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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Grundsatzfrage medizinische Fachgutachten



Sealwolf
09.12.2022, 10:30
Hallo Foristen!
Ich bin seit der FA-Prüfung nun zum zweiten Mal mit einer gerichtlichen Anfrage zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens konfrontiert und habe eine ganz grundsätzliche Frage, wie Ihr das macht bzw. machen würdet. Das Schema der richterlichen Fragen (ging beide Male um Kunstfehler...) ist immer so: Patient (bzw. seine Angehörigen) beschreiben, wie sie die Behandlung (angeblich) erlebt haben. Sagen wir mal, dabei wurden wichtige anamnestische Fragen (angeblich) nicht gestellt. Arzt (bzw. Krankenhaus) stellt die Sache aber (logischerweise) ganz anders dar; so steht dann z.B. im Entlassungsbrief dokumentiert, dass eben jene Fragen geklärt worden seien. Es steht Aussage gegen Aussage. Die Frage des Richters ist nun platt: "Wurde ein Kunstfehler begangen? Wenn ja: Wie schwer?". Das kann ich doch gar nicht beantworten, wenn ich den realen Vorgang nicht kenne. Würdet Ihr dann beide Möglichkeiten darstellen (von wegen: wenn Anamnese so, wie vom Pat. behauptet, war es ein Kunstfehler; wenn der Arztbrief korrekt ist, nicht)? Oder geht man (muss man ja eigentlich) davon aus, dass die ärztliche Dokumentation stimmt? Ich habe den starken Eindruck, dass der Richter keine Lust auf Laber-Rhabarber hat; Beweise abzuwägen ist ja auch nicht meine Aufgabe. Der will einfache und klare antworten.
Konnte ich mich einigermaßen verständlich machen und was denkt Ihr?
Danke, Gruß und schönes Wochenende!
S.

Feuerblick
09.12.2022, 12:02
Ich stelle einfach dar, was ich den Akten entnehmen kann und schlussfolgere allenfalls, dass die von den Klägern bemängelten Fragen gemäß ärztlicher Dokumentation gestellt/geklärt wurden. Oder dass über die eingetretene Komplikation gemäß Aufklärungsbogen aufgeklärt wurde und die Behandlung lege artis verlaufen ist.
Manche schreiben als maximale Wertung, dass sie den Unterlagen aus medizinischer Sicht keinen Behandlungsfehler entnehmen können.

Die Wertung der Dinge ist Sache des Richters. Da kann er sich auch nicht drücken. Und ob er Laberhabarber will oder nicht - mehr als darstellen kann man so etwas nicht. Will er’s genauer wissen, muss er halt präzise Fragen stellen. :-meinung

morgoth
09.12.2022, 13:17
Bei diesen Dingen muss man (versuchen), zwischen Schilderungen/Erzählungen und objektiven Befunden zu trennen.
Das ist aber oft schwierig - in den "psychischen" Fächern ist das oft an der Tagesordnung (geschilderte vs. objektivierbare Beschwerden, Befinden vs. Befund).
Ich würde selten eine Diagnose stellen, und schon gar keine Gutachtenfrage lediglich aufgrund von Patientenschilderungen beantworten. Mindestens sollte eine Konsistenzprüfung erfolgen, siehe auch Feuerblicks Antwort; wenn der Patient behauptet "keine Aufklärung", aber in der Akte findet sich ein entsprechender Eintrag, ist das nicht konsistent.

rafiki
09.12.2022, 14:40
Man könnte dem Gericht darüberhinaus die Empfehlung der Einholung eines psychologisch-forensischen Glaubwürdigkeitsgutachtens beider Parteien geben.;-)

Sealwolf
09.12.2022, 15:31
Danke für Eure Inputs! Ich find`s schwierig und werde den Eindruck nicht los, dass der Richter mit den Gutachten den Schwarzen Peter ein wenig weiterreicht. Denn auf irgendwelche Fakten muss ich mich ja stützen; was aber wenn die strittig sind? Das kommt mir vor wie: Person A schaut aus dem Fenster und sagt "es regnet". Person B schaut raus und sagt "Die Sonne scheint". Jetzt soll ich, z.B. aufgrund meiner Qualifikation als Meterologe sagen wie das Wetter ist.
Wenn ich mich nur auf die ärztliche Dokumentation stütze, kommt mir das auch ungerecht vor; so könnte ja jeder beliebige Fehler durch eine entsprechende Doku ausgewetzt werden.

