vor einem Start in der Praxis. Vielleicht kannst du ja deine Erfahrungen teilen :)

Christoph S.
17.04.2021, 21:39
Über Psychiatrie hatte ich auch schon noch gedacht. Wenn ja, dann würde ich Gerontopsychiatrie eher noch in Betracht ziehen. Da hat man dann noch Demenz, sozialmedizinische Fragen und etwas mehr Somatik. Ich mache gerade den Psychosomatik-Kurs und muss mich erst an diese Art der Gesprächsführung herantasten. Neuro hatte ich im PJ und würde es gerne eigentlich auch noch mal machen, aber dafür ist die Förderung zu kurz.

Ich finde 6 Monate Innere stationär insgesamt für den FA Allgemeinmedizin zu wenig und hab vor, zur Not nach der Prüfung nochmal ein Jahr stationär zu machen (wenn die Motivation dann noch da ist).

Ich hab mich zwar schon in den letzten Monaten Anästhesie-Zeit auf Innere vorbereitet und hab im Studium meinen Lernschwerpunkt auf Innere gelegt, aber ohne die 6 Monate stationär käme ich mir doch etwas nackt vor.

Aber das Meiste hängt meiner Meinung nach vom Weiterbilder, der Einarbeitungszeit und deiner Motivation zum Nachlesen ab.

Ich würde zum Beispiel nicht empfehlen, erst die komplette Innere-Zeit stationär zu machen, sondern vielleicht erst eine kurze Zeit für die Basics und dann später im Verlauf den Rest mit dem "Blick eines Allgemeinmediziners" zu machen. Aber da bin ich ge-biased.

Frisko
18.04.2021, 09:30
Oh, sehr schön! Hatte auch schon immer dran gedacht, einen Thread zu eröffnen...

Ich bin mittlerweile im... 4. Jahr?! Hab aber auch kinderbedingt etwas zurückgeschraubt in der Zeit.
Habe zwei Jahre in der Geriatrie die Innere WB gemacht und jetzt seit zwei Jahren Praxis, die geht noch bis nächstes Jahr August.
Danach muss ich noch in die Chirurgie, wobei ich 0 (in Worten null) Bock habe.
Mein ehemaliger Chef hat mir jetzt angeboten, die Zeit in einer Kombi aus Geri und UCH zu machen. Nachteil: ich muss dann 12 anstatt 6 Monaten machen.

Weitere Lösung wäre, es nach neuer WBO zu machen, weiß aber nicht, ob meine Geri als Akut-Geri gewertet wird. Fände Derma und Psych deutlich nützlicher als Chirurgie aktuell.

amazonja0701
18.04.2021, 10:51
Ich bin mittlerweile mit der Assistenzarztzeit fertig und kann folgendes rückblickend sagen:

2 Jahre Innere in der Klinik: Innere ist ein Muss, aber 1/1,5 Jahre hätte vielleicht gereicht

6 Monate Intensivstation: Sinnvoll, da man auch in der Hausarztpraxis immer mal mit "Notfallsituationen" konfrontiert ist und dadurch entspannter ist. Wenn man zB bei einer hypertensiven Entgleisung schon mal Ebrantil gespritzt hat, geht das deutlich einfacher von der Hand ohne Panik ;-) Lernt man u.U. Aber auch auf einer guten Notaufnahme..

6 Monate Chirurgie: Für Allgemeinmedizin absolut empfehlenswert! Man bekommt als Hausarzt so viele Arten von Wunden zu sehen, dass es ratsam ist, ein Grundverständnis von Wundbehandlung zu haben. Es gibt so viele Hausärzte, die Patienten wegen Wunden zum Chirurgen schicken, obwohl sie die locker und easy selbst behandeln könnten.

2 Jahre Hausarztpraxis: ist so oder so ein Muss.

Im Nachhinein wäre ich gerne noch ein paar Monate in der Derma gewesen. Man bekommt als Hausarzt so viele "Ausschläge" zu sehen und außer H1 Blocker und Kortison fällt einem da meistens nicht so viel ein. Wäre schon sinnvoll gewesen, da etwas mehr Erfahrung zu haben.

Pädiatrie kommt drauf an wie viele Kinder man in der Hausarztpraxis behandelt.

Zum Thema Psych: würde ich von abraten. Wichtiger ist der Kurs der Psychosomatischen Grundversorgung und das Erlernen der Gesprächsführung (wichtig: nach dem Kurs auch auch Zeit nehmen und anwenden in der Praxis). Als Hausarzt sollte man Hauptansprechpartner sein für die leichten psychiatrischen Probleme bzw der erste Ansprechpartner bei schwerwiegenden Sachen. Bei einer schweren Depression beispielsweise gehört auch eine Verhaltenstherapie dazu.. da hat der Psychiater die besseren Kontakte, sodass ich solche Patienten sowieso immer zusätzlich psychiatrisch vorstellen würde. Dh 6 Monate in der Psychiatrie bringen mir selbst als Hausarzt nicht viel, es sei denn ich will die ganze spezielle Therapie an mich reißen. Lohnt sich aber zeitlich nicht.

