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LoveDoctor
15.03.2022, 22:26
Hallo Forum,

auch auf die Gefahr hin, dass es lang ist und ich mich unbeliebt mache: In meiner Abteilung (Neurologie) brennt uns Vollzeitkräften ein Problem unter den Nägeln, nämlich, dass wir de facto oft Arbeit für unsere zwei Teilzeit-Stellen (Mütter mit Kindern) kompensieren müssen. Die Stimmung im Team ist an sich sehr gut, und das soll auch so bleiben, gleichzeitig ist der derzeitige Zustand aber auf Dauer nur schwer durchzuhalten.

Ich bewundere wirklich jede Frau (meistens sind es ja die, die den Hauptteil der Belastung tragen), die ein oder mehrere Kinder großzieht und nebenbei noch arbeitet (so wie meine Mutter damals in drei Schichten und Vollzeit). Oft fühle ich mich als Kinderlose schon so, dass der Tag 25 Stunden haben müsste, und frage mich, wie die Kolleginnen das alles gewuppt bekommen. Gleichzeitig ist es aber leider so, dass jede „familienfreundliche“ Stelle bei uns bedeutet, dass die anderen (d.h. hauptsächlich die 100%-Stellen) dies irgendwie kompensieren müssen. Zwei 50%-Stellen ersetzen in diesem Fall leider keine 100%-Stelle, aus folgenden Gründen:

- Sie fallen öfter aus. Logisch, kleine Kinder werden öfter krank und das natürlich kurzfristig.
- Gleichzeitig kommen sie selbst zum Einspringen fast nie in Frage, weil sie eben nicht so flexibel sind.
- Sie bekommen meist die besseren, planbaren Dienste (wo der Oberarzt kräftig mithilft, nachmittags ein Spätdienst zur Ablöse kommt etc.), werden aber gar nicht oder viel weniger für unbeliebte Dienste (Notaufnahme-Spätdienst, 12h-Tagdienste am Wochenende, Feiertagsdienste) eingeplant. Diese zeitlich unbeliebten & oft auch sehr arbeitsreichen Dienste bleiben an den anderen hängen, bei uns hat dies z.B. auch zur Folge, dass man viel weniger auf die Stroke Unit rotiert (oder wenn, dann nur im Spätdienst).
- Sie können keine Überstunden machen – was aber leider kaum zu vermeiden ist -, sodass die anderen Kollegen (oder ggf. auch Oberärzte) von vorneherein mehr Patienten zu betreuen haben.
- Sie hinterlassen aus gleichem Grund im Normalstationsbetrieb teilweise Arbeit – venöse Zugänge, Blutkulturen etc. die dann oft vom Nachtdienst erledigt werden müssen, oder bei akuten Notfällen ist der Oberarzt gebunden. Oder die Dokumentation ist lückenhaft.
- Dadurch, dass aus o.g. Gründen teilweise auch die Oberärzte vermehrt vordergründig eingebunden sind, fällt für alle dann Fortbildungszeit hinten runter.


Wir kriechen durch Covid-bedingte Personalausfälle ohnehin schon alle auf dem Zahnfleisch und arbeiten natürlich 125%. Es ist ein ziemliches Dilemma. Wenn ich später mal selbst Kinder haben sollte, wünsche ich mir natürlich auch ein rücksichtsvolles Umfeld, dass mir in gewissem Sinne auch die Arbeit unter familienfreundlichen Bedingungen ermöglicht – sonst geht es einfach nicht. Aber „familienfreundlich“ sollte meiner Meinung nach nicht einfach bedeuten, dass die kinderlosen Kollegen – die ja formal den gleichen Arbeitsvertrag unterzeichnet haben und auch ein Privatleben haben - die Mehrbelastung kommentarlos schultern, sondern es sollte seitens des Arbeitgebers irgendeine Form der Anerkennung geben, z.B. Sonderurlaub bei häufigem Einspringen/Dienstplanwechsel. Idealerweise gäbe es natürlich von vorneherein einfach mehr Stellen, z.B. einen Extra-Springer der bei Personalausfall einspringt oder – wenn doch mal keiner krank sein sollte – für alle die Überstundenzahl gering hält, in dem er z.B. Standard-Briefe, LPs, Zugänge etc. auf Zuruf abarbeitet oder sich einfach der eigenen Fortbildung in der Funktionsdiagnostik widmet.

