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mbs
24.01.2022, 18:09
Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, wie sehr ich an den starren Hierarchien an der Klinik leide. Bislang war ich mir nicht so bewusst, dass vieles Parallelen zum Militär aufweist, aber nachdem ich einen Artikel gelesen habe der sich mit dieser Frage befasste konnte ich insgeheim nur zustimmen.
Es sind so viele Teilaspekte die einfach schwierig sind und einen gefühlt llatent belasten. Manchmal hat man fast den Eindruck, nur ein "halber" Arzt oder "minderwertiger" Mitarbeiter zu sein weil man noch in einer "niederen" Funktion festhängt.

Es sind sowohl diverse Kleinigkeiten die sich summieren und einige größere Punkte die einfach ein zusätzlicher Stressor sind.

Was die Kleinigkeiten angeht ist eine für sich genommen nicht dramatisch, aber alle zusammen vermitteln schon eine gewisse latente Abwertung. Es fängt schon mit der Ausstattung an. "Assistenzarzt" hat mal keine Zeit sich morgens umzuziehen da spät dran - wirft über eigene Kleidung einfach einen Kittel aus der Klinik; direkt kommt der Kommentar "Klinikkleidung bitte". Obwohl der Chef in gut sitzender Designerjeans und schönem Hemd aus seinem privaten Kleiderschrank rumrennt. Und damit auch in Isozimmer rennt oder Wunden bei Privatpatienten versorgt. So als ob es steriler wäre weil die Farbe weiß ist. Oder ob der Chefstatus automatisch von allen Regeln die eigentlich für die Patienten Sinn machen befreit. Schlimmer ist die Ausstattung - "Assistenten" (schöner Begriff) teilen sich ein riesiges Zimmer mit viel zu wenigen PCs weit weg von der Station irgendwo am anderen Ende der Klinik - oder werden ständig zwischen verschiedenen Rechnern auf Station hin und her gescheucht. Oberärzte haben teilweise sogar zwei Zimmer die ihnen jeweils allein gehören zur Verfügung. In den Bereitschaftsdiensten gehe ich gar nicht erst ins Dienstzimmer das am anderen Ende des Klinikgeländes ist. Vor allem nicht wenn es kalt ist - falls was sein sollte ist man einfach zu weit weg. Das führt oft dazu, dass ich gar nicht wirklich schlafen kann. Selbst wenn Ruhe sein sollte.

Am Schlimmsten ist allerdings, dass gefühlt nur der Chef wirklich tun kann was er sinnvoll findet und entscheiden "darf". Wie man etwas begründet ist total egal. Hierarchiestatus negativ, also zählt das eigene Urteil einen feuchten Dreck. Sogar die OÄ müssen im Dienst wegen jedem Quatsch den Chef anrufen, egal wie viel Berufserfahrung sie haben. Es ist also nichtmal als OA wirklich besser. Man ist immer minderwertig, kraft seines Status a priori "kompetenzreduziert" und nur Zuarbeiter. Und das zu den widrigsten Bedingungen die man sich vorstellen kann.

Wenn man dann beispielsweise etwas darüber liest, wie die Arbeit bei gewissen modernen Unternehmen wie google etc. abläuft hört sich das fast so an wie das Paradies. Aber nicht nur dort - wenn ich mit Freunden spreche die in der Softwareentwicklung oder im Projektmanagement arbeiten dann scheint es mir sogar so, dass Leute die kreativ und eigenständig denken und Initiative zeigen eher erwünscht sind, und dass nicht in diesem extremen Maße auf einen offiziellen Dienststatus gepocht wird sondern auch darauf geachtet wird wie sich jemand einbringt, engagiert und welche Lösungsvorschläge und Ideen er hat.

Sicher ist da auch nicht alles perfekt. Aber definitiv freier. Man ist in "zivil" unterwegs, hat Gestaltungsspielräume, vieles ist flexibler...oder liege ich falsch? Habt ihr einen anderen Eindruck? Hängt es am Fach oder der konkreten Abteilung? Sehe ich das zu negativ? Oder würdest ihr zumindest teilweise zustimmen?
Ist es in Praxen und MVZs "besser"?

