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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Berufsstart in der Uniklinik vs. Maximalversorger / kleines Haus - Vor- und Nachteile



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medipassions
23.04.2023, 10:53
Hallo alle!

Ich frage mich, ob es als Berufseinsteiger Sinn macht, in einer Uniklinik anzufangen. Bisher hat mich dieser Gedanke eher abgeschreckt, aber mittlerweile frage ich mich, ob es doch nicht einige Vorteile auf dem Karriereweg hat?

Gibt es - abgesehen von dem breiteren med. Spektrum - welches man sieht, andere mir bisher unerkannte Vorteile?

Wo habt ihr angefangen (Uniklinik / Maximalversorger / kleines Haus) und warum?

Viele Grüße!

ProximaCentauri
23.04.2023, 11:24
Ich habe in einem kleinen Haus angefangen, und würde es immer wieder so machen. Man ist am Anfang schon genügend damit beschäftigt, Stationsarbeit, Verordnungen, etc. zu lernen bei niedrig komplexen Patienten. Man hat dann später viel mehr von der Uni, wenn die Basics gut sitzen.
Wir haben im Moment einen unerfahrenen Assistenten an der Uni, und das ist für beide sehr frustrierend. Man muss ständig alles hinterher kontrollieren, weil die Basics halt nicht funktionieren, und die Basics für unsere komplexen Patienten schlicht nicht ausreichend sind. Für den AA ist es auch mühsam, weil im Prinzip alles immer falsch läuft, und man da auch mitbekommt, dass es halt nicht gut läuft.

tragezwerg
23.04.2023, 11:59
Das kommt natürlich auch sehr aufs Fach sowie die individuelle Abteilung an.
Ich habe Anästhesie am mittelgroßen Haus angefangen und bin im dritten Jahr an die Uni. War für mich so perfekt, weil ich am kleinen Haus selbstständiges Arbeiten und Entscheidungen treffen frühzeitig gelernt habe, außerdem viele Narkosen machen konnte, da dort mehr kurze OPs stattfanden. Und an der Uni gab es dann viel Neues zu lernen (komplexere Patienten, invasivere Eingriffe, Intensivmedizin...). Ich würde es wieder in dieser Reihenfolge machen. Aber das ist sehr individuell.

Matzexc1
23.04.2023, 13:09
Ich bin damals direkt zur universitären Anästhesie, die Möglichkeiten die einem das bietet konnte ich aber nicht nutzen.
Schockräume, Intensivmedizin und hochspezielle narkosen(Kinder/Thorax usw) sind für Berfusanfänger, auch wenn das PJ noch zu toll war, schlecht geeignet.

Ich wollte gerne Lehre und Forschung betreiben, ebenso Medizin auf hohem Niveau, die Realtität:
Forschung wurde erst ab dem 3 WBJ ermöglicht, die Einarbeitung war fast nicht vorhanden, Rotationen wurden gerne trotz anderem Plan hin- und hergeschoben, bzw. es gab keinen Plan.

Ich bin jetzt seit fast 2 jahren an einem kleinen Haus und mein Eindruck ist das die Einarbeitung hier für den Anfang besser ist, man hat weniger Oberärzte die ihre Vorstellungen bestätigt haben wollen(5 vs 20) man kann die Grundlagen besser erlernen, man hat weniger Konkurrenz dafür und man kennt sich irgendwann. Die Dienstfrequenz ist an kleinen Häusern größer, die Wahrscheinlichkeit die Nacht durchzuarbeiten scheint mir aber geringer zu sein.

Qwert1133
23.04.2023, 18:24
Ich würde dir dringend raten direkt an die Uniklinik/Maximalversorger zu gehen. Ich hab’s auch so gemacht und nicht bereut.

