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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : "Lohnt" es sich in der Schweiz zu arbeiten?



MT_11
21.11.2021, 18:31
Hallo ihr Lieben,

mein Studium geht langsam aber sicher in Richtung Zielgerade und so mache ich mir Gedanken wohin es im Anschluss gehen soll. Aus dem Familien- und Bekanntenkreis wurde es mir schon öfter ans Herz gelegt nach dem Studium in der Schweiz anzufangen. Zugegebener Weise haben die meisten dieser Menschen weder Bezug zur Medizin noch zur Schweiz lol. Die Argumente sind natürlich die bessere Bezahlung zu besseren Arbeitsbedingungen.

Ich persönlich mag die Schweiz ganz gerne, vorallem die Freundlichkeit der Schweizer und das ruhige Gemüt. Für mich würden allerdings nur die größeren Städte in Frage kommen. Auf der anderen Seite fühle ich mich auch sehr wohl in Deutschland und hätte kein Problem damit hier zu arbeiten. Der Hauptgrund eine Arbeitsstelle in der Schweiz anzustreben wäre für mich also unterm Strich die bessere Bezahlung. Ich bin keiner der nur aufs Geld schaut aber wenn es eine Möglichkeit gibt mehr zu verdienen mit dem "gleichen" Job, warum nicht...

Nun wollte ich euch gerne mal nach einem Realitätscheck fragen. Klar, verdient man auf dem Papier besser aber bekanntlich sind ja die Lebenskosten auch viel höher. Kommt im Endeffekt wirklich soviel mehr rum, wenn man in der Schweiz arbeitet? Auch im Hinblick auf die nächsten 10-15 Jahre, wenn man irgendwann FA oder OA ist.
Was sind die Nachteile?
Ist die Ausbildung gut?
Wie stehen überhaupt die Chancen eine Stelle in seinem Wunschfach zu bekommen? Oder müsste man da ggf. Kompromisse eingehen ?


Ich freue mich auf eure Antworten :)

Einige meiner Fragen wurden schon in anderen Threads beantwortet, allerdings sind die schon ein paar Jährchen alt, würde also gerne aktuelle Meinungen hören.

davo
22.11.2021, 16:40
Ich hab insgesamt drei Monate Famulatur in der Schweiz gemacht, hatte ein recht gutes Jobangebot in der Schweiz, hab mich aber letztlich dagegen entschieden.

Ob es sich rein finanziell lohnt, kommt meines Erachtens sehr darauf an, welche Regionen du miteinander vergleichst und wie dein Lebensstil ist. Als Single, der sparsam lebt (v.a. private Dienstleistungen, inkl. Gastronomie, sind in der Schweiz sehr teuer), kannst du in St.Gallen bestimmt mehr auf die Seite legen als in München. Als Familie mit Kindern wird man in Zürich bestimmt weniger sparen können als in Gießen. Usw.

Es ist als Ausländer in der Schweiz meines Erachtens deutlich schwerer als in Deutschland (oder Österreich), Anschluss zu finden. Viele Ärzte, die in der Schweiz arbeiten, sind allerdings auch reine Arbeitsmigranten ohne jegliche Absicht einer langfristigen Niederlassung. Die Probleme beim Kontakteknüpfen liegen also oft auf beiden Seiten.

In der Psychiatrie ist die Ausbildung in der Schweiz tatsächlich sehr gut.

Ob man eine Stelle in seinem Wunschfach bekommt, hängt sehr stark vom Wunschfach ab ;-)

MT_11
22.11.2021, 17:55
Danke für den Einblick.

Das sind natürlich ein paar interessante Punkte. Ich möchte es mir nach 6 Jahren des bescheidenen Studentenlebens schon ein wenig gut gehen lassen und nicht direkt mit dem Bausparvertrag anfangen. Außerdem ist mir ein soziales Leben auch sehr wichtig. Sind die Schweizer eher introvertiert oder woran liegen die Probleme des Kontaktknüpfens?

