PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Bin ich ein "Arzt"? Sollte ich einer werden?



Seiten : [1] 2 3

eleonoir
13.12.2021, 23:37
Liebe Lesende,

die Frage des Themas ist etwas polemisch formuliert, trifft aber recht genau meine Sorgen. Es gibt wohl wenig Berufe, an die mehr stereotype Eigenschaften gebunden sind, als den der Ärzt*in. Ich schreibe diesen Beitrag, weil ich Angst habe, ob ich vielleicht nicht dazugehöre. Ich suche einen Rat und zweite Meinung von jemandem, der ähnliches durchdacht hat und vielleicht schon einen Schritt weiter ist. In mir hat sich ein Konflikt aufgetan, der meine berufliche Zukunft betrifft und ich versuche diesen Konflikt in den kommenden Zeilen so gut es geht abzuzeichnen. Stellt gern Fragen, wenn es mir nicht gelingt. Und ansonsten: Vielen Dank fürs Lesen und die Zeit nehmen.
#

Auf der einen Seite des Konflikts steht ein Mann Ende 20, der sich mit anderen Vorstellungen über den Arbeitsmarkt nach dem Abitur dazu entschieden hat, Psychologie zu studieren. Er wollte entweder eine Wissenschaftskarriere haben oder Psychotherapeut werden, vielleicht sogar beides. Nun hat er entdeckt, was für furchtbare Karrieren das sein können. Während seines Studiums hatte er zwei Gelegenheiten, den Alltag in einer Psychiatrie kennenzulernen. Währenddessen ist ihm aufgefallen, wie sehr Ärzt*innen bzw. Psychiater*innen den Psycholog*innen bzw. psychologischen Psychotherapeut*innen gegenüber strukturell bevorteilt sind:
- Verständlicherweise sind Klinikstrukturen auf Ärzt*innen ausgelegt, sodass formelle Hierarchien die Psycholog*innen im Regelfall auslassen.
- Psychotherapeut*innen befinden sich in ihrer Ausbildung (nach dem Studium beginnend) in einer finanziell prekären Situation, da sie (noch) nur einen Praktikantenstatus haben. Während der Assistenzarzt im ersten Jahr also schön nachrechnet, wie sich sein TV-Ä-Gehalt entwickelt, muss der ca. 32-jährige angehende Psychotherapeut seine Kröten weiter zusammenhalten.
- Der angehende Psychiater tritt in einen Berufsstand ein, in dem Mangel herrscht. Er muss nicht umziehen, und kann in der Stadt, die er mag, leben und muss kein spätmoderner Berufsnomade werden. Psycholog*innen hingegen gibt es viele.

Dieser Mann denkt sich nun: Warum einen Master machen und dann 5 Jahre in einer prekären Ausbildung sein, nur um dann schlechtere Arbeitsmarktchancen und Gehalt zu bekommen - und kein berufliches Alleinstellungsmerkmal gegenüber der Tätigkeit als Psychiater erlangen?
#

Auf der anderen Seite steht jemand, der keine (somatischen) Krankenhäuser mag, weil sie so real sind und auf Funktion reduziert. Der mit dem Arztberuf Leistungsdenken und Standesbewusstsein, Fleiß und unmissverständlichen Realitätsbezug verbindet.
Und selber jemand ist, der lieber "arm und frei" ist, ausschläft, eher links ist, mit viel Zeit für Freund*innen und Freizeit. Jemand, dem man aufgrund seiner Verträumtheit nicht unbedingt zutrauen würde, knallharte Entscheidungen zu treffen.
Jemand mit Interesse an sozialwissenschaftlichen, abstrakten, ästhetischen und politischen Themen. Der Technik und Naturwissenschaft als notwendiges Beiwerk des Lebens empfindet, selbst aber leblos und langweilig. Der sich nur graut, wenn er die vorklinischen Fächer sieht. Er hat im Psychologiestudium schon die Biologische Psychologie, in der man sehr konkret biologisch-anatomische Grundlagen kognitiver Prozesse zu verstehen versucht, als langweiligstes Fach empfunden (obwohl er die Arbeiten von Nora Volkow sehr spannend findet). Es ist höchstens noch jemand, der auf der einen Seite Trost darin sieht, noch länger Student und damit freier zu sein, als jemand im 9-to-5-Grind, aber andererseits Angst hat, mit Anfang-20ern zu studieren und sich damit (vor allem mit Abschaffung der Wartezeitquote) eher allein zu fühlen.
#