Wie ist das bei euch? Ist das Einbinden von Teilzeitkräften bei euch "Ehrensache" oder gibt es irgendeine Form von Ausgleich?

rafiki
16.03.2022, 06:45
Hallo LoveDoctor,
nur ganz kurz: Das von dir geschilderte Problem kenne ich auch sehr gut und es nimmt insgesamt massiv zu. Irgendwelche Ausgleiche zu erwarten, ist wohl illusorisch. Nach meiner Einschätzung müsste das Problem ganz woanders angegangen werden, nämlich in einer Quotierung für Männer im Studium, gerne 50% (auch in Erwartung von Proteststürmen).
Gruß rafiki

Colourful
16.03.2022, 07:10
@Rafiki
Du weißt schon, dass Männer auch Elternzeit nehmen und Kind krank sind? Und auch, dass, wenn sie Arzt sind (mit einer Partnerin, die wahrscheinlich auch gleich gut ausgebildet ist und gleich gut verdient) auch mehr Care-Arbeit übernehmen als noch vor 20 Jahren?

Also mein Partner ist genauso oft Kind krank wie ich... (Und der ist der in leitender Position, macht dann HO mit Kleinkind.)

Ich finde das übrigens auch Mist, dass da Vollzeitstellen soviel kompensieren und ich finde, dass auch Mitarbeiter ohne Kinder genauso ein Recht auf Planbarkeit und eine vernünftige Arbeitsbelastung haben. Anders ist unser Beruf auch längerfristig gar nicht durchzuhalten.

Persönlich (unpopuläre Meinung) gehen bei uns 50%-Stellen auch nur in der Praxis/Ambulanz und selbst dann braucht man Spielraum, ich finde, dass man aber so ab knapp 30h auch entlastend und ordentlich mitarbeiten kann, kommt aber auch immer sehr auf die Organisation des Arbeitsumfeldes an, je weniger akut das Geschehen ist, desto einfacher ist das auch. Und dann ist die Belastung für die anderen auch nicht so hoch.

veriko
16.03.2022, 07:38
Bei uns haben Muttis meist 80% Stellen und eher 1 Tag/Woche zusätzlich frei als täglich früher gehen, letzteres klappt im Stationsdienst doch eh nicht wirklich. Bevorzugung bei Diensten gibt es nicht, jeder hat sein Pensum an WE-Diensten zu machen, das finde ich fair.
Flexibilität beim Einspringen ist tatsächlich ein Punkt, der mit Kindern meist verschwindet.
Euer Problem sind doch aber nicht die Teilzeit-Muttis, sondern ein globaler Personalmangel, wie du selbst schreibst, und die Tatsache, dass in der Welt der Assistenzärzte ein 40h-Vertrag durch die Dienste regelmäßig 48-56 h bedeuten, selbst wenn man pünktlich geht. Da bleibt nicht genug Zeit, sich zu erholen.
Ich habe eine 32h-Stelle, weil ich organisatorisch sonst vollkommen scheitere mit 2 Kindern und Arzt-Ehemann mit 100%Stelle. Durch regelmäßige Freitags/Samstag-Dienste, die ich lieber mache weil unter der Woche sonst frühs keiner da ist, die Kids loszuschicken, lande ich aber trotzdem bei durchschnittlich 40-48 h/ Woche.
Ich meine, meine Vollzeit-Kollegen können mit dieser Einteilung ganz gut leben.

Colourful
16.03.2022, 08:06
@veriko
Das ist bei mir ähnlich, aber 80% ist halt auch was anderes als 50%.

epeline
16.03.2022, 08:07
Das Problem was du schilderst, ist definitiv ein strukturelles, sprich, es gibt zu wenig Personal.
Es kann ja nicht sein, dass alles zusammenbricht, weil 2 Kolleginnen Kinder haben.

Deinen Frust kann ich total nachvollziehen.
An meiner alten Stelle gab es mehr teilzeitler als vollkräfte. Das war schon ätzend, weil man nach 14 Uhr statt zu viert plötzlich alleine war oder als Dienstarzt schon einspringen musste. Dazu hatten einige auch die Einstellung "nach mir die Sintflut" und haben überproportional viel liegen gelassen. Ist ja noch jemand da, der alles macht. Da wurde pünktlich 13 Uhr die Pause eingeläutet, nach dem Essen "lohnte" es nicht, ncoh was anzufanfen und 13.50 war man dann schon umgezogen ;-)
Es gab und gibt aber auch viele TZ Kräfte, die in den 6h produktiver sind als manche VZ in 8h. Deutlich strukturiert äer arbeiten etc.