Vorteile:
Deutlich breiteres Spektrum
Dienstbelastung niedriger
24h sind Ärzte aller Fachrichtungen bei Problemen erreichbar und stehen konsiliarisch zur Verfügung.
Arbeit in Spezialambulanzen/Studienambulanzen möglich, solche gibt es in kleinen Häusern garnicht

Viele kleine Häuser haben außerdem keine dedizierten Funktionsrotationen, die Skills des jeweiligen Fachgebiets lernt man dann wenn überhaupt nur nebenbei an einzelnen Patienten wenn der OA Lust und Zeit hat, dafür kommt man zugegebenermaßen früher in Kontakt damit. Fundierte Ausbildung ist das aber dann eher weniger, an der Uni kommen die Funktionsrotationen dafür ganz zum Schluss und sind hart umkämpft. Wenn du bereit bist ein wenig zu Forschen kann man sich über Projekte aber auch früher in Stellung bringen ;-).

@ProximaCentauri: Dann sag deinem Chef doch er soll nur Ärzte mit mind. 3 Jahren Berufserfahrung einstellen. Was? Da bewerben sich nicht genug :-D? Ganz ehrlich, in jedem Unternehmen müssen neue Mitarbeiter erstmal 6 Monate an die Arbeit herangeführt und in bestehende Projekte eingearbeitet werden, bevor irgendwer erwartet, dass signifikanter Output generiert werden kann. Aus irgendeinem seltsamen Grund scheinen das in der Klinik alle regelmäßig zu vergessen, inklusive ihres eigenen steinigen Weges beim Berufseintritt…

@TE: Mach, was für dich und deine Ausbildung das Beste ist und nicht, was eventuell für ein Klinikum den optimalen Weg darstellt.

JAK1
23.04.2023, 19:13
Ich hab auch an der Uniklinik direkt angefangen und auch wenn der Einstieg sehr hart ist (deutlich kränkere Patienten, transplantiert etc.), würde ich es nochmal so machen. Aus folgenden Gründen:

1) es ist aus allen Fachrichtungen 24/7 ein Ansprechpartner da
2) deutlich spannender Fälle
3) weniger Dienste
4) Höherer Anteil deutschsprachiger Kollegen

ProximaCentauri
23.04.2023, 20:30
@ProximaCentauri: Dann sag deinem Chef doch er soll nur Ärzte mit mind. 3 Jahren Berufserfahrung einstellen. Was? Da bewerben sich nicht genug :-D? Ganz ehrlich, in jedem Unternehmen müssen neue Mitarbeiter erstmal 6 Monate an die Arbeit herangeführt und in bestehende Projekte eingearbeitet werden, bevor irgendwer erwartet, dass signifikanter Output generiert werden kann. Aus irgendeinem seltsamen Grund scheinen das in der Klinik alle regelmäßig zu vergessen, inklusive ihres eigenen steinigen Weges beim Berufseintritt…


Machen wir üblicherweise auch. In der CH muss man halt mehrmals Arbeitsstelle wechseln fürn Facharzt, d.h. die meisten Leute bleiben tatsächlich nicht für den ganzen Facharzt. Da ist dann eine Einarbeitszeit von 6 Monaten bei jemandem der vielleicht 1-1.5 Jahre bleibt einfach bissl blöd. Der AA bleibt tatsächlich nur 3/4 Jahr, weil nur die Zeit noch für die Weiterbildung fehlt, und da passts dann halt nicht, wenn man so lange Einarbeitung braucht.

nie
23.04.2023, 21:33
Ich habe auch direkt an der Uniklinik angefangen und würde sagen, dass es seine Vor- und eben auch Nachteile hat.

Einige Vorteile wurde ja schon genannt:

- niedrige Dienstbelastung durch Verteilung der Zuständigkeiten auf mehr Personen
- Rund um die Uhr Ansprechpartner aller Fachrichtungen, man ist nie alleine im Haus und kann sich immer schnell und unkompliziert Hilfe holen, was für die ersten Dienste echt Gold wert ist.
- man sieht viele spannende Sachen, auch viele Kolibris
- man macht echt cooles Zeugs und abgefahrene Therapien, die man in kleinere Häusern niemals sehen würde


Es gibt auch auch genug Nachteile:

- die Patienten sind halt echt komplex. Der Berufsanfang ist sowiso schon heftig und wenn man dann nur Patienten mit zweiseitigen Diagnosenlisten hat, wird’s nichts einfacher
- man lernt zwar viel fancy shit aber die Basis bleibt oft auf der Strecke weil alles super spezialisiert ist
- jede Abteilung kocht so ihr eigenes Süppchen, man blickt weniger über den Tellerrand hinaus und zumindest in meiner Klinik ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit oft sehr zäh

Ich bin da damals eher so zufällig reingestolpert und hatte eigentlich nie vor an der Uniklinik zu arbeiten. Dachte dann, ich gucke mir das mal ein Jahr an und 3 1/2 Jahre später bin ich immer noch da. Bereut hab ich’s nicht aber würde auch nicht uneingeschränkt zu Uniklinik raten.
Wenn dein Ziel z.B. die Niederlassung ist, ist die Uniklinik eher nicht so der richtige Ort. Und je nach Fachgebiet muss man sich auch auf harten Konkurrenzkampf mit viel Ellenbogeneinsatz und malignen Obrigkeiten gefasst mache, das würde ich mir jetzt auch nicht unbedingt geben wenn man nicht gerade Uniklinikkarriere machen will.

Und bezüglich Forschung: bisschen Forschung ist zumindest in meiner Klinik nicht machbar. Entweder man steigt voll ins Forschungsgame ein, hängt in seiner Freizeit im Labor, generiert regelmäßigen und relevanten Output und hat auch nicht Glück, dass die Oberen einem wohlgesonnen sind oder man lässt es ganz bleiben. So ein bisschen nebenbei forschen kostet nur Zeit, generiert nicht ausreichen Output und wird in der Regel in keiner Weise unterstützt.

davo
25.04.2023, 05:05
Es gibt meiner Erfahrung nach viele Vor- und viele Nachteile. Meine Stichprobe ist naturgemäß winzig, und es gibt bei jeder Art von Krankenhaus gute und schlechte, aber vielleicht helfen dir meine Beobachtungen ja dennoch.

Vorteile Uni oder Maximalversorger gegenüber Grundversorger:

- mehr Assistenzärzte pro Fach, somit weniger Dienste pro Monat
- mehr Ahnung von Leitlinien, mehr Willen, sich auch an diesen zu orientieren
- mehr Ahnung von Studienergebnissen
- mehr Ahnung von neuen Medikamenten, weniger Scheu vor diesen
- motiviertere Assistenzärzte (mehr Ahnung von Leitlinien, Studien, neuen Medikamenten, etc.)
- mehr Muttersprachler
- jederzeit alle Konsile verfügbar
- spannende/herausfordernde Patienten
- mehr Fortbildungen (aber oft noch weniger Zeit dafür)

Nachteile Uni oder Maximalversorger gegenüber Grundversorger:

- noch mehr Kleinkrieg zwischen den Oberärzten
- Kleinkrieg zwischen den Abteilungen, vor allem zwischen den Spezialabteilungen desselben Fachs
- wenig Ahnung von der Kommunikation mit dem Patienten, und auch wenig Lust darauf bzw. Motivation dafür
- blinder Glaube an Studienergebnisse und an neue Medikamente
- mehr Fluktuation, weil mehr Karrieredenken (jeder schaut ständig, ob es nicht doch woanders noch besser für ihn sein könnte)
- wenig Pragmatismus, wenig Erfahrung im Umgang mit häufigen Erkrankungen
- sehr technokratisches Denken, wenig Menschlichkeit, schlechteres Entlassmanagement
- viel größere Distanz zwischen Ärzten und Pflege
- wenig Bereitschaft, sich über die sehr engen Grenzen des eigenen Fachs hinaus fortzubilden bzw. um den Patienten zu kümmern
- viel weniger Kontakt zu den niedergelassenen Kollegen

Ich finde es sehr hilfreich, beide Welten erlebt zu haben. Ein Wechsel von einer Uni/Maximalversorger zu einem Grundversorger ist finde ich sinnvoller und einfacher als umgekehrt. Aber nachdem in der Schweiz die entgegengesetzte Richtung üblich ist, wird wohl beides kein Problem sein.

