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w.oertel
17.10.2001, 13:41
Liebe Kolleginnen und Kollegen - kurz vor dem Ernst des Lebens,

wahrscheinlich bin ich eines der ältesten Mitglieder in diesem Forum, und gerade deshalb möchte ich mich kurz vorstellen.

Ich heiße (Dr.med.) Wolfgang (Oertel), bin 50 Jahre jung/alt (?) und lebe mit meiner Familie auf der schönen Ostsee-Insel Fehmarn. Wir gehören, seit dem Brückenschlag im Rahmen der Vogelfluglinie im Jahre 1963, wirklich zu Europa.

Als Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin arbeite ich im Verbund der Ostholstein Kliniken GmbH und bin an der Inselklinik Fehmarn Chefarzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie sowie Transfusionsbeauftragter und Organisationsbeauftragter Notarzt der Notarztgruppe Burg a.F.

Die knapp bemessene Freizeit teile ich mit meiner Familie und meiner Tätigkeit für die Medizin Forum AG (MFAG). Einige werden mich von daher auch kennen.
Ich bin dort einerseits - zusammen mit Hanno Endres - Systemadmin und für die ärztliche Redaktion zuständig, andererseits betreue ich - zusammen mit je einem Fachkollegen - die Foren für Anästhesiologie, für Intensivmedizin, für Schmerztherapie und für Rettungsdienst/Präklinische Notfallmedizin.

Die Studentenforen in der MFAG waren schon vor meiner Zeit als assoziierte Foren in unser Medizin-Portal integriert; deshalb konnte ich über den eMail-Puffer immer fleissig mitlesen, obwohl wir mit der Betreuung Eurer Foren nichts zu tun hatten.

Nach rund 25 Berufsjahren konnte ich eine Menge Erfahrungen sammeln, die nicht in den Lehrbüchern stehen. Diese Erfahrungen möchte ich gerne weitergeben, soweit sich jemand dafür interessiert.

In diesem Sinne stehe ich Euch gerne zur Verfügung, wenn Ihr Fragen habt - vor allem wenn es darum geht, eine Brücke zwischen Theorie und Praxis zu schlagen.

Fragen zu konkreten, patientenbezogenen Fällen könnt Ihr aber auch direkt in den fachlich betreuten Foren der MFAG unter www.medizin-forum.de/foren stellen.

Es würde mich sehr freuen, Euch ein Stück auf dem Weg in den ärztlichen Beruf begleiten zu dürfen! Auch ich werde davon profitieren, weil ich im Gegenzug zwangsläufig mein Theoriewissen wieder auf Vordermann bringen muss.

Herzliche Grüße - Euer Wolfgang

Felina
08.11.2001, 11:17
Hallo Wolfgang!

Ich find es wirklich nett, daß Du Dich für Fragen zur Verfügung stellst, obwohl Du sicher noch genug andere und wichtigere Dinge zu tun hast!!!
Ich sitze gerade vor den Bücher und lerne fürs zweite Staatsexamen. Und da ich bisher vor lauter Fächern perfekt verdrängt habe, wie viel es zu lernen gibt, ist die
Panik dementsprechend groß. Aber das ist eigetlich nicht das, was ich schreiben wollte.

Wie vielen anderen geht es mir so, daß ich, obwohl ich nicht faul war, das Gefühl habe, daß ich trotz der vielen Jahre Medizin immer noch nichts weiß. Noch kann mir da bei Fragen von Verwandten die Ausrede dienen "ich studier ja noch", aber das trifft ja auch nur noch kurze Zeit zu.
Fortsetzung folgt.....bitte nicht umschalten......

Felina
08.11.2001, 11:20
Dazu kommen noch die Bedenken, daß ich z.B. in einem Notfall auch nicht mehr wüßte, was zu tun wäre als das, was ich aus dem Erste-Hilfe-Kurs weiß, den ich fürs Physikum gemacht habe.
Um zu wissen, was in einem Notfall zu tun wäre, habe ich eine Famulatur in Anästhesie in Wien gemacht. Dummerweise ware dort die Ärzte so wenig an Famulanten interessiert, daß ich wirklich NICHTS gelernt habe. (Naja, aus schlechten Erfahrungen kann man auch etwas lernen)
Ich weiß noch nicht genau, auf welches Fach ich mich später spezialisieren möchte (Innere, Kinder?). Aber ich will auf jeden Fall kompetent und richtig handeln können, wenn ich zufällig bei einem Unfall in der Nähe bin. Kannst Du mir einen Tipp geben, wie ich diese blöde Wissenslücke schließen kann?

