PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Quereinstieg Allgemeinmedizin aus "patientenfernem" Fach - wie geht man das an?



TaraTamm
04.03.2023, 12:34
Ich bin fast fertige Radiologin und spiele schon seit längerer Zeit mit dem Gedanken, dann als FÄ noch in die Allgemeinmedizin umzusteigen.

Gründe dafür sind, dass ich meine Zukunft definitiv im ambulanten Bereich sehe, am liebsten irgendwann als Selbstständige. Bei der Perspektive, mich für einen oft 7-stelligen Eurobetrag in eine Radiologie-Praxis einzukaufen und dann über Jahre hinweg verschuldet zu sein, ist mir aber alles andere als wohl. Angestellt in einer Radiologiepraxis arbeiten wäre eine Option, aber ich würde es bevorzugen, selbstbestimmter zu sein. Zumal die Zukunft der Radiologie nur schwer absehbar ist und man als Angestellte in einer Praxis wahrscheinlich die erste ist, die einem möglicherweise irgendwann geringeren Bedarf an Radiologen zum Opfer fallen würde. Die Allgemeinmedizin erscheint mir da sicherer und tendentiell auch familienfreundlicher.

Allgemeinmedizin könnte ich mir auch vom Berufsbild her gut vorstellen. Ich arbeite gerne direkt am Patienten, habe viel Erfahrung im Ultraschall und war als Radiologin natürlich immer auch in gewisser Weise an der Diagnostik von Notfällen beteiligt. Und ich denke auch die übrige Erfahrung aus der Bildgebung (zB. klassische orthopädische Leiden im MRT, Rotatorenmanschette usw, bildgebende Diagnostik und Verläufe bei PAVK etc) ist in der Hausarztpraxis vielleicht nicht komplett verkehrt.

Aber mir fehlen natürlich haufenweise wichtige Grundlagen der Allgemeinmedizin. Ich habe nie einen Bluthochdruck eingestellt, ich habe keine Ahnung, was zu tun ist, wenn ein Patient mit Ohrenschmerzen oder einem geschwollenen Auge kommt, ich kenne mich kaum bis gar nicht mit Wechselwirkungen von Medikamenten aus, ich kenne in der Wundversorgung nur rudimentäre Grundlagen etc pp.

Ich wohne in Hessen, d.h. ich könnte theoretisch wenn ich das richtig verstehe nach 2 Jahren in einer Hausarztpraxis und dem 80h Kurs psychosomatische Grundversorgung die Facharztprüfung zur Allgemeinmedizinerin machen (wenn mich denn als Radiologin überhaupt eine Hausarztpraxis nimmt).

Ich frage mich nur auch, wie sinnvoll das ist, bzw. was ein sinnvoller Weg wäre, um nicht nur den Titel als FÄ, sondern auch einen guten fachlichen Kenntnisstand zu erreichen. Vielleicht doch erst eine Zeit lang stationär in die innere Medizin? Oder erst ein anderes Fach stationär? Oder doch gleich (nach theoretischer Vorbereitung mit Büchern) den Schritt in die Praxis versuchen und dann ggf. als Fachärztin erstmal noch angestellt weitere Erfahrungen sammeln?

Vielleicht hat hier jemand den schritt aus einem ebenfalls eher patientenfernen Fach in die Allgemeinmedizin gewagt und kann seine Erfahrungen schildern und ein paar Tipps für den Einstieg geben? Natürlich sind auch Tipps von angehenden und fertigen Allgemeinmedizinern ohne Quereinstieg sehr willkommen!

Vielen Dank!

Minga30
05.03.2023, 08:58
Hey ich hab mich vor ein paar Monaten für den Quereinstieg Allgemeinmedizin entschieden und komme auch selbst aus der Radiologie :)

Generell ist es glaube ich schwierig zu beantworten wie schnell man die "Basics" erlernt. Außerdem glaube ich inzwischen auch dass eine gute Basis in der Inneren super wichtig ist. Ich habe gerade das Glück eine gute Weiterbildungsstelle bei mehreren Internist*innen und Allgemeinmediziner*innen bekommen zu haben und die schließen mit mir gemeinsam so manche Lücke.