Was würdet ihr diesem Menschen raten? Glaubt ihr, er wird sein Studium abbrechen und unglücklich in der zweiten Reihe als Psychologe sitzen? Glaubt ihr, er findet seinen Weg als Psychologe woanders hin? Oder macht er sich unnötige Gedanken und wird auf den richtigen Stühlen sitzen, wenn er die Plackerei mit der ganzen Theorie über den Citratzyklus und die Thoraxanatomie hinter sich gebracht? Der mit seiner Neugier vielleicht sogar etwas Neues, Spannendes hinzugewinnt?

Abschließend: Er geht davon aus, dass er Medizin studieren kann. Der Bachelor ist nicht abgeschlossen und mit ~860 von 900 Punkten im Abitur hat er hoffentlich Wahlfreiheit (auch wenn die Coronajahrgänge natürlich unvorhergesehene Überraschungen bereithalten können). Er würde außerdem einen Studienkredit für das Medizinstudium aufnehmen.

:-love

Feuerblick
14.12.2021, 05:43
Mein Rat: Studium abschließen und im Beruf arbeiten. Du klingst nicht, als hättest du Spaß am Medizinstudium und bis zum Psychiater ist der Weg sehr weit. Ich würde mir das ersparen und lieber schauen, wo ich mit dem, was ich habe, unterkommen kann.

Nefazodon
14.12.2021, 07:31
Hallo Eleonoir,

nach dem Lesen deines sehr ausführlichen Posts würde ich dir davon abraten Medizin zu studieren. Es klingt nicht so, als würdest Du mit den 6 Jahren Studium und den anschließenden Arbeitsbedingungen im Job glücklich werden. Ja, die Hierarchien im Krankenhaus sind auf Ärzte zugeschnitten. Ja, es ist ein Mangelfach. Ja, das Gehalt ist gut. Auf der anderen Seite steht aber ein sehr langes Studium mit wenig Wahlfreiheit, und später soetwas wie 24h Dienste und ständiger Zeitdruck.

Wie weit bist Du denn mit deinem Bachelor? Es stimmt, dass die Ausbildungsbedingungen zum psychologischen Psychotherapeut prekär sind, allerdings tut sich da im Moment ja einiges. Vielleicht könntest Du nach dem Bachelor in Psychologie auch den neuen Studiengang Psychotherapie beginnen, wenn dich vor allem die Weiterbildungsbedingungen stören...
Ansonsten könntest Du nach dem Master in Psychologie auch die Weiterbildung zum klinischen Neuropsychologen machen. Meiner Erfahrung nach werden Neuropsychologen sehr stark gesucht, stärker als Psychotherapeuten oder sogar Ärzte. Es gibt halt nicht viele.
Und was ist es, das dich von einer karriere in der forschung abschreckt, wie ursprünglich geplant?

In jedem Fall würde ich das begonnene Studium jetzt nicht "wegschmeißen" sondern eher dazu raten, wenigstens den Bachelor zu beenden.



Auf der anderen Seite steht jemand, der keine (somatischen) Krankenhäuser mag, weil sie so real sind

Ja, ich mag die Realität auch nicht:-nix Aber so ist es nunmal.

Sorry, aber den Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen....(ist nicht bös gemeint)

rafiki
14.12.2021, 09:10
Hallo eleonoir,
wenn du dich wirklich für Psychomedizin interessierst, und zwar in ihrer umfassenden Breite, dann rate ich dir zum Medizinstudium, in dem man durchaus früh entsprechende Schwerpunkte setzen kann. Es ist eben nicht so, dass die armen Psychologen bzw. Psychologischen Psychotherapeuten die verkannten "Ärzte" sind. Denn zur Behandlung psychischer Störungen gehört weit mehr als das, was die Psychologie zu bieten hat. Von daher ist es selbstverständlich richtig, dass die Psychomedizin von Ärzten geleitet wird. All deine anderen Interessen und Fähigkeiten wären dabei übrigens hoch willkommen.
Habe selbst nach der Schule Psychologie studiert, aber recht bald gemerkt, wie beschränkt sie ist in Bezug auf die Heilpraxis. Dagegen bietet die Psychologie ja weitaus andere Spektren, in denen man aufgehen kann. Aber das ewige Gejammer der Psychol. PT in Neid u. a. destruktiven Gefühlen ggü. Psychiatern und Psychosomatikern finde ich ziemlich unerträglich (wenngleich es natürlich viele Fähige unter ihnen gibt, die akzeptieren, was ihre Grenzen sind).
Gruß rafiki

eleonoir
14.12.2021, 18:50
Vielen Dank für eure Antworten.

