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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Krankschreibung wegen psychischer Belastung



MartinGraf
08.02.2022, 16:37
Ich bräuchte einmal euren Rat.
Ich bin jetzt schon seit fast einem Jahr Assistenzarzt und mag den Job eigentlich trotz aller negativen Seiten mega gerne.
Aber ich merke auch seit einigen Wochen, dass meine Depression zurückkehrt. Ich war als Jugendlicher nach dem Tod meines Bruders wirklich in einem schlimmen Loch, teilweise hatte ich auch Suizudgedanken.
So schlimm ist es im Moment nicht, aber ich überdenke alles setze mich extrem unter Druck, bin null belastbar, unkonzentriert und Weine jeden Abend. Ich bin dann wie erstarrt, kann nichts mehr tun ausser daran zu denken, was ich an dem Tag alles falsch gemacht habe. Ich habe auch wieder angefangen Alkohol zu trinken damit ich nicht nachdenken muss.
Ich bin ne totale Niete in Anatomie und blamiere mich immer wieder vor meinem Chef. Ich bin auch unzufrieden mit meinem Aussehen, was sich aktuell auch wieder sehr verstärkt hat.
Ich merke einfach, dass ich so nicht weiterarbeiten kann und suche nach Lösungen. Ich wollte zu meinem Hausarzt und mal fragen, was er so denkt. Grundsätzlich möchte ich mich aber gerne krankschreiben lassen damit diese völlige Überreizung aufhört und ich mich etwas sortieren kann. Aber so direkt danach fragen fühlt sich irgendwie auch nicht korrekt an.
Ich schäme mich und habe Angst, dass man nur denken wird, dass ich einfach nicht arbeiten will. Oder dass mein Chef den Grund für die Krankschreibung mitbekommt.

Aber so geht's nicht mehr weiter, das ist klar für mich. Ich wache total müde auf, mein Kiefer schmerzt vor lauter Zähneknirschen und ich reagiere bei Banalitäten total über.

Hat jemand Erfahrungen mit so etwas?

RussianAngel
08.02.2022, 16:54
Ich würde Dir empfehlen, Dich krankzuschreiben und eine medikamentöse Therapie anzufangen, auch sich schon auf die Warteliste für eine Psychotherapie zu setzen. Ausserdem könntest Du Dir andere Therapieformen überlegen: Sport, Lichttherapie, TMS etc.. Und sich an einen Psychiater wenden.

Verständlicherweise machst Du Dir Sorgen bezüglich Deiner Stelle und Deines Arbeitgebers, allerdings würde ich Dir folgenden Rat geben: er hat bestimmt schon Mitarbeiter mit solchen Erkrankungen erlebt, ist ja etwas sehr häufiges. Du musst nur Dich im Zentrum stellen, weil nur so kannst Du gesund werden. Und das Allerwichtigste: Stellen gibt es für Ärzte wie Sand am Meer, Du hast aber nur EINE Gesundheit (sozusagen, ihr wisst, was ich meine). Wenn Du so weitermachst, riskierst Du dass die Suizidgedanken wieder kommen oder schlimmer...

Anne1970
08.02.2022, 17:00
Medizinische Beratung kann das Forum nicht bieten. Sich vom Hausarzt au schreiben lassen scheint aber eine gute Entscheidung zu sein. Er sollte dich auch im Hinblick auf eine Therapie-Einleitung beraten und - wenn notwendig- (er dürfte den „abwendbar gefährlichen Verlauf“ antizipieren können), sofortige Maßnahmen in die Wege leiten können. Warum soll dein AG oder CA den Grund mitbekommen? Es fällt alles unter die Schweigepflicht.

Mano
08.02.2022, 17:04
Mit dem Hausarzt sprechen ist sicher vernünftig, ggf. auch eine weiterführende Therapie. Ob eine Krankschreibung richtig ist, lässt sich aus der Ferne nicht beurteilen, ist aber allein für sich sicher keine Lösung sondern vermutlich nur dann hilfreich, wenn eingebettet in weitere Maßnahmen.