Man hat ja auch nicht unerhebliche Macht als Gutachter; im letzten Fall ging`s um eine hohe sechsstellige Summe; ich könnte mir vorstellen dass das Gericht doch einen argen Sog hat meinem Rat dann auch zu folgen...

Feuerblick
09.12.2022, 15:57
Deswegen: Sachverhalt darstellen und auf die Diskrepanz zwischen Aussagen und Dokumentation hinweisen. Nicht jedes Gutachten muss mit einer eindeutigen Schlussfolgerung enden. Wenn du keine Entscheidung treffen kannst, dann ist das halt so. Dafür gibts den Herrn Richter.

PsychoFan
10.12.2022, 21:26
Aktenlage zusammenfassen. Darauf hinweisen, dass die Frage des Gerichts sich nicht endgültig beantworten lässt. Rechnung stellen. Der nächste bitte.

Sealwolf
12.12.2022, 16:33
So ähnlich werd ichs machen, danke! Etwas interessantes ist mir bei den beiden Fällen aufgefallen: Wenn ich ehrlich bin, entscheide ich mich nach dem ersten Durchlesen "nach Bauchgefühl", ob der Arzt nun Mist gebaut hat oder nicht. Das ist ne emotionale Entscheidung. Alles was danach kommt ist eine logische Hinleitung zu diesem Ergebnis. Geht Euch das auch so?

Züschata
12.12.2022, 17:51
So ähnlich werd ichs machen, danke! Etwas interessantes ist mir bei den beiden Fällen aufgefallen: Wenn ich ehrlich bin, entscheide ich mich nach dem ersten Durchlesen "nach Bauchgefühl", ob der Arzt nun Mist gebaut hat oder nicht. Das ist ne emotionale Entscheidung. Alles was danach kommt ist eine logische Hinleitung zu diesem Ergebnis. Geht Euch das auch so?

Auf jeden Fall! Da ist es einfach nur wichtig, sich diese Gefühle klar zu machen und zunächst professionell-neutral auf der Sachebene zu bleiben. Natürlich kann und sollte man diese auch nochmal im Gutachtenprozess reflektieren. In forensischen Gutachten (zur Beurteilung der künftigen Gefährlichkeit) gehen zu einem Drittel auch die klinische Erfahrung und damit auch eine Gefühlsebene zur Einschätzung mit ein. Es geht jedem Gutachter so, manchem mehr, manchem weniger, auch abhängig vom jeweiligen Fall. Manchmal stören dann diese Vorurteile/Gefühle/Meinungen das Resultat des Gutachtens erheblich und sind nicht verwertbar.

DerPhysicus
13.12.2022, 21:06
Nunja, selbst das Bauchgefühl sollte sich ja durch objektivierbare Argumente begründen lassen welche dann entsprechend im Gutachten dargestellt werden sollten. Zu dem geschilderten Fall: Wenn es im Aufklärungsbogen oder sonstwo nicht individualisiert und ausreichend dokumentiert wurde ist es ein Problem. Antworten auf vermeintlich wichtige anamnestische Fragen sollten ja irgendwo erwähnt werden. Ist eine ausreichende Aufklärung aus der Dokumentation nicht nachvollziehbar steht es bei mir auch so im Gutachten drin. Muss dann halt vor Gericht geklärt werden - die schriftliche Doku einer Aufklärung ist ja keine Pflicht.

Sealwolf
03.02.2023, 12:48
gelöscht