PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Allgemeinmedizin als Alternative zur Klinik (als OA der Vizeralchirurgie)



Seiten : [1] 2

DinoMartini
12.06.2021, 17:44
Guten Abend zusammen.
Ich habe zurzeit ein persönliches Problem und weiß mangels Erfahrung nicht mehr weiter. Kurz zu mir: Ich bin 39 Jahre alt und OA der Viszeralchirurgie an einem regionalen ländlichen Schwerpunktversorger. Außerdem verfüge ich noch über die Zusatzbezeichnungen Spezielle Viszeralchirurgie, Intensivmedizin und Notfallmedizin.
Nun zu meinem Problem: Ich merke schon, dass meine Partnerin immer weniger zufrieden mit meinen Arbeitszeiten und Anzahl an Diensten ist. Da wird bald auch Nachwuchs erwarten, wäre es für mich nicht verantwortbar, mit solchen AZs weiterzumachen, weshalb ich mich nach möglichen Optionen umgeschaut habe und bin auf zwei Alternativen gestoßen:

1) Den FA in Allgemeinchirurgie nachzuholen und bei einem alten Studienkollegen in seinem MVZ auf Teilzeit die ZB Handchirurgie erwerben, um mich dann damit selbstständig zu machen (Contra: a) Langer, zum Teil unübersichtlicher Weg, b) Wirtschaftliches Risiko)

2) Den FA Allgemeinmedizin in 24 Monaten nachholen und als FA in einem MVZ/einer Praxis einsteigen (Pro: Intensiver Patientenkontakt, definitiv bessere AZs oder weniger Dienste, Contra: a) eintöniger Beruf (korrigiert mich, wenn ich falsch liege), b) keine Chirurgie, c) "schlechtere" Bezahlung als Angestellter FA relativ zum OA-Gehalt)

Habe ich mit meinen Contras recht? Kennt jemand vielleicht weitere Alternativen? Oder noch besser: War jemand auch in ähnlicher Situation und mag seine Erfahrungen mit mir teilen? :)

Fr.Pelz
12.06.2021, 19:15
Hallo,
ich bin zwar nicht OA, aber FÄ Allgemeinchirurgie und gerade abgebogen in die Allgemeinmedizin. Ich finde es gut, dass du dich nach etwas familienfreundlicherem umgucken willst, ich habe auch gemerkt dass gerade VCH wirklich nicht allzutoll mit Familie vereinbar ist.

Ich denke nicht, dass Allgmed so eintönig ist, du hast ja ein extrem viel größeres Spektrum. Die Patienten kommen nicht vordiagnostiziert, sondern du kannst ab und an detektivisch tätig werden. Und was ich als große positive Veränderung erlebe: du kannst extrem viel mit Gesprächen machen. Das was ich an Chirurgie immer im Gegensatz zur Inneren so gut fand: man MACHT was! (zugespitzt ist es ja der eine Schnipp durch die Bride beim Ileus und man hat jemanden geheilt) erlebe ich jetzt eben als man sagt was und die Patienten gucken einen groß an, bedanken sich und man hat irgendwo dann doch eine kleine Veränderung bewirkt und wenn es "nur" Trost ist.

Dein Contra "keine Chirugie" verstehe ich auch voll und ganz, ich hab daher so den eher groben Weg zumindest weiter Wunden zu behandeln oder wenigstens "kleine Chirurgie" anzubieten - wobei ich noch nicht weiß, wie das abrechnungstechnisch funktionieren kann. Aber vielleicht findet sich ja ein MVZ, in dem man beides 50% abdecken kann, weil es vielleicht einen chirurgischen Kollegen beschäftigt, der nicht mehr 100% arbeiten will oä.

Ein Pro von Allgmed ist für mich auch, dass man örtlich flexibler ist, Hausärzte werden fast überall gesucht, ambulante Chirurgen eher weniger.
Mehr kann ich noch nicht berichten, aber ir haben hier ja einige hausärztliche Kollegen, die sicher etwas erzählen können.