Rahmspinat
22.11.2021, 22:02
Danke für den Einblick.

Das sind natürlich ein paar interessante Punkte. Ich möchte es mir nach 6 Jahren des bescheidenen Studentenlebens schon ein wenig gut gehen lassen und nicht direkt mit dem Bausparvertrag anfangen. Außerdem ist mir ein soziales Leben auch sehr wichtig. Sind die Schweizer eher introvertiert oder woran liegen die Probleme des Kontaktknüpfens?

Also laut meiner Erfahrung (eine Famulatur und etliche Freunde, die dort ärztlich tätig sind) liegt das u.a daran, dass die Schweizer eher heimatverbunden sind, d.h oft ihren Freundeskreis aus der Kindheit beibehalten und nicht den dringlichen Bedarf sehen, neue Freundschaften zu knüpfen. Auf professioneller Ebene ist das kein Problem und Ausnahmen gibt es sicherlich, aber in der Regel sind die meisten Kontakte der Deutschen dort andere "Arbetismigranten"

davo
22.11.2021, 23:26
Danke für den Einblick.

Das sind natürlich ein paar interessante Punkte. Ich möchte es mir nach 6 Jahren des bescheidenen Studentenlebens schon ein wenig gut gehen lassen und nicht direkt mit dem Bausparvertrag anfangen. Außerdem ist mir ein soziales Leben auch sehr wichtig. Sind die Schweizer eher introvertiert oder woran liegen die Probleme des Kontaktknüpfens?

Die Sprache ist ein wichtiger Grund. Die vielen kleinen Unterschiede in der Arbeits- und Alltagskultur sind ein weiterer wichtiger Grund. Eher introvertiert sind die Schweizer auch. Die meisten Schweizer sind sehr stolz auf ihr Land und seine Traditionen und Eigenheiten - viele deutsche Ärzte in der Schweiz meckern tagaus, tagein, was in Deutschland alles anders (soll heißen: besser) ist. Das kommt natürlich nicht besonders gut an.

Schau dir die Preise in Restaurants, Bars, Kinos an, dann weißt du, warum sich viele auch wohlhabende Schweizer am Abend nur auf einen Apéro treffen.

MT_11
23.11.2021, 09:59
Die Sprache ist ein wichtiger Grund. Die vielen kleinen Unterschiede in der Arbeits- und Alltagskultur sind ein weiterer wichtiger Grund. Eher introvertiert sind die Schweizer auch. Die meisten Schweizer sind sehr stolz auf ihr Land und seine Traditionen und Eigenheiten - viele deutsche Ärzte in der Schweiz meckern tagaus, tagein, was in Deutschland alles anders (soll heißen: besser) ist. Das kommt natürlich nicht besonders gut an.

Schau dir die Preise in Restaurants, Bars, Kinos an, dann weißt du, warum sich viele auch wohlhabende Schweizer am Abend nur auf einen Apéro treffen.


War die soziale Barriere der Grund, dass du dich gegen die Schweiz entschieden hast?


Ja die Preise in der Schweiz sind natürlich saftig haha aber man verdient ja auch ungefähr das doppelte. Die Frage ist halt ob man dadurch insgesamt eine größere Kaufkraft hat oder eben nicht.

Shade
02.01.2022, 17:13
Ich arbeite jetzt seit einem Jahr in der Schweiz, vorher habe ich 2 Jahre in Deutschland gearbeitet. Geh bitte auf keinen Fall nur wegen des Geldes in die Schweiz! Das ist absolut die falsche Motivation, du wirst deine alten Freunde und FAmilie weniger sehen und es ist sehr viel bürokratischer Aufwand (neue Krankenkasse, neues Konto, Führerschein muss umgetauscht werden, Ausländerausweis beantragen, Approbation anerkennen lassen), der sich lohnt, wenn man neugierig darauf ist, im Ausland zu arbeiten, sich an eine andere Sprache zu gewöhnen, man viel Wert auf Teaching legt und die Klinik schätzt, an der man arbeitet. Aber nur fürs Geld..? Wäre mir der Aufwand viel zu groß gewesen.