Ich hatte auch immer den Eindruck, dass man als TZ viel eher einspringen soll als die VZ Kräfte, die ja schon bis zum Anschlag verplant sind.

Wie man es dreht, Problem sind nicht Mütter in TZ sondern die schlechte Personalpolitik.

Bonnerin
16.03.2022, 08:27
Hallo LoveDoctor,
nur ganz kurz: Das von dir geschilderte Problem kenne ich auch sehr gut und es nimmt insgesamt massiv zu. Irgendwelche Ausgleiche zu erwarten, ist wohl illusorisch. Nach meiner Einschätzung müsste das Problem ganz woanders angegangen werden, nämlich in einer Quotierung für Männer im Studium, gerne 50% (auch in Erwartung von Proteststürmen).
Gruß rafiki

Klar, Männer kümmern sich ja auch in 2022 nicht um ihre Kinder, sondern lassen das alles wie in den 50ern von der Hausfrau und Mutter des Kindes erledigen /s

Es gab im OP einige Gespräche, die ich mitbekommen habe, wo CÄ genau darüber gemotzt haben. Man hat dem männlichen Kollegen XYZ den Vorzug gegeben, weil der nicht schwanger werden kann, und dann geht der doch prompt in Elternzeit und macht danach auch Teilzeit...

Bei meiner alten Klinik gab es verschiedene Modelle, i.d.R. mit komplett freien Wochentagen. Es gab auch Mitarbeitende, die 50% Stellen hatten, und quasi 2 Wochen/Monat frei hatten und die anderen beiden 100% gearbeitet haben. Die Nachtdienste waren immer genauso abzuleisten wie bei Vollzeitkräften. Dass an der Klinik vom TE eine systematische Benachteiligung bei den Nachtdiensten stattfindet geht halt gar nicht, da kann man sicher auch mal höflich beim Betriebsrat nachfragen.

Endoplasmatisches Reticulum
16.03.2022, 08:40
Wie man es dreht, Problem sind nicht Mütter in TZ sondern die schlechte Personalpolitik.
Das würde ich so allgemein nicht sagen. Aber es ist ein Kann-Problem, kein Muss-Problem. Wie du es selbst beschrieben hast, gibt es Teilzeitkräfte die wirklich gut und engagiert sind. Manche nutzen die Mutter-Karte aber auch sehr offensichtich und schamlos bei jeder Gelegenheit als Universalfreifahrtschein aus. Ähnlich ist das ja auch bei z.B. chronisch Kranken. Da gibt es welche, die extrem bemüht sind und versuchen, so gut es geht. Und wenn es dann halt nicht geht, ist doch alles in Ordnung. Aber es gibt auch welche, die ihre gesamte Berufstätigkeit und Einstellung diesbezüglich nur noch aufs absolut mindeste notwendige Übel heruntergefahren haben. Kann ich auch irgendwo nachvollziehen, ist eine Reaktion zum Selbstschutz. Aber ich werde halt auch nicht dafür bezahlt, regelhaft mit meiner Lebenszeit Individualfaktoren anderer Kollegen auszugleichen. Wenn das langfristig überhand nimmt, muss man daher wiederum selbst überlegen, zum Eigenschutz Konsequenzen zu ziehen.

Ich habe mal in einer Abteilung hospitiert und das Stellenangebot tatsächlich abgelehnt, weil mir da zu viele Teilzeiltmuttis waren, wo im Gespräch bei der Hospitation auch indirekt vermittelt wurde, dass wirklich jede einzelne von denen zig Sonderregelungen vereinbart hatte, fixe Tage wo sie nie arbeiten, Tage wo sie früher gehen, weniger Dienste als ihr Teilzeitschlüssel, keine WE-Dienste weil ... ja, warum eigentlich? Es wäre einfach klar gewesen, dass ich da als Vollzeit-Single zum Schweizer Taschenmesser der Dienstplanung geworden wäre. Und das wäre leider nicht das erste Mal in meinem Leben gewesen. Und ich habe mal in einer Abteilung gearbeitet, wo ich erst nach 2 Monaten oder so überhaupt "bemerkt" habe, dass eine Kollegin eine Teilzeit-Mutti war. Das ist immer eine Einzelfallanalyse, aber man darf sich halt auch nicht politisch-ideologisch davon überzeugen lassen, das es nie ein Problem sein kann. Das hilft einem beim Blick auf den eigenen Dienstplan am Ende nämlich wenig.