Fr.Pelz
08.02.2022, 19:46
In der Hausarztpraxis hab ich jeden Tag mind. zwei Menschen, die ganz klar sagen, dass sie gerade psychisch extrem belastet sind aus den unterschiedlichsten Gründen. Und dann gibt es noch einige mehr, die es nicht deutlich sagen, aber andeuten oder beim Nachfragen bestätigen, dass es ihnen nicht gut geht. Eine Krankschreibung ist dann meist die erste Maßnahme. Eine Therapie wurde ja schon angesprochen, ist aber meist wegen der begrenzten Kapazitäten schwer und erst nach Monaten zu bekommen, wenn überhaupt. Ich empfehle dann je nach Alter und Offenheit/Flexibilität der Menschen zb Kurse zu stressreduzierenden Maßnahmen wie MBSR, Yoga, Meditation, PMR, meist werden die zb von den Krankenkassen angeboten, oft auch online, sodass man da niedrigschwellig mal gucken kann, ob es dabei ist, was einem passt. Das ersetzt natürlich keine Therapie, kann aber zur Überbrückung oder zur Entlastung ganz hilfreich sein. Ansonsten sage ich auch, dass diejenigen mal in sich horchen sollen, was ihnen hilft, den Kopf frei zu kriegen, Sport, Gespräche, Religion, Tiere etc etc und dass sie die Zeit der Krankschreibung dazu nutzen dürfen, das herauszufinden.

mbs
08.02.2022, 20:05
Ich glaube MartinGraf will vor allem wissen, wie er das am besten beim Hausarzt ansprechen kann ohne dumm dazustehen oder eine Zurückweisung zu bekommen. So habe ich es jedenfalls verstanden. Unterschiedliche Hausärzte sind sicherlich unterschiedlich großzügig bzgl. Krankschreibungen, es soll wohl auch welche geben die das selbst dann nur ungern machen wenn man mit Gips in die Praxis humpelt. Ich finde es auch extrem schwierig diesen Wunsch zu kommunizieren - wenn man sich vorstellt wie man selbst reagieren würde falls jemand zu einem käme und sagen würde "können Sie mich bitte krankschreiben"überlegt man automatisch auch, welche Assoziationen dem Gegenüber durch den Kopf gehen könnten. Auch wenn man wirklich krank ist haben unsichere Menschen da teilweise Hemmungen, allein schon aus Angst vor Zurückweisung oder Ablehnung. Dann hat man nämlich auch das Problem, dass für den Fall dass man an dem Tag nicht in der Klinik erschienen ist eine AU zwingend braucht, und dann erstmal einen Plan B entwickeln müsste wo man sonst dafür hingeht, auch wieder ohne Garantie diese zu bekommen.

Klar sind das keine normalen Gedankengänge, aber Menschen die schnell ins Grübeln und in Gedankenkreisen geraten entwickeln diese teilweise. Je selbstunsicherer man ist desto schlimmer kann das werden.

Vielleicht wäre es das Beste, erstmal objektiv das Problem zu schildern - Angst, Unsicherheit, mit den Nerven am Ende, komplette Blockade, Unfähigkeit sinnvoll zu denken oder zu handeln, zunehmender Drang zu kompensatorischem selbstschädigendem Verhalten etc. Normalerweise dürften die meisten Hausärzte dann von selbst drauf kommen was gewünscht ist.

RussianAngel
08.02.2022, 20:13
Also diese Zurückhaltung kann ich verstehen, die ist aber kaum forderlich...Jedem Arzt ist es klar, dass man nicht Arzt geworden ist, weil man sich für jede Kleinigkeit krankschreiben lassen hat (beginnt ja schon in der Schule).
Ich persönlich hatte nie Probleme mit der Ausstellung einer Krankschreibung, besonders wenn die wissen, dass man selber Arzt ist: der Weg zur Genesung geht ehe damit einher, dass man seine Bedürfnisse erkennt und artikuliert. Manchmal hilft es einfach, dass man ehrlich ist (nicht immer), aber der Hausarzt wird sicherlich nicht den Chef anrufen, um ihm zu sagen, dass der TE depressiv ist :-oopss

Fr.Pelz
08.02.2022, 20:43
Ich finde es völlig in Ordnung, wenn jemand sagt "mir gehts gar nicht gut, ich denke, ich brauche eine Krankschreibung" und dann erzählt, was das Problem ist. Auch die Kollegen finden das nicht weiter schlimm. Mein Weiterbilder erzählte mir, dass er selbst bei Patienten, die aus mutmaßlichen Bagatellgründen (100% weiß man ja auch nie, ob da nicht etwas anderes hintersteckt) eine AU wünschen, nicht lang diskutiert.

