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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Akademischer Versager und mangelnde Wertschätzung in meiner Abteilung



Amadeu9449
18.04.2023, 15:19
Hallo liebes Forum

Ich hätte gerne eure Einschätzung zu meiner Situation. Ich bin Assistenzarzt im vierten Jahr in einer deutschen Uniklinik. Mein Fachgebiet ist die Herzchirurgie. Wir sind eine, für deutsche Verhältnisse, sehr grosse Herzchirurgie, zudem auch sehr divers. Ich selber habe Migrationshintergrund und unser gesamtes Team vom Chef bis OAs gibt alles her. Standardmässig der Herzchirurgie hört man ab und zu Sprüche gegen die Herkunft aber nichts schlimmes.
Es geht insgesamt sehr kompetitiv her und der Ton ist hart. Insgesamt ist der Fokus auch sehr akademisch. Hier muss man sagen, dass ich im vierten Jahr (unabhängig vom Katalog) und mit dem Rücken zur Wand stehe. Akademisch habe ich grosse Misserfolge. In vier Jahren habe ich gerade mal 4 Paper zu Stande gebracht und einige Poster. Meine Kollegen in meinem Abschnitt sind alle bereits der Habil nahe. Dazu muss man sagen, dass ich operativ deutlich weiter bin und wirklich viel für die Klinik leiste.
Jetzt haben mir einige Oberärzte gesagt, dass ich für Sie wie ein Versager bin - es wird über mich aufgrund des geringen Outputs stetig lustig gemacht. Das zieht mich enorm herunter, wenn man bedenkt, was ich auch für die Abteilung klinisch tue.

Im Morgenrapport werden alle, welche nicht regelmässig publizieren, herausgepickt und lächerlich gemacht.
Mein Leitender hat selber gesagt, dass ich es schwer haben werde ohne Habil in der Herzchirurgie, obwohl ich alles für das Fach opfere - mein Privatleben, meine mentale und körperliche Gesundheit etc.
Ich bin aktuell am überlegen die Klinik zu wechseln und Deutschland auch zu verlassen - habe Möglichkeit in einer schweizer Herzchirurgie weiterzumachen.

Gibt es hier auch andere von euch, die in einer ähnlichen Situation sind? Es belastet mich zunehmend mental - das ständige Vorführen, lächerlich machen und an den Pranger stellen.

Habt ihr Tipps zu meiner Situation ?

Endoplasmatisches Reticulum
18.04.2023, 15:24
Es gibt Rennpferde und es gibt Arbeitspferde.
Man kann nicht in allem der Beste sein.

Cor_magna
18.04.2023, 15:37
Mein Tipp: In eine chirurgische Abteilung gehen in der deine Arbeitskraft gewertschätzt wird. Du hast jahrelange Vorerfahrung, viele würden dich mit Handkuss nehmen.
Die Frage ist, wie wichtig dir die Herzchirurgie ist, oder ob es auch ein anderes chirurgisches Fach sein darf. Ansonsten: Wenn du deine Stärken eher in der chirurgischen Arbeit an sich und nicht in der Forschung siehst, dann weg von Unikliniken oder zumindest an eine Abteilung, die Forschung nicht so hoch gewichtet. Fragen die du dir stellen solltest: Wo willst DU hin? Muss es ein Chefarztposten mit Habilitation sein oder reicht auch eine Stelle an einem kleineren Haus oder auch einem anderen Fach, wo es dir besser geht und du das machen kannst was dir am ehesten liegt? Wie wichtig ist dir eine akademische Karriere? Muss es der große "Erfolg" an einem großen Haus unter lauter Karrieretypen sein? Und so weiter...

Niemals vergessen: Leute wie du halten den Laden am laufen und helfen den kranken Patienten. Wenn alle nur noch forschen, aber keiner das Wissen anwendet, ist niemandem geholfen. Insbesondere in der Chirurgie.

Die Chirurgen hier (Anignu? Kackbratze?) können dir aber sicherlich noch genauere Ratschläge geben.

Stuntman Mike
18.04.2023, 16:38
…obwohl ich alles für das Fach opfere - mein Privatleben, meine mentale und körperliche Gesundheit etc.

Habt ihr Tipps zu meiner Situation ?
Nur einen Tipp: überlege dir sehr gut, ob es dir das alles wirklich wert ist. Karriere gut und schön, aber letztlich dankt es dir keiner. Ich habe mehrfach mitbekommen, wie hoch angesehene Professoren emeritiert wurden, und 6 Monate später sind die komplett vergessen…
Oder falls du irgendwann in den Burnout rutschst, werden deine Kollegen dir nicht helfen. Dann stehst du dumm da mit deinem geopferten Privatleben.
Ich sage nicht, dass es falsch ist, den Fokus auf die Arbeit zu legen, wenn es einen wirklich glücklich macht. Das scheint bei dir ja aber nicht der Fall zu sein.
Alles gute dir :)

alphamethyldopa
18.04.2023, 17:07
Hallo liebes Forum

Ich hätte gerne eure Einschätzung zu meiner Situation...