Frage mich gerne alles was du magst :)

TaraTamm
05.03.2023, 12:02
Hey ich hab mich vor ein paar Monaten für den Quereinstieg Allgemeinmedizin entschieden und komme auch selbst aus der Radiologie :)

Generell ist es glaube ich schwierig zu beantworten wie schnell man die "Basics" erlernt. Außerdem glaube ich inzwischen auch dass eine gute Basis in der Inneren super wichtig ist. Ich habe gerade das Glück eine gute Weiterbildungsstelle bei mehreren Internist*innen und Allgemeinmediziner*innen bekommen zu haben und die schließen mit mir gemeinsam so manche Lücke.

Frage mich gerne alles was du magst :)

Vielen Dank für die Antwort! Habe dir eine private Nachricht geschrieben, ich hoffe sie ist angekommen.

Relaxometrie
05.03.2023, 12:28
Wahrscheinlich würde nicht nur ich mich freuen, wenn Ihr einen gewissen Teil der Kommunikation öffentlich und nicht nur per PN führen würdet. Der Wechsel zur Allgemeinmedizin, und was es darüber zu sagen gibt, ist ja für viele andere Kollegen auch interessant.

anignu
05.03.2023, 15:12
Wobei TaraTamm die Probleme ja eh schon gut anreißt: dass man in einem patientenfernen Fach halt einfach mal ungefähr null Gefühl dafür hat wie man Blutdruckeinstellungen macht und wie man reagiert wenn Patienten mit irgendwelchen diversen Problemen "Ohrenschmerzen", "Rückenschmerzen" etc. kommt.
Denn das was der Radiologe macht und tut: vorgefiltertes Patientengut sehen, isolierte Untersuchungen mit mehr oder weniger klarer Fragestellung durchführen und beantworten aber häufig nicht die Therapie entscheiden oder durchführen, den weiteren Verlauf auch oft nur so halb mitbekommen... all das hat halt mit Allgemeinmedizin nichts zu tun.

Und worin liegt nun der Trick? Man muss es halt lernen. Minga30 hat da doch eh schon das Wichtigste geschrieben: es hilft eine gute Weiterbildungsstelle. Und wenn man es auch formal innerhalb von 2 Jahren schaffen kann Facharzt für Allgemeinmedizin zu werden, würde ich persönlich noch den Tipp geben dass man in dem Fall sich nicht sofort und ganz alleine niederlässt...

NucleicAcid
05.03.2023, 16:03
Aber wären es dann nicht noch 3 Jahre? Man kommt doch nicht um das stationäre Jahr Innere herum, oder? Plus dann noch die 2 Jahre in der Praxis....

Feuerblick
05.03.2023, 16:07
Doch, z.B. in Hessen brauchst du als quereinsteigender Facharzt nur noch zwei Jahre Allgemeinmedizin in einer WB-Praxis.

NucleicAcid
05.03.2023, 16:14
Doch, z.B. in Hessen brauchst du als quereinsteigender Facharzt nur noch zwei Jahre Allgemeinmedizin in einer WB-Praxis.

Gut zu wissen - aber der erste Facharzt muss dann schon abgeschlossen sein, oder?

Feuerblick
05.03.2023, 16:33
Ja, Facharzt muss man halt sein dafür. Dann geht das.

Züschata
05.03.2023, 17:51
Doch, z.B. in Hessen brauchst du als quereinsteigender Facharzt nur noch zwei Jahre Allgemeinmedizin in einer WB-Praxis.

Gilt das für jeden Facharzt? Das ist ja ein Witz.