@Feuerblick: Das ist ein sehr treffendes Argument gegen das Studium. Ich habe irgendwie immer was gemacht, das mich interessiert hat. Und dadurch konnte ich (motivational) immer mit dem Strom schwimmen, musste mich zwar manchmal zwingen, hatte aber Freude daran. Das war bisher ein großes Glück. Wenn ich den Inhalten wirklich nichts abgewinnen kann, dann wäre das vielleicht nicht das richtige und ich sollte mich nicht 6 Jahre lang zu etwas zwingen, bei dem es keine Indizien gibt, dass es mir gefallen könnte. Ich muss das noch zu Ende denken. Vielen Dank.
#

Ja, @Nefazodon: Ich arbeite nicht sonderlich gerne, wenn es keinen Spaß macht (aber dann ist es ja auch nicht so richtig Arbeit). Das ist das große Argument dagegen. Ich muss aber sagen, dass die Psychiater auf den Stationen, auf denen ich war, jetzt nicht unter Arbeitsbelastung zusammengebrochen sind und oft pünktlich rausgekommen sind :). Es gab manchmal Nachtdienste, wo sie dann zwischendurch aufstehen mussten, aber es ist bestimmt was anderes in der Thoraxchirurgie oder so. Die waren, so hat es auf mich gewirkt, recht zufrieden, vll. auch weil sie in einer verdient guten Lage waren im Vergleich zu anderen. Ehrlich gesagt habe ich die Psychotherapeutinnen (alles PiAs) auf der Station als gestresster erlebt als die Ärzte und hab das immer so ein bisschen auf deren Situation geschoben, also perspektivisch unsichere Arbeitsbedingungen, weniger Mitspracherecht und Gestaltungsmöglichkeiten für Arbeitsklima und Arbeitsweise, ich weiß nicht.

Ja, viele machen den Assistenzarzt in Vollzeit, weil sie schnell "ankommen" wollen, aber ich muss nirgendwo ankommen, wenn ich einen Zustand hab, der in Ordnung ist, oder? Und psychisch Kranken zu helfen und dafür 2000 Euro zu bekommen und dann noch ein bisschen Zeit für andere Dinge zu haben finde ich eigentlich gar nicht schlecht.
#

@rafiki: Die Verschreibung von Psychopharmaka ist sinnvollerweise in ärztlicher Hand. Sie können körperliche Nebenwirkungen haben und sollten deshalb von jemandem begleitet werden, der diese erkennen und vermeiden kann.
Die Ausbildung zum Psychiater würde also meine Autonomie in der Behandlung psychisch Kranker erweitern. Ich muss dazu aber auch sagen, dass ich im klinischen Alltag selten das Gefühl hatte, dass die pharmakologische Behandlung komplex war. Meistens war alles im Rahmen der S3-Leitlininen. Ich hätte auch nicht sonderlich Spaß an dieser Kompetenz, wäre eher eine Notwendigkeit. Spannend und komplex empfand ich hingegen die Ursachenforschung im sozialen und intrapsychischen Kontext der Patienten. Ich vermute, dass das vor allem im ambulanten psychotherapeutischen Setting stattfindet.
#

Vielleicht noch eine kurze Ergänzung zum Arbeitsmarkt, das ist nicht zu unterschätzen: Es gibt viele (klinische) Psychologen, in den Kliniken arbeiten häufig nur Psychotherapeuten in Ausbildung, Planstellen danach gibt es wenige. Es ist in Städten auch (sehr) schwierig, eine eigene Praxis zu gründen. Und so wird es schwer, die Heilkunde (Psychotherapie), die man teuer erlernt, auch unkompliziert anbieten zu können. Es ist also schon ein Tausch für mich, die Verantwortung für die für mich etwas weniger attraktiven naturwissenschaftlichen Behandlungsmethoden und die Ausbildung dafür mitzunehmen, im Tausch für bessere berufliche Bedingungen. Und für mein männliches Ego. Nüchtern gesagt. Und die Kosten und Nutzen auf beiden Seiten schaffe ich gerade irgendwie nicht richtig einzuschätzen.
Ich könnte halt auch die Ausbildung machen, dann einfach irgendein easy Job in einer Suchtberatungsstelle annehmen und dann mal abwarten, ob in irgendeiner Praxis in der Stadt, in der ich leben will, was frei wird. Dann könnte ich zwar keine Medikamente verschreiben, aber würde mir auch viel Stress ersparen.