Jedes Krankenhaus schreibt sich "familienfreundliche Arbeitszeitmodelle" in die Stellenausschreibungen, obwohl das praktisch in der Medizin ohnehin oft kaum möglich ist. Aber die wenigen Bestrebungen, die Chefs zähneknirschend aus vermutlich eher politischen Gründen denn persönlicher Akzeptanz hinnehmen, reduziert sich fast immer auf "Wir buckeln für Mütter". Auch vor Vätern? Mag sein, habe ich aber nie erlebt. Die Väter in meinen früheren Abteilungen haben jedenfalls in Monaten nicht so offen die Vater-Karte gespielt wie die Mütter in einer Woche die Mutti-Karte. Kann Stichprobenbias sein, oder vielleicht waren das alles einfach rückständige Patriarchen. Wer weiß. Und ein Entgegenkommen im Bezug auf Work-Life-Balance oder Respekt vor der persönlichen Freizeit und Erholung als Single? Forget it.

Colourful
16.03.2022, 08:42
Es gab und gibt aber auch viele TZ Kräfte, die in den 6h produktiver sind als manche VZ in 8h. Deutlich strukturiert äer arbeiten etc.

Wie man es dreht, Problem sind nicht Mütter in TZ sondern die schlechte Personalpolitik.

Ja, ich erinnere mich da an eine Mail, die unsere Chefin aus dem HO geschrieben hat, da hat sie die geplanten Aufnahmen verteilt. Jeder, auch die Vollzeitkräfte machen eine Aufnahme, nur Frau Colour, die sollte halt doch lieber zwei machen, denn das schafft die ja auch bis 14:30 Uhr...
(Während manche Vollzeitkräfte eine Aufnahme nicht bis 14 Uhr geschafft haben, und nein, die haben definitiv nicht die komplexeren Sachen gemacht.)

Fakt ist, auch die sehr fleißige und strukturierte Teilzeitkraft schafft in 30h weniger als die sehr fleißige und strukturierte Vollzeitkraft, aber ich habe einfach oft gesehen, dass es durchaus auch Teilzeitkräfte gibt, die genauso viel schaffen wie eine durchschnittliche Vollzeitkraft.
Und nein, ich kann immer noch nicht flexibel für Dienste einspringen. :-(
Habe ich aber auch, als ich alleinerziehend mit einem Kind war, gemacht. Da habe ich manchmal auch 2x24h in der Woche gemacht, wenn es irgendwie zu organisieren war. (Das war teilweise sehr abenteuerlich, ich habe nämlich auch GAR KEINE Familie in der Nähe.) Mit zwei Kindern leider nicht mehr so einfach. Aber ich versuche viel, was möglich ist, auch wirklich zu tun.

Und ich setze mich auch immer genauso dafür ein, dass Menschen, die (noch) keine Kinder haben, genauso zu ihrer Freizeit kommen und sich auch nicht überarbeiten. Das ist total wichtig, und auch die haben ein absolutes Recht auf ihre Freizeitgestaltung. Meistens kann man ja auch über die Dinge reden und absprechen.

Ich bin übrigens auch dafür, dass nur noch Männer Ärzte werden, weil die ja keine Kinder bekommen. Frauen sollten grundsätzlich Hausfrauen bleiben und gar nicht erwerbsarbeiten, wenn dann nur in verzichtbaren Jobs. Also auch nicht in der Pflege, in der Kita und in anderen Berufen.
Vielleicht etwas Dekoration und Kunst? Wir sollten alle Influencerinnen werden.

P.S. Habe ich hier schon mal geschrieben - Kinder haben ist übrigens kein teures und zeitintensives Hobby, sondern eine gesellschaftlich höchst relevante und sehr wichtige Tätigkeit.

davo
16.03.2022, 09:00
Ich kenne dieses Problem sehr gut.

DA1994
16.03.2022, 09:39
Wie genau stellst du dir denn gute Personalpolitik vor, wenn Patienten auf Normalstation neunmal zwischen 8-16:30 ärztlich betreut werden müssen? Und gerade in langen Verläufen, also gerade Innere/Neurologie ist eine Arzt-Patienten-Bindung ja nicht ganz unerheblich. Wenn da jeden Tag, oder noch besser zweimal am Tag, sich jemand neues als der behandelnde Arzt vorstellt, dann leidet die medizinische Qualität erheblich.

