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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Darf Psychiater Akte zurückhalten?



Gro?erDenker
23.06.2022, 19:48
Hallo,

also einem Angehörigen von mir ist folgendes passiert:

Er war betrunken in einer Kneipe und dort begrabschte er wiederholt die Bedienung oder so. Nun hat er ein Verfahren wegen sexueller Belästigung am laufen.(sic) Zusätzlich zu dem Alkohol hat er aber auch jede Menge Psychopharmaka intus.

Um dies (Und seine psych. Erkrankung) zu belegen ist er also zu seinem Psychiater und wollte seine Akte um mit dem Anwalt eine entsprechende Einlassung vorzubereiten.

Dies lief wie von ihm geschildert so ab:

"Hallo ich bin XY, geboren ZZ, und hätte gerne meine Akte?"
"Wofür"
"Ich will zu einem neuen Hausarzt"
"Wie heißt der?"
"Warum"
"Dann schicken wir die Kopie der Akte da direkt hin"
"Kann ich die kopierte Akte nicht einfach mitnehmen?"
"Nein wir geben die i.d.R. nicht an Patienten raus"

So jetzt ist er also ohne Akte zum Anwalt und der hat dann erstmal die Akte vom Psychiater angefordert und dafür 80 Euro berechnet.

Da mein Bruder zusätzlich noch erwerbslos ist jucken ihn diese 80 Euro schon und er hat mich gefragt ob das so in Ordnung war seitens des Psychiaters.

Ich wusste darauf keine Antwort, mein Hausarzt gibt immer Akten raus. Auch im Krankenhaus hab ich sowas noch nie gesehen. Aber es ist ja ggfls. sinnvoll gewissen psychiatrischen Patienten, ihre Akten nicht direkt zu offenbaren, nur kann es doch niemals rechtens sein oder?

Kurz gefragt, besteht irgendwie die Möglichkeit so gegen den Arzt vorzugehen, dass er seine 80 Euro wiederbekommt?

Coxy-Baby
25.06.2022, 11:27
Die Antwort auf die Frage (https://www.der-niedergelassene-arzt.de/praxis/news-details/recht/einsichtnahme-und-auskunft-nach-dem-datenschutz-wozu-ist-der-arzt-verpflichtet)

Reflex
26.06.2022, 14:12
Das entspricht dem, was unser Praxisanwalt sagt: Fordert ein Patient eine komplette Abschrift der Patientenakte in Papierform und nicht nur der Personenbezogenen Daten an, trägt er die Kosten. Was bei dicken Akten und langjähriger Behandlung dann auch für die Praxis aufwendig ist. Es muss jemand die komplette Akte sichten, ggf. subjektive Wertungen der Therapeuten schwärzen und schließlich kopieren. Diesen Aufwand sollte der Patient dann auch entsprechend honorieren.

Bei einem Gerichtsverfahren kann der Anwalt auch beantragen, dass die Akte vom Gericht angefordert wird. Dann tragt die Kosten das Gericht. Will ein Patient genau das nicht, muss er in den sauren Apfel beißen und es selber zahlen. Und seinen Behandler anzulügen, würde für mich bedeuten, dass ich die Behandlung beende, wenn ich das heraus bekomme. Wenn Patienten ehrlich sind und sagen, dass sie scheiße gebaut haben und dann um Hilfe bitten, bin ich deutlich hilfsbereiter. Das kann nämlich auch ein Boomerang werden, weil Gerichte auch gerne mal Anordnungen treffen, dass Blutalkohol und Medikamentenspiegel als Bewährungsauflage über den Psychiater laufen sollen. Und dann steht dein Bruder plötzlich ziemlich dumm da, wenn das rauskommt.

Gro?erDenker
26.06.2022, 18:10
Danke Reflex.

Mein Punkt ist ja nicht, dass er für die Akte zahlt, sondern dass sich erst der Anwalt einschalten musst und die Kosten somit echt gestiegen sind. Inkl. Verlängerung des Verfahrens durch Dauer der Versendung.

Und die Forderung nach der Akte um damit zu einem dritten Arzt zu gehen ist ja durchaus sein Recht, auch wenn es natürlich gelogen war in dem Moment.

Aber es ist in kleinster Weise verwerflich ein Ermittlungsverfahren wegen einer Sexualstraftat zu verschweigen. Weil es 1) noch keine Verurteilung darstellt und 2) hat er es ja auch nur gegenüber der MFA verschwiegen. Der Psychiater war gar nicht involviert, das war von mir missverständlich dargestellt.

Naja, ist jetzt wahrscheinlich einfach blöd gelaufen. Habe ihm auch dazu geraten sich über den Terminservice eine Psychotherapie-Erstsitzung zu holen, hinsichtlich Nachtatverhalten etc.

Reflex
26.06.2022, 18:50
Anstatt einen Anwalt einzuschalten, hätte er sich vielleicht einfach mal einen Termin bei seinem Psychiater machen sollen und den Sachverhalt persönlich klären können. Sowohl der Arzt als auch der Anwalt unterliegen beide der Schweigepflicht. Für einen Hausarztwechsel lässt sich ansonsten niemand die komplette Akte geben. Da werden in der Regel nur die für den Hausarzt relevanten Aktenauszüge übermittelt und die gehen direkt an den Arzt. Das alleine wird das Praxispersonal schon misstrauisch gemacht haben. Wenn etwas verzögert worden ist, dann hat es entweder dein Bruder durch unnötiges Verhalten selbst verbockt oder er hat einen Anwalt, der ihn nicht richtig berät. Oder (was ich eher vermute) auch dir gegenüber ist dein Bruder nicht ganz ehrlich. Das riecht auf sovielen Ebenen nach fehlender Adhärenz und fehlender Medikamentencompliance. Den Schuh wird sich während eines laufenden Verfahrens kaum ein neuer Psychotherapeut anziehen. Denn das sind Patienten häufig mit eingeschränkter Veränderungsmotivation und mangelhafter Introspektionsfähigkeit. Etwas zu verschweigen mag sein gutes Recht sein, sorgt aber für ggf. unnötige Umwege, Kosten und schadet dem Vertrauensverhältnis der Arzt-Patienten Beziehung und im Zweifel sorgt seine Heimlichtuerei für eine schlechtere medizinische Versorgung.

Coxy-Baby
27.06.2022, 15:50
Sehr schön zusammengefaßt Reflex. :-top

Gro?erDenker
27.06.2022, 20:29
Also fände ich irgendwie ziemlich eingeschnappt wegen sowas direkt die Behandlung zu beenden, es soll ja Patienten mit Schamgefühl geben. Aber nur meine Meinung.

Ich denke jetzt ist zum Thema alles gesagt.

Reflex
28.06.2022, 21:41
Das hat mit eingeschnappt sein nichts zu tun. Behandlungsverträge und Adhärenz sind in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung eine wichtige Basis. Daher ist das Vertrauensverhältnis sehr sehr wichtig und bewusstes Lügen gefährdet das Vertrauensverhältnis. Ohne diese Basis macht eine Behandlung keinen Sinn. Daher gibt es auch z. B. in der stationären Behandlung disziplinarische Entlassungen, wenn gegen Behandlungsverträge/-Vereinbarungen verstoßen wird.