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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Der Silvester-Fall ;-)



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hiddl
30.12.2003, 18:08
So, jetzt hab ich auch mal einen:
Kommt eine ältere Dame in die Notfallaufnahme (von der Tochter gebracht) und berichtet, daß sie in den letzten Tagen zunehmend schlechter habe laufen können, das linke Bein knicke immer so ein.
Was nun?

lala
30.12.2003, 19:38
OK, ich fang mal an:

Beginn "apoplektiform" oder langsam progredient?
Zuvor gut gelaufen oder schon vorher am Rollator?
Irgendwelche Ereignisse zuvor (Erkrankung, Infekt, Unfall, Sturz...)?
Ist nur das Bein betroffen oder auch der Arm?
Ist es nur ein Einknicken oder vielmehr eine Schwäche?
Schmerzen?
Gefühlsstörungen?
Schwindel?
Weitere Vorerkrankungen, evt. vorherige Behinderungen (kardiovaskuläre Erkrankungen? Tumorerkrankung)?
Vormedikation?

Denke das reicht erstmal.....
Macht mal weiter :-)

hiddl
02.01.2004, 14:35
Hat sonst keiner Fragen oder habt Ihr alle noch 'nen Kater?

Aber dann antworte ich schon mal
Die Dame wohnt im dritten Stock ohne Aufzug, was vorher kein Problem war, vollständig selbst versorgt. Das ganze hat langsam schleichend begonnen und sich innerhalb von einigen Tagen entwickelt. Zuerst habe sie tatsächlich Schmerzen gehabt, und zwar mehr vorne und innen am Oberschenke, vom Charakter ziehend und brennend. Das sei aber schon besser geworden und würde sie gar nicht mehr stören.
Es ist nur das Bein betroffen und es handelt sich um eine richtige Schwäche. Sie kann eigentlich nur noch mit Hilfe und dann auch nur sehr schlecht gehen, anfangs ist es ihr vor allem beim Treppensteigen aufgefallen. Sie kann sich in der Hüfte und im Knie nicht halten.
Gefühlsstörungen, Schwindel etc. sind ihr nicht aufgefallen.
An VE besteht der übliche art. Hypertonus, der mit Ramipril behandelt wird, ansonsten war sie im wesentlichen immer gesund. Insbesondere kein Diabetes, kein Tumor bekannt.
Es fehlt noch eine Frage, mit der man die Diagnose stellen kann, an die hab ich aber in der Akutsituation auch nicht gedacht ;-)

ada
02.01.2004, 16:02
kann sie sich an nen zeckenbiß erinnern? ein erythema chronicum migrans gehabt?
ada

SaschaMei
02.01.2004, 16:08
Ich hab kaum ne Idee, also brainstorm ich einfach mal drauflos...:

Ist die Durchblutung beidseits gleich? Thrombosezeichen? Arterieller Verschluss?

Schenkelhernie auf der betreffenden Seite, wobei der Bruchinhalt auf Nerven drückt?

Für Erstmanifestation einer MS passt das Alter wohl eher nicht?...

hiddl
02.01.2004, 16:19
Nee, an einen Zeckenbiß kann sie sich nicht erinnern (wobei das nichts heißen will, soweit ich weiß), aber keine schlechte Idee. Borrellien gehören auf jeden Fall zur Diff-Diagnose.
Durchblutung ist seitengleich, auch wenn das jetzt schon zur Untersuchung gehört (da würden die Schmerzen ja wohl auch nicht weniger werden).
Schenkelhernie klingt auch gut, zu berichten weiß sie nichts, aber das könnten wir ja mal untersuchen (ich geb's zu, hab ich nicht gemacht, es war abends und die Krampfanfälle stapelten sich), aber war es im Nachhinein auch nicht.
Für 'ne MS ist sie mit etwa 75 J. wohl wirklich ein bißchen alt.
Noch jemand Ideen? Ansonsten könnten wir ja zur Untersuchung schreiten. Was interessiert Euch besonders?

lala
02.01.2004, 17:54
Also noch ein bißchen Anamnese hätte ich gerne :-) :

Die Schmerzen waren vorher intensiv und als sie dann langsam weg waren kam die Lähmung?
Irgendein Auslöseereignis (Heben etc.)? Schmerzverstärkung bei Pressen/Husten?
Ansonsten Blasen-/Mastdarmstörung?

