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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Berufseinstieg mit 35



drifit
11.03.2023, 20:09
Hallo, ich werde Ende des Jahres mein M3 machen und bin dann zum Berufseinstieg 35 Jahre alt. Das eigentliche Problem ist aber, dass ich für das Studium dann mehr als doppelt so lange gebraucht habe wie eigentlich vorgesehen ist. Es gab einige Gründe hierfür, aber vor allem bin ich wegen Depressionen immer wieder durch Prüfungen durchgefallen und habe so sehr viel Zeit verloren. Ich dachte auch dass ich es nicht mehr schaffe, doch dann ging es bergauf. Nun möchte ich unbedingt Pädiater werden und frage mich, ob ich überhaupt noch eine Chance habe einen Job zu bekommen? Und mich würde interessieren ob jemand Tipps hat, wie ich das ganze im Vorstellungsgespräch angehen sollte?

Ich wäre echt dankbar für euer Feedback!

mbs
11.03.2023, 23:16
Ich sehe da kein Problem, du wirst ziemlich sicher eine Stelle bekommen. Die Frage ist nur, ob man das langfristig in der Patientenversorgung will. Die Begleitumstände in dem Bereich sind unerträglich meiner Meinung nach. Aber das ist ein anderes Thema.

anignu
12.03.2023, 02:36
Die Frage ist nur, ob man das langfristig in der Patientenversorgung will. Die Begleitumstände in dem Bereich sind unerträglich meiner Meinung nach. Aber das ist ein anderes Thema.
Sagt derjenige der selbst schlechte Erfahrungen gemacht hat und aus diesem Grund unbedingt raus will aus der Patientenversorgung. Ich will aktuell unbedingt drin bleiben, weil dieses "dem Patienten tatsächlich helfen können" schon auch irgendwo extrem befriedigend ist. Ich stell mir da im Kontrast dazu Leute im Büro, einer Behörde oder wo auch immer vor, die den ganzen Tag am Computer sitzen, irgendwas eintippen oder rumwurschteln und dann um 16Uhr heim gehen. Glücklich den ganzen Tag irgendwas am PC gemacht zu haben? Dann lieber tatsächlich mit Patienten arbeiten.

Ich glaub auch dass in der aktuellen Mangellage fast jeder gute Chancen hast bzgl. Job.
Wie man das im Vorstellungsgespräch angehen soll, weiß ich nicht. Vielleicht gab es ja persönliche Gründe die man sagen kann "musste nebenbei so viel Arbeiten" oder man kann irgendwelche anderen Sachen anführen die man neben dem Studium gemacht hat warum das länger gedauert hat.

Jul4ik
12.03.2023, 07:01
Ich hatte eine Kommilitonin im PJ, die war sage und schreibe 58! Jahre alt 😃 hat in Regelstudienzeit durchgezogen ^^ ein guter Kumpel wird mit ca. 40 fertig mitm Studium sein…
Alter ist nur eine Zahl.. wenn du Bock hast, wirst du sicher eine geeignete Stelle für dich finden auch mit 35.

30+ ist ja auch kein „aussergewöhnliches“ Alter.. viele die z.B. über Wartesemester zum Studienplatz gekommen sind, sind nach dem Abschluss 31/32/33 Jahre alt

Matzexc1
12.03.2023, 07:56
Ich hab mit 35 mit dem arbeiten angefangen, ich würde behaupten das man eine andere Sicht auf die work life Balance hat und ich merke das mir Nachtdienste etwas schwerer fallen als mit 20.

Aber sonst bin ich mit meiner Arbeit sehr zufrieden, wie Jul4ik schon sagte: das Alter ist eine zahl, ich hab nur ein Bewerbungsgespräch gehabt wo das ein Thema war.

Nulllinie
12.03.2023, 08:17
Aber wenn ich den Threadersteller richtig verstehe, geht es ihm ja weniger um sein Alter als mehr um die Dauer des Studiums. Und das wird den Chefs ja durchaus auffallen und könnte für Rückfrage sorgen. Diesbezüglich seh ich es wie anignu, vielleicht gibt es ja was, was du nebenher gemacht hast und was man anführen kann.
In einer perfekten Welt könntest du natürlich auch zur Depression stehen, aber in der Realität wird das bei deinem Gegenüber evtl. die Sorge bzgl. Fehlzeiten auslösen. Daher sollte man sich schon überlegen, ob man das wirklich ins Gespräch bringen will.

drifit
12.03.2023, 09:26
Danke euch für die ganzen Rückmeldungen! Tatsächlich ist mein Alter nicht das Problem, hätte ich vorher zB eine Ausbildung gemacht könnte man das ja einfach erklären. Ich habe zwar viel gearbeitet, aber immer nur Nebenjobs ohne viel Anspruch. Insgesamt gab es einen ziemlich gravierenden Auslöser für die Depressionen und ich habe einfach fast 6 Jahre gebraucht in Therapien und stationären Aufhalten um mich zurückzukämpfen. In einer perfekten Welt würde ich offen damit umgehen, in der Realität schäme ich mich für meinen Lebenslauf und weiß genau, dass ich diesen Verlauf in einem Bewerbungsgespräch anders verkaufen muss. Ich weiß nur nicht wie. Falls noch jemand gute Tipps dafür hätte würde ich mich freuen. Insgesamt sind meine Noten und Empfehlungsschreiben ziemlich gut, aber das scheint keine große Rolle zu spielen.