Also unterm Strich - du bist ein guter, gewissenhafter Arzt, in einem scheiß Kollektiv.

Gehe in eine andere Kardiochirurgie, mache deinen Facharzt, und danach schau dass du die Nerven schonst. Du brauchst dein Körper und Geist die nächsten 50-60 Jahre. Und deine Liebsten brauchen dich auch.

Amadeu9449
18.04.2023, 17:11
Also unterm Strich - guter gewissenhafter Arzt,

Ich tue wirklich den "Dreck" worauf keiner Lust hat. Wir sind in Teams eingeteilt und ich bin im Team, wo wir praktisch nur die Worst-Cases operieren. Ist keine Arbeit wofür einem gedankt wird, auch die Revisionsklappenchirurgie, Endokarditis Team etc. Ist alles nicht "sexy Chirurgie". Aber irgendwer muss das ja machen. So ist aktuell meine Situation :D

Ich erwarte keinen Dank oder dergleichen, sondern einfach nicht diese stetigen Witze über einen......

alphamethyldopa
18.04.2023, 17:21
Ich tue wirklich den "Dreck" worauf keiner Lust hat... Ist alles nicht "sexy Chirurgie". Aber irgendwer muss das ja machen.

Ja, jemand muss es, und mei, der Assistenzarzt bietet sich da an.
Ist aber auch Herzchirurgie, gehört halt auch zum Fach.

Lightyagami
18.04.2023, 17:45
Alter Falter.... Sich aber dann im Umkehrschluss wundern, dass sich kein deutscher Absolvent*Innen dieses Fach antun will ....

anignu
18.04.2023, 22:31
Die Herzchirurgen waren schon immer die Wahnsinnigen unter den Chirurgen. Wurde nicht letztens erst das Interview des schweizer Herzchirurgen verlinkt der sagte dass alles unter 60h/Woche für ihn Schmarrn sei. Denn wenn man schon nicht arbeiten wolle (im Sinne von >60h/Woche = nix), dann möge man doch bitte was anderes machen als Chirurgie.

Das mit dem "du wirst es schwer haben ohne habil in der Herzchirurgie" ist doch Schmarrn. Schau dir einfach mal Herzchirurgie-Abteilungen in anderen Häusern im Netz an und dann die Titel der Oberärzte. Klar, bei universitären Häusern steht eher mal ein Prof. oder PD vorn, in anderen Häusern nicht. Aber die allermeisten Herzchirurgie-Chefs haben diese Titel. Willst du Chef werden, dann forsche. Wenn nicht, tja, dann wirst du das nicht müssen. Außer du bleibst in der Abteilung in der du grad bist.

Und zum Thema "Revisionschirurgie": ganz ehrlich, mir macht das Spaß. Da wird man mal gefordert. Shuntrevisionen oder Re-Femoralis-Irgendwas sind doch cool. Sollen die anderen halt ihre Standard-Eingriffe machen.

Und ganz grundsätzlich: die Menschen sind unterschiedlich. Manche sind eher Forscher, andere eher die Kliniker, manche sind Schleimer, andere sind direkt, manche sind faule Säcke aber verbergen es gut, andere sind superfleißig und verbergen das auch gut etc... Letztlich wirst du deinen Chef nicht ändern können und die Abteilung nur wenig. Wenn deine Arbeit in der Art wie du sie machst nicht wertgeschätzt wird, dann kannst du das aushalten oder dir eine Abteilung suchen in der sie wertgeschätzt wird. Oder du machst halt mehr Forschung bzw. schreibst mehr Paper und passt dich somit an. Mein Chef hat auch ein paar Sachen die ihm super wichtig sind obwohl sie mir eigentlich fast egal wären. Macht nix. Ich mach die Sachen die ihm so super wichtig sind und dafür hab ich woanders wieder meine Ruhe. Zum Glück sind es echt absolute Kleinigkeiten und nicht ewig lange Paper. Insofern passt es für mich. Dein Umfeld wäre mir ein wenig zu toxisch.