rafiki
14.12.2021, 19:34
Die Verschreibung von Psychopharmaka ist sinnvollerweise in ärztlicher Hand. Sie können körperliche Nebenwirkungen haben und sollten deshalb von jemandem begleitet werden, der diese erkennen und vermeiden kann.
Die Ausbildung zum Psychiater würde also meine Autonomie in der Behandlung psychisch Kranker erweitern. Ich muss dazu aber auch sagen, dass ich im klinischen Alltag selten das Gefühl hatte, dass die pharmakologische Behandlung komplex war. Meistens war alles im Rahmen der S3-Leitlininen. Ich hätte auch nicht sonderlich Spaß an dieser Kompetenz, wäre eher eine Notwendigkeit.

Und mit dieser Annahme, nämlich dass sich der Psychomediziner vom Psychologen durch die Erlaubnis, ein paar Leitlinien-Psychopharmaka zu verschreiben, unterscheidet, irrst du wie nicht wenige Psychologen leider ganz gewaltig.

Dies und deine weiteren Ausführungen zeigen, dass du nicht verstanden hast, was die Behandlung schwerer psychischer Störungen in der Realität bedeutet und du wirkst auch so, als sei dein Weltbild diesbezüglich abgeschlossen, damit auch jegliches Engagement, umfassend zu lernen. Also bleibt dir nur, dich in dein betrübliches Schicksal zu fügen und dir "Stress zu ersparen".

eleonoir
14.12.2021, 23:31
Und mit dieser Annahme, nämlich dass sich der Psychomediziner vom Psychologen durch die Erlaubnis, ein paar Leitlinien-Psychopharmaka zu verschreiben, unterscheidet, irrst du wie nicht wenige Psychologen leider ganz gewaltig.

Führe gern aus, was du zum Beispiel denkst, was ich vergessen haben könnte? Ich wäre wirklich interessiert daran. Ich kann nachvollziehen, dass dich wütend gemacht hat, wenn du gedacht hast, ich habe die Arbeit als Psychiater als unterkomplex dargestellt. Das wollte ich gar nicht. Ich habe meine Erfahrungen geteilt, die ich im Alltag auf der Gerontopsychiatrie und einer Station für affektive Störungen erleben konnte. Dort war ich u.a. im Büro mit der Stationsärztin und dem PJler. Ich habe das nicht reduzieren wollen und schätze natürlich die ärztliche Arbeit, aber selbstverständlich gehört dazu im Regelfall die Leitlinienbehandlung. Die habe ich dann als nicht so sehr komplex wahrgenommen. Daneben fanden natürlich noch viele andere wichtige, genuin ärztliche Dinge statt. Ich erinnere mich an somatische Differenzialdiagnostik (z.B. Hyponatriämie), EKT-Behandlungen oder die Koordination von Patient*innen im Gesundheitssystem.

Die psychopharmakologische Behandlung und Begleitung ist ja auch auf keinen Fall eine Kleinigkeit. Es ist wichtig, zu verstehen, z.B. ob und wann der QTc-Intervall durch Psychopharmaka in einen gefährlichen Bereich rutscht. Und auch für die Diagnostik war das medizinische Wissen oft notwendig. Narkolepsie von ADHS und Schlafapnoe unterscheiden zu können, dafür ggf. eine Lumpalpunktion durchführen zu können und die Schlaf-EEG-Daten auswerten zu können, dafür braucht man Fähigkeiten, die man im Psychologiestudium nicht bekommt.

