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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ideen für einen effizienten Streik?



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Qwert1133
07.03.2023, 16:32
Liebe alle,

die weiterhin ungebrochene Dynamik in der allgemeinen Preisentwicklung gepaart mit den aus finanzieller Sicht durchweg enttäuschenden Tarifabschlüssen hat zum einem ordentlichen Reallohnverlust für die im Krankenhaus tätigen Ärzte geführt. Auch der Marburger Bund hat mittlerweile erkannt, dass durch die zu niedrigen Tarifabschlüsse die Reallohnsteigerungen der vergangenen ~12 Jahre ausgeglichen wurden. Konkret bedeutet das, dass 12 Jahre Tarifverhandlungen aus finanzieller Sicht innerhalb von 1,5 Jahren aufgehoben worden. Ohne eine wirklich gravierende Trendwende werden wir dieses Jahr bei einer erwarteten Inflation von 7.2% (Bundesbank; 12/2022) so richtig nach unten rutschen und den Anschluss an die Entgelte von Berufsgruppen in der Wirtschaft vollends verlieren.

Ungeachtet der finanziellen Situation steht es um die Arbeitsbedingungen nicht unbedingt besser: Zumindest im Freundes- und Bekanntenkreis berichten viele, dass eine manipulationsfreie elektronische Zeiterfassung weiterhin nicht gewährleistet wird, Dienstpläne werden erst extrem kurz vor Monatsbeginn freigegeben und die Regel mit den max. 2 Wochenenden mit Arbeit wird eher als Empfehlung gesehen. In meiner Klinik wird beispielsweise unter Verweis auf das Direktionsrecht massiv an der eigentlich elektronisch korrekt erfassten Arbeitszeit gespielt.

Kurz zusammengefasst erfahren wir, nachdem wir die vergangenen 3 Jahre mit zum Teil unzureichender Schutzausrüstung an vorderster Front gegen eine Jahrhundertpandemie im Einsatz waren, empfindliche Reallohnverluste und eine weiterhin fehlende Wertschätzung unserer geleisteten ärztlichen Arbeit.

Die vergangenen Tarifverhandlungen mit TDL und VKA gingen nicht mal annähernd in die richtige Richtung, so dass für eine wirkliche Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen inklusive einer leistungsgerechten Bezahlung ein Streik unausweichlich erscheint.

Das Dilemma aus meiner Sicht: Ein Streik, der auf Akutmedizin und Notfallmaßnahmen abzielt hat heftige Folgen für die individuelle Patientenversorgung und ist wahrscheinlich rechtlich schwer durchzusetzen. Wird mit ein paar Assistenten nur das Elektivprogramm bestreikt, übt das keine ernsthaften Druck auf die VKA/TDL als Verhandlungspartner aus. Dauert ein solcher Streik aufgrund von Notdienstvereinbarungen über wenige Wochen, schwindet die Unterstützung aus der Basis, da wir Assistenten durch die Weiterbildungsordnung und Pflichtrotationen in einem unheimlichen Abhängigkeitsverhältnis zur jeweiligen Klinikleitung stehen. Was uns fehlt ist der Hebel den bspw. die Beschäftigten der Lufthansa haben, wo jeder Tag Streik den Quartalsgewinn um mehrere Millionen einbrechen lässt.

Schwarmintelligenz: Wo sind die wunden Punkte der Klinikleitungen? Habt ihr Ideen, wie wir vor allem effizient streiken können, um gezielt Druck auf TDL/VKA aufzubauen?

Feuerblick
07.03.2023, 17:19
Fragt doch mal diejenigen, die den Streik in 2006 organisiert haben. Davon dürfte es ja sicher noch einige geben. :-nix

Neuroprotektiv
07.03.2023, 18:20
Mich beschäftigt auch schon länger die Frage wie wir sinnvoll streiken können, ohne die "Patientensicherheit" zu gefährden. Wir werden regelmäßig vom MCO angemahnt die Patientenakten nach Entlassung schneller ins Archiv zu schicken, damit diese abgeschlossen und abgerechnet werden können. So stünden derzeit laut MCO mehrere Millionen Euro bei uns aus.
Das wäre also vielleicht ein möglicher Angriffspunkt finanziellen Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, ohne eine Patientengefährdung zu verursachen.
Ein Kollege der sich 2006 an den Streiks beteiligte meinte er habe mit seinen Kollegen die Codierung der Eingriffe/Proceduren nicht mehr durchgeführt, auf die Weise konnte der Arbeitgeber ebenfalls nicht abrechnen, was wohl auch ein Grund für die flächendeckende Einstellung von MCOlern führte.

Nefazodon
07.03.2023, 20:18
Ein effektiver, wirksamer Streik im Gesundheitswesen ist sicherlich schwierig zu organisieren.
Das hat mehrere Gründe u.a. natürlich die Patientengefährdung, die ausgeschlossen werden muss und dann aber auch die Abhängigkeit der Ärzte in Weiterbildung vom Arbeitgeber. Man ist ja auf das Wohlwollen des Chefs was Rotationen und die spätere Unterschrift angeht angewiesen. Außerdem haben die meisten bis zum FA nur befristete Verträge, einige auch danach.

Andererseits schaffen es die Pflege hierzulande und Ärzte in anderen Gesundheitssystemen (NHS) ja auch zu streiken....ist halt immer nur die Frage, ob die Bedingungen (s.o.) vergleichbar sind.

