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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Studienplatz annehmen mit 28



lea94m
26.09.2022, 21:38
Liebe Community,

ich weiß, dass man am Ende die Entscheidung ganz alleine treffen muss, aber ich wollte hier trotzdem nochmal was posten.

Ich bin jetzt 28 und habe heute in der Tat einen Studienplatz für Medizin in Homburg bekommen und habe nun sechs Tage Zeit, mich zu immatrikulieren. Natürlich mache ich mir bereits länger Gedanken, was ich im Falle einer Zulassung machen werde, aber am Ende war es jetzt doch sehr überraschend, den Platz zu bekommen.

Trotzdem bin ich mir unsicher. Die Alternative wäre in einem Jahr den Master zu beenden und dann die Ausbildung als Psychotherapeutin anzustreben. Diese geht Vollzeit drei Jahre, aber ist ebenfalls sehr teuer. Ich habe im Moment auch keine Beziehung, sodass eine Familiengründung erstmal nicht ansteht.

Folgende Fragen stelle ich mir aber im Moment:

1) Ich habe Respekt vor dem Studium- Schaffe ich den Lernaufwand und die Veranstaltungen - Wie waren da eure Erfahrungen?

2) Mein Alter - Ich werde in 1 1/2 Jahren 30 und mache mir da natürlich im Bezug auf späten Berufseinstieg/ Familiengründung meine Gedanken. Wie war das bei euch?

3) Finanzierung - Wie habt ihr neben dem Studium die hohen Krankenkassenbeiträge/ Versicherungen gedeckt. Habt ihr einen Studienkredit bekommen/ aufgenommen? Konntet ihr nebenher immer arbeiten?

3) Langfristige Vorsorge/ Rente - Das Gehalt wäre langfristig gesehen natürlich deutlich höher als das einer Psychotherapeutin. Gerade wenn mir ja schon einige Rentenpunkte wegen dem späten Berufseinstieg fehlen, könnte deshalb der Gehaltsunterschied schon entlasten. Gerade weil die Ausbildung ja auch echt teuer ist.

4) Altersunterschied zu den Kommilitonen - Ich glaube, ich würde mich nie ganz zugehörig fühlen. Man steht nunmal an unterschiedlichen Punkten im Leben und ich befürchte, vielleicht immer das Gefühl zu haben, "hinterherzuhängen". Auch wenn es natürlich an mir liegt, wie ich damit umgehe.

5) Begeisterung für die Medizin - Ich wollte immer was im Bereich Gesundheit machen. Aber ich bin auch desillusioniert von den vielen negativen Berichten sowie einem Pflegepraktikum. Trotzdem ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich die Vorstellung, Ärztin zu sein, vielleicht auch romantisiere. Aber ich glaube, dass mir der direkte Patientenkontakt wirklich sehr liegen würde und es ist sicher die stärkste Motivation, Medizin nochmal zu studieren.

6) Ich bilde mir ein, dass ich in meinem Alter langsam verstehe, dass das Medizinstudium nicht automatisch ein ganz neues Leben bedeutet und nicht automatisch "alles besser wird". Aber ich habe doch die Hoffnung, dass ich als Ärztin ein Gefühl habe, einer sinnenhaften Tätigkeit nachzugehen, auch wenn der Job ohne Zweifel sehr anstrengend ist.

Kurzum- Was waren eure Erfahrungen? Wie geht es euch heute? Würdet ihr es nochmal machen?

Ganz herzlichen Dank schon mal!:)

Feuerblick
26.09.2022, 21:54
Viele deiner Fragen wirst du in diesem Unterforum beantwortet finden. Lies doch mal quer. :-)

mbs
27.09.2022, 01:30
Ob du es schaffen "kannst" weißt du hundertprozentig erst hinterher. Kognitiv auf jeden Fall - ein Medizinstudium ist ein Fleißstudium. Ob du die Zeit und die Kraft dafür aufbringen kannst und willst, und das über den gesamten Zeitraum hinweg, auch das wirst du erst wissen wenn du es machst.

Wenn du einen Platz hast kannst du den ja erstmal annehmen; du kannst deine Entscheidung jederzeit revidieren theoretisch. Solltest du doch lieber einen Master machen wollen dann wäre das was du bisher gemacht hast ja nicht "weg" und du müsstest nicht bei null anfangen, würdest einen Weg finden den weiterzumachen.