Bussard
26.04.2023, 09:43
@medipassions Um welches Fach geht es denn? Ist ja sicherlich sehr Fach abhängig. Für einige Fächer wie beispielsweise Dermatologie bleiben ja abgesehen von Praxen fast nur Unikliniken/Maximalversorger.

Vielleicht sollte man in der Diskussion hier auch nochmal zwischen wirklich kleinen Grund- und Regelversorgern und Schwerpunktversorgern unterscheiden. Da gibt es doch erhebliche Unterschiede, auch was die Verfügbarkeit von Ansprechpartnern im Haus während der Dienste angeht.


Ich würde dir dringend raten direkt an die Uniklinik/Maximalversorger zu gehen. Ich hab’s auch so gemacht und nicht bereut.

Vorteile:
Deutlich breiteres Spektrum
Dienstbelastung niedriger
24h sind Ärzte aller Fachrichtungen bei Problemen erreichbar und stehen konsiliarisch zur Verfügung.
Arbeit in Spezialambulanzen/Studienambulanzen möglich, solche gibt es in kleinen Häusern garnicht

Viele kleine Häuser haben außerdem keine dedizierten Funktionsrotationen, die Skills des jeweiligen Fachgebiets lernt man dann wenn überhaupt nur nebenbei an einzelnen Patienten wenn der OA Lust und Zeit hat, dafür kommt man zugegebenermaßen früher in Kontakt damit. Fundierte Ausbildung ist das aber dann eher weniger, an der Uni kommen die Funktionsrotationen dafür ganz zum Schluss und sind hart umkämpft. Wenn du bereit bist ein wenig zu Forschen kann man sich über Projekte aber auch früher in Stellung bringen ;-).


Welches Fach machst du, wenn ich fragen darf Qwert1133? Funktionsrotationen wie Endoskopie, Herzkatheter (ich kann nur für die Innere sprechen) sind in der Weiterbildungszeit fast überall schwierig bzw. oft nur mit Zusatzengagement in der Freizeit und eher zum Beginn der Facharztzeit zu bekommen, zumindest wenn es darum geht, das ganze auch wirklich "verhandlungssicher" zu erlernen.

xenopus laevis
26.04.2023, 21:16
Ich arbeite an einem Maximalversorger:

negativ:
- wenig Assistenzärzte , somit viele Dienste (mind. 5 bis 6)
- wenig motivierte Assistenzärzte (hohe Arbeitsbelastung in den Diensten, hoher Krankenstand)
- nicht ausreichende Sprachkenntnisse der Kollegen, dadurch Mehrarbeit
- wenig Fortbildungen bzw. eher Selbststudium
- Hierachie wird hier gut gelebt
- Kleinkrieg zwischen den OÄ

positiv:
- enge Zusammenarbeit mit Assistenzpersonal/Schwestern
- man bekommt wirklich viel zu sehen! Gerade in der Dunkelkammer super wichtig.

Qwert1133
26.04.2023, 22:31
Welches Fach machst du, wenn ich fragen darf Qwert1133? Funktionsrotationen wie Endoskopie, Herzkatheter (ich kann nur für die Innere sprechen) sind in der Weiterbildungszeit fast überall schwierig bzw. oft nur mit Zusatzengagement in der Freizeit und eher zum Beginn der Facharztzeit zu bekommen, zumindest wenn es darum geht, das ganze auch wirklich "verhandlungssicher" zu erlernen.

Ich schwitz auch in der Inneren. Bei uns gibt es immerhin 3 Monate Sono, 3 Monate Endoskopie, 3 Monate TTE-Abteilung fest. Bronchoskopieren lernt man auf der ITS so lala… Sono Rotation heißt dann immerhin: Jeden Tag von 8-16h jegliche Anforderung schallen, Befund schreiben, dann kommt ein OA/FA und schallt nochmal. Es wird alles besprochen was übersehen wurde. Kommen dabei speziellere Fragestellungen auf wird zusammen Kontrastmittelsonographiert. Wenn man sich dann eingelebt hat, kann man weiter bei allen Auffälligkeiten wieder einen OA zu Rate ziehen. Da Uniklinik sieht man auch wirklich ein extrem breites Spektrum pathologischer Befunde, insbesondere auch onkologische und voroperierte Patienten mit abweichender Anatomie. Das ganze ist dann halt ein himmelweiter Unterschied zu “Ich bleib regelmäßig noch ne halbe Stunde länger und Schall noch paar Patienten auf eigene Faust” oder “einmal alle 2 Wochen schaut mir meine OA beim Sono über die Schulter und gibt Tipps”.