Es bleibt aber, dass ich all das als notwendige "Vorleistung" zur Behandlung einer psychischen Störung empfunden habe. Der spannende Teil war für mich der, wenn es um Einsamkeit, mangelnden Selbstwert oder elterliche Vernachlässigung ging. Wenn soziale Konflikte und Beziehungsschemata als Ursachen miteinbezogen wurden. Wenn eine Behandlung sich vom biologischen zum biopsychosozialen entfaltet hat. Und deshalb habe ich es auf diese Weise geschrieben. Aber vielleicht wird das dem auch nicht gerecht. Ich fände es natürlich befriedigend und vollständiger, einer ADHS-Patientin die Stimulanzien gleich mitverschreiben zu können, ihre Wirkung begleiten zu können und dann im Rahmen der Therapie augmentiert Alltagsstrukturen zu etablieren.
#


Dies und deine weiteren Ausführungen zeigen, dass du nicht verstanden hast, was die Behandlung schwerer psychischer Störungen in der Realität bedeutet und du wirkst auch so, als sei dein Weltbild diesbezüglich abgeschlossen, damit auch jegliches Engagement, umfassend zu lernen. Also bleibt dir nur, dich in dein betrübliches Schicksal zu fügen und dir "Stress zu ersparen".

Ich finde das ehrlich gesagt nicht sehr respektvoll. Ich würde das Gespräch gerne fortführen, fände es aber wichtig, dass es um gegenseitiges Verständnis geht. Den zweiten Satz und die Anführungszeichen kann ich nicht so recht auf mich beziehen. Vermeidbarer Stress ist doch etwas Gutes. Ich zumindest beziehe meinen Selbstwert nicht durch meine Leistungs- und Leidensfähigkeit. Das macht glaube ich (viele Männer) unglücklich.
#

Zu deinem ersten Beitrag möchte ich noch ergänzen, dass ich nicht ganz die Meinung teile, das Psycholog*innen kein grundlegendes Verständnis für die Entstehung und Behandlung psychischer Störungen haben können. Neurowissenschaften sind ja Teil des Studiums. Ich fände es aber hochspannend, wenn du mir sagen könntest, was mir entgehen könnte, weil das ein großes Argument für das Studium sein könnte!

Moonchen
15.12.2021, 05:48
Ich als Nicht-Psychiater kann dir zwar nicht gut Auskunft über die Arbeitswelt in der Psychiatrie geben, finde jedoch auch wir Feuerblick dass ein Medizinstudium nichts für dich ist.
Du wirst 6 Jahre vor dir haben in denen Psychologie/Psychiaterie nur einen minimalen Teil deines Lernpensums ausmachen wird. Ich würde mal behaupten die meisten Medizinstudenten haben großes Interesse an Naturwissenschaften und Co, und trotzdem ist es so dass (fast) jeder an seine Grenzen kommt, das stelle ich mir ohne großes Interesse nicht möglich vor.
Und ich weiß auch nicht ob du dir den Karriereweg eines Psychiaters richtig vorstellst - nach dem Studium kommen nochmal 5 Jahre Facharztausbildung (in Vollzeit, sonst länger) obendrauf , mit Nacht- und Wochenenddiensten, nicht frei gestaltbarer Arbeit und auch hier miss man seine Selbsterfahrung und Co größtenteils selbst zahlen.

Evil
15.12.2021, 11:27
Hallo eleonoir,
wenn du dich wirklich für Psychomedizin interessierst, und zwar in ihrer umfassenden Breite, dann rate ich dir zum Medizinstudium, in dem man durchaus früh entsprechende Schwerpunkte setzen kann. Es ist eben nicht so, dass die armen Psychologen bzw. Psychologischen Psychotherapeuten die verkannten "Ärzte" sind. Denn zur Behandlung psychischer Störungen gehört weit mehr als das, was die Psychologie zu bieten hat. Von daher ist es selbstverständlich richtig, dass die Psychomedizin von Ärzten geleitet wird. All deine anderen Interessen und Fähigkeiten wären dabei übrigens hoch willkommen.
Habe selbst nach der Schule Psychologie studiert, aber recht bald gemerkt, wie beschränkt sie ist in Bezug auf die Heilpraxis. Dagegen bietet die Psychologie ja weitaus andere Spektren, in denen man aufgehen kann. Aber das ewige Gejammer der Psychol. PT in Neid u. a. destruktiven Gefühlen ggü. Psychiatern und Psychosomatikern finde ich ziemlich unerträglich (wenngleich es natürlich viele Fähige unter ihnen gibt, die akzeptieren, was ihre Grenzen sind).
Gruß rafiki
Mag ja sein, daß die Psychologie gewisse Beschränkungen in der Heilpraxis hat. Auf der anderen Seite habe ich als Zuweiser (und Hobby-Küchenpsychologe in der psychosomatischen Grundversorgung :-))) festgestellt, daß in der Regel ein Psychiater oder Psychosomat einem psychologischen Psychotherapeuten in der Qualität der VT nicht das Wasser reichen kann. Tiefenpsychologisch sieht das wieder anders aus, aber nicht bei VT.
Insofern hat da jeder seinen festen Platz, und die Medikamentenverordnung durch den Psychiater (oder mich) ist da schon ein relevanter Unterschied.