Und wie stellst du dir das vor, Kollege XY geht immer 14:30, der Patient kommt um 15:30 aus dem CT, hier zeigt sich überraschend eine Lungenembolie - das bleibt dann bis morgen unbeachtet? Oder Kollege XX in Vollzeit darf sich dem annehmen, kennt den Patienten nicht, muss sich einlesen, alles weitere organisieren und darf dafür dann mal wieder ne Überstunde mehr schieben?

Ich will so gerne Kinder und ich bin oft erschrocken, was sich für ein unterschwelliger Hass gegen Menschen ausbreitet, die einfach nur eine Familie gründen. Trotzdem halte ich alles andere als wochenweise Teilzeit im Stationsbetrieb für gefährlich- für die Patienten und für die Stimmung im Team.

In anderen Bereichen, insbesondere Ambulanzen und Sprechstunden geht das viel besser. Die haben nur viele Kliniken und Abteilungen gar nicht oder setzen nur Fachärzte ein. Was bleibt das Fazit? Die stationäre Medizin ist absolut familienfeindlich, zum Teil naturbedingt, zum Teil struktubedingt.

Endoplasmatisches Reticulum
16.03.2022, 10:41
Ich will so gerne Kinder und ich bin oft erschrocken, was sich für ein unterschwelliger Hass gegen Menschen ausbreitet, die einfach nur eine Familie gründen.
Das ist halt ein Spannungsfeld. Grundsätzlich gibt es ja nur zwei Möglichkeiten, ein familienunfreundliches Unternehmen familienfreundlicher zu gestalten: Den Stellenschlüssel erhöhen, oder gegenüber Kinderlosen unfreundlicher werden. Das ist einfach ein Fakt, den man nicht wegdiskutieren kann. Der verschwindet auch nicht, indem man den schwarzen Peter auf ein schlechtes Management oder die angebliche Intoleranz der Kinderlosen schiebt. Managen kann man nur die Arbeitskraft, die da ist. Da in der Medizin eh alles unterhalb der Zumutbarkeitsgrenze rotiert und man Arbeitskraft nicht aus der Schwärze des Kosmos neu erschaffen kann, bleibt dann eben oft nur das Umschichten von Belastungen auf die Kinderlosen.

Eine Ungleichheit sehe ich vor allem in der Akzeptanz. Eltern haben Kinder, das wird gemeinhin als Grund akzeptiert, nicht arbeiten zu können. Singles haben keine Kinder, aber dennoch ein berechtigtes Interesse an Freizeit und Privatleben. Das wird oft nicht eingesehen. Vor allem von Chefs, aber auch von Eltern. Wichtig wäre es, der Ausbildung einer Bedürfnishierarchie entgegen zu wirken, sprich dass Kinderlose und Eltern sich gegenseitig zerfleischen, weil beide der anderen Seite die Legitimität ihrer Off-Work-Bedürfnisse absprechen. Bloß wie schafft man das, wenn das Interesse der einen Seite notwendigerweise eine gewisse Unfairness gegenüber der anderen Seite bedingt? Mein Tip: Die Gegenseite ins "Hass"-Framing zu pressen ist vermutlich wenig hilfreich ...

vanilleeis
16.03.2022, 11:51
Und wie stellst du dir das vor, Kollege XY geht immer 14:30, der Patient kommt um 15:30 aus dem CT, hier zeigt sich überraschend eine Lungenembolie - das bleibt dann bis morgen unbeachtet? Oder Kollege XX in Vollzeit darf sich dem annehmen, kennt den Patienten nicht, muss sich einlesen, alles weitere organisieren und darf dafür dann mal wieder ne Überstunde mehr schieben?



Mit dem Argument müsste man als Arzt 24/7 in der Klinik sein. Es passiert das gleiche, wie wenn der Patient um 23 Uhr aus dem CT kommt und eine Lungenembolie hat. Im Zweifel ist der Dienstarzt zuständig.
Ich bin es so leid, sich als "Teilzeitmutti" rechtfertigen zu müssen für strukturelle Defizite in der Personalplanung und fehlenden Eiern in der Hose, diese auch anzuprangern und sich dagegen zu wehren.

morgoth
16.03.2022, 12:01
Mit dem Argument müsste man als Arzt 24/7 in der Klinik sein. Es passiert das gleiche, wie wenn der Patient um 23 Uhr aus dem CT kommt und eine Lungenembolie hat. Im Zweifel ist der Dienstarzt zuständig.
Ich bin es so leid, sich als "Teilzeitmutti" rechtfertigen zu müssen für strukturelle Defizite in der Personalplanung und fehlenden Eiern in der Hose, diese auch anzuprangern und sich dagegen zu wehren.