Was Herzkatheter und ERC/PTCD angeht hast du aber (leider) recht.

anignu
26.04.2023, 23:47
Ich kann berichten dass ich die Arbeit von kleinem, mittleren und großem Haus kenne. Nicht Uniklinik.

Kleines Haus:
Jeder kennt absolut jeden. Es gibt nicht sooo viel Abwechselung in Bezug auf die Krankheitsbilder, dafür kommt man super easy rein, lernt klare Strukturen, lernt sich zu organisieren, hat wenig Dienste, der Zusammenhalt bei den Assistenten wurde gelebt etc. ABER in Bezug auf die chirurgische Ausbildung ist das irgendwann zu wenig.

Mittleres Haus:
Man kennt viele Leute aber nicht alle. Die Krankheitsbilder werden abwechslungsreicher, die Dienste anstrengender, die chirurgische Ausbildung war diesbezüglich super weil nicht sooo viele absolute fancy-Sachen und doch viel zu operieren.

Großes Haus:
Man kennt fast niemanden, es ist totales Chaos, es kommen viele auch sehr verrückte Dinge die man als Assistenzarzt eh nicht operieren darf und gern operieren dann zwei Oberärzte zusammen weil es so schwierig ist. Oder zumindest sagten sie das. Die Dienste die absolute Hölle, totaler Wahnsinn die ganze Nacht durch. Man sieht viel, vieles aber auch nur aus der Entfernung.

So waren zumindest meine Erfahrungen

Endoplasmatisches Reticulum
27.04.2023, 08:17
Kleines Haus:
Jeder kennt absolut jeden. Es gibt nicht sooo viel Abwechselung in Bezug auf die Krankheitsbilder, dafür kommt man super easy rein, lernt klare Strukturen, lernt sich zu organisieren, hat wenig Dienste, der Zusammenhalt bei den Assistenten wurde gelebt etc. ABER in Bezug auf die chirurgische Ausbildung ist das irgendwann zu wenig.
Ich habe nicht im Ansatz so viel Erfahrung wie du, aber da habe ich bislang eher andere Eindrücke gesammelt. Kleines Haus = deutlich mehr Dienste. Durchschlagendere Wirkung der Fluktuation, die heutzutage vermutlich fast überall im Krankenhaus sehr hoch ist; aber wenn bei 6 ÄiW 2 kündigen haut das doch mehr rein als bei 15 ÄiW. Die Dienste können hit or miss sein, weil kleine Häuser gefühlt zunehmend Kostenreduktion durch Spielchen wie interdisziplinäre Dienste betreiben. Da ist dann in der eigenen Abteilung zwar weniger los, dafür hat man aber noch x fachfremdes Zeugs an der Backe.

Stuntman Mike
27.04.2023, 13:59
Ich habe nicht im Ansatz so viel Erfahrung wie du, aber da habe ich bislang eher andere Eindrücke gesammelt. Kleines Haus = deutlich mehr Dienste.
Kleines Haus = weniger Dienste ist falsch, zumindest in der Inneren.
Ich habe es eher so erlebt: großes Haus - stressiges Tagesgeschäft, aber wenige und chillige Dienste.
Kleines Haus andersherum - entspanntes Tagesgeschäft, viele und stressige Dienste. Irgendeinen Tod muss man wohl sterben.

Ansonsten kann ich als Wechsler von der Uni an ein 400 Betten-Haus auch einige Punkte hier aus dem Thread bestätigen. An der Uni lernt man zwar die optimale Therapie nach Lehrbuch und Leitlinie, aber leider keinen Pragmatismus. Man muss lernen, kluge Abstriche zu machen. Wenn ich das an dem kleinen Haus nicht tue, ist der Schaden für den Patienten am Ende größer, wegen fehlender zeitlicher, personeller und technischer Ressourcen.

