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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Promotionszahlen in der Medizin



Bonnerin
04.12.2022, 11:31
Hallo zusammen, nachdem sich das Ganze bei mir jetzt endlich dem Ende entgegen neigt (und ich eigentlich eher fürs Nebenfach lernen sollte...) bin ich bei Gesprächen so ein bisschen über die Promotionszahlen in Deutschland gestolpert.

Subjektiv ist es in den Kliniken (und Praxen) so gewesen, dass im Regelfall (fast) alle älteren Personen promoviert waren, von den Jüngeren aber eine vergleichsweise geringere Zahl.

Auch im Freundes- und Bekanntenkreis sieht es ähnlich aus. Eine Freundin ist fertig, ein paar Bekannte auch bzw. sind in den letzten Zügen. Aber ein Projekt angefangen haben im Studium deutlich mehr Personen. Gespräche mit Kolleg:innen zeichnen das gleiche Bild.

Bezüglich aktueller Zahlen sieht es aber etwas mau aus.
- von 2009/2010 habe ich diese beiden Literaturstellen gefunden, in denen jeweils von einer Promotionsquote im Bereich von 80% die Rede ist:
https://www.sueddeutsche.de/karriere/medizinstudium-und-promotion-dr-med-duennbrettbohrer-1.120817
U. Beisiegel: Promovieren in der Medizin. Die Position des Wissenschaftsrates. In: Forschung & Lehre 7/09, 2009, S. 491

- CHE hat 2019 den Zeitraum zwischen 2015-2017 betrachtet: https://www.che.de/2019/biologie-hat-die-hoechste-promotionsquote-aller-faecher/
Da liegt die Medizin zwar in Absolutzahlen vorne, aber prozentual sind wir bei 63,3%

- DESTATIS hat zwar Daten aus 2020, aber https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/Publikationen/Downloads-Hochschulen/promovierendenstatistik-5213501207004.html Auf Seite 42 wird auch die Promotionsdauer aufgeschlüsselt. Da werden u.a. auch Personen mit Promotionsdauer >10 Jahren aufgelistet. Ob und inwiefern das dann zu einem erfolgreichen Ende kommt?

Generel lässt sich sagen: bei Weitem nicht mehr jede:r promoviert. Die Tendenz sinkt ab. Subjektiv würde ich sagen, dass wir bei der nächsten Statistik die 63,3% noch weiter unterbieten werden.

Gründe? Vermutlich vielfältig:
Ein Teil wird sicher sein, dass die Qualitätsansprüche an medizinische Doktorarbeiten in den letzten Jahren gestiegen sind (was an sich sehr positiv zu bewerten ist). Dadurch existieren die vielbeschworenen "Sechs-Monats-Doktorarbeiten" in der Medizin längst nicht mehr.
Die Betreuungsqualität schwankt stark, sodass eben auch viele eine bzw. die Arbeit abbrechen. Eventuell reicht einem das auch einfach, man will es sich nicht nochmal antun.
Man hat schlichtweg keine Zeit mehr - sei es eine unvollständige Datensammlung oder das bekannte "Ich muss ja nur noch schreiben..." - die Doktorarbeit muss hinter Privatleben und dem Alltag in Klinik/Praxis zurückstecken.
Dazu kommt, dass es für die reguläre Arbeit als WBA bzw. FA inzwischen eigentlich keine Rolle mehr spielt, ob man promoviert ist oder nicht. Einzig an der Uni (WissZeitVG) spielt eine Promotion zumindest teilweise eine Rolle.

Wie sieht es bei Euch im Umfeld aus? Fallen euch noch mehr Gründe ein? Was sagt ihr zu der Entwicklung?

Nefazodon
04.12.2022, 14:22
Ich finde das Thema auch sehr interessant.

Ich hatte vor einiger Zeit gezielt nach einer Stelle gesucht, auf der ich relativ spät im Berufsleben noch promovieren kann und ich war relativ enttäuscht von den Angeboten. Zwar steht gefühlt in 3/4 der Stellenanzeigen, dass die Möglichkeit zur Promotion besteht, wenn man aber konkret nachfragt, wird es teilweise sehr dünn.
Zumindest an ein Bewerbungsgespräch kann ich mich erinnern, bei dem genau der Punkt, der oben angesprochen wurde, ins Feld geführt wurde: Die Ansprüche an eine Promotion hätten in den letzten Jahren stark angezogen, sodass es schwierig wäre (als Chef mit Prof.-Titel einer Abteilung in einem Maximalversorger) noch externe Promotionsprojekte realistisch anzumelden. Keine Ahnung in wieweit das stimmt, aber es klingt für mich plausibel.