Untersuchung - was mich jetzt mal interessiert:
Motorik, Sensibilität, MER - irgendwie radikulär zuzuordnen?
Trophik und Schweißsekretion? (Plexusläsion?)


Für 'ne MS ist sie mit etwa 75 J. wohl wirklich ein bißchen alt.
Naja hatten neulich mal wieder ne "late-onset-MS" mit 87 Jahren ;-)
Aber passt hier nun wirklich nicht...

Pünktchen
03.01.2004, 17:07
Nimmt sie außer Ramipril noch andere Medikamente?
Wieviel wiegt die Patientin eigentlich? (Übergewicht?)


Pulse an den Füssen
Blutdruck messen
Herz auskultieren bitte
Hautfarbe der Beine im Vergleich


BeinHalteversuch
ASR/PSR
Lasequè


Ist sie Stuhl und/oder Urin inkontinent?

hiddl
03.01.2004, 22:58
Also noch mal zur Anamnese:
Ja, die Schmerzen waren schon recht unangenehm, wann die Lähmung genau angefangen hat, kann die Dame nicht so genau sagen, aber auf jeden Fall waren da die Schmerzen noch da. Sind sie wie gesagt auch jetzt noch, aber schon deutlich erträglicher, vielleicht steht bloß jetzt auch die Lähmung mehr im Vordergrund.
Auslöseereignis gab's keins, sie kann das ganze auch nicht irgendwie provozieren.
Blasen-Mastdarmstörung auch keine.
Medikamente tatsächlich nur Ramipril. Sie ist zwar nicht die schlankeste, aber auch nicht übermäßig dick (nach dem genauen Gewicht hab ich sie, ehrlich gesagt, nicht gefragt).

Und nun zur Untersuchung (ich fang mal oben an, sonst vergeß ich nämlich immer die Hälfte):
Kein Meningismus, Lasègue negativ, sakkadierte Blickfolge (das sei ihr mal gegönnt in dem Alter), ansonsten unauffällige Hirnnerven.
An den Armen keine Paresen, keine Sensibilitätsstörungen, MER sind seitengleich, so mittellebhaft.
Am linken Bein: deutliche Krafminderung bei der Hüftbeugung (KG 3) und Kniestreckung (KG 2-3), ansonsten keine sicheren formalen Paresen. Der Beinhalteversuch fällt damit aus. PSR ist links deutlich abgeschwächt, ansonsten sind die MER, die ich so teste (in dem Fall mit Adduktorenreflex) seitengleich. Kein Babinski (ach nee). Bei der Sensibilitätsprüfung ist sich die Dame etwas unsicher, wir können uns aber darauf einigen, daß sie eine Hypästhesie im Bereich des linken Knies (vorne) und etwas darüber hat, vielleicht auch darüber hinaus, aber da ist sie, wie gesagt, etwas vage. Das mit der Trophik ist so eine Sache, auf den ersten Blick ist mir zumindest nichts aufgefallen.
Rechtes Bein ist völlig unauffällig. Darüberhinaus auch sonst nichts neurologisches, keine Ataxie, nix extrapyramidalmotorisches oder worauf man noch so kommen könnte.
Die beiden Beine sehen völlig gleich aus, Fußpulse sind auf beiden Seiten tastbar, Herztöne sind rein und rhythmisch.

Das ganze läßt sich also relativ klar einer Läsion zuordnen, nämlich... :-???

Was würdet Ihr als nächstes machen? (Abends, so gegen neun, wie ich schon schrieb, noch diverse Krampfanfälle im Anmarsch...).
Erstmal nur aufnehmen oder irgendwas notfallmäßiges?

lala
04.01.2004, 07:43
Huhu...

Also ich würde sie mal aufnehmen, analgetische Therapie beginnen und mich den Notfällen widmen - weitere Diagnostik erst morgen ;-)

Schreit ja nach `ner Femoralisparese (DD L4-Syndrom)...

Irgendwelche Punktionen in der Leiste in letzter Zeit (Angio, Koro...)?
OP (Lagerungsschaden)? oder andere Gründe dass da was drauf drückt?
Hinweise auf retroperitoneale Raumforderung (Tumor, Abszess, Hämatom)?