eleonoir
15.12.2021, 13:49
Okay. Ich mach's glaub ich trotzdem. Wird bestimmt furchtbar. In meinem Psychologiebachelor hatte ich schon sehr gute Noten, ohne dass ich viel lernen musste. Eigentlich war ich relativ selten in den Vorlesungen und habe auch nicht soo viel gelernt und war trotzdem in den ~ oberen 10%. Und der NC ist ja nicht so Welten voneinander entfernt, sodass ich davon ausgehen würde, dass meine Zurechtkommen im Medizinstudium auch okay sein wird. Ich meine, ich hab auch Freund*innen, die das studieren, und das sind nicht alles Jugend-forscht-erster-Preis-Leute, die in ihrer Freizeit Paper über T-Zellen lesen. Die sind bisschen genervt davon, aber denken sich auch "ok, ich mach das jetzt halt." Und schlechte Ärzt*innen werden die wahrscheinlich auch nicht. Selbst wenn es nicht klappen sollte, wäre die Erfahrung, dass es was gibt, dass nicht "mal eben" funktioniert, ja nicht schlecht. Scheitern kann auch was haben. Dann weiß ich zum Beispiel, dass Medizin nichts für mich ist. Aus erster Hand! Mit 15.000€ Bildungskreditschulden und einem Psychologiebachelor mit 32 nach verkacktem Physikum. Dann hab ich ne Krise. Und dann bin ich irgendwann froh, wenn ich irgendwas leichteres abkriege. Das Leben wäre auf jeden Fall nicht vorbei.

Ich würde glaube ich nur nicht so gut damit klarkommen, wenn ich so komische Dozierende hätte, die auf so eine preußische Art die "harte Schule" machen wollen und mir nicht die Freiheiten lassen, das fände ich nervig (aber dazu würde ich eventuell noch ein neues Thema aufmachen). Oder wenn es ewig viele Pflichtveranstaltungen gibt, in denen die Lehre mittelmäßig strukturiert ist und es irgendwie nur darum geht, die Regeln zu erfüllen. Hatte selber Schwierigkeiten auf dem Regelschulsystem, Reformschule danach lief dann super.

Oder wenn ich so einen Chef/Stationsarzt wie rafiki hätte, der denkt, nur weil er was anderes studiert hat, hat er intellektuell ausgesorgt und brauch sich nicht mehr auf Diskussionen einzulassen. Oder gleich eine ganze Berufsgruppe, mit der er eigentlich eng kooperieren sollte, abzuwerten. Dann lieber selber strukturell darauf einwirken können und jemand sein, der das mit einem kooperativen Klima macht.

Naja, ob das wirklich klappt mit entspanntes Leben und Psychiater werden, mal sehen. Aber dafür einstehen finde ich nicht schlecht. Für seine Freiheit sollte man sich immer einsetzen. Auch sich selbst gegenüber!

Danke für euren Input. Ich weiß, dass das für manche vielleicht unbefriedigend ist, aber manchmal brauch man glaube ich auch mal Gegenstimmen, damit man merkt, ob die eigene Position stark genug ist. Ich werde mir das auf jeden Fall zu Herzen nehmen.

nie
15.12.2021, 14:08
Ich würde glaube ich nur nicht so gut damit klarkommen, wenn ich so komische Dozierende hätte, die auf so eine preußische Art die "harte Schule" machen wollen und mir nicht die Freiheiten lassen, das fände ich nervig (aber dazu würde ich eventuell noch ein neues Thema aufmachen). Oder wenn es ewig viele Pflichtveranstaltungen gibt, in denen die Lehre mittelmäßig strukturiert ist und es irgendwie nur darum geht, die Regeln zu erfüllen.

Im Großen und Ganzen ist DAS die Definition von Medizinstudium. Sicher nicht gut und wünschenswert aber die Realität. Kein Studium ist so verschult und an starre (und sinnlose) Regeln gebunden und dazu noch mit Dozenten, für die du nur eine lästige Pflichtübung zwischen anderen Verpflichtungen bist, wie das Medizinstudium. Als jemand, der sich als „Freigeist“ definiert, wirst du da sicher nicht froh.