Jetzt ist die Mail doch ziemlich lang geworden. Ich hoffe, es wartet jetzt nicht Deine Familie im Hintergrund auf Dich!
Hmm, habe gerade noch einmal Deinen Beitrag durchgelesen und finde es jetzt etwas unverschämt, einen Chefarzt einfach zu duzen. Aber jetzt ist es geschehen und ich kann es ja in einem nächsten eventuellen Beitrag wieder rückgängig machen!

Viele Grüße aus Bonn,
Viola Clement

w.oertel
08.11.2001, 14:50
Liebe Felina,

da ich mich im Studentenforum per Du vorgestellt habe, gehe ich davon aus, dass ihr mich auch duzt; dass hat nichts mit Anbiederei zu tun, sondern mit meinem Selbstverständnis, dass ich - abgesehen gegenüber meinen Arbeitgeber - nicht besonders titelwütig bin.
Für mich steht unter KollegInnen, auch unter angehenden, immer der Teamgedanke im Vordergrund, und das gilt auch für die paramedizinischen MitarbeiterInnen im Pflegebereich und im Rettungsdienst.
Autorität ergibt sich nicht aus dem Titel, sondern aus der Kompetenz und der Art, wie man sich als Mensch gegenüber anderen präsentiert. Soviel zum Du - also bleib gern dabei.

Wer mich lieber siezen möchte, oder selbst gesiezt werden möchte, kann das ja in im Posting mitteilen.

Zu Deinem Problem mit der Nothilfekompetenz.

Bonn ist ja weiß Gott nicht schlecht mit Rettungswachen und Notaufnahmen gesegnet; dort würde ich mich für ein Praktikum vorstellen und in den Semesterferien - z.B. für ein bis zwei Wochen mitfahren.
Noch schneller geht es natürlich mit einer Hospitation in der Anästhesie- und Intensivabteilung eines Krankenhaus.
Auch hier sollte es kein Problem sein, mit einigen Telefonaten ein Krankenhaus kleiner bis mittlerer Größe zu finden und dort um eine Hospitation mit dieser klaren Zielsetzung zu vereinbaren.

Bitte sei Dir aber darüber klar, dass der Maßstab für die Bewertung Deiner Hilfsmaßnahmen am Unfallort an Deinem tatsächlichen Aus- bzw. Fortbildungsstand gemessen wird, d.h. alles dass, was Du gelernt hast und was über die elementare Nothilfe hinausgeht, wird - falls es zu einem Schaden kommt - darauf hin überprüft werden, ob die von Dir darüber hinausgehend durchgeführten Maßnahmen "lege artis" durchgeführt wurden.
Lass Dich also nicht hinreissen, am Notfallort Dinge zu tun, die Dir später selbst zur Last gelegt werden können, wenn es schief gegangen ist.
Etwas anderes wäre es, wenn Du schon z.B. eine Ausbildung als RH, RS oder RA hättest.

Viel Erfolg bei der Suche nach einer geeigneten Klinik/Rettungswache - andernfalls kommst Du im nächsten Sommer zu einer Hospitation zu uns nach Fehmarn - wobei wir Anästhesie- und Rettungsdienst- (NEF-)Einsätze miteinander verbinden können. Fehmarn ist im Sommer wunderschön, allerdings rammelvoll mit Touristen/Urlaubern. Wer ein Wassersportfan ist kommt in der Freizeit allemal auf seine Kosten.

Falls Du dieses Angebot annehmen möchtest, dann schick mir bitte eine Mail an meinen privaten Account unter [email protected] - dann können wir Termine, Unterbringung und Verpflegung usw. rechtzeitig planen.