Alter Falter.... Sich aber dann im Umkehrschluss wundern, dass sich kein deutscher Absolvent*Innen dieses Fach antun will ....
Naja, das liegt auch daran das ungefähr JEDER PJler davon erzählt dass er/sie sich die Möglichkeit offen halten will sich später niederzulassen. Wer Chirurgie machen will nimmt daher gern Unfall/Ortho oder Gyn oder Uro oder HNO. Fächer mit Chirurgie bei denen man sich relativ leicht niederlassen kann. Work-Life-Balance und vor allem "keine Dienste" wird halt inzwischen immer größer geschrieben. Und in der Herzchirurgie hast du das Problem dass du wenige Kliniken hast in denen Herzchirurgie überhaupt gemacht wird und die Niederlassungsmöglichkeiten eher limitiert sind. Mach ein Allerweltsfach wie Innere und du kannst in der Klinik bleiben, dich niederlassen, in quasi jedem noch so kleinen Landkreis gibt es mindestens eine Klinik mit Innere und selbst in Nicht-Innere-Fächern kann man oft Internisten brauchen.

dadüdada123
19.04.2023, 04:08
Wenn man einmal in so einem pathologischen System ist, fällt es einem schwer die Umstände objektiv zu betrachten. Dein ganzes Umfeld sieht die Umstände als "normal" an.

Bewirb dich mal außerhalb und hospitier mal woanders. Im Zweifelsfall vielleicht doch in die Kardiologie? Wie die anderen schrieben: Am Ende dankts dir eh k(aum)einer

cartablanca
19.04.2023, 04:59
Hallo liebes Forum

Ich hätte gerne eure Einschätzung zu meiner Situation. Ich bin Assistenzarzt im vierten Jahr in einer deutschen Uniklinik. Mein Fachgebiet ist die Herzchirurgie. Wir sind eine, für deutsche Verhältnisse, sehr grosse Herzchirurgie, zudem auch sehr divers. Ich selber habe Migrationshintergrund und unser gesamtes Team vom Chef bis OAs gibt alles her. Standardmässig der Herzchirurgie hört man ab und zu Sprüche gegen die Herkunft aber nichts schlimmes.
Es geht insgesamt sehr kompetitiv her und der Ton ist hart.

Da es nicht so viele Herzchirurgien in D gibt. Meinst du es war eine gute Idee das hier zu posten?

rafiki
19.04.2023, 13:01
Da es nicht so viele Herzchirurgien in D gibt. Meinst du es war eine gute Idee das hier zu posten?

Vielleicht Teil eines Selbstdemontage- und Opferungsprogramms......

davo
19.04.2023, 13:03
Wer ständig die, die andere Qualifikationen haben, als man selbst, runtermachen muss, fühlt sich unsicher in seiner Rolle. Vielleicht haben diese Menschen einfach Angst, dass aus dir ein besserer Kliniker wird, als sie selbst jemals sein können - und glauben deshalb, dich in Sachen Forschung abwerten zu müssen.

Dass es objektiv betrachtet Unsinn ist, dass eine Habilitation für eine Karriere in diesem Fach notwendig ist, ist ja gleich ich einfach zu sehen. Aber es ist oft so, dass die Ärzte an Unikliniken von den Karrieremöglichkeiten in nichtuniversitären Häusern wenig bis gar keine Ahnung haben. Außerdem wollen sie das natürlich auch nicht wahrhaben - wer 40, 50, 60 ist, sein ganzes Leben für die Uni-Karriere geopfert hat, will sich natürlich nicht eingestehen, dass es auch anders gegangen wäre.

Was ich festhalten würde: Es ist zwar nichts neues, dass Herzchirurgien oft eine besonders hohe Dichte verhaltensauffälliger Menschen haben. Aber so schlimm wie bei dir geht es sicher nicht in jeder Herzchirurgie zu.

Warum also nicht einfach wechseln?

An Schweizer Herzchirurgien gibt es, wenn man sich so die Berichte auf Medinside durchliest, wahrscheinlich ähnlich viele verhaltensauffällige Menschen wie an deutschen Uni-Herzchirurgien. Außerdem gibt es in der ganzen Schweiz nur sechs Herzchirurgien mit voller Weiterbildungsberechtigung - gleich viele wie in Hessen. Das macht es sicher auch nicht leichter.

Warum also nicht einfach eine andere deutsche Uni-Herzchirurgie suchen, an der die Atmosphäre nicht ganz so toxisch ist? Lässt sich sicher finden. Oder alternativ halt ein nichtuniversitäres Haus.

Sich durch die Arbeit das Leben ruinieren zu lassen steht IMHO einfach nicht dafür.

Und als Nachtrag:


Da es nicht so viele Herzchirurgien in D gibt. Meinst du es war eine gute Idee das hier zu posten?

Das ist IMHO extrem paranoid. Einen guten Operateur, der mehr als die Hälfte der Weiterbildung erfolgreich hinter sich gebracht hat, würde man sicher nicht wegen eines kritischen Forenbeitrags loswerden wollen. Die Herzchirurgie hat nicht besonders viele Interessenten - schon gar nicht viele, die die deutsche Sprache gut beherrschen.