Ich denke, die Promotionsbedingungen haben sich in den letzten Jahren deutlich geändert bzw. ändern sich gerade noch. Gleichzeitig findet in der Medizin immer mehr Arbeitsverdichtung statt und die Arbeitsbedingungen in der Klinik verschlechtern sich (gefühlt) massiv.
Das führt dazu, dass vielen einfach die Zeit fehlt, eine Promotion noch nach dem Studium abzuschließen. Gleichzeitig sinkt auch die Kosten-Nutzen-Relation.
In der heutigen Zeit kann man, aufgrund des Ärztemangels, eben auch ohne Doktortitel Oberarzt werden oder in die eigene Praxis gehen (und wird trotzdem genug Patienten haben).

Edit: Ich hab in einem Infoseminar zum Thema Promotion gehört, dass 2 von 3 Promotionen abgebrochen werden, und dass viele erfolgreiche Promovenden daher mehr als einen Anlauf brauchen. Grund ist vielfach die schlechte Betreuungssituation. Keine Ahnung, ob das stimmt, aber es würde sich ja zumindest teilweise mit den Erfahrungen von Bonnerin decken und wäre ein zusätzlicher Grund für weniger Promotionen in der Medizin.

Daher halte ich die Quote von 50-60% promovierter Ärzte für durchaus realistisch, auch für die Zukunft.
Was ich mir aber auch vorstellen kann ist, dass es in Zukunft ein Berufsdoktorat geben wird, wie es schon in einigen anderen Ländern üblich ist.
Das wiederum würde die Titelsituation natürlich fundamental verändern und wir hätten wieder eine Quote von 100% Absolventen mit Titel (die Qualität die da dann drin steckt, ist natürlich wieder ein anderes Thema). Möglich wäre aber dann auch, dass es ein Berufsdoktorat und ein Forschungsdoktorat gäbe, für die, die wirklich wissenschaftlich arbeiten wollen.
Auch hier sind erste Trends zu beobachten: z.B. gibt es an einigen Universitäten naturwissenschaftliche Parallelstudiengänge zum Medizinstudium.

Edit 2:

- CHE hat 2019 den Zeitraum zwischen 2015-2017 betrachtet: https://www.che.de/2019/biologie-hat...aller-faecher/
Da liegt die Medizin zwar in Absolutzahlen vorne, aber prozentual sind wir bei 63,3%

- DESTATIS hat zwar Daten aus 2020, aber https://www.destatis.de/DE/Themen/Ge...501207004.html Auf Seite 42 wird auch die Promotionsdauer aufgeschlüsselt.
Gibt es zu den Zahlen von DESTATIS eigentlich auch Prozentangaben, welchen Anteil die Promovierenden an allen Absolventen ihres Faches ausmachen? Habe beim Überfliegen der Tabellen diese Angabe nicht gefunden, fände das aber interessant, analog zu den Daten vom CHE, die sich aber ja nicht auf 2020 beziehen.

davo
04.12.2022, 18:14
Naja, eine richtige Doktorarbeit ist halt eigentlich ein Vollzeitjob, der bei entsprechender Qualität allermindestens ein Jahr in Anspruch nimmt. Das ist den meisten Medizinstudenten schlicht und einfach zu mühsam - beruflich bringt einem Titel wenig, also wozu sich die Mühe machen. Die meisten Medizinstudenten haben kein wirkliches Interesse an wissenschaftlicher Arbeit. Und als Arzt hat man dann die Zeit nicht mehr. Dass die Unis Angst vor Konsequenzen haben, wenn weiter zu oft zu simple Doktorarbeiten akzeptiert werden, und deshalb die Standards stark gestiegen sind, ist sicher mit ein Grund, aber es gibt eben auch andere wichtige Gründe.

In meinem Umfeld sind bisher (drei Jahre nach Studienende) erstaunlich wenige fertiggeworden.

Bonnerin
04.12.2022, 19:28
Edit 2:

Gibt es zu den Zahlen von DESTATIS eigentlich auch Prozentangaben, welchen Anteil die Promovierenden an allen Absolventen ihres Faches ausmachen? Habe beim Überfliegen der Tabellen diese Angabe nicht gefunden, fände das aber interessant, analog zu den Daten vom CHE, die sich aber ja nicht auf 2020 beziehen.

Leider nicht. Oder zumindest habe ich keine gefunden. Es hat mich auch geärgert, da selbst die Dauer der Promotion keinen genauen Rückschluss auf den Jahrgang zulässt.

@davo: Das ist schon klar - letztlich sollte ja auch in der Medizin immer eine Veröffentlichung der Ergebnisse in einem journal das Optimum sein. Viele Arbeiten werden ja weiterhin nie von weiteren Menschen gelesen.

Aber euer subjektives Bild scheint sich ja größtenteils mit meiner Erfahrung zu decken - es sind doch eher wenige promovierte Personen.