Würde mich wirklich interessieren was ihr über das Thema denkt...

][truba][
24.01.2022, 18:20
Ich glaube du arbeitest einfach in nem falschen Laden.
Man ist auch selbst seines Glückes Schmied. Ich selbst schreibe und sage nie "truba - Assistenzarzt" sondern es heißt "Arzt in Weiterbildung".

Ich hab schon als kleiner Chirurgieassistent gelernt, bis zu einem gewissen Grad, selbst Entscheidungen zu treffen. Einen Anruf bei meinen Hintergründen um ne simple Appendizitis/Cholezystitis zu diagnostizieren, hätte mir gleich einen Satz heiße Ohren eingebracht. Ich rief an und sagte "Ich bin der Meinung, man muss es operieren". Da war nicht jeder Oberarzt der gleichen Meinung aber immerhin konnte ich dann seine Entscheidung akzeptieren und dokumentieren. Manchmal war es richtig zu warten, manchmal vielleicht nicht. Für jeden Kram wurde bei uns auf jeden Fall nicht angerufen. Und den Chef rief der Oberarzt mal an, wenn etwas unlösbar war oder er es vorher bei bestimmten Patienten explizit so wollten. Das Problem liegt wohl eher an deinem Chef als an den Hierarchien.

Warum sollte ich im Krankenhaus "in zivil" unterwegs sein? Ich bin froh mich dort weiß kleiden zu können. Schafft für mich auch eine gewisse Möglichkeit der Abgrenzung.

Sicher ist es in gewisser Hinsicht "hierarchisch". Und ich finde das manchmal auch sehr gut. Heute waren (ausnahmsweise) mal gut besetzt von den Assis her. Da hat dazu geführt, dass keiner da das Heft in die Hand nahm und alle rumgegammelt haben und dann Dinge nicht gemacht waren, die ich dann im Dienst machen durfte. Ganz Laissez-Faire funktioniert also auch nicht.

cartablanca
24.01.2022, 19:23
Ja ich kenn diese Doppelmoral. Was ich richtig schlimm fand war Anschreien. Hab ich sowohl als Student als auch als Assistent erlebt. Ging immer ausschließlich von Deutschen (Pflegekräfte, Ärzte, andere) aus. Für viele ausländische Ärzte ist es zu Beginn ein regelrechter Spießrutenlauf den man ertragen muss.

ehem-user-25-04-2022-1131
24.01.2022, 19:32
@mbs Ich bin aktuell stiller Mitleser deiner Beiträge aber ich finde, dass es für dich wichtig wäre sich weniger mit der Arbeit (und Alternativen Berufsfeldern) zu beschäftigen. Der Stress entsteht im Kopf ... Und deine Arbeitsbedingungen kannst du mit einem Arbeitgeberwechsel natürlich verbessern. Kein MVZ und keine Praxis ist per se besser, es kommt wie in den kliniken natürlich auch auf die Abläufe und Kollegen an. Aber du bist in eigentlich guten Situation den Arbeitgeber beliebig wechseln zu können (falls du nicht örtlich gebunden bist natürlich). Das Gras ist woanders natürlich immer grüner, aber ich glaube auch, dass Google Mitarbeiter mitunter unzufrieden sind wenn sie merken, dass ihr Arbeitsplatz im Grunde auch die Freizeit miteinnimmt

Heerestorte
24.01.2022, 19:36
Ich habe einen anderen Eindruck und glaube, dass es bei dir einfach an der konkreten Abteilung liegt und nicht am Fach. Gelinde gesagt denke ich, dass es einfach "Pech gehabt" ist.

Leucovorin
24.01.2022, 20:05
Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, wie sehr ich an den starren Hierarchien an der Klinik leide. Bislang war ich mir nicht so bewusst, dass vieles Parallelen zum Militär aufweist.
Es sind sowohl diverse Kleinigkeiten die sich summieren und einige größere Punkte die einfach ein zusätzlicher Stressor sind.
"Assistenten"
Wenn man dann beispielsweise etwas darüber liest, wie die Arbeit bei gewissen modernen Unternehmen wie google etc. abläuft hört sich das fast so an wie das Paradies.
Ist es in Praxen und MVZs "besser"?