Herzliche Grüße - Dein Wolfgang

Xanthippe
29.11.2001, 22:49
Hallo zusammen!

Auch ich habe ein ähnlich ungutes Gefühl in Bezug auf "selbständiges, verantwortungsvolles Handeln", das plötzlich z.B. an einem Unfallort verlangt wird. Aber ich bin ganz fest davon überzeugt, dass es den allermeisten Studenten genauso ergeht - dieses "Gleichzeitig-mit-Kopf-und-Händen-Arbeiten" wird im Studium ja auch nicht unbedingt gefördert?! Oftmals kommt es mir vor, wir ertrinken in Detailwissen, aber wenn in einer wichtigen Situation Basics gefragt wären, versagen wir.
Auch die ganze Geschichte mit Betreuung terminaler Patienten, Ueberbringen schlechter Nachrichten, usw. lernt man leider (oder zum Glück?) nicht aus der Schwarzen Reihe!

In all diesen an der Uni leider so schlecht vermittelten Fähigkeiten ist es umsowichtiger, gute, (alte) Aerzte als Vorbilder u. Lehrer zu haben! Dies auch als kleiner Hinweis für alle andern Kliniker (die wir ja hoffentlich auch bald sind) nebst Wolfgang, die sich auch ab und an im Forum tummeln: ihr könnt Euch kaum vorstellen, wie ungeheuer wichtig u.lehrreich bereits kleine, kurze Hinweise u.Bemerkungen eurerseits für uns sind - die für euch absolute basics zu sein scheinen!

Xanthippe

w.oertel
30.11.2001, 10:07
Liebe Xanthippe,

die Formulierung "terminaler ... Patienten" beschreibt die Kluft zwischen universitäter Medizinausbildung und praktischer Hilflosigkeit sehr gut. Weshalb fällt es uns so schwer, von todkranken und todgeweihten Patienten zu sprechen.

Dies ist keine Vorwurf gegen Deine Formulierung, sondern gegen das allgemein in der Gesellschaft zu beobachtende Verhalten, Sterben und Tod so lange wie möglich zu tabuisieren.

Ziemlich genau vor einem Jahr habe ich im Forum für Studium und AiP, damals noch assoziiertes Forum bei der Medizin Forum AG einen Artikel geschrieben, dem ich auch nach einem weiteren Jahr klinischer und privater Erfahrungen mit Sterbenden, deren Angehörigen und unseren eigenen Mitarbeitern, die an der Sterbebegleitung beteiligt waren, nichts hinzuzufügen habe.

"Den Umgang mit Sterbenden - man bekommt das nicht nach Lehrplan beigebracht - aber man kann es sich aneignen, z.B. mit der Hilfe von seriösen KollegInnen, während der verschiedenen Abschnitte des klinischen Lernprozesses, durch Gespräche mit Geistlichen verschiedener Konfessionen und durch Hospitationen - s.u.

Zunächst einmal sterben nicht allzuviele Patienten plötzlich und unverhofft.

Gerade im Intensivbereich suchen wir von Anfang an den engen Kontakt mit den Angehörigen - so vorhanden.

Im weiteren Behandlungsverlauf informieren wir möglichst offen und engmaschig über den Verlauf.
Wenn der Patient präfinal wird, dann versuchen wir, die weitere Vorgehensweise rechtzeitig zu organisieren; d.h. Benachrichtigung im Todesfall (wann, wen, Wunsch nach Abschied im Sterbezimmer, geistlichen Beistand etc.).

Wenn die Angehörigen so vorbereitet und integriert sind, dann kann man sich am Telefon in angemessener Weise und mit dem Ausdruck des persönlichen Bedauerns zunächst darauf beschränken, den unmittelbar bevorstehenden bzw. stattgehabten Tod des Patienten mitzuteilen.

Bei dieser Gelegenheit verabreden wir uns mit den Angehörigen und bemühen uns, bei deren Eintreffen persönlich anwesend zu sein. Hier sind dann tröstende Worte angebracht, das an die Hand-nehmen und zum Toten begleiten.
Der Patient ist bereits entsprechend hergerichtet - die Hände liegen übereinander auf dem Brustkorb.