Aber dir haben jetzt auch schon mehrere Leute vom Studium abgeraten und deine Reaktion war „ich glaub, ich mach’s“.
Die Entscheidung ist dein gutes Recht und du musst nicht auf uns hören aber auch von mir gibt es eine Stimme für „macht’s nicht!“.

morgoth
15.12.2021, 14:28
Hast du denn überhaupt realistische Chancen für einen Zweitstudienplatz?
Das ist ja eine ganze andere Quote, die begründet werden muss.

Thomas24
15.12.2021, 18:26
Okay. Ich mach's glaub ich trotzdem. Wird bestimmt furchtbar. In meinem Psychologiebachelor hatte ich schon sehr gute Noten, ohne dass ich viel lernen musste. Eigentlich war ich relativ selten in den Vorlesungen und habe auch nicht soo viel gelernt und war trotzdem in den ~ oberen 10%. Und der NC ist ja nicht so Welten voneinander entfernt, sodass ich davon ausgehen würde, dass meine Zurechtkommen im Medizinstudium auch okay sein wird. Ich meine, ich hab auch Freund*innen, die das studieren, und das sind nicht alles Jugend-forscht-erster-Preis-Leute, die in ihrer Freizeit Paper über T-Zellen lesen. Die sind bisschen genervt davon, aber denken sich auch "ok, ich mach das jetzt halt." Und schlechte Ärzt*innen werden die wahrscheinlich auch nicht. Selbst wenn es nicht klappen sollte, wäre die Erfahrung, dass es was gibt, dass nicht "mal eben" funktioniert, ja nicht schlecht. Scheitern kann auch was haben. Dann weiß ich zum Beispiel, dass Medizin nichts für mich ist. Aus erster Hand! Mit 15.000€ Bildungskreditschulden und einem Psychologiebachelor mit 32 nach verkacktem Physikum. Dann hab ich ne Krise. Und dann bin ich irgendwann froh, wenn ich irgendwas leichteres abkriege. Das Leben wäre auf jeden Fall nicht vorbei.


Du bist Ende 20 und noch nicht einmal mit dem Bachelor in Psychologie durch. Bis zum FA Psychiatrie oder FA Psychosomatik sind es - ab deinem Studienbeginn, Vollzeittätigkeit und auf Anhieb bestandene Prüfungen und Examina vorausgesetzt- 11 Jahre (!!!).
11 Jahre, in denen du im wesentlichen fremdbestimmt lernen, arbeiten und "funktionieren" werden musst. Dann bist du 40 bzw. 41.
Überleg Dir gut, ob Dir dieses (mindestens) eine Jahrzehnt deines Lebens voller Fremdbestimmung und Zwänge wirklich zu deinen Werten und Überzeugungen passen.

DieF?chsin
15.12.2021, 18:37
Ich kann mich nur meinen Vorrednern anschließen, wenn du Ende 20 bist und dich als Freigeist gegen alle Konventionen des Studiums stellen möchtest, dann hoffe ich, dass du trollst. Wenn nicht, wirst du mit dieser Einstellung wahrscheinlich überall Probleme bekommen. Mit dem Stoff, den Dozenten und Kommilitonen.
Psychologische Psychotherapeuten werden gesucht wie sonst was. Versuch mal einem Termin in einer ambulanten Praxis zu bekommen. Mit Glück wartet man nur drei Monate, mit Pech sechs Monate oder mehr.

DieF?chsin
15.12.2021, 18:42
und wer nicht bereit ist zu lernen, der hat meines Erachtens sowieso nichts im Studium zu suchen. Die Patienten vertrauen darauf, dass wir möglichst viel gelernt haben, damit wir ihnen adäquat helfen können.

Mr. Pink online
15.12.2021, 19:07
So ganz habe ich die Eckdaten auch nicht verstanden...

Also jetzt schon Ende 20 aber erst Bachelor Psychologie? Und jetzt nochmal ein komplettes Medizinstudium + Weiterbildung Psychiatrie?

Abgesehen von den finanziellen Einbußen ist das eine Lebensphase, in der viele Menschen über Familienplanung nachdenken und sich daher beruflich festigen wollen.