*milkakuh*
12.06.2021, 19:26
Ich kann leider keine persönlichen Erfahrungen beitragen aber spontan ist mir noch eine Niederlassung im Bereich der Proktologie eingefallen. Aber auch dafür gibt es nur wenige KV-Sitze. Was mir noch einfällt, wäre eine reine Tätigkeit in einer Ambulanz/Notaufnahme. Hier gibt es einige wenige angestellte Chirurgen, die so keine Dienste mehr machen. Sicher aber ein deutlicher finanzieller Rückschritt. Eine reine Tätigkeit als angestellter Notarzt wäre vielleicht auch möglich aber auch solche Stellen sind selten und natürlich mit Diensten verbunden. Alles Gute!

med_in_1
12.06.2021, 20:17
zur hausärztlichen Tätigkeit kann ich beitragen:
- Anstellung im MVZ: hier gibt es aktuell in meiner Gegend sogar Verträge, wo du nichtmal am kassenärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen muss. Je nach Lokalität fällt die Entlohung in der Anstellung aber anders aus. Sicher sind die Arbeitszeiten in einem MVZ überschaubarer
- Selbstständig: Ich verdiene deutlich mehr als in der Klinik netto ca 15.000 € / Monat - allerdings unter der Woche mit regelmäßig 12 Stunden Tagen (nicht nur Sprechstunde, als v.a. Gutachten, Papierkram, Hausbesuche - Impferei kommt on top sprich: hier eher Mehrarbeit | KV-Dienste: 1-2 / Monat = besser, als in der Klinik) - aber Personalrisiko | Datenschutz | Cybercrime (neulich bei einem Kollegen passiert) etc. aber: definitiv sehr breites Spektrum - breiter als ichs in der Klinik je erlebt habe - man sollte quasie ständig die komplette Medizin parat haben.
- Chirurgie: man kann durchaus die "kleine Chirurgie" leisten & abrechnen - wirtschaftlich nicht "sooo" interesannt - aber in geübten Händen sicherlich sinnvoll, mglw. erhält man auch Zuweisungen hierzu.

Moni Ka
12.06.2021, 20:54
med_in_1.
Sorry für die doofe Frage aber ich habe es nicht verstanden wie 15000 Euro netto???
Also Steuer Abzug, Gehalt für die Arzthelferinnen, Praxis - Material

Als Assistenzarzt in der Klinik verdient man 2500-2700 Euro pro Monat und ja nachdem ob Nachtdienste dazu kommen 3000-3600 Euro

Deshalb kann ich nicht nachvollziehen was du genau mit 15000 Euro netto meinst

daCapo
12.06.2021, 21:34
med_in_1.
Sorry für die doofe Frage aber ich habe es nicht verstanden wie 15000 Euro netto???
Also Steuer Abzug, Gehalt für die Arzthelferinnen, Praxis - Material

Als Assistenzarzt in der Klinik verdient man 2500-2700 Euro pro Monat und ja nachdem ob Nachtdienste dazu kommen 3000-3600 Euro

Deshalb kann ich nicht nachvollziehen was du genau mit 15000 Euro netto meinst

Deshalb möchte auch kaum jmd Arzt in Weiterbildung im Krankenhaus für immer bleiben.

Heerestorte
12.06.2021, 23:55
Im Darm ist das Geld versteckt. Müsstest du als VCH doch wissen :-)) Auch wenn das natürlich schon speziell ist, den ganzen Tag in Hintern rein zu schauen.

Haffi
13.06.2021, 07:37
Die Sorge, die Allgemeinmedizin sei zu eintönig, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Beispielhaft mal mein letzter Freitag (Mix aus gesicherten Diagnosen und noch ungeklärten Symptomen):

Abszess (selbst chirurgisch versorgt), Zoster, seit 2 Monaten persistierende Diarrhoe ohne Erregernachweis, Erysipel, unklares Abdomen bei Z.n. akuter Pankreatitis, Hundebiss, neu aufgetretene Alopezie, Impfberatung bei laufender Chemo, dyshidrotisches Handekzem, Einweisung wg. geäußerter suizidaler Gedanken, neu aufgetretene Ödeme, akute Gastroenteritis, V.a. Melanom (selbst exzidiert) Unverträglichkeit Mesalazin bei Morbus Crohn.

Das mag für manche eintönig sein, da natürlich auch eine Menge Bagatellerkrankungen dabei sind. Insgesamt muss man aber - wie einer meiner Vorredner schon sagte - ein breites Spektrum der Medizin parat haben...sonst ist man am Ende nur noch am überweisen, was absolut vermeidbar ist. In unserer Praxis überweisen wir maximal 10 Prozent, davon der größte Anteil Radiologie.