Feuerblick
07.03.2023, 21:14
Die Ärzte in D haben durchaus auch schon einen ziemlich effektiven Streik geschafft. Nämlich 2006. Dass dabei am Ende verhältnismäßig wenig herauskam, steht auf einem anderen Blatt. Lag aber sicher nicht an der Effektivität des Streiks.

h3nni
08.03.2023, 20:03
Wie, 2006 kam wenig raus? Ich dachte, allein wegen 2006 lohnt es sich im MB zu sein, weil es damals so viel gebracht hat?

Feuerblick
08.03.2023, 20:08
Die einen sagen so, die anderen so. Fakt ist, dass der Streik als solcher funktioniert hat.

Nefazodon
09.03.2023, 11:20
Okay , jetzt mal unabhängig davon, wieviel damals erreicht wurde oder auch nicht, und um wieder näher an das ursprüngliche Topic zu kommen:

Was war denn damals, 2006, anders? Jetzt weniger bezogen auf die generelle Streikbereitschaft, sondern auf den Ablauf des Streiks?
Warum konnte damals für längere Zeit massiv gestreikt werden? Wie lief das ab?

Arrhythmie
09.03.2023, 18:27
Das würde mich auch mal interessieren.... Ich hab damals noch Abi gemacht, mein Mann studiert.....

Dooly
09.03.2023, 18:32
Spannender Thread. Habt ihr mitbekommen, dass der MB angeblich streiken will? Ja …viel Glück.
https://www.tagesspiegel.de/politik/kommunen-helios-und-asklepios-bundesweit-wollen-die-arzte-in-krankenhausern-streiken-9474656.html?fbclid=PAAaYrbT8lQGOlYZ1YLPZ3eZBKjD5b iU_ETO_z5-jlqILeKMZsddAYcDNR8Ho

JAK1
09.03.2023, 19:19
Eintägiger Warnstreik. Damit erreicht man gar nichts.

Endoplasmatisches Reticulum
09.03.2023, 19:21
Aber aber aber - oh Schreck, gerade gemerkt: Es gibt ja gar keine Streikkasse!

JAK1
09.03.2023, 19:26
Aber aber aber - oh Schreck, gerade gemerkt: Es gibt ja gar keine Streikkasse!

Ich würde einfach auf Geld verzichten. Ist mir eigentlich scheiß egal. Hauptsache es ändert sich mal was. Die Arbeitsbedingungen sind einfach untragbar. Dass sich eigentlich jeder für die Arbeit kaputt macht, das macht mich tief traurig.

Dooly
09.03.2023, 19:26
Wer, neben Tagesspiegel, ist über den Streik informiert worden?

Endoplasmatisches Reticulum
09.03.2023, 19:30
Ich würde einfach auf Geld verzichten. Ist mir eigentlich scheiß egal. Hauptsache es ändert sich mal was. Die Arbeitsbedingungen sind einfach untragbar. Dass sich eigentlich jeder für die Arbeit kaputt macht, das macht mich tief traurig.
Der Gag war, dass der Marburger Bund letztes Jahr mit der Begründung fehlender Streikrücklagen öffentlich (!) auf Twitter (!) für alle Arbeitgeber frei zu lesen (!) postuliert hat, ein Generalstreik der Ärzte sei nicht möglich, seither aber keinerlei Anstalten gemacht oder zumindest nicht kommuniziert hat, daran etwas zu ändern.

Jetzt also wieder ein eintägiger Kuschelstreik. Süß ...

JAK1
09.03.2023, 19:39
Der Gag war, dass der Marburger Bund letztes Jahr mit der Begründung fehlender Streikrücklagen öffentlich (!) auf Twitter (!) für alle Arbeitgeber frei zu lesen (!) postuliert hat, ein Generalstreik der Ärzte sei nicht möglich, seither aber keinerlei Anstalten gemacht oder zumindest nicht kommuniziert hat, daran etwas zu ändern.

Jetzt also wieder ein eintägiger Kuschelstreik. Süß ...

Ja eigentlich hätte man nach dem letzten Desaster die Streikkasse voll machen müssen.

Nefazodon
09.03.2023, 20:38
Jetzt also wieder ein eintägiger Kuschelstreik. Süß ...

Naja, ich kann verstehen, dass man erstmal mit einem eintägigen Warnstreik anfängt. Das machen ja alle so. Das ist wichtig, damit die Gegenseite einem nicht überzogene Maßnahmen vorwerfen kann.
Insofern habe ich dafür erstmal Verständnis.

Aber an den aktuellen Verhandlungen von Verdi sieht man auch, dass man bereit sein muss, die Maßnahmen zu eskalieren und längerfristig zu streiken, wenn sich die Arbeitgeberseite trotz Warnstreik nicht bewegt.
Seien wir mal ehrlich: ein eintägiger Warnstreik tut den Kliniken halt nicht wirklich weh....

Darum müsste man mal mehrere Tage streiken, wenn ein eintägiger Warnstreik zu keiner Veränderung führt!

Diese Bereitschaft zur Eskalation, die notwendig wäre, um etwas zu erreichen, sehe ich beim MB aktuell leider nicht.

kartoffelbrei
09.03.2023, 20:53
Wer, neben Tagesspiegel, ist über den Streik informiert worden?

Ich habe vom MB Niedersachsen eine Mail bekommen.

Dooly
09.03.2023, 21:11
Ah nice, stimmt, die Mitglieder bekommen eventuell Infos. Wir sind alle raus, von daher bekomm ich das nicht mit. Aus meinem Bekanntenkreis ist mittlerweile eine Person im kommunalen Haus (coole Abteilung, bin gespannt, ob das eher streikförderlich oder hinderlich sein wird), niemand bei Helios oder Asklepios.

Kandra
09.03.2023, 22:37
Wer, neben Tagesspiegel, ist über den Streik informiert worden?

Ich habe heute eine Mail bekommen