Also rein objektiv gibt es viele Gründe nicht Medizin zu studieren und stattdessen lieber die Karriere des Psychotherapeuten weiterzuverfolgen. Ich denke das fortgeschrittene Lebensalter ist aber der entscheidenste.

dissection
15.12.2021, 19:47
Deine Ausführungen klingen relativ antiautoritär und passagenweise geisteswissenschaftlich verträumt und ich erkenne mich in manchen Aspekten davon wieder. Ich mache Innere - und du müsstest ja ein relativ internistisches Fach, die Neurologie in einem Jahr Fremdrotation durchlaufen - an einer Uniklinik im 4. Weiterbildungsjahr und leide mehrmals im Monat unter der unglaublichen Abhängigkeit vom Gutdünken der Vorgesetzten und starrer Hierarchien in der Facharztweiterbildung: arbiträr definierte und teilweise realistisch nicht zu erreichende abzuhakende Punkte im Weiterbildungskatalog wie z.B. Endoskopien für den Allgemeininternisten (den ich zum Glück nicht anstrebe), tw. deutlich wie du es nennst preussischer Ton mit Oberärzten und Kollegen insbesondere je mehr man sich dem AINS/Intensivmedizinischen Spektrum nähert, Konservatismus und Eminenz über Evidenz, dadurch bedingtes Duckmäusertum im Kollegium die jeglichen Einsatz für tolerable Arbeitsbedingungen und Dienstgestaltung unmöglich macht, generell die Limitationen der Gesamtscheisse des deutschen Gesundheitswesens :). Das Studium ist rigide und verschult, ein Abweichen z.B. von anatomischen Kursen und deren Terminplänen kann dich gerne mal ein Jahr bis zum Examen kosten.
Im schlimmsten Fall wirst du leider 6 Weiterbildungsjahre Stationen schrubben, täglichen individuellen Arbeitskampf betreiben dürfen und Fußabtreter sein für Oberärzte (die es ja damals auch nicht besser hatten) und Angehörige zwischen deren Ansprüchen du gefangen bist und gleichzeitig dafür einen grenzwertigen Stundenlohn und unzureichende Kompensation von Nachtdiensten erfahren. Fehlendes Weihnachtsgeld, Streit über die Ausbezahlung von Überstunden stehen im krassen Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung der Ärzteschaft als Gutverdiener auf dem Golfplatz, dementsprechend haben wir keinen Hebel und keine Lobby zum Erstreiken besserer Bedingungen und Bezahlung der Klinikärzte. Unsere Gewerkschaft ist eben leider der zahnlose und arrivierte Marburger Bund und nicht Verdi.

Ich kann den Arztberuf mit seinen 13 Jahren Ausbildung in einem starren Korsett der Abhängigkeit mit gleichzeitger Zerrissenheit zwischen verschiedenen Ansprüchen wie Wirtschaftlichkeit, Empathie und Forschungsstärke nach meiner persönlichen Kosten-Nutzen-Abwägung heutzutage nicht empfehlen - ich glaueb du wirst nicht glücklich wie auch ich häufig unzufrieden mit vielen Aspekten meines beruflichen Weges bin. Insbesondere angesichts deines Alters und bei deiner akademischen Vorgeschichte (Ende 20 und keinen höheren Bildungsabschluss) fühle ich mich bestätigt. An dem Beruf mit seinen Widrigkeiten werden in deinem Alter potentiell Beziehungen und Freundschaften zerbrechen, Schichtdienst wird in höherem Alter schlichtweg ungesund und ist für viele vernünfigte Partner*innen nicht tolerabel. All das sage ich obwohl ich mein nichtinterventionelles internistisches Fach liebe.

ehem-user-23-12-2021-1346
15.12.2021, 19:47
Ich denke das fortgeschrittene Lebensalter ist aber der entscheidenste.

Also wir hatten im Semester einige Leute die sogar noch älter waren.

ehem-user-23-12-2021-1346
15.12.2021, 19:54
Ich mache Innere - und du müsstest ja ein relativ internistisches Fach, die Neurologie in einem Jahr Fremdrotation durchlaufen - an einer Uniklinik im 4. Weiterbildungsjahr

Strebst du eine akademische Karriere an?

ehem-user-23-12-2021-1346
15.12.2021, 19:56
Zumal die Arbeitskultur in der Innere Uniklinikabteilung wahrscheinlich schon etwas anders ist als in der Psychiatrie