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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Wechsel in die Psychiatrie?



HELLP
19.02.2023, 18:40
Hallo zusammen,

ich arbeite seit einem guten halben Jahr in der Gynäkologie, habe die Probezeit ganz gut überstanden und das Team ist sehr nett, aber ich bin mittlerweile etwas desillusioniert und finde, dass ich insgesamt die falsche Wahl bei der Fachrichtung getroffen habe. In Famulaturen und im PJ wird man als Studierende ja im Regelfall im OP eingesetzt mit einzelnen Rotationen in die Geburtshilfe, nachdem man Station und Kreißsaal nicht eigenverantwortlich schmeißen kann, während man im OP annähernd gleichwertiger Ersatz ist, und das hat mir auch gut gefallen: Bisschen Action, neue und damit interessante Krankheitsbilder, schnelle Lernkurve beim manuellen Arbeiten. Nur hat man als Ärztin eben nicht den Luxus, tagein, tagaus seine Choreographie im OP abzufahren, sondern das Drumherum will auch getan sein.

Und hier muss ich sagen, dass mir der Umgang mit den Patientinnen in der somatischen Medizin aus ärztlicher Sicht etwas missfällt, wohingegen mir selbiges als Studierende weniger Probleme bereitete. Das Arbeitsaufkommen ist dermaßen intensiv, dass man selten die Möglichkeit hat, sich mit mehr als dem aktuell wichtigsten Problem der Patientin zu befassen, sodass von der Patientin weniger Mensch bleibt und mehr "Fall in Raum 4 mit Präeklampsie". Jedes Extra, das ich an Engagement in die nicht-somatische Patientenversorgung stecke, bspw. bei Niedergeschlagenheit, offensichtlicher Überforderung mit der neuen Rolle als Mutter, Angst vor der anstehenden Operation usw., fehlt mir bei anderen Patientinnen für die Grundversorgung ihres somatischen Problems. Könnte man natürlich in die Überstunden legen, aber diese fallen ohnehin zuhauf für anderweitiges an, zusätzlich noch 8 bis 10 Dienste im Monat.

Da will ich nun raus und mich mehr auf die Patient*innen an sich einlassen und mich mit ihnen auseinandersetzen können. Jedoch habe ich etwas Sorge, dass mich in der Psychiatrie ob des allgemeinen und dort wohl auch ganz speziellen Personalmangels das gleiche Moloch der nicht-somatischen Schmalspurversorgung erwartet und hoffe auf Input von psychiatrischen Kolleg*innen zur Entscheidungsfindung. Danke schonmal im Voraus! :-)

rafiki
19.02.2023, 19:07
Hallo zusammen,
Jedoch habe ich etwas Sorge, dass mich in der Psychiatrie ob des allgemeinen und dort wohl auch ganz speziellen Personalmangels das gleiche Moloch der nicht-somatischen Schmalspurversorgung erwartet und hoffe auf Input von psychiatrischen Kolleg*innen zur Entscheidungsfindung.

So ist es allermeist. Es bleibt kaum Zeit für eine patienten- und fachgerechte Versorgung, das war vor zwanzig Jahren durchaus noch anders, hat seitdem kontinuierlich abgenommen. Assistenzärzte werden oft nur als Pillenverschreiber, Dienstschieber und Somatischversorger gebraucht in der Psychiatrie. In der Psychosomatik sieht es etwas anders aus, wegen einer diffentierteren Finanzierung, allerdings mit dem gleichen Fachkräftemangel.

pilsatorplatin
19.02.2023, 20:35
Persönlich kann ich eine Facharzt Weiterbildung im Fach Psychosomatik empfehlen. Zumindest, was die von dir geäußerten Wünsche angeht, dürfte es Dir in der Psychosomatik besser gehen.

Obscura
20.02.2023, 17:26
Assistenzärzte werden oft nur als Pillenverschreiber, Dienstschieber und Somatischversorger gebraucht in der Psychiatrie.