Würde mich wirklich interessieren was ihr über das Thema denkt...

a) Der ganze Aufbau eines Krankenhauses in Deutschland ist sehr hierarchisch, begründet durch die militaristische Vergangenheit des Landes. Schau dir unsere Geschichte an. Insbesondere in Preußen hatte das Militär eine extrem bedeutende Rolle. Und die ersten halbwegs modernen Krankenhäuser stammen aus der Kaiserzeit. Wenn wir Famulanten aus der EU oder international Students hatten, haben die immer über die ausgeprägte Hierarchie als Unterschied zu ihrem Land erwähnt. Aber ganz ehrlich: Hast du das nicht bereits im PJ gemerkt? Gerade in der Chirurge: Der Umgangston, die Hierarchie, die Assis sitzen in ner Gammelbude, der Chef hat 30qm und Holzvertäfelung, das Rumschreien im OP, der Umgangston....errinnert doch an die Armee.
b) Ja der Begriff Assistenzarzt oder Assistent ist demütigend, aber wir sind es uns nicht bewusst und zu faul es zu ändern. Bedeutet ja sowas wie: Kein richtiger Arzt, bringt auch die Post weg und kocht Kaffee, kann nur assistieren. Löblich muss man die ÄK erwähnen, die dies in Logbüchern geändert hat. In den Artikel auf der Webseite oder den Stelle des Arzteblattes dann wieder nicht so konsequent beibehalten. Assi möchte niemand gerne allzulang sein. Die haben keine Lobby. Daher ja auch mein Rat an dich die Weiterbildung abzuschließen.
c) Ja klar ist das zu Startup XY oder Google extrem altbacken. Andererseits findest du auch in Banken, der Industrie "Altherrenmentalität". Nur diesen militärischen und demütigenden Aspekt bzgl Berufsanfängern mit Hochschulstudium findet man in der Form nicht.
c) In den MVZ/Praxen ist es etwas weniger. Doch noch letztens hat die Sekretärin mich in unserem MVZ Verzeichnis über den Assi gestellt: "FA muss drüber stehen". Wie im KH ist bei uns der Assi extrem abhängig vom Weiterbilder. Also eine eigene Meinung ist da quasi nicht drin. So ist es halt


[truba][;2224275']Ich glaube du arbeitest einfach in nem falschen Laden.
Man ist auch selbst seines Glückes Schmied. Ich selbst schreibe und sage nie "truba - Assistenzarzt" sondern es heißt "Arzt in Weiterbildung".

Sicher ist es in gewisser Hinsicht "hierarchisch". Und ich finde das manchmal auch sehr gut. Heute waren (ausnahmsweise) mal gut besetzt von den Assis her. Da hat dazu geführt, dass keiner da das Heft in die Hand nahm und alle rumgegammelt haben und dann Dinge nicht gemacht waren, die ich dann im Dienst machen durfte. Ganz Laissez-Faire funktioniert also auch nicht.

Ja gut, aber das Assi kriegst de nicht weg aus dem Köpfen der KH Mitarbeiter. Je nach Klitsche natürlich mehr oder weniger ausgeprägt

RussianAngel
24.01.2022, 20:21
Wie für die allermeisten Probleme in den Kliniken in Deutschland gibt es immer wieder dieselbe Lösung: komm in die Schweiz :) Hier ist Anschreien extrem verpönt, die Leute versuchen einen freundlichen Umgangston zu pflegen...Hierarchien sind flacher, aber auch natürlich nur zu einem bestimmten Grad...Seine Meinung darf aber eigentlich jeder gut äussern...
Natürlich existieren hier andere Probleme, aber genau die vom TS geschilderten haben mich dazu bewegt, Deutschland für immer zu verlassen...ich bin von Natur aus ein Freigeist und Militär wäre nie etwas für mich...

PS Apropos grosse Büros: eine Pflegehilfeausbildende, also keine Pflegefachfrausbildende (ca. 17 Jahre) hat sich extrem beschwert und hat verweigert, zu der Arbeit und in die Ausbildung zu kommen, weil sie kein eigenes Büro bekommen hat, wo sie lernen kann :D soviel dazu :P

nie
24.01.2022, 20:32
Das kann ich so für mich und meine Arbeit nicht bestätigen.