Wir bieten den Angehörigen Sitzmöglichkeiten an, verharren noch einen Augenblick, ermutigen Sie zum Körperkontakt mit dem Verstorbenen und ziehen uns dann diskret - mit dem Angebot, danach noch miteinander zu sprechen - zurück.

Wenn die Angehörigen dann Abschied genommen haben und in den Tagen danach stehen wir den Angehörigen für Fragen und Gespräche zur Verfügung.

Das ist der Idealfall, und dennoch kommt es auch vor, dass ein Patient einfach so verstirbt und wir situativ nicht präsent sein können.

Wichtig ist uns, dass frühzeitig die Frage des geistlichen Beistandes geklärt und organisiert wird, damit z.B. die Sterbesakramente erteilt werden können bzw. entsprechende Ritualien zeitgerecht erfolgen können.
Hier sind unsere ortsansässigen Pfarrer und Pastoren eine wertvolle Hilfe.

Neben diesen "Formalien" ist mir aber ein anderer Gesichtspunkt viel wichtiger:

Wir Mediziner sind in aller Regel nicht darauf vorbereitet, in diesen Situtationen selbst emotional zu reagieren und agieren daher eher mit Regression und Formalismus.

Es steht aber nirgends geschrieben, dass ein Arzt nicht traurig über den Tod eines Patienten sein darf, und erst recht nicht, dass er seine Gefühle verheimlichen muss.
Es steht auch nirgends geschrieben, dass man einen Angehörigen nicht spontan in den Arm nehmen darf, und seine Anteilnahme nicht auch über die Körpersprache ausdrücken darf.

Ich halte diese Emotionalität allemal für ehrlicher, als das Geschwafel über die "herzliche Anteilnahme" oder das "aufrichtige Beileid".

Schwieriger ist es, wenn ein Patient tatsächlich unerwartet verstirbt oder man als Notarzt am Einsatzort letztlich den Tod eines Patienten selbst verarbeiten und den Angehörigen möglichst schonend vermitteln muss.
Da gibt es keine Patentrezepte, allenfalls die Erfahrungen, die man in der Klinik bis dahin gesammelt hat.

Meine Erfahrung ist auch hier, dass die schonende, respektvolle Ansprache, die behutsame Vorbereitung der "unglaublichen" Nachricht und das Vermitteln der erkenn- bzw. spürbaren eigener Betroffenheit, wenn sie wirklich ehrlich rüberkommt eine gute Grundlage in solchen Krisensituationen sind.
Ich pflege das Gespräch meistens mit Formulierungen wie:
"... ich habe eine sehr traurige Nachricht für Sie" oder "...es tut mir sehr leid, aber wir konnten ... leider nicht mehr helfen" oder "... Sie haben uns ja gerufen, weil es ... sehr schlecht ging, leider war Ihre Sorge nur allzu berechtigt, denn ... und letzlich ist ... ganz ruhig eingeschlafen".
Nach dieser Eröffnung wird der Angehörige zum Betroffenen und Patienten gleichermaßen, für den wir uns, wenn irgend möglich, Zeit nehmen sollten - gerade im Rettungsdienst.

Dies wird uns manchmal dadurch erleichtert, dass ja gewisse Formalien zu erfüllen sind, was uns aber auch den Angehörigen Zeit gibt, die Tragweite des Geschehenen wahrzunehmen; nach dieser kurzen Zeitspanne kann man den Dialog wiederaufnehmen und versuchen zu trösten - s.o. - aber auch Hilfe anbieten (z.B. anbieten, den Bestatter und/oder den Pfarrer/Pastor und/oder die Angehörigen zu informieren).

Wer menschlich überzeugend und emotional empfindsam vorgeht, braucht sich nicht hinter Floskeln und Verwaltungsarbeiten zu verstecken; ehrliche Anteilnahme kann als reflexiver Prozess zwischen den Angehörigen einerseits und dem Pflege-/Ärzteteam bzw. Rettungsdienst-/Notarztteam ein persönlich sehr bereicherndes Erlebnis sein, an dem man von Fall zu Fall Kraft, Sicherheit und Erfahrungen für "das nächste Mal" schöpft.