Da war ich aber doch froh, den Uni-Hintergrund zu haben. Kollegen, die gleich bei uns anfangen, werden von diesem Pragmatismus (man könnte manchmal auch Zynismus sagen) leider nach meiner Erfahrung häufig etwas „verdorben“ und geben dann nicht mehr 100%…
Aber das ist wahrscheinlich auch in jeder Abteilung anders. Unsere Obrigkeit ist halt ziemlich entspannt unterwegs, manchmal zu locker.

alphamethyldopa
27.04.2023, 16:26
Nun fairerweise muss man für sich selbst wissen - bin ich Kreisliga oder Bundesliga? Wenn Bundesliga, dann klar Uni. Für uns restlichen Normalos empfiehlt sich meiner Ansicht nach, eher mittelgroß (400-500 als mein persönliches Ideal) als groß oder auch klein zu gehen.

Mann muss ja wiessen, was man so eigentlich will, wie auch woanders im Leben. Als Kreisligist will ich nur meinen Job machen, und das bitteschön auch gut tun. Es muss nicht jeder Lebertransplantationen narkotisieren, jemand muss die Gallen und HSKs auch betäuben.
Als Bundesligist will man auch Kardio und Transplantationen und Neugeborenen und große Bäuche machen, und auch seltene Krankheitsbilder sehen.

Und hier zum Vorteil der Krankenhäuser der Mittelklasse: jeder kennt jeden, alles per du, keine Ellenbogen, gutes Spektrum und volle WB.

Nachteile: ja, wenn man halt spitze ist, muss man woanders wechseln.

Auch muss man für sich wissen: wie wichtig ist mir, dass Zusammenhalt und gute Stimmung ist, und dass jeder jedem den Rücken deckt. Laut Hörensagen, je größer und elitärer man geht, desto mehr Nahkampf muss man bereit sein zu ertragen. Ich bin schwer allergich dagegen, und sobald ich nur ein Hauch davon spüre, bin ich aus der Nummer raus.

Gearbeitet wird viel überall und Kostendruck zermalmt, vielleicht im privaten mehr als im komunalen Sektor, das wäre so was zu bedenken.


Und am Schluss - Ausnahmen gibts überall.

Autolyse
27.04.2023, 16:40
Kleines Haus = weniger Dienste ist falsch, zumindest in der Inneren.
Ich habe es eher so erlebt: großes Haus - stressiges Tagesgeschäft, aber wenige und chillige Dienste.
Kleines Haus andersherum - entspanntes Tagesgeschäft, viele und stressige Dienste. Irgendeinen Tod muss man wohl sterben.
Ich kenne großes Haus eher so, dass bis 22 Uhr aufgelaufenes Tagesprogramm gemacht wird, danach kommen dann die Notfälle des Tages und weil man um 4 Uhr noch bisschen Zeit hat bis das Tagesprogramm startet, schaut man sich schon einmal um, wer gerade so nüchtern ist.
Im kleinen Haus war außer den diensthabenden Ärzten alles im Rufdienst und wer im Rufdienst nach 23 Uhr gearbeitet hat, der hatte am nächsten Tag auf Kosten des Hauses frei. Bedeutete für die operative Fachabteilung die den Rufdienst verschlissen hat, dass ihnen der Saal am nächsten Tag zugemacht wurde.
Das Tagesgeschäft war dafür wirklich anstrengend und sehr durchgetaktet: Unter 4 TEPs ging wenig am Tag oder eben 6-7 Kreuzbandplastiken.

skalpellbitte
02.07.2023, 18:51
Ich frage mich, ob es als Berufseinsteiger Sinn macht, in einer Uniklinik anzufangen. Bisher hat mich dieser Gedanke eher abgeschreckt, aber mittlerweile frage ich mich, ob es doch nicht einige Vorteile auf dem Karriereweg hat?