Weder was die Rahmenbedingen (Arbeitsplätze, Dienstzimmer, Kleidung) angeht noch was die Arbeit an sich angeht.

Im Gegenteil: meine Designerjeans halte ich ganz freiwillig von den Patientenzimmer fern ;-) Und mit fortschreitender Weiterbildung wird immer mehr selbstständiges Denken und eigene Entscheidung von mir verlangt. Man vertraut meinen Urteil und erwartet, dass ich Situationen richtig einschätzen und entsprechend handeln kann. Wenn ich Oberärzte anrufe, erwarten die von mir, dass ich nicht nur ein Problem sondern auch einen konkrete Fragestellung und einen Lösungsansatz präsentiere.

Hier spricht auch keiner von „Assis“. Den Begriff hab ich hier in der Klinik noch nicht gehört. Auf meinen Namenschild steht zwar Assistenzärztin aber das fliegt eh nur im Schrank rum. Und mich persönlich juckt der Begriff auch nicht. Mir ist eigentlich egal, was da steht. Auf unseren Briefen steht Stationsarzt/-ärztin, ich selbst stelle mich in der Regel als zuständige/diensthabende Ärztin vor.

Und manchmal finde ich es sogar ganz bequem, dass es Hierachien gibt und ich zum Beispiel bei Diskussionen um Betten oder irgendwelchen „politischen“ oder organisatorischen Dingen einfach an den Oberarzt verweisen kann und nicht selbst alles ausdiskutieren.

Medizin ist halt auch einfach Handwerk und arbeitet viel mit Standards, Leitlienen und festen Abläufen. Da ist einfach von Natur auch nicht viel Platz für Kreativität und Freitheiten, das gibt einfach das Fach nicht mehr. Ich habe bei dir @mbs manchmal so den Eindruck, dass die dir so eine vage Traumblase erschaffen hast, wie dein berufliches Dasein zu sein hat und bist maximal frustriert, dass das nicht mit der Realität übereinstimmt. Ich fürchte aber, dass sich deinen Illusionen vom beruflichen Dasein einfach nirgendwo so umsetzen lassen. Auch bei google bekommt der Berufseinsteiger kein schicken Einzelbüro mit Ausblick übers Valley und man wird angemault, wenn man am Endes der Tages nicht gemacht hat, was der Chef gerne hätte. Da ändern auch Billiardtische im Pausenraum und zivile Kleidung nichts dran.

Nilani
24.01.2022, 20:40
Wie für die allermeisten Probleme in den Kliniken in Deutschland gibt es immer wieder dieselbe Lösung: komm in die Schweiz :) Hier ist Anschreien extrem verpönt, die Leute versuchen einen freundlichen Umgangston zu pflegen...Hierarchien sind flacher, aber auch natürlich nur zu einem bestimmten Grad...Seine Meinung darf aber eigentlich jeder gut äussern...
Natürlich existieren hier andere Probleme, aber genau die vom TS geschilderten haben mich dazu bewegt, Deutschland für immer zu verlassen...

PS Apropos grosse Büros: eine Pflegehilfeausbildende, also keine Pflegefachfrausbildende (ca. 17 Jahre) hat sich extrem beschwert und hat verweigert, zu der Arbeit und in die Ausbildung zu kommen, weil sie kein eigenes Büro bekommen hat, wo sie lernen kann :D soviel dazu :P

Eine andere Lösung wäre ein Besuch in Japan ... dagegen sind die Hierarchien in den deutschen Krankenhäusern ein Witz. Da weiß jeder, wo er in der Hierarchie steht, ständiges verbeugen und katzbuckeln. Fand ich im PJ ziemlich schräg damals, aber spannende Erfahrung.

Und ich kann das bestätigen, was andere sagen ... ich hab länger nach einer Stelle in der Chirurgie gesucht, weil ich eben als etwas introvertiert und zurückhaltend nicht so in das typische Schema passe. Hierarchien in der 1. Klinik waren relativ flach, aber vorhanden. Es war ein echt gutes Team und gebrüllt hat nur der Chef der Allgemeinchirurgie. Unser Chefarzt war dafür viel zu faul, die Stimme zu erheben und hat seine Energie lieber in die OPs gesteckt (und sein Haus, was er mühevoll umgebaut/restauriert hat).