Feuerblick
05.03.2023, 17:52
Keine Ahnung, ich hab nicht in die WBO geschaut. Ich weiß es, weil zwei Kollegen das in den letzten Jahren so gemacht haben (1x FA Chirurgie, 1x FA Anästhesie).

JJ*
05.03.2023, 19:31
Laut der Website (https://www.allgemeinmedizinhessen.de/aerzte-in-weiterbildung/ablauf) der KV Hessen reicht jeder FA in Gebieten der unmittelbaren Patientenversorgung, welche da wären:


Anästhesiologie
Arbeitsmedizin
Augenheilkunde
Chirurgie
Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Hals-Nasen-Ohrenheilkunde
Haut- und Geschlechtskrankheiten
Humangenetik
Innere Medizin
Kinder- und Jugendmedizin
Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie
Neurochirurgie, Neurologie
Nuklearmedizin
Öffentliches Gesundheitswesen
Phoniatrie und Pädaudiologie
Physikalische und Rehabilitative Medizin
Psychiatrie und Psychotherapie
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Radiologie, Strahlentherapie
Transfusionsmedizin
Urologie
Und dann eben noch die 2 Jahre Allgemeinmedizin. War mir auch neu, dass Innere zumindest dort nicht vorgeschrieben ist.

nappy
05.03.2023, 19:37
Bei Quereinsteigeren sind es nur 2 Jahre Allgemeinmedizin. Ob das fachlich sinnvoll ist steht auf einem anderen Blatt Papier. Politisch ist es sicher der verzweifelte Versuch die Hausarztsitze zu besetzen.

Aber zurück zum Thema - ob man als Facharzt für Radiologie nochmal stationäre Inenre machen will weiß ich nicht. Wo man mit Sicherheit viel lernen würde wäre in einer internistischen Notaufnahme - 6 ggf. 12 Monate. Mit Ultraschall Erfahrung ist man da bestimmt gern gesehen

TaraTamm
05.03.2023, 20:10
Wobei TaraTamm die Probleme ja eh schon gut anreißt: dass man in einem patientenfernen Fach halt einfach mal ungefähr null Gefühl dafür hat wie man Blutdruckeinstellungen macht und wie man reagiert wenn Patienten mit irgendwelchen diversen Problemen "Ohrenschmerzen", "Rückenschmerzen" etc. kommt.
Denn das was

Wobei ich mich bei Ohrenschmerzen oder Rückenschmerzen frage: wie lernt man das, außer in der Praxis? Wenn ich jetzt noch 2 Jahre innere mache, kann ich dann einen Patienten behandeln, der ambulant mit Ohren- oder Rückenschmerzen kommt? Auf station haben wahrscheinlich viele Rückenschmerzen, die meisten vom Liegen im Krankenhausbett. Wenns sehr schlimm ist bei einer alten Dame, macht man dann vielleicht ein Röntgenbild zum Ausschluss einer osteoporotischen Fraktur und wenn die Entzündungswerte hoch sind, schließt man eine Spondylodiszitis aus? Und ansonsten gibts halt akut Schmerzmittel nach Bedarf (Novalgin, Dipi?).

Wäre jetzt meine Einschätzung, auf die Gefahr hin dass ich mich als Radiologin da jetzt völlig blamiert habe. In der Hausarztpraxis wird da doch das Patientenspektrum (Patient kommt explizit wegen der Rückenschmerzen, nicht wegen einem anderen Problem UND Rückenschmerzen), die Diagnostik und auch die Therapie anders sein. Würde ich zumindest vermuten!?

Mit Ohrenschmerzen wird man sich außerhalb der Hausarztpraxis vermutlich auch nur in der HNO näher befassen? Aber nicht jeder Allgemeinmediziner rotiert in die HNO. Der Anästhesie-Quereinsteiger hat wahrscheinlich auch noch nie eine Otitis media diagnostiziert oder behandelt.