Habe mich genau das auch gefragt, und neulich an der Uni hospitiert. Muss mir jetzt einfach mal den Frust von der Seele schreiben.

Unsere Uniklinik hat zumindest für mein Wunschfach echt keinen guten Ruf, aber ich kann aktuell nicht umziehen (daher sind die Bewerbungsmöglichkeiten begrenzt) und attraktiv ist eben auch das große Behandlungsspektrum an der Uni. Wollte mir die Abteilung also mal ansehen, hatte noch dort noch nie famuliert o.ä. und wusste bisher auch nicht, woher der schlechte Ruf kommt.

Mein Lebenslauf gibt unitechnisch einiges her (Erfolgreiche experimentelle Doktorarbeit samt Auszeichnungen, Fachkongresse, Summer Schools...). Dass das mit der Promotion so gut gelaufen ist, war sicherlich auch Glückssache. Kann mich noch an die Promotionszeit erinnern und habe mir damals geschworen, sowas nie nie wieder zu machen, während ich auf Tagungen gelangweilt den anderen Forschern zugehört habe, wie sie über ihre (für mich total uninteressanten) Proteine reden. Bin auch denktechnisch einfach kein Forscher: Gehöre nicht zu den Medizinern, denen interessante Fragestellungen einfallen und sowas.

Ging bei der Hospitation im Gespräch mit dem Chef und auch später mit OÄ trotzdem sehr oft um Forschung. Außerdem wurde mir direkt verklickert, dass ich als Anfängerin vor allem für die Stationsarbeit zuständig bin. Und dass generell in allen Rotationsbereichen die Assis primär die Station schmeißen müssen. Nur, wenn genug Leute da sind (was angesichts einiger unbesetzter Stellen wohl nicht der Fall sein dürfte), hat man die Chance auf Op oder Sprechstunden. Die Op-Zeiten der Assis haben mich dementsprechend schockiert. In meinem PJ-Haus (mittelgroßes Haus im Pendelbereich) sah das ganz anders aus.

Außerdem wurde mir gezwitschert, dass sich die OÄ in dem Haus absolut nicht zuständig fühlen und man mit Mühe und Not jemandem hinterhertelefonieren muss, in der Hoffnung, dass er gerade nicht am Tisch steht.

Am meisten geschockt hat mich aber das Selbstverständnis der Assis für mieserable Arbeitszeiten: Dienstbeginn offiziell 7:00 zur Visite (wobei alle früher kommen, um sich einzuarbeiten), und Ende erst zwischen 18-20 Uhr wenn die Stationsarbeit erledigt ist. Tuko und Sprechstunden gehen natürlich regelhaft länger als 16:00. Da fragt man sich, wie das mit 8,5h hinkommen soll die im Tarifvertrag stehen. Überstunden werden nur soviele aufgeschrieben, wie mit dem Arbeitszeitgesetz konform geht. Freizeitausgleich theoretisch möglich, praktisch aber schwer durchführbar (weil selten genug Leute angestellt sind, sodass einer frei machen kann). Es erfolgt dann die Auszahlung für knappe vier Euro die Überstunde, und durch Bereitschaftsdienste sammelt man Minusstunden, die aber durch Wochenenddienste ausgeglichen werden können.

Unterm Strich hatte ich ein eher schlechtes Bauchgefühl. Die Zuständigen wollen sich demnächst telefonisch melden wegen der Stelle, bisher habe ich noch nicht schriftlich abgesagt, weil mich ja schon interessieren würde, ob sie mich genommen hätten.

davo
02.07.2023, 19:08
Diese Stelle schreit ja geradezu nach einem "Nein!"... :-))

][truba][
02.07.2023, 19:38
Lies mal deinen Text durch und frage dich, warum eine Abteilung in der mehrere Stellen nicht besetzt sind, jemanden (egal wen) NICHT nehmen sollte (vor allem der bei diesen Zuständen nicht lachend von dannen gezogen ist).

Wer da anfängt zu arbeiten ist selbst schuld. Es gibt keine Vorteile (vor allem keine die dich interessieren) aber scheinbar nur Nachteile. Ich würd schonmal absagen.