In der 2. Klinik hatte ich einen supertollen Chef ... klar, er stand ganz oben, aber er hat sich den Respekt dafür auch verdient. Sehr toller Mensch, ich hab ihn nicht einmal laut erlebt, selbst in Situationen, wo mir der Kragen geplatzt wäre. Er konnte sich super und schnell auf jeden neuen Pat. umstellen und hat für jeden die richtigen Worte gefunden (80jährige Omi mit WK-Fraktur vs. 30jähriger mit Bandscheibenvorfall z.B.). Fand das sehr beeindruckend und ist für mich nach wie vor großes Vorbild vom menschlichen her. Chirurigsch hat er auch was drauf. Mit den 2 Oberärzten war das Verhältnis recht locker, trotzdem waren sie halt 1-2 Stufen höher, was ok war. Jetzt in der Reha ist es eh nochmal anders ... einen OA duze ich und wir quatschen auch viel privat, den anderen sieze ich, dafür bekomme ich Top Ausbildung, auch hier lernen ich fachlich und menschlich .. auch eher ruhiger Typ ...

Also ich würde dir auch dringend empfehlen, dir eine neue Stelle zu suchen. Finde es schade, dass man so ein krass negatives mindeset entwickelt und gar nicht mehr los wird. Ich bin jetzt in der 4. Klinik, meist aus Weiterbildungszwecken. Aber mein jetztiger Chef weiß auch, dass ich örtlich flexibel bin und durchaus weg wechsel, wenn mir danach ist und sich die Bedingungen verschlechtern. Vor meiner 1. Stelle hatte ich aber schon mindestens 10 Bewerbungsgespräche, bis ich gutes Gefühl hatte und es von beiden Seiten her gepasst hat.

ehem-user-07-02-2022-0851
24.01.2022, 20:58
Wieso hört man so Dinge wie anschreien (wäre für mich übrigens ein Grund zu kündigen) meist aus der Chirurgie ?

_calendula_
24.01.2022, 21:03
Anspannung + Konzentration + Verantwortung für das Ergebnis des Handwerks?
Und ein Fach mit traditionell gutem Ego?

Den schreienden Nephrologen gibt es bestimmt auch, aber bedeutend seltener.

ehem-user-07-02-2022-0851
24.01.2022, 21:03
Und es wird ja in unzähligen Artikeln, Beiträgen betont, dass das chirurgische PJ-Tertial maßgeblich dafür verantwortlich ist, sich gegen Chirurgie zu entscheiden (v.A. wegen schlechter Behandlung/Stimmung etc).

ehem-user-07-02-2022-0851
24.01.2022, 21:06
Anspannung + Konzentration + Verantwortung für das Ergebnis des Handwerks?
Und ein Fach mit traditionell gutem Ego?

Den schreienden Nephrologen gibt es bestimmt auch, aber bedeutend seltener.

Ich habe das immer für ein Klischee gehalten. Hätte nicht gedacht, dass das wirklich fachabhängig ist

Bonnerin
24.01.2022, 21:40
Ich habe in meiner Zeit im OP auf der anderen Seite des Steriltuches mit vielen sympathischen Chirurg:innen zu tun gehabt - aber auch mit einer handvoll absolut ekelhaften A***, die jedes Klischee erfüllt haben.

In der Kategorie war auch ein OA (Ortho/Unfall), der einfach nicht operieren konnte. Sorry. Bei dem herrschte immer Stille im Saal, kein Radio, minimalst reden. Geholfen hat es nix. Der fing wirklich in 95% der OPs an, zuerst leise, dann immer lauter zu fluchen und rumzuschreien, bis dann auch durchaus mal Instrumente an der Wand ankamen (zum Glück nie in meine Richtung, auch von der Pflege etc. wurde nie jemand verletzt). Highlight: Nachdem er ein Instrument geworfen hatte, beschwerte er sich 10 Minuten später, dass er genau das haben wollte. Die OTA eiskalt "Joah, hatten wir auch, bevor Sie es unsteril gemacht haben."