Haffi
18.04.2021, 11:34
Was würdest du zur Reihenfolge sagen @amazonja0701 ? Ist es deiner Meinung nach utopisch, einen Teil der Praxis-Zeit der Inneren voran zu stellen?

amazonja0701
18.04.2021, 11:57
Aus 2 Gründen würde ich ERST die Klinikzeit in der Inneren machen und DANN in die Allgemeinarztpraxis.

1. Im Krankenhaus lernst du das Sammelsurium der Inneren. Du hast allerdings auch einen starken wirtschaftlichen Druck. Alles muss schnell gehen, die Liegezeit so kurz wie möglich sein und für allgemeinmedizinische Medizin ist weder Platz noch Zeit. Zwei große Pfeiler der Allgemeinmedizin sind das abwartende Offenhalten und das shared-decision-making. Beides Dinge, für die es in der Klinik keinen Raum gibt. Der Patient mit Infekt bekommt an Tag 1 in der Klinik die Antibiose, damit er spätestens an Tag 3 entlassen werden kann..Stichwort Fallpauschalen. In der allgemeinmedizinischen Praxis kannst du abwarten und nach 2 Tagen kontrollieren... dh du kannst durchaus dein internistisch erlerntes Wissen in der Allgemeinarztpraxis anwenden (zB zum Erkennen anwendbar gefährlicher Verläufe). Aber von deinem allgemeinmedizinischem Wissen will man in der Klinik nichts wissen.

2. Wenn du eine Zeit lang in der Praxis gearbeitet hast (im Schnitt 30-35h Arbeit pro Woche, keine Nächte, keine Dienste.. Vielleicht gelegentlich mal einen KV Bereitschaftsdienst, tolle Work Life Balance), dann willst du danach sicher nicht wieder zurück in eine internistische Klinik (im Schnitt 50h Woche, Schichtdienst, Notaufnahme, ITS...). Für meistens identisches Gehalt!

Lbml
18.04.2021, 16:36
Also ich habe jetzt ein Jahr Innere akutstationär mit unzähligen Diensten und Notaufnahme hinter mir und würde gerne schnellstens wechseln. Am liebsten in die Geri, um noch etwas mehr Innere-Erfahrung, aber auch Demenzdiagnostik etc. zu sammeln.
In die Derma oder ambulante Chirurgie würde ich auch gerne schnuppern, aber da seh ich meine Stellenaussichten eher schlecht. Wie habt ihr das denn angestellt? Derma ist doch super begehrt und ambulant stellt einen doch sicher niemand ein ohne Förderung, oder nicht?

Christoph S.
18.04.2021, 16:46
Das Zauberwort heißt IPAM-Förderung.
5000€ Förderung, die direkt an dich weitergegeben werden, sind für viele Weiterbilder ein gutes Argument, dich einzustellen und im Optimalfall auch gut auszubilden. Dafür muss der Arbeitgeber dann noch den Arbeitgeberanteil von ca. 1000€ drauflegen. Damit bis du immer noch günstiger als eine MFA, zumal du die Scheinzahl der Praxis ordentlich erhöhst. Allerdings verpflichtet man sich mit der Annahme der Förderung auch auf das Absolvieren der Facharztprüfung Allgemeinmedizin.

Haffi
18.04.2021, 17:11
Das Zauberwort heißt IPAM-Förderung. 5000€ Förderung, die direkt an dich weitergegeben werden sind für viele Weiterbilder ein gutes Argument, dich einzustellen und im Optimalfall auch gut auszubilden. Dafür muss der Arbeitgeber dann noch den Arbeitnehmeranteil nochmal ca. 1000€ drauflegen. Damit bis du immer noch günstiger als eine MFA, zumal du die Scheinzahl der Praxis ordentlich erhöhst. Allerdings verpflichtet man sich mit der Annahme der Förderung auch auf das Absolvieren der Facharztprüfung Allgemeinmedizin.