Aufnehmen, morgen EMG/NLG und ggf. MRT Becken wäre mein Vorschlag :-)

Gruß,
lala

Pünktchen
04.01.2004, 11:14
@doclala
Warum denn ein EMG/NLG??? Was bringt uns das?

lala
04.01.2004, 12:38
Naja, um Art und Ausmaß der Schädigung beurteilen zu können (axonal vs. demyelinisierend) und um Prognose abschätzen zu können...

Pünktchen
05.01.2004, 16:20
Ist die Familienanamnese leer?

hiddl
07.01.2004, 18:51
O.k. analgetische Therapie hab ich auch gemacht und sie erstmal ins Bett gelegt.

Familienanamnese ist leer - aber welche Erkrankung mit Familienanamnese würde ich denn erwarten in dem Alter ??

Auf Femoralis-Parese haben wir uns dann auch geeinigt. Das mit der NLG beim Femoralis ist ja so 'ne Sache - wo soll man denn da reizen? Im EMG war noch nix, aber sie hat das ganze ja auch noch nicht lange. Aber zumindest auch nichts myopathisches.

CT Becken habe ich auch angemeldet, ein Tumor oder so ist zumindest nicht bekann. Für Lagerungsschaden etc. gibt es keinen Hinweis, das ganze ist ja, wo der Iliopsoas mitbeteiligt ist, ja auch irgendwo "oberhalb" des Leistenbandes.

Die Diagnose haben wir aber mit was anderem gestellt ... :-notify

Pünktchen
07.01.2004, 19:02
ich hab nen ganz doofen Einfall...

ne Discographie oder ne Myelographie??? :-notify
aber wir haben doch ne Femoralisparese und kein L4-Syndrom...

:-? ich dachte man sieht etwas im kleinen becken...
kein hämatom oder tumor sichtbar?!!!

lala
10.01.2004, 09:20
Hiddl spann uns nicht so auf die Folter....

Was war im MRT?
wie ist der Liquor?

hiddl
10.01.2004, 10:36
Na gut,
also, keine Raumforderung im kleinen Becken,

aber Liquor: :-notify
13 ganze Zellen, das ist zwar nicht viel, aber doch zuviel, Rest normal. Darauf hin haben wir sie mal polypragmatisch mit Cortison, Rocephin (Borrelien??) und Aciclovir (man weiß ja nie) behandelt, worunter die Parese schon mal besser wurde.
aber die Serologie...
da hat die Dame tatsächlich pos. VZV-IgM im Serum und Liquor, allerdings unauffälligen Antikörper-Index. Und wenn wir sie gleich am Anfang gefragt hätten, ob sie mal so Bläschen am Bein gehabt hätte, dann hätte sie auch ganz artig geantwortet, daß sie die hatte, als auch die Schmerzen da waren, der Hausarzt hat es für eine Allergie gehalten. Beim genau hingucken hat man die Überreste der Bläschen sogar noch gesehen, die Kollegin im EMG fragte nämlich, ob wir schon mal an einen Zoster gedacht hätten... (Bei der üblichen neurologischen Untersuchung ist mir das gar nicht aufgefallen bzw. ich habe auch nicht danach gesucht)
Was lernen wir daraus? Anamnese ist alles! ;-)

lala
10.01.2004, 11:20
Sehr cool :-)
Da sieht man mal wieder dass einem die Patienten oft wichtige Informationen unterschlagen (weil sie keinen Zusammenhang sehen) und man ihnen oft alles aus der Nase ziehen muss...

Was lernen wir daraus? Anamnese ist alles!

genau :-meinung

Pünktchen
10.01.2004, 11:33
ok....da bin ich wohl auch ins Fettnäpfchen getreten :-blush

ist diese Zostersymptomatik eher selten oder häufig? hab daran nämlich überhaupt nicht gedacht...

hiddl
11.01.2004, 10:09
Naja, 'nen Zoster am Bein ist wohl tatsächlich eher die Ausnahme. Typisch ist eher die Fazialisparese oder eben der Zoster am Rumpf.
Ich fand den Fall vor allem so schön, weil es am Anfang wie ein typischer Neurologenfall aussah: Schön definierte Läsion, keine Ursache gefunden, Cortison gegeben und wieder besser geworden ;-)
Und dann hatten wir plötzlich eine richtige Kausalkette, in der alles zusammenpaßte.