Feuerblick
09.02.2022, 05:41
Mein Hausarzt ist ja einer von der Sorte, die wenig reden und gefühlt Patienten schnell abarbeiten. Aber er hat ein Gespür dafür, wenn es jemandem aus psychischer Sicht schlecht geht und kein Problem damit, eine AU auszustellen, wenn man ihm das (auch auf Nachfrage) schildert. In solchen Fällen nimmt er sich dann auch Zeit und kümmert sich.
Ich glaube, die meisten niedergelassenen hausärztlichen Kollegen sind inzwischen so sensibilisiert für diese Themen, dass sie aus einer AU erstmal kein Problem machen würden.

Hoppla-Daisy
09.02.2022, 17:01
Aus eigener Erfahrung kann ich dir berichten, dass du mit solchen Schilderungen nicht Ablehnung stoßen wirst. Ein (kranker) Arzt ist eigentlich eher derjenige, der Dinge herunter spielt und sagt „ist eigentlich nicht so schlimm“. Auch wenn es schlimm ist. Wenn man nur halbwegs zuhört, zieht man dann als Hausarzt schon die Augenbrauen hoch und hört aufmerksam zu. Und auch bei Nicht-Ärzten stoßen solche Symptome auf offene Ohren. Das sind doch die klassischen „red flags“ schlechthin! Nur zu. Sag einfach, wie es ist.

mbs
13.02.2022, 19:42
Die große Frage wäre nur eben, wie lange eine solche Krankschreibung ausgestellt würde. Bis derjenige aus dem Vertrag an der Abteilung, deren Belastungsprofil er nicht mehr aushält, rauskommt? Oder für einen unbestimmten Zeitraum, mit der Hoffnung dass sich was bessert?
Da ein tragfähiges Gesamtkonzept zu finden halte ich für sehr schwierig. Sicher keine einfache Situation in der sich der TE befindet...

Fr.Pelz
14.02.2022, 18:53
Die krankschreibung muss so lang ausgestellt werden, wie lang der Patient Arbeitsunfähig ist. Wie derjenige aus seiner Situation herauskommt, liegt in seiner Verantwortung. Man kann Hilfen wie eine Therapie vorschlagen, aber ein Hausarzt kann weder ein soziales noch ein psychiatrisches Problem lösen.

Nilani
14.02.2022, 21:24
Sehe ich wie Fr. Pelz. Es kommt sicher auf die Gesamtsituation an. Ich stand damals auch kurz vor Burnout wegen extremer Stressbelastung aufgrund Mißstände in der Klinik, wollte hinschmeißen und hätte mich ca. 4-6 Wochen krankschreiben lassen, bis ich aus dem Vertrag gekommen wäre. Das hätte in diesem Fall vermutlich auch ausgereicht, um neue Stelle zu suchen und woanders neu anzufangen.
Beim TE sieht die Sache anders aus ... solange man nicht arbeiten kann, ist man halt arbeitsunfähig, dabei ist es ja eigentlich auch egal, welche Erkrankung. Auch der Arbeitsvertrag ist davon unberührt. Dann geht es halt darum, sich um Lösungen zu bemühen, Therapie, amb. oder stat., evtl. ne Reha (für Mediziner leider so gut wie unmöglich). Dabei kann der HA sicher unterstützen, aber welche Konsequenzen sich dann ergeben, wird wohl die Zeit bringen und muss man selbst entscheiden. 6 Wochen Lohnfortzahlung, danach hat man ja erstmal Anspruch auf Krankengeld und für den AG ist man erstmal weiter "einfach AU".