Nicht falsch verstehen, mir ist bewusst dass ich als Radiologin sicher besonders viele klinische Defizite habe. Aber bei vielen Sachen wie eben den genannten Rücken- und Ohrschmerzen hätte ich vermutet, dass man vielleicht auch nach klinischer Tätigkeit im Krankenhaus noch ähnlich unbeholfen dasteht und man einfach die Lernzeit in der Praxis braucht?

Harvey
06.03.2023, 12:48
Allgemeinmedizin oder besser hausärztliche Versorgung lernst du am besten in der Allgemeinpraxis.

Allerdings nehmen die internistischen Erkrankungsbilder dabei einen sehr großen Raum ein, besonders bei älteren, multimorbiden Patienten, besonders auch die Einschätzung "wie krank ist der Patient vor mir derzeit" macht viel aus.
Daher ist eine Zeit in der Klinik, in der Inneren Medizin - primär Notaufnahme - schon sehr überlegenswert. Oder man geht zumindest in eine größere hausärztliche Praxis mit mehreren Kolleginnen und Kollegen, die sich für Innere Medizin auch intensiv interessieren und einem etwas beibringen. Sonographie zu können ist aber auch ein sehr schönes Ding und radiologische Diagnostik in und auswendig zu kennen ist schon was wert in der hausärztlichen Tätigkeit

Locutus001
08.03.2023, 20:11
Laut der Website (https://www.allgemeinmedizinhessen.de/aerzte-in-weiterbildung/ablauf) der KV Hessen reicht jeder FA in Gebieten der unmittelbaren Patientenversorgung, welche da wären:

Und dann eben noch die 2 Jahre Allgemeinmedizin. War mir auch neu, dass Innere zumindest dort nicht vorgeschrieben ist.

Lustig, dass Radiologie/Strahlentherapie oder Psychotherapie... oder... oder... alle dafür reichen, aber der Facharzt für Laboratoriumsmedizin nicht (klar ist nicht "patientennah") xD

Wenn man sich mal überlegt, dass ein Großteil der Diagnostik über Labordiagnostik abläuft, hat man hier oft schon ein paar ganz gute Grundsätze drin.
Der restliche Teil ist natürlich "Handarbeit" mit dem Patienten. Aber ich bezweifel, dass da einige der o.g. Fächer besser aufgestellt sind haha.

Na spannend. Aber wenn man ein paar gute InternistEN kennt und da vielleicht mal reinschauen kann (Praktikum?) ist einiges vom Studium ja vielleicht auch schnell reaktiviert.
Noch den ein oder anderen Refresher (gibt ja da einige CME Fortbildungen, auch wenn ich keine Ahnung über deren Qualität habe... (FOMF sei mal genannt... vielleicht hat ja jemand Erfahrungswerte). Und vielleicht nen Ultraschallkurs (na als Radiologe entfällt das möglicherweise sogar, da ist man ja dann schon mit sowas auch bewandert, zumindest kenne ich es so aus meinem PJ-Tertial). Und dann vielleicht noch einen Notfallmed.-Kurs für die Praxis...

Ansonsten geht es den meisten WB-Assis da ja auch nicht anders. Irgendwo in einer Klinik mit mehr oder weniger guter/schlechter Betreuung. Ggf. auch recht engem fachlichen Kenntnisstand.
Als Allg.-Med. muss man sicherlich die Erfahrung dann mit den Jahren sammeln.
Im Zweifelsfall ab und an die Kollegen fragen - vielleicht ja sogar die im Labor haha - und sonst den ein oder anderen Kollegen aus den wichtigsten Überweisungskategorien gut genug kennen um mal was zu fragen.

Ich glaube der Großteil lässt sich auch über "beobachtendes Abwarten" und "Verschieben aufs nächste Quartal" bzw. "Verschieben bis die ersten Laborbefunde zurück sind" überbrücken, sodass man etwas Zeit für die Recherche hat.

Na in jedem Fall viel Spaß und Erfolg @OP! Nach den ersten paar Schritten wird das bestimmt zum Selbstläufer!