Es gibt auch so viele Dinge, Rahmenbedingungen, Ereignisse die es unmöglich ist vorherzusagen, die aber über wichtige Wendungen im Leben bestimmen können. Auch in Bezug auf deine Familienfrage. Gibt es in der Stadt in der du lebst ein gutes Betreuungsangebot? Angehörige die dich unterstützen? Garantiert? Letztlich ist nur sicher, dass nichts im Leben sicher ist.

Hatte übrigens mehrere "ältere" Kommilitonen, in meiner letzten Examensgruppe war eine die war fast fünfzig, hat problemlos eine Stelle bekommen für ihre Klinikzeit, hätte sogar an eine Uni in die Innere Medizin gehen können. Im Umgang mit anderen Studenten und Kollegen zählt wie du bist, nicht wie alt. Man kann direkt nach dem Abi mit dem Studium anfangen, mit Mitte zwanzig fertig sein und dennoch ständig Probleme mit sozialen Interaktionen jeglicher Form haben. Später in der Klinik erfolglos sein, sich oft umentscheiden, und ewig bis zu einem Facharzt brauchen. Dann relativiert sich vieles. Man merkt irgendwann, dass das von dem man dachte dass es entscheidend sei im Grunde absolut unwichtig ist.

Entscheidend ist, was du willst. Wenn du keine Pro-Kontra-Liste machst. Hast du ein Gefühl, eine Intuition welche Entscheidung "sich richtig anfühlt"?

Chriman
27.09.2022, 09:38
zu 4.)

Ich habe selber mit 31 gestartet und Ende des Jahres mit dem Studium fertig. Ich hatte wirklich nie das Gefühl nicht dazu zu gehören, man muss sich ja auch nicht selbst in diese "oldy Ecke" stellen.
Mein Kreis an Kommilitonen mit denen ich so abhing war bunt gemixt, von ebenfalls älteren Wartesemestlern über 18 jährige Abiturienten war da alles dabei.
Insgesamt ist ja das Medizinstudium oftmals ein Fach für "Spätberufene" und zu Zeiten der Wartesemesterregelung waren ja per definitionem 20% der Studenten 25 Jahre oder älter...

Alpha664
27.09.2022, 16:46
Zu 1) Schaffen kann man alles, aber das Studium ist schon sehr arbeitsintensiv, insbesondere die ersten Semester fände ich heftig

Zur Finanzierung: ich habe einen KfW Studienkredit aufgenommen und noch einige Semester bei den Eltern gewohnt. Vor dem Physikum nebenbei zu arbeiten hätte ich ohne Einbußen (Durchgefallen Klausuren etc.) nicht geschafft. Kenne aber Leute die auch das irgendwie gewuppt haben.

Das mit der Romantisierung sehe ich genauso. Rückblickend würde ich nicht nochmal Medizin studieren. Nicht weil ich nicht auch das "Helfen" schön finde, sondern weil es den Aufwand (Studium, je nach Fachrichtung heftige Arbeitsbedingungen, viele Nachtdienste) nicht kompensiert. Wäre Psychologie nichts für dich?

davo
27.09.2022, 17:35
Zu 1: Respekt vor dem Studium brauchst du keinen zu haben. Das Medizinstudium ist nicht besonders schwer. Man muss einfach nur die nötige Zeit investieren - dann besteht man quasi garantiert. Sofern man der Versuchung widersteht, sich beim Lernen in endlosen unsinnigen Details zu verheddern.

Zu 2: Viele Kommilitonen, auch jüngere, haben während des Studiums Kinder bekommen. Schwerer als als Assistenzärztin ist es während des Studiums sicher nicht.

Zu 4: Das liegt tatsächlich zu 100% an dir. Wenn du mit dieser Einstellung ins Studium gehst, wirst du dich auch so fühlen. Wenn du hingegen vorurteilsfrei auf deine Kommilitonen zugehst, wirst du sicher viele gute Freunde finden.

Zu 3b, 5 und 6: Was genau ist da jetzt deine Frage?

Ich würde es nochmal machen, ja. Das Studium war keine große Herausforderung und der Arbeitsalltag ist spannend. Man merkt sehr direkt die Folgen des eigenen Tuns, und man spürt auch oft viel Dankbarkeit.