Genau mein Gedanke.

Mit diesen "Begründungen" haltet ihr halt den Druck auf Euch selbst, auf dem System und den darin mitbeteiligten Kollegen (ob mit oder ohne Kinder) aufrecht.
Es wird immer wieder Situationen geben, in denen ein anderer übernehmen oder zuständig sein muss. Krankenhäuser sind halt rund um die Uhr geöffnet und es können immer medizinisch relevante Dinge auftreten.
Idealerweise sind natürlich die Strukturen geklärt, beispielsweise hatten wir früher in der Psychiatrie "Aufnahmen ab 16:00 macht der Dienstarzt". Wenn der Dienst auf einen Tag fällt, an dem der Teilzeitkollege bereits um 14:30 geht, muss halt geklärt werden, wer das Zeitfenster 14-16 Uhr überbrückt. Das sind in der Regel aber lösbare Aufgaben.
Das eigentliche Problem entsteht doch eher: "Es ist jetzt 15:22 und die Kollegin XY ist schon weg. Ups!"

Colourful
16.03.2022, 12:23
Ja, ich habe das bisher immer geschafft, dem Kollegen, der dann quasi ab Zeitpunkt X ûbernimmt eine Übergabe zu machen. Zur Not gibt es aucb Telefone und man ruft dann aus dem Auto aus an...
Das ist oft sehr gut lösbar.
Und im äußersten Notfall, bin ich auch nachmittags angerufen worden, um was zu klären, was unvorhergesehen und sehr komplex war...

vanilleeis
16.03.2022, 12:30
Ja, ich habe das bisher immer geschafft, dem Kollegen, der dann quasi ab Zeitpunkt X ûbernimmt eine Übergabe zu machen. Zur Not gibt es aucb Telefone und man ruft dann aus dem Auto aus an...
Das ist oft sehr gut lösbar.
Und im äußersten Notfall, bin ich auch nachmittags angerufen worden, um was zu klären, was unvorhergesehen und sehr komplex war...

Genauso läuft es hier auch. Und ich arbeite sogar teilweise nur halbe Tage :-keks
Wenn jeder in der Abteilung anpackt und die Arbeit fair verteilt ist, ist es auch nicht wirklich ein Problem, wenn Kollege Xy früher geht. Ob das jetzt wegen Kind, Zahnarzt, FZA oder sonstwas ist. Wenn die Arbeit nicht fair verteilt ist, liegt das Problem woanders

Colourful
16.03.2022, 12:56
Ja, ich erzähle es ja immer wieder: wir hatten eine Akutstation mit drei Teilzeitkräften und haben uns die Nachmittage aufgeteilt (jeder zwei, einen hat die Teilzeit-OÄ gemacht), da war immer jemand bis 16 Uhr da und ab da hat dann der Dienstarzt übernommen, wenn was war. Wir haben uns abgesprochen und Übergaben gemacht, das lief ziemlich gut.
Aber das erfordert halt auch, dass alle wollen und dass hier Strategien besprochen werden. Und das geht wahrscheinlich auch nicht mit kompletten Berufsanfängern.
Dienste haben wir auch alle gemacht, auch lieber die 12h Wochenendtagdienste gemacht, weil die Kinder nachts lieber Mama wollten, etc...
Ich denke, dass das geht. Gut sogar.

FirebirdUSA
16.03.2022, 13:41
Ich denke das Thema ist hoch relevant und nein dafür gehörst du nicht gesteinigt.

Ich denke aber man muss von der Denkweise weg kommen, die Teilzeitkräfte machen "zu wenig" Arbeit. Es ist doch eher so, dass dadurch das es für die Teilzeitbeschäftigung häufig eine vom Arbeitgeber nicht zu ignorierende Begründung gibt (in der Regel eigene Kinder, aber z.B. auch pflegebedürftige Angehörige) und die anderen schlechte Gründe haben Mehrarbeit durch schlechte Organisation, Planung, etc. abzulehnen.