Wichtig ist auch, dass man einen Todesfall nicht von sich aus ein zweites Mal totredet, um damit die eigene Hilflosigkeit zu kaschieren.

Aktives Zuhören, positives Motivieren, soweit glaubwürdig den friedlichen Tod, das sanfte Einschlafen und die Erlösung von vorgängigen Qualen thematisieren und den Angehörigen in die Lage versetzen, ausführlich über seine Gefühle sprechen oder auch nur weinen zu können hilft am meisten, die nötige Trauerarbeit in Gang zu bringen.

Wenn Sie in diesem Bereich Erfahrungen sammeln möchten, dann empfehle ich Ihnen, einmal 14 Tage Ihrer Semesterferien für eine In-house-Hospitation in einem Hospiz zu investieren. Sie und Ihre Patienten/Angehörige werden mit Sicherheit davon "profitieren".

Mit freundlichen, sehr nachdenklichen Grüßen und der Hoffnung, dass Sie möglichst viel über Ihre eigene Gefühlswelt und den Umgang mit dem Sterben und dem Tod erfahren."

Die damals gewählte Anrede per "Sie" an einen namentlich nicht genannten Gast bitte ich hier in diesem Forum zwanglos durch "Du" und "Ihr" zu ersetzen.

So, wie wir uns über die Geburt eines jeden - hoffentlich auch noch gesunden - Kindes freuen (dürfen), so dürfen wir, auch als Ärztinnen und Ärzte, Schwestern und Pfleger - und erst recht als Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg in den ärztlichen Beruf - den Tod eines Patienten mit Respekt und persönlicher Trauer begleiten. Wir müssen diese Trauer nicht immer tränenreich nach draussen tragen, aber wem danach ist, der sollte es tun dürfen und die übrige Kollegenschaft sollte dies nicht als Schwäche mißdeuten, sondern als menschlichen Aspekt in der Bandbreite unterschiedlichster, denkbarer Verhaltensweisen respektieren.

Wir reden heute so unendlich vieldeutig von Arzt-Patienten-Bindungen - besonders, wenn es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten darum geht, unternehmensexistenzielle Zielvereinbarungen zu treffen, die den Bestand einer Praxis oder Klinik langfristig sichern sollen.

Gerade deshalb müssen wir uns davor hüten, zu Medizindienstleistungshandwerkern zu verkommen; deshalb tut die frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Sterben und dem Tod von Patienten Not.

Es grüßt Euch ganz herzlich - Euer Wolfgang

Yersinia
22.12.2001, 18:07
Hallo liebe KommilitonInnen,

um "in der Praxis" zu bleiben, arbeite ich neben dem Studium ehrenamtlich bei einer Hilfsorganisation (Malteser, aber es gibt auch andere: Johanniter, Rotes Kreuz, Arbeiter-Samariter-Bund usw.). Das macht nicht nur Spaß, weil da viele nette Leute mitmachen, sondern man/frau bekommt auch eine Ausbildung zum Rettungshelfer oder Rettungssani (hab ich parallel zum Abi gemacht) und hat Gelegenheiten, z. B. Einsätze zu machen: Hier in Berlin z. B. betreuen wir alle Jahre wieder die Loveparade, unterstützen die Berliner Feuerwehr an Silvester und dem 1. Mai, oder betreuen Konzerte, Sportveranstaltungen.
Man lernt einfach riesig viel dabei, nicht nur kleine medizinische Handgriffe, sondern auch das, was sonst immer viel zu kurz kommt: Anamnese erheben, Angehörige beruhigen, einen Patienten in den Arm nehmen, und im Chaos ruhig bleiben, den Blick für das Wichtige behalten.
So etwas gibt's bestimmt auch in Eurer Nähe...
Ach ja, und nach einer kurzen Ausbildung kann man/frau auch Erste-Hilfe-Kurse abhalten, und so lernen, Laien medizinische Sachverhalte klarzumachen.
Es lohnt sich total! kann ich echt nur empfehlen...

jules
16.01.2002, 11:31
Lieber Wolfgang!