Nilani
12.03.2023, 09:29
Ich kann das bestätigen, Alter ist relativ egal. Ich war mit 38 fertig, hatte paar Semester Studium in Berlin mit Mitte 20, dann aus verschiedenen (u.a. gesundheitlichen) Gründen abgebrochen, dann nochmal komplett neu angefangen, nochmal Jahr dran gehängt dank Biochemie. Ich glaub, offiziell war ich bei über 20 Semestern. Habe also auch deutlich länger als normal gebraucht. Die paar, die mich drauf angesprochen haben, fanden es mutig und letzten Endes auch gut und konsequent, dass ich das nochmal so durchgezogen habe. Die meisten hat es tatsächlich nicht interessiert. Und Job war bisher auch kein Problem, wobei ich natürlich kein Kandidat für die Unikarriere bin (und auch nie wollte). Hab von Anfang an versucht, mir eine Nische zu suchen, bin da sehr glücklich (wenn es auch ausbaufähig ist) und bereue auch keine Sekunde, dass ich das nochmal gemacht habe, auch wenn die Arbeitsbedingungen insgesamt natürlich total mistig sind im Moment, gerade wenn man die "sprechende Medizin" machen will, die nicht bezahlt wird.

Ich will auch nach wie vor nicht aus der Pat.versorgung raus, aber diese Nachtdienste mit 40 sind halt anders, als mit Anfang/Mitte 20. Deswegen bin ich zumindest aus der Akutklinik raus und hab nach 3 Jahren auch nochmal die Fachrichtung gewechselt. Selbstbewusst erklären, wie sich dein Leben gestaltet hat, ist ja nicht selbstverständlich, dass man es mit deiner Geschichte dann durchzieht und zu Ende bringt. Es findet sich schon ein Platz für dich, nur nicht deswegen stressen lassen.

Nilani
12.03.2023, 09:34
Danke euch für die ganzen Rückmeldungen! Tatsächlich ist mein Alter nicht das Problem, hätte ich vorher zB eine Ausbildung gemacht könnte man das ja einfach erklären. Ich habe zwar viel gearbeitet, aber immer nur Nebenjobs ohne viel Anspruch. Insgesamt gab es einen ziemlich gravierenden Auslöser für die Depressionen und ich habe einfach fast 6 Jahre gebraucht in Therapien und stationären Aufhalten um mich zurückzukämpfen. In einer perfekten Welt würde ich offen damit umgehen, in der Realität schäme ich mich für meinen Lebenslauf und weiß genau, dass ich diesen Verlauf in einem Bewerbungsgespräch anders verkaufen muss. Ich weiß nur nicht wie. Falls noch jemand gute Tipps dafür hätte würde ich mich freuen. Insgesamt sind meine Noten und Empfehlungsschreiben ziemlich gut, aber das scheint keine große Rolle zu spielen.

In der aktuellen Situation ist das echt nicht mehr so wichtig. Du hast dein Leben jetzt im Griff. Ist schon schade, dass sich Leute mit Depressionen noch immer schämen und versuchen, den Lebenslauf zu "pimpen". Du hattest schwierige Phase, es gab einen Auslöser und hast dich zurückgekämpft. Mehr muss es nicht sein. Ne Kommilitonin/Kollegin mit "Standardlebenslauf" (1er Abi, sofort in Regelzeit durchstudiert) war immer erstaunt, dass sich bei mir tatsächlich kaum jemand für den genauen Lebenslauf mit Studienabbruch und Wiederaufnahme interessiert hat. Es war tatsächlich ein einziger Personaler (von inzwischen ca. 15-20 Bewerbungsgesprächen) und hier für die letzte Stelle im Öffentlichen Dienst, wo echt alles auseinandergenommen wurde und der alte Chefarzt mit Ende 60 tatsächlich alles haarklein erklärt haben wollte. Alle anderen hatten vielleicht eine kurze Frage/Anmerkung dazu, wenn überhaupt.

Endoplasmatisches Reticulum
12.03.2023, 09:43
Perspektivwechsel: Aus Chefsicht minimiert man Risiken für die Abteilung. Nicht weil man böse ist, sondern weil das u.a. der eigene Job ist. Von ständig Kranken hat niemand etwas. Das Team leidet (Dienste, Unterbesetzung, Mehrarbeit für alle), man verschenkt Geld ohne Gegenleistung und am Ende muss man sich noch nach oben rechtfertigen, warum man sich für Kandidat XYZ entscheiden hat, obwohl der Lebenslauf Red Flags noch und nöcher aufgeworfen hat und andere Bewerber die nicht hatten.

