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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Berufs"verbot" bei Epilepsie



izzy17
22.09.2022, 10:26
Hallo :)

im Rahmen des M2-Lernens habe ich mir die Frage gestellt, wie es mit der Ausübung von bestimmten Berufen bei Epilepsie steht:
Im Internet finde ich da widersprüchliche Infos :-oopss

Gibt es wirklich "Berufsverbote" bei z.B. Dachdeckern wegen der Absturzgefahr? Und wenn ja, wer spricht das Verbot aus? Der Arzt?

Dass es Verbote zum Führen von Kraftfahrzeugen gibt, habe ich gefunden und das betrifft dann ja auch alle dazugehörigen Berufe wie Busfahrer, LKW-Fahrer...

Schonmal danke im voraus :)

abcd
22.09.2022, 11:03
Das Arbeiten mit Epilepsie ist eine sehr individuelle Sache. I.d.R. wird auch der Betriebsarzt in die Entscheidung miteingebunden. Für die Fahreignung im Straßenverkehr gibt es die Begutachtungsleitlinie (https://www.bast.de/DE/Verkehrssicherheit/Fachthemen/U1-BLL/Begutachtungsleitlinien.pdf?__blob=publicationFile&v=20), die im übrigen auch andere Erkrankungen erfasst, zB. den Diabetes; Stichwort Hypoglykämieneigung ohne Warnsymptome, Synkope,...

Außerdem gibt es diverse Merkblätter der BG (https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/345)
Wenn z.B. "nur" schlafgebundene Anfälle auftreten ist das für das Berufsleben anders zu beurteilen. Bei Staplerfahren (nicht STraßenverkehr) ist zu berücksichtigen wie hoch ist die Eigen- und wie hoch die Fremdgefährdung (Gefahrgut, Hochlager vs. z.B. Blumenerde).
Der behandelnde Arzt klärt über die Fahreignung auf und über die Gefährdungsrisiken, der zuständige Betriebsarzt muss die konkrete Gefährdung am Arbeitsplatz beurteilen.

Wie das nun im Beispiel des selbstständigen Dachdeckers aussieht...
Ich würde sagen, Aufklärung durch den behandelnden Arzt, dass das Gefährdungspotenzial zu hoch ist, er nicht auf das Dach darf. Doku das Arztes wegen Haftungsrisiken. Falls er doch auf dem Dach arbeitet etwas passiert, kann es für den Dachdacker zu Versicherungsproblemen kommen.
Andere Vorschläge von den Neuros hier?

Nefazodon
22.09.2022, 11:08
Hallo :)

im Rahmen des M2-Lernens habe ich mir die Frage gestellt, wie es mit der Ausübung von bestimmten Berufen bei Epilepsie steht:
Im Internet finde ich da widersprüchliche Infos :-oopss

Gibt es wirklich "Berufsverbote" bei z.B. Dachdeckern wegen der Absturzgefahr? Und wenn ja, wer spricht das Verbot aus? Der Arzt?

Dass es Verbote zum Führen von Kraftfahrzeugen gibt, habe ich gefunden und das betrifft dann ja auch alle dazugehörigen Berufe wie Busfahrer, LKW-Fahrer...

Schonmal danke im voraus :)

Es kommt darauf an, was Du unter "Berufsverbot" verstehst bzw. in welchem Kontext die Diagnostik stattfindet.

Natürlich soll jemand mit unkontrollierten epileptischen Anfällen keine Tätigkeiten ausführen, die ihn oder andere gefährden könnten, das dürfte selbstverständlich sein.

Dementsprechend muss man als Arzt den Patienten darüber aufklären und ihm sagen, dass er für solche Tätigkeiten nicht geeignet ist. Und aus rechtlichen Gründen sollte man das dann auch im Arztbrief so dokumentieren.
Es gibt jedoch keine Meldepflicht und es gibt auch keine Stelle, die so etwas entgegen nehmen würde. D.h. im klinischen Kontext bleibt das Wissen darum zwischen Arzt und Patient. Ein formales "Berufsverbot" gibt es also so nicht.

Es gibt aber auch noch die arbeitsmedizinischen Eingangsuntersuchungen und Gefährdungsbeurteilungen, die vor Beginn einer Ausbildung oder bei Antritt einer neuen Stelle vorgeschrieben sind. Fällt bei so einer Untersuchung eine Epilepsie bei z.B. einem angehenden Dachdecker auf, kann das Ergebnis der Untersuchung eigentlich nur lauten, dass Bedenken gegen die Eignung des Patienten/Probanden für den Beruf bestehen bzw. der Patient ungeeignet ist. Dieses Fazit wird dann auch an die Arbeitgeber gemeldet (ohne Diagnose). Und das wird dazu führen, dass die Person den Job nicht ausüben darf.

