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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : (In)effizienz des Gesundheitssystems



DerPhysicus
10.07.2022, 03:23
Hi,

die aktuellen Tarifverhandlungen und der Streik verdeutlichen die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und mehr Personal. Ein Aspekt der m.E. aber fast gar nicht beachtet wird ist wie Arbeitsabläufe/ Therapien/ Untersuchungen etc. zunehmend darauf ausgerichtet werden maximal abrechnen zu können - auch wenn dies zu (für den Therapieerfolg) unnötiger Mehrarbeit und Personalbindung führt: Tagesstationäre Therapie statt p.o. mit äquivalenter Wirksamkeit, extra Untersuchungen ohne klare Indikation bzw. Fragestellung, "die Station muss immer voll sein" und der Aufenthalt im gewinnbringenden Zeitraum abgeschlossen werden - also auch nicht zu kurz, selbst wenn es keinen guten Grund mehr gibt.

Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht oder sehe ich das einfach zu eng?

Anne1970
10.07.2022, 04:24
Willkommen im Forum. Wir hätten gern zunächst ein paar Informationen über dich, DerPhysikus. Arbeitest du im Gesundheitswesen? Als Ärztin/Arzt? Bist du in Weiterbildung oder Facharzt? In welchem Fach? In einer Klinik oder Praxis?
Welche Untersuchungen werden deiner Meinung nach ohne Indikation durchgeführt?
Bei uns ist die Station „immer voll“, weil wir von Patienten-Massen überrannt werden. Und die erhalten die Untersuchungen, die notwendig sind. Nach Diagnostik und Therapie bzw. Therapie-Einleitung werden die Patienten do schnell wie möglich entlassen, weil der nächste Patient schon auf den Bettplatz wartet…

anignu
10.07.2022, 14:57
Ist bei uns ähnlich. Dieses ständige Suchen nach freien Betten, diese zu geringen OP-Kapazitäten etc. Wir haben bei uns eher ein massives Kapazitätsproblem. Dadurch müssen Patienten mit kleineren elektiven Sachen teils auf Wartelisten bis sie dann erst drankommen können. Oder sie sind geplant werden aber wieder verschoben.
Personalbindung und unnötige Mehrarbeit entsteht bei uns daher dadurch, dass man mit Verschieben, Umplanen etc. beschäftigt ist. Nervt unglaublich. Statt dass man einfach nur arbeitet...

Ansonsten (stationäre Chirurgie): Tagesstationär gibt es bei uns nicht entweder laufen Sachen ambulant (Varizen, Ports, Leistenhernien) oder stationär, extra Untersuchungen ohne klare Indikation ist schwierig. Ambulant kann sich bei uns gar nicht rentieren da diese Eingriffe als Ausbildungseingriffe laufen und daher sehr langsam sind incl. langen Überleitungszeiten. Und dann sind entweder die Patienten stationär, dann kann ist jede Untersuchung in der DRG drin, oder die Patienten sind ambulant, dann können wir eh nichts abrechnen bis auf irgendeine winzige Pauschale.
Ich weiß nicht ob wir wirklich Gewinn machen. Ich glaub es nicht. Wir sind eher so eine Kombination aus Notfallversorger und Auffangbecken für Problempatienten aus kleineren Häusern. Und ob die hohen Vorhaltekosten und Problempatienten insgesamt lukrativ sind wage ich zu bezweifeln. Ich seh uns aber auch eher als Versorger der Bevölkerung.

DerPhysicus
11.07.2022, 19:19
Vielen Dank für die Antworten - die lassen meine bubble platzen :D Scheint eher so, als dass das aktuelle DRG System den Bedarf und die tatsächliche Arbeitsleistung nicht adäquat widerspiegelt.

Ich bin FA in der Onko in einer großen Klinik und hier schon seit einigen Jahren passiv am mitlesen. Bei uns scheitert es eher am Entlass- und Aufnahmemangement, welches aufgrund von Rationalisierungen beim nicht-ärztlichen Personal dazu führt, dass es länger dauert bis die Dokumente fertig und die Rp ausgedruckt sind. Teilweise führt dies dann auch dazu, dass geplante Therapien auf den Folgetag verschoben werden müssen.

Holthusen
12.07.2022, 10:00
Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht oder sehe ich das einfach zu eng?

Diese Erfahrungen habe ich auch gemacht. Allerdings ist dieser "Kommerz" sehr unterschiedlich ausgeprägt je nach Einrichtung. Kommt auch immer auf die Patientenzahlen an. Bei meiner jetzigen Arbeit, haben wir nur eine geringe Anzahl an Patienten in der Regel. Und dafür auch die Zeit und auch das Personal viele Sachen "für die Abrechnung" zu machen, "wirtschaftlich zu denken" wie die Leitung immer sagt.

Haffi
12.07.2022, 12:22
Ineffizienz des Gesundheitssystems heißt für mich, nach über 6 Jahren Studium den halben Tag damit zu verbringen, Hausärzten hinterher zu telefonieren damit sie mir Vorbefunde zuschicken - selbstverständlich per Fax. Oder ellenlange Sauerstoffverordnungen fertig zu machen und an den Sauerstofflieferanten zu schicken - selbstverständlich auch das per Fax. All das natürlich erst nachdem ich ne Stunde über Station gelaufen bin um stumpfsinnig Blut abzunehmen.

Mir soll es egal sein. Ob ich jetzt dies innerhalb meiner Arbeitszeit mache oder was anderes, ist mir letztlich gleich.

Für das System, das so viel Geld für einen akademischen Sekretär ausgibt tut es mir hingegen sehr leid.