Ist halt so. Kann man doof finden, aber wird man nicht ändern. Auch Leute ohne Depressionen "pimpen" den Lebenslauf. Wobei ich das Verschweigen psychischer Erkrankung noch nicht als "Pimpen" bezeichnen würde.

Zustimmung: Bullshit-Toleranz nimmt ab im Vergleich zu Anfang 20, Selbstbewusstsein steigt. Auch hat man etwas mehr Überblick darüber, wann man selbst ineffizient arbeitet, oder einfach quantitativ mit Arbeit eingeschissen wird, die kalkuliert nicht machbar ist. Man internalisiert toxische Arbeitsumgebungen tendentiell weniger und ist nicht so anfällig für Gaslighting. Bereitschaftsdienste bis so 18h fand ich immer ganz cool - ich mag die Ruhe im KH, raus sein aus dem Alltagstrubel, das selbstbestimmte Arbeiten und die Möglichkeit, im Ausgleichsfrei auszuschlafen oder mir flexible Tagestermine zu setzen. 24h-Dienste hingegen sind no go, in Häusern damit fange ich nicht mehr an.

cartablanca
12.03.2023, 14:52
Danke euch für die ganzen Rückmeldungen! Tatsächlich ist mein Alter nicht das Problem, hätte ich vorher zB eine Ausbildung gemacht könnte man das ja einfach erklären. Ich habe zwar viel gearbeitet, aber immer nur Nebenjobs ohne viel Anspruch. Insgesamt gab es einen ziemlich gravierenden Auslöser für die Depressionen und ich habe einfach fast 6 Jahre gebraucht in Therapien und stationären Aufhalten um mich zurückzukämpfen.....

Erzähl das bloß niemandem im KH wo du anfängst. Weder beim Bewerbungsgespräch noch danach. Das spricht sich schnell rum und kann dir zu Lasten gelegt werden.
Mach dir keine Sorgen wegen der Jobsuche. Da findet sich immer was.

drifit
12.03.2023, 15:34
Danke für eure Einschätzung. Ich würde das auch niemals jemandem erzählen, weil ich ja weiß dass man abgestempelt wird, egal wie gut man seinen Job macht. Falls noch jemand eine Idee hat wie man so ein Bewerbungsgespräch angeht meldet euch gerne.

hebdo
12.03.2023, 17:23
Die Stigmatisierung von psychiatrischen und auch manchen somatischen Erkrankungen sind leider Realität. Alle andere Ansichten sind leider Geschichten vom Ponyhof. Aber du hast Glück mit der aktuellen Arbeitsmarktlage in der Medizin. Du wirst in deinem Wunschfach eine Stelle finden. Im Bewerbungsgespräch würde ich offensiv und selbstbewusst mit der langen Studiendauer umgehen aber keine Details erzählen. Etwas ausweichende Antworten wie familiäre Krise, die deine volle Aufmerksamkeit gebraucht hat etc. reicht meistens.

Wenn du überhaupt darauf angesprochen wirst ….

RussianAngel
14.03.2023, 19:54
Wie viele Kollegen habt ihr, die ihr denkt, dass die depressiv seien? Die Arbeitgeber sind sicherlich nicht immer kulant, aber das ist glaube ich nicht nur für Depressionen spezifisch, sondern auch für Nasenform, Meinungen und Stimmklang der Fall: hoffe, dass kann Dich aufmuntern ;)
Solange Du das hinter Dich lassen kannst, wird es bergauf gehen...
Mein Lieblingszitat von Stephen Hawking diesbezüglich:

Aus einem Schwarzen Loch lässt sich entkommen - entweder über den Weg zurück, möglicherweise sogar in ein anderes Universum. Wenn Sie sich also fühlen, als seien Sie in einem Schwarzen Loch gefangen: Geben Sie nicht auf - es gibt einen Weg heraus.

Ich würde das Bewerbungsgespräch mehrmals üben mit Freunden oder zur Not mit einem Coach; ich kenne wirklich noch niemanden, auch Leute, die fast wegen des Physikums exmatrikuliert wurden, die Probleme mit der Jobsuche hatten: teil als anerkannte Ärzte an der Charite tätig...Du musst als erstes von Dir selber überzeugt sein, dann überzeugt sich die Umgebung nach und nach auch :)

cartablanca
15.03.2023, 00:40
Frag besser: Wie viele Kollegen habt ihr, die nicht depressiv sind?

arbeiter79
18.03.2023, 20:58
Habe einen Kollegen der auch etwa mit 35 den Berufseinsteig gemacht hat, jetzt ist der mit 41 Oberarzt geworden in einem chirurgischen Fachgebiet.