Ich verdiene jetzt, da ich in Deutschland an einer Klinik mit lukrativem Dienstmodell (24h-Dienste) gearbeitet habe und in der Schweiz keine Extra-Dienste machen muss, nur ca. 1000 bis 1200 Euro mehr pro Monat netto als in Deutschland. Dafür aber sind 13 Monatsgehälter Standard, jedoch auch standardmäßig die 50h-Woche, die oft eher zur 60h-Woche wird. Die Mieten sind sicherlich ca. 50% teurer, für eine Wohnung ab 60qm aufwärts kann es passieren, dass du in den Städten über 2000 CHF kommst, manche zahlen für ein 20qm WG-Zimmer 1500 CHF alleine. Ich persönlich habe mich mit meinem Deutschen Ärzte-Gehalt etwas "reicher" gefühlt, hatte das Gefühl, mir mehr gönnen oder leisten zu können. Das mag aber auch daran liegen, dass man von den hohen Preisen erstmal erschrocken ist. Dennoch bin ich hier wie auch in Deutschland aktuell zufrieden mit meinem Gehalt und kann einen guten Teil sparen.

So oder so sollte Geld auf keinen Fall der primäre oder gar einzige Grund sein, warum man auswandert, dies wird dich früher oder später unglücklich machen. Ich kannte meine Wunsch-Klinik und ihr Ausbildungskonzept schon und schätze den freundlichen Umgangston (sowohl zu anderen Berufsgruppe als auch KollegInnen) und die flachen Hierarchien.

MT_11
20.01.2022, 16:30
Ich arbeite jetzt seit einem Jahr in der Schweiz, vorher habe ich 2 Jahre in Deutschland gearbeitet. Geh bitte auf keinen Fall nur wegen des Geldes in die Schweiz! Das ist absolut die falsche Motivation, du wirst deine alten Freunde und FAmilie weniger sehen und es ist sehr viel bürokratischer Aufwand (neue Krankenkasse, neues Konto, Führerschein muss umgetauscht werden, Ausländerausweis beantragen, Approbation anerkennen lassen), der sich lohnt, wenn man neugierig darauf ist, im Ausland zu arbeiten, sich an eine andere Sprache zu gewöhnen, man viel Wert auf Teaching legt und die Klinik schätzt, an der man arbeitet. Aber nur fürs Geld..? Wäre mir der Aufwand viel zu groß gewesen.

Ich verdiene jetzt, da ich in Deutschland an einer Klinik mit lukrativem Dienstmodell (24h-Dienste) gearbeitet habe und in der Schweiz keine Extra-Dienste machen muss, nur ca. 1000 bis 1200 Euro mehr pro Monat netto als in Deutschland. Dafür aber sind 13 Monatsgehälter Standard, jedoch auch standardmäßig die 50h-Woche, die oft eher zur 60h-Woche wird. Die Mieten sind sicherlich ca. 50% teurer, für eine Wohnung ab 60qm aufwärts kann es passieren, dass du in den Städten über 2000 CHF kommst, manche zahlen für ein 20qm WG-Zimmer 1500 CHF alleine. Ich persönlich habe mich mit meinem Deutschen Ärzte-Gehalt etwas "reicher" gefühlt, hatte das Gefühl, mir mehr gönnen oder leisten zu können. Das mag aber auch daran liegen, dass man von den hohen Preisen erstmal erschrocken ist. Dennoch bin ich hier wie auch in Deutschland aktuell zufrieden mit meinem Gehalt und kann einen guten Teil sparen.