Da Sie Ihren letzten Brief so beendet haben, spreche ich Sie auch so an - ich hoffe dies ist in Ordnung, zumal ich das Thema an sich schon persönlich finde.
Ich bin noch recht neu auf diesen Seiten und habe bei weitem noch nicht alles gelesen, aber ich bin beim Stöbern eben auf Ihre Mail gestoßen und wollte spontan zurück schreiben.
Das, was Sie über dieses Thema geschrieben haben, war endlich mal etwas anderes, als das, was man im täglichen Unialltag und oftmals auch bei Famulaturen vermittelt wird, nämlich, daß halt mal wieder einer einen Exitus hatte, na und?
Es wird einem, ohne es direkt auszusprechen, doch immer beigebracht, daß Gefühlsduseleien dieser Art im Klinikalltag nichts zu suchen haben. Und es scheint tatsächlich nur mal ein Glücksfall zu sein, wenn man bei einem Klinikarzt eine emotionale Regung zu Gesicht bekommt...
natürlich ist mir klar, daß man als Arzt einen gewissen emotionalen Abstand braucht, aber bei so vielen Ärzten endet dies meist nach einiger Zeit in absoluter Kaltschnäuzigkeit - muß denn das sein?
Gibt es da denn keinen Mittelweg? Ich finde es erbauend, daß Sie schreiben, daß man zu den Patienten und Angehörigen auch mal ein bißchen persönlicher sein darf und auch mal Menschlichkeit zeigen kann...
Meine Mutter ist seit mehr als zwanzig Jahren Allgemeinmedizinerin und hat in dieser Zeit auch viele Menschen sterben sehen. Dadurch, daß ich selbst oft in der Praxis mitgearbeitet habe und so in Kontakt mit vielen Patienten und Angehörigen gekommen bin, weiß ich, wie wichtig Menschlichkeit in unserem Beruf ist !
Ich habe aber auch während meines Studiums vele Medizinstudenten gesehen, die es wohl für den guten Ton halten, wenn man herablassend und kaltschnäuzig über die Patienten spricht und z.T. auch nicht anders mit ihnen umgeht. Und von Zeit zu Zeit habe ich gemerkt, daß man selbst leicht in die Gefahr des "Abstumpfens" gerät, aber es ist die Aufgabe eines jeden Mediziners dies nicht zuzulassen! Ein bißchen Freundlichkeit und Menschlichkeit ist, denke ich, für jeden machbar, oder?
Ich weiß, daß es in unseem Beruf zeitlich immer schwieriger wird, aber sicherlich seid Ihr auch schon auf den einen oder anderen Arzt getroffen, der dies troz der Hektik,o.ä., geschafft hat, oder?
Ich bewundere diese Ärzte und nehme sie mir zum Vorbild!
Auf diese Art wird es vielleicht nicht gleich einfacher auch das Thema Tod ein wenig besser mit einzuschließen, aber es zumindest mal ein Anfang - und die Patienten/ Angehörigen werden sicher oftmals dankbar sein über die echte und nicht geheuchelte Anteilnahme!
Schließlich kann jeder von uns auch mal auf der anderen Seite des Bettes stehen...


So, ich habe die Mail zwar an Sie begonnen, aber damit aufgehört mich an alle zu richten. Ich habe keine Ahnung, ob es überhaupt irgend jemand lesen wird, aber mir lag daran dies einmal aufzuschreiben.
Danke für die Mail!
Viele Grüße,
jules

20.01.2002, 23:31
Hallo Wolfgang,
nun muß ich mich nochmal schnell melden, denn ich habe meine zweite Mail ("Zusatz zu meinem Beitrag - Umgang mit Sterbenden") leider falsch abgeschickt. Nun steht sie nicht direkt unter meiner ersten Mail, sondern ist als eigenes neues Thema auf der Seite "7.-12.-klinisches Semester..." zu sehen. Wäre super, wenn Du da vielleicht nochmal schaffst reinzuschauen und eine Antwort auf meine Frage weißt.
Viele Grüße,
jules