P.S.: Ich möchte unbedingt betonen, dass Psychotherapeut eine völlig andere Art von Job ist. Du sitzt (in der Regel) mit einer einzigen Person im Raum, völlig ohne Störfaktoren, konzentrierst dich nur auf diese Person. Du bist extrem nah an ihrer Psyche, an ihrem Denken, an ihren Sorgen und Problemen dran. Trotz Supervision usw. ist es letztlich ein Job für Einzelkämpfer. Als Arzt hingegen sind deine Kontakte zu den Patienten viel oberflächlicher, aber auch viel vielschichtiger, und selbst als Psychiater bist du die meiste Zeit viel weniger nah am Patienten dran. Teamwork ist viel wichtiger. Es gibt ständig Störfaktoren/Ablenkungen. Usw.

morgoth
27.09.2022, 19:10
Um das aufzugreifen:
Wenn für dich der direkte Patientenkontakt das Wichtigste ist, müsstest du halt deinen späteren Facharzt/Arbeitsplatz schon recht „passgenau“ schneidern.
Klar, es gibt auch noch die Hausärzte, die wöchentlich je eine volle Stunde mit Oma Müller sprechen - aber ich habe jetzt seit etwa 15 Jahren im Gesundheitswesen zu tun, und die „ärztlichen“ Aufgaben verlagern sich doch immer mehr vom Patienten weg, hin zu irgendwelchen Geräten (PC, Fax, Telefon, Kopierer, …) und je nach Fach „Besprechungen“ aller Art.
Auch bei Angehörigen dauern ärztliche Visiten oftmals im (deutlich) einstelligen Minutenbereich.

Ich würde die Entscheidung vor diesem Hintergrund noch einmal durchdenken - um zu vermeiden, dass du 13 Jahre später (Studium+Facharztweiterbildung) feststellst, dass du als Psychotherapeut vermutlich doch mehr menschlichen Kontakt gehabt hättest.

Es gibt auch die Konstrukte ärztlicher Psychotherapeut sowie (möglicherweise in Leitungsfunktion) approbierter Arzt mit Psychologieabschluss - aber ganz ehrlich so toll sind die finanziellen (Zusatz-)gewinne dann doch nicht. Der Radiologe steckt das alles locker in die Tasche.

Ein 08/15 Arzt verdient mehr als ein Psychotherapeut, hat dafür aber andere Arbeitsbedingungen, zumindest bis zum Niveau „Ich habe meine eigene gut laufende Praxis.“ Und auch da (ich habe keine Praxiserfahrung) liest und hört man doch auch immer wieder von zumindest wöchentlichen Sprechstunden bis 19/20 Uhr usw.

Loreleye
27.09.2022, 21:06
Vielleicht kannst du zumindest für ein paar Tage irgendwo hospitieren, wo du dir die spätere Arbeit vorstellen kannst?

Ich habe mein Studium auch komplett selbst finanziert, es gab sogar zeitweise Studiengebühren. Ich habe immer nebenbei gearbeitet, McDonalds, Schlaflabor, Eisdiele, später Studijobs, es fand sich immer irgendwas. Habe am Ende gute Noten in der Regelstudienzeit bekommen können. Was mir gut geholfen hat, im Vorfeld die Bücher über Lerntechniken durchzulesen, es gibt aktuell bestimmt auch gute Youtube Videos dazu. Weil ich eben nur kurze Zeit zum Lernen hatte, es musste effektiv gestaltet werden. Am Ende bin ich sogar mit dem gut finanziellen Puffer ins Arbeitsleben gestartet.

Falls sich die Gelegenheit ergibt und du einen Familienwunsch hast, würde ich es nicht auf die lange Bank schieben. Das Studium wirst du schaffen, auch wenn man eventuell es kurz unterbricht. Es gibt gute Kitas von den Unis, meine Kommilitoninnen haben es auch gut geschafft, eine hat nur wegen der Anatomie ein Semester. ausgesetzt. Examen und Facharzt laufen dir nicht weg, du kannst danach noch ewig arbeiten. Mit dem Kinderwunsch kann es jedoch schwieriger mit der Zeit werden.

easton548
15.10.2022, 10:53
Es ist sehr schwierig, diese Frage genau zu beantworten, da jede Person für eine andere Lösung geeignet ist. Aber ich bin mir sicher, dass es immer besser ist, zu versuchen, es mit Sicherheit herauszufinden, als aufgrund von Zweifeln unentschlossen zu sein. Schließlich kann man das Ganze immer wiederholen, wenn es wirklich schwierig wird.

lea94m
15.10.2022, 13:30
Erstmal ganz herzlichen Dank für eure tollen Antworten! Ihr habt vollkommen recht, am Ende muss das jeder selber Entscheiden und garantiert ist im Leben wirklich wohl nichts:-) Trotzdem hilft es sehr, die Ideen von anderen zu hören, die in einer ähnlichen Situation waren. Vielen Dank dafür!