Kann allerdings dort, wo die jeweilige KV nur 24 Monate fördert, zum Problem werden. Kenne zwei Fälle, die im Verlauf ihrer Ausbildung ein Jahr ambulant gefördert wurden (orthopädische bzw. dermatologische Praxis) und zum Ende hin Probleme hatten, eine Hausarztpraxis zu finden, die einen ein Jahr lang ungefördert nimmt.

rafiki
18.04.2021, 17:49
6 Monate Intensivstation: Sinnvoll, da man auch in der Hausarztpraxis immer mal mit "Notfallsituationen" konfrontiert ist und dadurch entspannter ist. Wenn man zB bei einer hypertensiven Entgleisung schon mal Ebrantil gespritzt hat, geht das deutlich einfacher von der Hand ohne Panik ;-) Lernt man u.U. Aber auch auf einer guten Notaufnahme..


Dafür braucht es keine Intensivstation/Notaufnahme, das lernt man auch als Psychiatrie-"Allrounder" im Dienst an einer großen Fachklinik ohne Somatik. Wirklich. Sogar ohne Monitoring;-)

Ansonsten: Wie groß ist eigentlich das Interesse von Allgemeinmedizin-Assistenten oder -fachärzten an einer (zeitweisen) Mitarbeit in der Psychosomatik?

Christoph S.
18.04.2021, 19:20
In welchem Bundesland gibt es denn keine volle Förderung?

Relaxometrie
18.04.2021, 19:22
Wie groß ist eigentlich das Interesse von Allgemeinmedizin-Assistenten oder -fachärzten an einer (zeitweisen) Mitarbeit in der Psychosomatik?
Wenn ich die Garantie bekommen würde, dass die Ausbildung wirklich gut ist, würde ich sofort eine zeitlang in der Psychosomatik arbeiten.

Haffi
18.04.2021, 19:25
In welchem Bundesland gibt es denn keine volle Förderung?

Nordrhein fördert zum Beispiel nur 24 Monate ambulant. Die sind mit der Pflichtzeit in der Hausarztpraxis quasi verbraucht.

Jadoube
23.04.2021, 12:14
Auweia, gerade einen neuen Thread erstellt und dann erst diesen hier auf der zweiten Seite gefunden. Gleich mal mit dem Kardinalfehler einsteigen :-oopss

Ich hab jetzt bald drei Jahre Neurologie hinter mir, habe die aber schon mit der Maßgabe, Allgemeinmediziner zu werden angefangen und bin dann wegen allgemeiner Zufriedenheit noch etwas geblieben. Hausärztliche Erfahrung kann ich noch keine beitragen, kann aber die Neuro als Begleitfach empfehlen. Man kommt relativ schnell rein und kann sicherlich vieles aus den Notaufnahmediensten (Schwindel, Kopfschmerzen, Gangstörung, Kribbelkrabbel) bestimmt auch später nochmal brauchen.

Habt ihr denn Tipps, worauf man bei der Auswahl der Klinik für den Innere und Chirurgie-Teil achten sollte?

Christoph S.
23.04.2021, 15:57
Mit 3 Jahren Neuro-Stationserfahrung bist du zumindest in der Geriatrie gern gesehen. Sogar ohne Förderung, falls das ein Thema sein sollte oder du noch unschlüssig bist, am Ende wirklich Allgemeinmedizin zu machen. Im Hinblick auf die Prüfung würde ich die Zeit in der allgemeinmedizinischen Praxis am Ende der Weiterbildung machen. Wahrscheinlich kommst du da besser zum lernen und hast nochmal "von allem etwas".

Jadoube
24.04.2021, 08:50
Danke dir!
Wäre es denn sinnvoll, den Innere-Teil über Geriatrie zu lösen? Oder doch eher eine allgemeininternistische Klinik oder ein größeres Haus?
Den Praxisteil werde ich auch nach Möglichkeit ans Ende legen. Kann man denn nach dem Facharzt noch ein paar kleinere Abschnitte nachholen?

Christoph S.
24.04.2021, 22:30
Ich denke Allgemeine Innere (also eher an einem kleineren Haus) und Geriatrie haben riesige Schnittmengen. Als Hausarzt ist Geriatrie halt ein großer Bestandteil. Ich hab in meinen bisherigen 6 Monaten Innere (Pulmo/Onko) gemacht und finde das im Nachhinein für mich zu speziell. Aber wenn du an ein größeres haus gehst, wo es wahrscheinlich eher Subspezialisierungen gibt, ist zb. Gastro/Kardio für jeweils 6 Monate sicher auch ok. Oder z.B. 6 Monate internistische oder interdisziplinäre Rettungsstelle, was sicher auch sinnvoll ist.

Was du nach dem Facharzt machen möchtest, kann dir keiner vorschreiben. Du verpflichtest dich zum Ablegen der Prüfung und nicht dazu als Hausarzt zu arbeiten. Also kann man sich immer noch interessante Bereiche ansehen, aber halt ohne Förderung und ggf. zum Facharztgehalt, was bei kurzer Dauer für viele Arbeitgeber wahrscheinlich eher unattraktiv sein wird.