Edit: Das Thema Fahreignung ist nochmal ein eigenes Thema. Im klinischen Kontext gilt per se erstmal das, was ich oben geschrieben habe. Die Aufklärung über das "Fahrverbot", eigentlich korrekter: die "aus medizinischer Sicht nicht gegebene Fahreignung" (denn der Arzt hat keine behördliche Funktion und darf kein rechtliches "Verbot" aussprechen!) verbleibt zwischen Arzt und Patient und unterliegt erstmal der Schweigepflicht.
Wenn es aber Anhaltspunkte gibt, dass die Gefährdung "hoch" ist, und dass der Patient sich nicht an das "Fahrverbot" halten wird, als z.B. LKW-Fahrer, dann darf man als Arzt die Schweigepflicht in Güterabwägung brechen, und den Patienten bei der Führerscheinstelle melden. Das sollte man jedoch gut abwägen und man sollte gut begründen können, warum man glaubt, dass der Patient sich nicht an das Verbot halten wird. In meiner bisherigen Praxis haben wir das noch nie für nötig befunden, es gibt aber Konstellationen, in denen es denkbar wäre.

Der Arbeits-/Betriebsmediziner wiederum würde im Zuge der arbeitmedizinischen Beurteilung eines LKW-Fahrers immer an den Arbeitgeber melden, dass der Proband ungeeignet ist.

Anne1970
22.09.2022, 11:14
Gehe da mit. Schöne Zusammenfassung.
Ergänzend: Bei jemanden, bei dem ein epileptischer Anfall aufgetreten ist, wird - je nach Konstellation unterschiedlich lang - eine „Fahruntüchtigkeit“ festgestellt.
Nebenbei, weil wir gerade dabei sind, etwas offtopic: Was noch nicht so bekannt ist: auch nach einem Hirninfarkt kann für drei Monate eine Fahruntüchtigkeit bestehen.

Nefazodon
22.09.2022, 11:39
Nicht nur nach einem Hirninfarkt, sondern bei allen zerebrovaskulären Ereignissen, die zu einem plötzlichen und unvorhergesehenen Kontrollverlust führen können, also auch nach einer TIA.

Das Wiederholungsrisiko für Hirninfarkt/TIA ist in der ersten Zeit nach dem Ereignis am höchsten- daher erfolgt, in Abhängigkeit für dieses Risiko, die Feststellung einer Fahruntüchtigkeit i.d.R. für 3 Monate.

Es kann auch sein, dass die Empfehlung ausgesprochen werden muss, die Fahrtüchtigkeit nach Ablauf dieser 3 Monate durch ein verkehrsmedizinisches Gutachten belegen zu lassen. Das wäre z.B. dann der Fall, wenn ein Hirninfarkt zu dauerhaften Sehstörungen geführt hat.

Lava
22.09.2022, 11:41
Wie ist das bei so psychogenen Sachen? Ich hatte mal eine junge Frau, die synkopiert ist und dabei einen Krampfanfall hatte, als ich bei ihrem Freund Blut abgenommen habe. Hätte die ein Fahrverbot bekommen sollen? Wir hatten das eigentlich als "konvulsive Synkope" bezeichnet ohne weitere Konsequenz.

abcd
22.09.2022, 11:44
@Anne
Es gibt ein Positionspapier zu Fahreignung bei Hirngefäßerkrankungen (https, .dgnr.de/images/pdf/181109_Positionspapier_Fahreignung_bei_Hirngefaess erkrankungen.pdf). Herausgeber Deutsche Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung (DGNB),
Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC), Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR), Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP). Vaskulitiden, Kavernome, AVM, etc. werden auch berücksichtigt.
Hier wird die Fahreignung auch von der Ursache des Hirninfarktes abhängig gemacht. Teilweise dann nur 1 Monat, aber auch 6 Monate. Zusammenfassung und tabellarische Übersicht ab Seite 31.

Nefazodon
22.09.2022, 11:52
@Lava: In diesem Fall hatte die konvulsive Synkope ja einen klaren Auslöser, der nichts mit Autofahren zu tun hat.
Daher hätte ich in diesem Fall vermutlich kein Fahrverbot ausgesprochen.

Ob man ein Fahrverbot aussprechen muss hängt immer maßgeblich vom konkreten Wiederholungsrisiko beim Fahren ab. Das würde ich in diesem Fall als sehr gering einschätzen.

Vorsicht: Das gilt selbstverständlich nicht für alle Synkopen. In anders gelagerten Fällen kann die Feststellung einer Fahruntüchtigkeit notwendig sein.

Unbenommen davon, dass ein "Fahrverbot" manchmal angezeigt ist, muss man immer auch bedenken, dass es einige Leute vor große Herausforderungen stellt, drei oder sechs Monate nicht mehr Fahren zu dürfen. Mit teils auch wirtschaftlichen Konsequenzen. Ein Fahrverbot sollte man deshalb nie leichtfertig aussprechen. Daher würde ich persönlich bei einer konvulsiven Synkope mit klarem aversiven Reiz als Auslöser, die sich unabhängig vom Autofahren ereignet hat, kein Fahrverbot aussprechen.