Mein Chirurgie-PJ war damals aber tatsächlich viel netter als die Innere und ich hatte echt Spaß. Das Fach wäre dennoch nix.

cartablanca
24.01.2022, 21:47
Anspannung + Konzentration + Verantwortung für das Ergebnis des Handwerks?
Und ein Fach mit traditionell gutem Ego?

Den schreienden Nephrologen gibt es bestimmt auch, aber bedeutend seltener.

Das sind die Ausreden. Ich denke es zieht eher gewissen Persönlichkeiten an in diesem Umfeld zu arbeiten. Leute die Aufmerksamkeit brauchen.

cartablanca
24.01.2022, 22:09
Wie für die allermeisten Probleme in den Kliniken in Deutschland gibt es immer wieder dieselbe Lösung: komm in die Schweiz :) Hier ist Anschreien extrem verpönt, die Leute versuchen einen freundlichen Umgangston zu pflegen...Hierarchien sind flacher, aber auch natürlich nur zu einem bestimmten Grad...Seine Meinung darf aber eigentlich jeder gut äussern...
Natürlich existieren hier andere Probleme, aber genau die vom TS geschilderten haben mich dazu bewegt, Deutschland für immer zu verlassen...ich bin von Natur aus ein Freigeist und Militär wäre nie etwas für mich...

Ich glaube das ist in den meisten Ländern der Welt verpönt wildfremde Menschen aus vollem Hals heraus wegen Banalitäten anzuschreien. Jedenfalls hab ich davon bisher noch nie gehört, lese aber immer wieder dass sich Ausländer über diese gewisse Mentalität hierzulande wundern.

WiWi18
24.01.2022, 22:42
Führungskräfte, die Mitarbeiter wegen Banalitäten anschreien, sind normalerweise nicht mehr lange Führungskräfte. Auch in Deutschland nicht.

Aber die ganze Bandbreite kaiserzeitlichen Obrigkeitsstaatsverhaltens - cholerisches Auftreten, nicht einmal verbrämter Sexismus, Chefwillkür... - hat sich in der Medizin irgendwie konserviert. Ist halt ein sehr spezielles System bei uns durch die lange Weiterbildungszeit, die es so in keinem anderen Beruf gibt.

Außerdem zieht die Medizin viele spezielle Charaktere an.

anignu
24.01.2022, 23:00
Auch spannend: ich hatte mal einen Chef bei dem mir schon vor der Bewerbung gesagt wurde der wäre so cholerisch. Ich dachte mir dass ich das schon aushalte und hab bei ihm angefangen. Im OP hatten sämtliche OP-Schwestern Angst vor ihm weil er immer so rumschreien würde... was er tatsächlich aber nicht getan hat. In der Vergangenheit ja, aber in den paar Jahren in denen ich da war nicht. Trotzdem hatten alle Angst und die blieb auch und auch neue OP-Schwestern wurden gleich von den alten OP-Schwestern drauf getriggert dass der so schreit und cholerische Anfälle hat obwohl dies nicht mehr der Fall war...

Was ich sagen will: meiner Meinung nach nimmt das Anschreien extrem ab aber in den Köpfen bleibt auch noch dieses alte Bild von vergangenen Tagen dass Chirurgen früher rumgeschrien hätten. Und jetzt kommt gleich wieder irgendeiner mit irgendeinem Beispiel daher, ich glaube dennoch dass das Benehmen besser und das Anschreien weniger wird. Auch in der Chirurgie. Ich behaupte nicht dass es bereits perfekt oder gut ist, aber ich denke schon dass auch die Chirurgie auf einem guten Weg ist.

][truba][
24.01.2022, 23:20
Das denke ich auch.

ehem-user-07-02-2022-0851
24.01.2022, 23:50
Der Sexismus wird sicherlich auch weniger, weil die jüngere Generation ja gegen den "alten, weißen Mann" sensibilisiert wird. Auch diese ganze Sender-Debatte spielt da mit rein.
Es gibt doch aber sicherlich auch Fächer und Stellen, wo nicht geschrien wird. Ich finde Chirurgie zwar sehr interessant, aber ich würde mit dem Ton der hier beschrieben wird absolut nicht klarkommen.