So oder so sollte Geld auf keinen Fall der primäre oder gar einzige Grund sein, warum man auswandert, dies wird dich früher oder später unglücklich machen. Ich kannte meine Wunsch-Klinik und ihr Ausbildungskonzept schon und schätze den freundlichen Umgangston (sowohl zu anderen Berufsgruppe als auch KollegInnen) und die flachen Hierarchien.


Vielen Dank für den ausführlichen Bericht.

Ich empfinde die Schweiz nicht so sehr als Ausland, da die Kultur ja viele Ähnlichkeiten hat und man mit der deutschen Sprache auch meistens gut zurecht kommt. Außerdem werde ich in Deutschland ja höchstwahrscheinlich auch umziehen müssen für den Job. Organisatorischer Aufwand kommt also so oder so auf mich zu.

Deshalb sehe ich die Sache eher aus rein finanzieller Sicht. Aber möglicherweise liege ich auch falsch damit.

GOMER
21.01.2022, 06:26
Die Kohle ist besser, keine Frage, trotz der hohen Lebenshaltungskosten. Insbesondere für Assistenten. Es wird aber auch mehr geschafft. Und so lange man Quellensteuer zahlt, bleibt unter dem Strich definitiv nicht das Doppelte, zumindest war das bei mir nicht der Fall. Wenn Du in absoluter oder relativer Nähe zur deutschen Grenze (gilt auch für die anderen EU Länder) wohnst, dann kannst Du natürlich Grosseinkauf auf der anderen Seite des Zauns machen, und dabei ordentlich sparen, der Stutz ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor am Hochrhein.



Ich empfinde die Schweiz nicht so sehr als Ausland...

Das empfinden die Schweizer aber sehr wohl so. Man muss es schon unbedingt wollen mit der Schweiz (aus welchem Grund auch immer), es ist definitiv nicht einfach nur ein Umzug in eine Region mit einem anderen Dialekt.

LasseReinböng
24.01.2022, 14:56
Ich empfinde die Schweiz nicht so sehr als Ausland, da die Kultur ja viele Ähnlichkeiten hat und man mit der deutschen Sprache auch meistens gut zurecht kommt. Außerdem werde ich in Deutschland ja höchstwahrscheinlich auch umziehen müssen für den Job. Organisatorischer Aufwand kommt also so oder so auf mich zu.

Deshalb sehe ich die Sache eher aus rein finanzieller Sicht. Aber möglicherweise liege ich auch falsch damit.

Wie Gomer schon schrieb, da haben sich schon sehr viele Deutsche in der Schweiz ganz schön umgucken müssen...;-) Man sollte sich mit dem Land und der Kultur/Mentalität am besten vorher schon etwas beschäftigen und wirklich Bock auf die Schweiz haben sonst ist man schnell wieder in Deutschland.

Wenn man grenznah zu Deutschland oder Frankreich wohnt kann man natürlich sparen aber ich hätte keine Lust meine Samstage mit Großeinkäufen z.B. in Lörrach zu verbringen. ;-)

Ich habe den Eindruck daß gerade Deutsche aus nördlicheren Gefilden oft einen etwas unrealistischen Blick auf die Schweiz haben.... es ist halt nicht einfach ein 17. Bundesland mit lustigem Dialekt....

Shade
13.02.2022, 12:33
Vielen Dank für den ausführlichen Bericht.

Ich empfinde die Schweiz nicht so sehr als Ausland, da die Kultur ja viele Ähnlichkeiten hat und man mit der deutschen Sprache auch meistens gut zurecht kommt. Außerdem werde ich in Deutschland ja höchstwahrscheinlich auch umziehen müssen für den Job. Organisatorischer Aufwand kommt also so oder so auf mich zu.

Deshalb sehe ich die Sache eher aus rein finanzieller Sicht. Aber möglicherweise liege ich auch falsch damit.


Oje, das klingt so, als ob du noch einen weiten Weg vor dir hast. Glaube mir, ein Umzug innerhalb Deutschland oder in ein Nicht-EU(!)-Land ist nicht vergleichbar. Viel Spaß am Zoll..;-)