In meiner eigentlichen Weiterbildung (KJP) ist das nicht der Fall - falls sich die TE die psychiatrische und psychotherapeutische (und teils auch pädagogische) Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, ihren Eltern und den übrigen Systemen (Schulen, Jugendämtern usw.) vorstellen kann -, aber ich teile diesen Eindruck aus den Diensten in der Erwachsenen(akut)psychiatrie, die hier von der KJP kapazitätsbedingt ebenfalls abgedeckt werden.

GloriaSchmidt
20.02.2023, 17:45
Puh, vielleicht hatte ich nur Glück, aber während meiner Weiterbildungszeit (Maximalversorger) in der Psychiatrie hatte ich immer genug Zeit für die Patienten und war nicht nur Pillen-Verschreiber.

In der Rotation auf Akut war es mal etwas enger, aber auf der Psychotherapie Station war halt Psychotherapie angesagt, Suchtstation war doch eher sehr entspannt und Zeit für ausgedehnte Gespräche, Psychose-Station war natürlich viel Medikamentös aber durchaus mit viel Zeit sich die richtigen Gedanken zu machen (immer plus hundert Teambeaprechungen/Supervisionen/ausgedehnteste OA-Visiten…)
Am besten war die Ambulanz mit 90min für neue Patienten und 30min für Wiedervorsteller 😍 davon kann ich in der Praxis nur träumen!
Also wenn ich in der Psych stationär eins hatte, dann war es Zeit!
(Es gab andere nervige Dinge, aber es war rückblickend Jammern auf hohem Niveau)

Reflex
20.02.2023, 18:23
Puh, vielleicht hatte ich nur Glück, aber während meiner Weiterbildungszeit (Maximalversorger) in der Psychiatrie hatte ich immer genug Zeit für die Patienten und war nicht nur Pillen-Verschreiber.

In der Rotation auf Akut war es mal etwas enger, aber auf der Psychotherapie Station war halt Psychotherapie angesagt, Suchtstation war doch eher sehr entspannt und Zeit für ausgedehnte Gespräche, Psychose-Station war natürlich viel Medikamentös aber durchaus mit viel Zeit sich die richtigen Gedanken zu machen (immer plus hundert Teambeaprechungen/Supervisionen/ausgedehnteste OA-Visiten…)
Am besten war die Ambulanz mit 90min für neue Patienten und 30min für Wiedervorsteller �� davon kann ich in der Praxis nur träumen!
Also wenn ich in der Psych stationär eins hatte, dann war es Zeit!
(Es gab andere nervige Dinge, aber es war rückblickend Jammern auf hohem Niveau)

Das war bei mir auch so. Als ich von der Neurologie in die Psychiatrie gewechselt bin, war ich erst sogar unterfordert aufgrund der vielen Zeit und den wenigen Patienten, die man ingesamt zuversorgen hatte. Aber schlussendlich bin ich genau deshalb auch geblieben, weil man einfach mal Zeit für Patienten hatte und den Fokus auf ganz andere Dinge richten konnte. Aus der Klinik weggegangen bin ich wegen der schlechten Personalführung und dem Desinteresse/Abstinenz des Weiterbildungsermächtigten für Prozessoptimierung.

GloriaSchmidt
20.02.2023, 19:19
Das war bei mir auch so. Als ich von der Neurologie in die Psychiatrie gewechselt bin, war ich erst sogar unterfordert aufgrund der vielen Zeit und den wenigen Patienten, die man ingesamt zuversorgen hatte. Aber schlussendlich bin ich genau deshalb auch geblieben, weil man einfach mal Zeit für Patienten hatte und den Fokus auf ganz andere Dinge richten konnte. Aus der Klinik weggegangen bin ich wegen der schlechten Personalführung und dem Desinteresse/Abstinenz des Weiterbildungsermächtigten für Prozessoptimierung.

Genau so! Und rein von der Arbeit her hätte ich echt für immer da bleiben können 🙈 aber daher die „Flucht“ zur Praxis. Jetzt hab ich mehr Stress, weniger Zeit pro Kopf und dafür endlich, endlich keinen Rattenschwanz mehr über mir. Und die Patienten, die da mehr Zeit brauchen, kriegen sie nun auch (allerdings zu Lasten meines Stresslevels und dem Druck des Wartezimmers 😂)