Disclaimer: Das ist meine persönliche Meinung, ohne Allgemeingültigkeit und explizit ohne Gewähr. Selbstverständlich muss immer der konkrete medizinische Einzelfall sorgfältig ärztlich geprüft werden- aber das versteht sich hoffentlich von selbst.;-).
Im Zweifel sollte man einen Verkehrsmediziner zu Rate ziehen

Anne1970
22.09.2022, 12:34
@Anne
Es gibt ein Positionspapier zu Fahreignung bei Hirngefäßerkrankungen (https, .dgnr.de/images/pdf/181109_Positionspapier_Fahreignung_bei_Hirngefaess erkrankungen.pdf). Herausgeber Deutsche Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung (DGNB),
Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC), Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR), Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP). Vaskulitiden, Kavernome, AVM, etc. werden auch berücksichtigt.
Hier wird die Fahreignung auch von der Ursache des Hirninfarktes abhängig gemacht. Teilweise dann nur 1 Monat, aber auch 6 Monate. Zusammenfassung und tabellarische Übersicht ab Seite 31.
Dankeschön- kenne das Papier gut :-)). Hab das auch nur nebenbei erwähnt und bin daher - da offtopic - nicht ins Detail gegangen :grins:
Ohwei, jetzt hab ich weit ins offtopic geführt. Sorry an TE.

Nefazodon
22.09.2022, 12:45
Naja, die TE hat ja ihre Antwort.


Außerdem ein spannendes Thema wie ich finde.

Anne1970
22.09.2022, 12:47
Absolut!

abcd
22.09.2022, 13:28
@Lava
Eine konvulsive Synkope ausgelöst durch das Sehen von Blut würde kein Fahrverbot nach sich ziehen, der Auslöser der Synkope sollte sich ja beim Fahren vermeiden lassen. Reflexvermittelte Synkope - nicht psychogen.

izzy17
22.09.2022, 22:19
Ui, Danke für die vielen Antworten! :)

Ja dass es da sehr viele verschiedene Merkblätter und sowas gibt hab ich auch schon gemerkt :-) aber jetzt ist es klar!

easton548
13.10.2022, 17:30
Jeder Fall ist anders, und auch der Ansatz zur Feststellung der Eignung/Ungeeignetheit ist für jede Person anders.
Es gibt professionelle medizinische Untersuchungen, bei denen die Ärzte alle Risiken für eine bestimmte Person durchsprechen. Es ist dann Sache des Einzelnen und des Arbeitgebers, zu entscheiden, ob der Beruf geeignet ist oder nicht.

Nefazodon
13.10.2022, 23:46
Jeder Fall ist anders, und auch der Ansatz zur Feststellung der Eignung/Ungeeignetheit ist für jede Person anders.
Es gibt professionelle medizinische Untersuchungen, bei denen die Ärzte alle Risiken für eine bestimmte Person durchsprechen. Es ist dann Sache des Einzelnen und des Arbeitgebers, zu entscheiden, ob der Beruf geeignet ist oder nicht.

Sorry, aber das stimmt so pauschal nicht. Es gibt durchaus Beurteilungsrichtlinien, z.B. zur Fahruntüchtigkeit.
Und selbstverständlich ist es dann eben keine Willkürentscheidung des Einzelnen oder des Arbeitgebers ob man geeignet ist oder nicht.
Der Arbeitgeber wird in der Regel (allein schon aus versicherungstechnischen Gründen) dem Votum des Arbeitsmediziners folgen ("Gegen die Eignung für den Beruf bestehen Bedenken/Keine Bedenken".)
Selbstverständlich sollte in einem Gespräch geschaut werden ob sich Arbeitsbedingungen dann anpassen lassen oder nicht, sodass eine Beschäftigung ohne Gefährdung möglich ist.
Aber so, wie Du es schreibst, ist es definitiv nicht richtig.

Ein gutes Beispiel wäre ein LKW-Fahrer, der eine Epilepsie entwickelt. Selbstverständlich kann dieser auf absehbarer Zeit nicht mehr als LKW-Fahrer arbeiten. Egal was sein Arbeitgeber dazu entscheidet.
Anderes Beispiel: Ein Berufssoldat, der mit scharfen Waffen hantiert.
Selbstverständlich liegt es in der sozialen Verantwortung der Arbeitgeber, in diesem Fall eine andere Einsatzmöglichkeit zu zu diskutieren und ggf. zu ermöglichen, aber die ursprüngliche Funktion/der ursprüngliche Beruf kann eben nicht mehr ausgeübt werden.