Wir kriechen durch Covid-bedingte Personalausfälle ohnehin schon alle auf dem Zahnfleisch und arbeiten natürlich 125%.
Genau, dass ist das Problem - nicht die Teilzeitkräfte sondern dass die Arbeit für 125% angelegt ist...



- Sie fallen öfter aus. Logisch, kleine Kinder werden öfter krank und das natürlich kurzfristig.

Den Trend kann ich bei uns nicht sehen, aber klar kann passieren. Dafür ist aber eigentlich im Stellenbesetzungplan für Ersatz vorgesehen. Falls der schon gestrichen wurde (was häufig der Fall ist) muss man eigentlich den Punkt mit der Verwaltung diskutieren.




- Sie bekommen meist die besseren, planbaren Dienste (wo der Oberarzt kräftig mithilft, nachmittags ein Spätdienst zur Ablöse kommt etc.), werden aber gar nicht oder viel weniger für unbeliebte Dienste (Notaufnahme-Spätdienst, 12h-Tagdienste am Wochenende, Feiertagsdienste) eingeplant. Diese zeitlich unbeliebten & oft auch sehr arbeitsreichen Dienste bleiben an den anderen hängen, bei uns hat dies z.B. auch zur Folge, dass man viel weniger auf die Stroke Unit rotiert (oder wenn, dann nur im Spätdienst).

Auch hier ist doch die Frage, warum sich die anderen Dienste nicht umorganisieren lassen ... Wochenende/Feiertag ist natürlich eine andere Sache. Da beteiligen sich bei uns aber auch alle TZ Kräfte anteilig... ist ja planbar und dann muss man eben Kinder zu Großeltern geben, o.ä.



- Sie können keine Überstunden machen – was aber leider kaum zu vermeiden ist -, sodass die anderen Kollegen (oder ggf. auch Oberärzte) von vorneherein mehr Patienten zu betreuen haben.

Warum sind Überstunden notwendig? Strukturproblem/Organisationsproblem



- Sie hinterlassen aus gleichem Grund im Normalstationsbetrieb teilweise Arbeit – venöse Zugänge, Blutkulturen etc. die dann oft vom Nachtdienst erledigt werden müssen, oder bei akuten Notfällen ist der Oberarzt gebunden. Oder die Dokumentation ist lückenhaft.

Selbe Frage: Warum ist es in der normalen AZ nicht zu schaffen? Schlechte Organisation der Person oder grundsätzliches Problem (schafft es keiner?)



- Dadurch, dass aus o.g. Gründen teilweise auch die Oberärzte vermehrt vordergründig eingebunden sind, fällt für alle dann Fortbildungszeit hinten runter.

Ich kenne es so, dass es feste OA Visiten gibt und feste Fortbildungstermine ... wie ist das bei euch geregelt? Die Visite wird ja nicht ausfallen, oder?

Natürlich ist es einfach auf TZ Kräfte zu schimpfen und hier neidisch zu sein, aber ich denke man muss eher die grundsätzlichen strukturellen Probleme versuchen anzugehen. Häufig besteht hier aber auf Leitungsebene kein Interesse und es wird mit "das ist halt so" und bei der "TZ Kraft kann ich es aber nicht fordern" abgebügelt. Dadurch wird der berechtigte Ärger auf die TZ Kräfte gelenkt, die eigentlich ja nur die Arbeit so haben, wie sie für alle sein sollte...

Lakemond
16.03.2022, 14:09
Ganz ehrlich, wer zwingt dich zu 125% zu arbeiten? Reduziere doch auf 80% und glaub mir, du wirst glücklicher.

Endoplasmatisches Reticulum
16.03.2022, 14:23
Ganz ehrlich, wer zwingt dich zu 125% zu arbeiten? Reduziere doch auf 80% und glaub mir, du wirst glücklicher.

Wer zwingt die 80%-Kraft, mit Diensten durschnittliche 42-46 Stunden pro Woche zu arbeiten, wie es der MB in einer Umfrage ermittelt hat? Typisch-illusorisches "wehrt euch doch einfach"-Gewäsch. In der Großstadt in einem Nicht-Massenfach "grundlos" auf 80% reduzieren ist die Freikarte in die Nichtverlängerung deines Arbeitsvertrages. Der Chef kriegt ja auch keine 20%-Kraft zur Kompensation. Und wenn es dann eine Weile läuft, werden die Prozente im Stellenschlüssel ganz fix dauerhaft weggestrichen.