John Silver
13.06.2021, 11:02
Allgemeinmedizin hat aber tatsächlich nur den Vorteil, dass man aktuell sehr leicht an Praxen kommt, die werden einem vielerorts geradezu nachgeschmissen.

Aber mal ehrlich, warum in eine Fachrichtung gehen, die Du offensichtlich nicht machen willst? Nur wegen des Nachwuchses und der Familie? Ich rate Dir davon ab. Du bist bereits ein Spezialist mit offenbar ordentlich operativer Erfahrung; dann nutze doch, was Du hast. Klar, wenn es in kurzer Zeit möglich ist, wäre es sinnvoll, den Allgemeinchirurgen und am besten noch den Proktologen draufzusetzen. Aber auch ohne geht es. Die cash cows in der Niederlassung sind für Weichteilchirurgen in absteigender Reihenfolge Proktologie, Hernien und Phlebologie. Kann man ambulant machen, im Idealfall aber auch kurzstationär, bringt mehr.

Es gibt durchaus Praxen, die Fachärzte zur Anstellung suchen. Der Inhaber ist operativ versiert (oder glaubt, es zu sein), kann sich einen zweiten Sitz sichern, und sucht einen Facharzt, der vorwiegend die Sprechstunde schmeißt und evtl. auch etwas selbst operiert. Eine solche Stelle ist mit recht zivilen Arbeitszeiten verbunden, und man kann als Gehalt in etwa das OA-Gehalt inkl. Dienste fordern, in einer gut gehenden Praxis locker 110-120 T im Jahr.

Oder man übernimmt selbst einen Sitz; als Viszeralchirurg am besten im Verbund mit einem oder zwei Unfallchirurgen, es sei denn, man hat herausragende Fähigkeiten im Bereich der o.g. cash cows. Kann man auch gut von leben. Und hör mir mit dem wirtschaftlichen Risiko auf. Die Kreditausfallquote bei Praxiskrediten liegt unter 1%. Ärzte gehen nicht pleite. Wenn man sich vernünftig mit dem notwendigen Wissen belädt, nicht allzu blauäugig an die Sache geht und keine komplette fachliche Pfeife ist, wird man schwimmen.

provprof
13.06.2021, 11:13
Ist Teilzeit in der Klinik keine Option? Ich kenne eine (unfallchirurgische) Abteilung, in der jeder OA seinen festen freien Tag in der Woche hat.

med_in_1
13.06.2021, 17:41
med_in_1.
Sorry für die doofe Frage aber ich habe es nicht verstanden wie 15000 Euro netto???
Also Steuer Abzug, Gehalt für die Arzthelferinnen, Praxis - Material

Nun, Gesamteinnahme pro Jahr 450.000 Euro (circa), nach Abzug von Steuern, Miete, Mitarbeitergehältern etc. zzgl. meines Arbeitsaufwandes (s.o.) bleiben mir nach Abzug von allem ca 15.000 Euro im Monat.

DinoMartini
13.06.2021, 18:17
Danke euch allen für eure Antworten!
@John Silver: Deine Vorschläge hören sich sehr gut an. Nur leider habe ich eher grundlegende Erfahrungen in der Proktologie und zugegebenerweise finde ich es für mich nicht ansprechend... Ich bin erst seit 2 1/2 Jahren OA und habe keine festen Schwerpunkte, aber seit gut 4-5 Jahren bin ich hauptsächlich in der Onkologischen VCH und flexiblen Endoskopie angesiedelt. Bis vor meiner sehr spontanen Ehe/Familiengründung hatte ich auch vor, mich in diesen Gebieten zu spezialisieren, um evtl. eines Tages CA zu werden. Denn an sich habe ich persönlich keine Probleme mit den Arbeitszeiten. Ich liebe meinen Job, nur es wäre egoistisch von mir, mich wegen einer Leidenschaft gewissermaßen gegen meiner Familie zu stellen (wir waren und sind nämlich unterbesetzt. Die eh in der VCH beschie**enen Arbeitszeiten sind in meiner Klinik noch beschie**ener...).
Eine Teilzeitstelle ist in meiner aktuellen Klinik angeblich zurzeit nicht möglich ("Wir können im 4. Quartal etwas aushandeln" wurde mir schon letztes Jahr gesagt...).

Ich glaube, am Ende werde ich nur über Hospitationen meinen weiteren Weg finden können.
Noch eine Frage an die Allgemeinmediziner unter uns: Wie viel verdient ihr Brutto als angestellte FAs bzw. wie hoch ist euer Reinertrag von der eigenen Praxis? Ich finde die 450k€ etwas unrealistisch, da der Bundesdurchschnitt schon bei 227k€ liegt...

Thomas24
13.06.2021, 18:58
Noch eine Frage an die Allgemeinmediziner unter uns: Wie viel verdient ihr Brutto als angestellte FAs bzw. wie hoch ist euer Reinertrag von der eigenen Praxis? Ich finde die 450k€ etwas unrealistisch, da der Bundesdurchschnitt schon bei 227k€ liegt...

Das hängt von der Lage und Kostenquote ab. Wenn man die Zahlen von med_in_1 grob überschlägt, landet man bei 450 K Jahresumsatz, und 180 K netto (vor Altersvorsorgeaufwendungen und Krediten). D.h. die Kostenquote der Fixkosten muss sehr niedrig liegen (vermutlich deutlich unter 30%). Wenn man günstige Räumlichkeiten hat, sowie nicht viel Personal -welches ja je nach Region in Deutschland auch nicht teuer sein muss- kann man durchaus solche Zahlen erreichen. Z.B. in vielen Regionen in Ostdeutschland, sowie in einigen Regionen im Westen.

med_in_1
13.06.2021, 19:16
Nunja... Durchschnitt ist eben Durchschnitt:
- wie gesagt stehen dahinter tägliche Arbeitszeiten von 12 Stunden
- ich habe exakt 1 MFA mit 35h Stunden (inkl. Reinigung durch sie)
- Miete sehr günstig - stimmt
- Wareneinkauf: man kann das Papier für 30 € / 5000 Blatt einkaufen oder über eBay für ca 13-14 Euro / 5.000 Blatt u.s.w.
- mache Polygrafie, Sonografie, Ergo, Audio, LZ-Diagnostik etc (Kleinvieh macht auch Mist)
- ich schreibe die Pat. nicht nur in den Hausarztvertrag ein, sondern rechne auch damit ab (m.E. sehr aufwendig)
- quartalsweise Fehlersuche in Abrechnung durch ext. Dienstleister
- Gutachten für die RV
- etc.

=> allerdings (o.g. ist nur durch einen entsprechenden Arbeitsaufwand erreichbar, d.h. kein 8h Job, ich arbeite mehr als zu Klinikzeiten, nur eben für mich und nicht die Klinik...)

Moni Ka
13.06.2021, 19:45
Ich frage mich nun, warum gibt's OÄ in den Krankenhäuser noch, wenn man selbstständig in einer Praxis mehr verdienen kann.

Feuerblick
13.06.2021, 19:49
Na, dann denk doch mal gut nach…

Thomas24
13.06.2021, 19:56
=> allerdings (o.g. ist nur durch einen entsprechenden Arbeitsaufwand erreichbar, d.h. kein 8h Job, ich arbeite mehr als zu Klinikzeiten, nur eben für mich und nicht die Klinik...)

Bist du dir sicher, dass du da nicht jemanden vergessen hast? :D
Die knappe Hälfte der Zeit arbeitest du für den Staat. Aber das ist immer noch besser, als zu Klinikzeiten.

Thomas24
13.06.2021, 19:57
Na, dann denk doch mal gut nach…

Na, das ist fies von Dir... Du sagst doch auch nicht zum Querschnittspatienten: "Los, spring!" :D*
*Duckundweg*

Nefazodon
13.06.2021, 19:58
Ich frage mich nun, warum gibt's OÄ in den Krankenhäuser noch, wenn man selbstständig in einer Praxis mehr verdienen kann.

Weil es einigen auch gefällt, als Oberarzt im Krankenhaus zu arbeiten.
Weil es nicht allen gefällt, selbstständig zu sein.

med_in_1
13.06.2021, 20:01
Weil es einigen auch gefällt, als Oberarzt im Krankenhaus zu arbeiten.
Weil es nicht allen gefällt, selbstständig zu sein.

=> genau so ist es. Die Wände einer Klinik sind dicker als deine Praxistüre. Dinge wie Cybersicherheit, Umgang mit auch rechtlich bedrohlichen Problemen die einen in der Praxis immer direkt treffen in der Klinik zumindest einen etwas geschützteren Ort bieten sind sicherlich gewissen Gründe...